ADHS bei Erwachsenen: Symptome, Diagnose und Behandlung

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine psychische Veranlagung, die sich im Kindesalter bemerkbar macht und über das Adoleszentenalter hinaus bei vielen Betroffenen auch im Erwachsenenleben bestehen bleibt. Es wird davon ausgegangen, dass im Kindes- und Jugendalter vorhandene ADHS-Symptome in 50 - 80 % der Fälle auch im Erwachsenenalter fortdauern. Daraus ergeben sich Prävalenzraten bei Erwachsenen zwischen 2.5 und 5 %. Weltweit sind rund 3.4 % der Bevölkerung an ADHS erkrankt.

Gemäss aktuellen Forschungsergebnissen leiden 3-4 % der Erwachsenen unter einer ADHS. Zwei Drittel aller Erwachsenen, die in ihrer Kindheit an einer ADHS litten, haben auch als Erwachsene Schwierigkeiten, alltägliche Situationen zu meistern. In der Schweiz gibt es schätzungsweise rund 200’000 Menschen mit ADHS.

Was ist ADHS?

ADHS ist keine Krankheit im klassischen Sinne, sondern eine neurobiologische Entwicklungsstörung wie Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) und Dyskalkulie (Rechenschwäche) sowie Formen des Autismus. Grund der Störung ist, dass Botenstoffe im Gehirn nicht richtig weitergeleitet werden und es daher zu Fehlern in der Informationsverarbeitung kommt. Sicher ist: ADHS hat nichts damit zu tun, dass die Betroffenen sich einfach mehr anstrengen müssten, um bessere Leistungen zu erbringen. Wie bei einer Fehlsichtigkeit handelt es sich bei ADHS um einen biologische Einschränkung der Person und Hilfsmittel können für schnelle Besserung der Symptome sorgen.

Ursachen von ADHS

Die Ursachen des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind nicht restlos geklärt. Einig ist sich die Wissenschaft aber darin, dass es sich um eine angeborene, neurobiologische Funktionsstörung handelt, an der genetische und umweltbedingte Faktoren beteiligt sind. Untersuchungen weisen darauf hin, dass der ADHS eine Hirnreifungsstörung zu Grunde liegt, die zu einer komplexen Beeinträchtigung neurokognitiver Prozesse führt.

  • Meist sind mehrere Familienmitglieder betroffen (hohe genetische Komponente).
  • Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum oder Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft, Frühgeburt.
  • Gestörtes Gleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin, Noradrenalin und Serotonin.

ADHS geht von einer Fehlfunktion zentraler Neurotransmittersysteme aus. Das bedeutet, dass im Zwischenraum zweier Nervenzellen nicht ausreichend Botenstoffe zur Verfügung stehen. Diese Unterversorgung führt zu einer Dysfunktion des Gehirns. Diese Fehlfunktion betrifft jene Bereiche des Gehirns, wo sich das Aufmerksamkeitssystem befindet.

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Ungünstige Umgebungsbedingungen können das Risiko erhöhen, an ADHS zu erkranken. Hierzu gehören perinatale Komplikationen, niedriges Geburtsgewicht, instabile Familienverhältnisse ohne Struktur, eine Belastung mit Suchtkrankheiten und weitere Faktoren.

Symptome von ADHS bei Erwachsenen

Die Kernsymptome (Merkmale) dieser Entwicklungsstörung sind: Unaufmerksamkeit, Impulsivität und eventuell Hyper- oder Hypoaktivität. Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen. So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung.

Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person. Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund.

Zusätzlich zu den Hauptsymptomen der ADHS kommen im Erwachsenenalter weitere hinzu wie beispielsweise Desorganisation im Lebensalltag, schnelle Stimmungswechsel, Stressüberempfindlichkeit und Schwierigkeit bei der Temperamentskontrolle.

Erwachsene mit ADS haben meistens Schwierigkeiten beim selbständigen, auf sich allein gestellten Arbeiten. Auch den Überblick behalten, sowie das Strukturieren und Planen machen oft Mühe. Ständig werden Sachen vergessen, Wichtiges wird aus den Augen verloren, man verliert / vertrödelt viel Zeit, schweift ab.

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Die Betroffenen arbeiten ineffizient und können ihr Potenzial nicht adäquat in Leistung umsetzen. Verliert sich in Details, weiss nicht, wo/wie anfangen, weshalb Betroffene nur ganz kurze Zeit an einer Aufgabe bleiben, dann ausweichen, die Arbeit aufschieben, sich etwas anderem zuwenden und sich wieder abwenden. Sie beginnen mit der Aufgabenbearbeitung voreilig-dreinschiessend, ohne ausreichend zu planen und zu überlegen, gehen wenig systematisch vor, wählen wenig effiziente Strategien, arbeiten umständlich und kompliziert, müssen häufig korrigieren, machen gehäuft Flüchtigkeitsfehler.

Die Schwierigkeiten sind grösser bei nicht bzw. wenig vorstrukturierten Aufgaben. Dadurch wird vor allem sehr viel Zeit benötigt / verloren! Es wird ineffizient gearbeitet, die erbrachte Leistung steht in krassem Widerspruch zum Potenzial und zum geleisteten Arbeitsaufwand. Die Betroffenen gelten als unzuverlässig, eventuell als wenig motiviert, es wird mangelnder Einsatz vorgeworfen. Und die erbrachten Arbeitsleistungen sind tatsächlich ungenügend.

Der Druck steigt: Die Betroffenen möchten möglichst gute Arbeit leisten, was aber nicht gelingt. Das ist gar nicht möglich, weil eine Überforderung aufgrund von Teilleistungsschwächen vorliegt, was Betroffene selber aber nicht wissen. Eine solche Situation verunsichert natürlich, reduziert das Selbstvertrauen, führt zu Ängsten, erhöht den Stress und senkt so die Leistungsmotivation und das Leistungsvermögen. Die Erfolgszuversicht nimmt ab und die Misserfolgsängstlichkeit nimmt zu, die Angst vor erneutem Versagen bzw.

Der Druck kommt, ausgesprochen oder unausgesprochen, gewöhnlich von drei Seiten: Erstens selbst auferlegt, aufgrund eigener Ansprüche an seine Arbeit. Zweitens seitens des Arbeitgebers. Drittens seitens der Umgebung (Familie, Freunde, Arbeitskollegen).

Psychische Reaktionen treten in diesem Dauerstress früher oder später immer auf, auch kombiniert und in wechselnder Ausprägung. Wahllos aneinandergereiht sind das: schlechte Laune, Missmut, Überempfindlichkeit, Stimmungsschwankungen, depressive Verstimmung, Passivität, Resignation, Rückzug, nervliche Anspannung, kann zuhause nicht abschalten, verliert gegenüber den eigenen Kindern die Geduld, neigt zu "Überreaktionen", Aggressivität, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden ("psychosomatisch"), Suchtverhalten und anderes.

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Am häufigsten ist dies deshalb der Fall, weil sich die konkreten beruflichen Anforderungen geändert haben oder gestiegen sind. Manchmal gelingt es, seine diskreten Teilleistungsschwächen zu kompensieren, z.B. mittels erhöhtem Zeitaufwand. Aufgrund zusätzlicher Aufgaben und damit höherer Belastung, z.B. bedingt durch eine Familiengründung, steht diese zusätzliche Zeit nicht mehr zur Verfügung und die Teilleistungsschwächen können nicht mehr wett gemacht werden.

Oder aufgrund eines psychisch-emotional sehr belastenden Ereignisses (z.B. Trennung, Verlust einer nahen Person) stehen die bisher zusätzlich aufgewendeten Energien nicht mehr zur Verfügung beziehungsweise gelingt es nicht mehr, die diskreten Teilleistungsschwächen wie bis anhin zu kompensieren.

Bei einer insgesamt überdurchschnittlichen Hirnleistungsfähigkeit und anspruchsvoller Berufsarbeit können sich bereits sehr diskrete neuropsychologische Teilleistungsschwächen verheerend auswirken! Es ist wie ein bisshen Sand im Getriebe eines Traktor beziehungsweise im Getriebe eines Formel 1-Boliden: Der Traktor fährt sein Tempo unvermindert weiter.

Diagnose von ADHS bei Erwachsenen

Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien. Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein. Neuropsychologische Testverfahren sind bei speziellen Fragestellungen hilfreich.

Es ist wichtig festzuhalten, dass aus der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sich nicht zwangsläufig eine Behandlungsnotwendigkeit ableitet. So wird in diesem Zusammenhang nochmals genau erörtert, ob die funktionellen Einschränkungen im Leben der Betroffenen und die damit verbundenen Problematiken im sozialen Leben eindeutig durch ADHS verursacht sind.

Für die Diagnose ADHS müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Symptome müssen vor dem 12. Lebensjahr auftreten und länger als 6 Monate andauern.
  • Die Symptome müssen in verschiedenen Lebensbereichen auftreten.
  • Die Symptome müssen mehrere Kriterien eines anerkannten Klassifikationssystems erfüllen. Dazu gehören DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen), ICD-10 und ICD-11 (Internationale Klassifikation der Krankheiten).

Behandlung von ADHS bei Erwachsenen

Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, welche einzeln oder auch kombiniert angewandt werden können. Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Dabei werden die Patienten und gegebenenfalls ihr unmittelbares Umfeld über das Störungsbild informiert.

Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz Medikamente mit den Wirkstoffen Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Es werden verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Inhaltlich sind aber einige Gemeinsamkeiten wie der Umgang mit Desorganisiertheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder auch Impulskontrolle vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Umgang mit der Symptomatik zu erlernen und zu festigen.

Sich auf das Wesentliche konzentrieren, fokussiert und strukturiert Aufgaben bewältigen können - das sind die Ziele von Coaching und einer modernen Medikation bei ADHS.

Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten, die einzeln oder kombiniert angewandt werden können. Je nach Schweregrad der Symptomatik und den Einschränkungen im Alltag sowie in verschiedenen Lebensbereichen, muss ein individuelles Therapiekonzept erarbeitet werden. In der Psychotherapie lernen Betroffene, die Emotionen zu regulieren, sich zu organisieren (Zeitmanagement), das Selbstwertgefühl zu stabilisieren und mit der Ablenkbarkeit umzugehen. Bei stark ausgeprägten Symptomen und erheblichen Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen, kann eine medikamentöse Behandlung (Pharmakotherapie) hilfreich sein.

Therapiemöglichkeiten

  • Psychotherapie
  • Psychoedukation für Betroffene und Angehörige
  • Umgang mit Impulsivität, Aufschieben, Überforderung, tiefem Selbstwert
  • Paartherapie. Bei starken Paarkonflikten kann eine Paartherapie indiziert sein.
  • Coaching. Auf ADHS spezialisierte Coaches bieten konkrete Tipps für den Alltag an.
  • Neurofeedback. Studien mit Kindern/Jugendlichen sind erfolgsversprechend.
  • Pharmakotherapie

Begleiterkrankungen bei ADHS

Die Mehrzahl von erwachsenen ADHS-Patienten leiden an Begleitstörungen wie Depression, Angst, Abhängigkeits- oder auch Schlafstörungen. Je nach Schweregrad dieser Begleiterkrankungen muss die Behandlung entsprechend priorisiert werden. Bei bis zu 75 Prozent der Menschen mit ADHS finden sich mindestens eine weitere psychische Beeinträchtigung (sogenannte Komorbidität).

Häufige Begleiterkrankungen bei einer ADHS sind seelische Erkrankungen. Dazu gehört auch die Depression. Die Energie, die Menschen mit einer ADHS für ihren Alltag benötigen, führen zu einer Erschöpfung. Diese kann wiederum zu einer Depression führen. Ein Gefühl von Kraftlosigkeit und Überforderung wird immer stärker. Menschen «funktionieren» weniger, wodurch ein Gefühl von Minderwertigkeit resultiert. Ebenso gibt es bei Depressionen genetische Grundlagen.

Bei einer Angststörung reagieren Menschen auf bestimmte Reize mit starker Angst. Menschen mit einer ADHS erwähnen auch häufiger, dass sie Minipaniken erleben. Diese treten auf, wenn etwas nicht so funktioniert, wie sie sich das vorgestellt haben.

Ein Prozent der Weltbevölkerung hat eine Bipolare Störung. In den manischen Phasen besitzen die Menschen viel Energie und ein erhöhtes Selbstbewusstsein. Die Phasen können sich auch mischen und schnell abwechseln. Männer und Frauen sind gleichermassen betroffen. 10 Prozent der ADHSler:innen weisen eine bipolare Störung auf. Ebenfalls haben 20 Prozent der Menschen mit einer bipolaren Störung eine ADHS. Auch die Ursachen beider Erkrankungen überschneiden sich. Die Ursachen der bipolaren Störung sind ebenfalls noch nicht ausreichen erforscht. Dabei spielt die Veranlagung eine wesentliche Rolle. Der Ausbruch der Erkrankung wird jedoch durch Umweltbedingungen beeinflusst. Hierzu zählen Stress, durch die Geburt oder Drogen- und/oder Alkoholkonsum.

Schlafstörungen bei Erwachsenen mit einer ADHS kommen häufig vor. Dies liegt daran, dass sich viele Menschen mit einer ADHS abends besser auf die Arbeit konzentrieren können. Grund hierfür sind fehlende, störende Reize. Das führt dazu, dass sie oft bis spät in die Nacht arbeiten. So können sie alle wichtigen Aufgaben erledigen.

Menschen mit AD(H)S leiden oft auch unter einer Persönlichkeitsstörung, wie zum Beispiel Borderline.

Bei dem Restless-Legs-Syndrom handelt es sich um eine neurologische Störung, die häufig zusammen mit einer ADHS auftritt. Sie wird als kribbeln oder spannen in den Beinen empfunden. Die Symptome bereiten beim Einschlafen Schwierigkeiten. In den Phasen wird der Drang verspürt, sich zu bewegen oder die Muskeln anzuspannen. Beine und Füsse sind häufiger betroffen. Die Ursache ist nicht geklärt. Jedoch wird eine Störung in dem System, das zur Herstellung von Dopamin verantwortlich ist, in Betracht gezogen. Dies steht in Zusammenhang mit einer ADHS. 10 Prozent sind von dem RLS betroffen. Frauen deutlich häufiger.

Auch, wenn eine ADHS oft nicht erkannt wird, so kommt es bei einer ADHS häufig zu Persönlichkeitsstörungen. Dies sorgt für Doppeldiagnosen. Beispielsweise eine ADHS und Borderline oder eine ADHS und die narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Eine weitere Begleiterkrankung ist das Abhängigkeitssyndrom. Es kommt bei Menschen mit einer ADHS doppelt so häufig vor, wie bei Menschen ohne ADHS.

Auch zwischen der ADHS und Allergien kann ein Zusammenhang gesehen werden. Dieser kann wissenschaftlich erklärt werden und ist in der Praxis bewiesen: Stress. Dieser schwächt das Abwehrsystem, wodurch es bei einer ADHS häufiger zu Infekten und allergischen Erkrankungen kommt.

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