ADHS Diagnostik Ablauf: Ein umfassender Überblick

Wenn Kinder oder Jugendliche häufig unaufmerksam wirken, besonders hibbelig beziehungsweise impulsiv erscheinen, kommt bei Eltern, aber auch bei schulischem Personal, schnell der Verdacht auf, es könne ADS oder ADHS dahinterstecken.

Hinweis: Die Bezeichnung ADS wird von Eltern und Betroffenen häufig genutzt, wenn die Verträumtheit das Hauptproblem darstellt - sie ist aber veraltet. Die offizielle Diagnose lautet auch hier ADHS, wobei man drei Erscheinungsbilder unterscheidet. ADHS ist eine der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen.

Wer führt ADHS-Diagnostik durch?

Häufig ist die kinderärztliche Fachperson die erste Anlaufstelle für Eltern, die sich wegen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen, starker körperlicher Unruhe oder sozialen Schwierigkeiten ihrer Kinder sorgen. Kinder- und Jugendmediziner/innen werden das Kind vornehmlich körperlich untersuchen, den Entwicklungsstand einschätzen und die Motorik prüfen.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ist ein Expertenzentrum für die Diagnostik und Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Abklärungen und Behandlungen der ADHS werden in allen Ambulatorien unserer Klinik durchgeführt. Die ADHS-Diagnose sollte immer durch Fachpersonen erstellt werden.

Ablauf der ADHS-Diagnostik

Die Diagnosestellung für ADHS ist aufwändig und anspruchsvoll. Die offiziellen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von ADHS sehen folgende Abstufungen vor. Demnach ist eine zuverlässige Diagnosestellung in der Regel ab dem Eintritt in die erste Klasse möglich.

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In unserer Klinik nutzen wir für die Diagnosestellung die internationale Klassifikation der Störungen ICD-11 der WHO, nach der die Kriterien und Symptome definiert werden. Nach den neuesten Kriterien können die Symptome gleich stark ausgeprägt sein, oder es können einzelne überwiegen. In der Regel bestehen die Symptome seit der Kindheit und treten in verschiedenen Situationen auf.

1. Ärztliche Untersuchung

Bevor eine (psychologische) ADHS-Abklärung erfolgt, wird das Kind in der Regel zum Kinderarzt und zur Neurologin überwiesen. Dies ist wichtig, um ausschließen zu können, dass eine körperliche Ursache für die Verhaltensauffälligkeiten verantwortlich ist. Denn manchmal sind Konzentrationsschwierigkeiten und / oder körperliche Unruhe allein auf körperliche Ursachen zurückzuführen, z.B. auf eine Seh- oder Höreinschränkung, auf Mangelerscheinungen, eine Schilddrüsendysfunktion etc.

Werden diese körperlichen Einschränkungen behandelt, verschwindet auch die Symptomatik - es wird keine ADHS diagnostiziert. In diesem Zusammenhang werden auch Hirnströme mittels EEG gemessen, um sicher zu gehen, dass die Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsprobleme nicht mit einer hirnorganischen Veränderung /oder Abnormalität zusammenhängen bzw.

2. Anamnese und Verhaltensbeobachtung

Dort wird anfangs die Vorgeschichte des Kindes erfragt. Hier kommen Schwangerschaftsumstände, Meilensteine der kindlichen Entwicklung (Krabbeln, Laufen, Sauberkeitserziehung), aber auch bisherige Krankheiten und Allergien des Kindes und der Familie, sowie psychische Auffälligkeiten zur Sprache. Die Familienanamnese ist zentral, da ADHS eine starke erbliche Komponente aufweist und in Familien gehäuft auftritt.

Zudem beziehen Fachpersonen, wo immer möglich, auch Informationen von außen mit ein (z.B. von Lehrkräften, Erzieher/innen, aus schriftlichen Berichten und Zeugnissen). Meist wird das Umfeld gebeten, das Verhalten des Kindes mittels Fragebogen einzuschätzen. Wie erleben unterschiedliche Bezugspersonen des Kindes, z.B. Eltern und Lehrkräfte oder Sporttrainer/innen, die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes?

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Ist das Kind beim Erstgespräch anwesend, so kann die Fachperson sich selbst einen Eindruck vom Verhalten des Kindes machen. Sie wird das Kind nach seiner Einschätzung fragen, mit ihm spielen, etwas malen oder kleine Aufgaben lösen und dabei sein Verhalten beobachten.

3. Testdiagnostik

Eine wichtige Säule, die die Diagnose ADHS trägt, ist die sogenannte Testdiagnostik. Die meisten Fachpersonen beginnen mit einem Intelligenztest (z.B. Wechsler Intelligenztest für Kinder (WISC-V) oder Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC II).

Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bleiben aufgrund ihrer Verhaltensprobleme oft weit hinter ihrem eigentlichen Potenzial zurück. Andererseits können sich hinter Verhaltensweisen, die nach außen hin auf eine ADHS hindeuten, auch eine Hoch- oder Minderbegabung bzw. eine Über- oder Unterforderung in der Schule verbergen. Nicht zuletzt deshalb ist eine Intelligenzabklärung oft ein wichtiger Bestandteil der ADHS-Diagnostik.

Um die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit des Kindes über den Intelligenztest hinaus zu ermitteln, werden häufig Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests auf Papier oder am Computer durchgeführt, zum Beispiel der d2-R, KITAP (Kindertestbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung), TAP (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung) oder CPT (Continuous Performance Test). Dabei müssen Kinder beispielsweise Bilder auf Unregelmäßigkeiten hin vergleichen und gleiche Bildpaare finden oder unter Zeitdruck vorgegebene Symbole durchstreichen oder ergänzen. Manchmal werden zusätzlich Tests zur visuellen und auditiven Merkfähigkeit angewendet.

4. Verhaltensbeobachtung während der Testdiagnostik

Während der gesamten Testdiagnostik wird die diagnostizierende Fachperson das kindliche Verhalten beobachten. Sie wird sich ein Bild über die Konzentrationsfähigkeit machen, wird sehen, wie leicht es sich ablenken lässt, wie zügig es arbeitet und wie viel Widerstand es zeigt. Auch wird häufig ein Augenmerk darauf gelegt, wie gut das Kind Frustrationen aushalten kann und wieviel Ausdauer es bei schwierigen Aufgaben zeigt (= Frustrationstoleranz).

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Zudem wird die Fachperson eine Einschätzung über das Niveau der körperlichen Unruhe treffen. Darüber hinaus wird der Entwicklungsstand des Kindes erhoben.

5. Emotionale Diagnostik

Ein wichtiger Teil ist außerdem die emotionale Diagnostik. Hier geht es um Fragen wie „Wie schätzt sich das Kind selbst ein? Wie steht es um sein Selbstwertgefühl? Wie ist seine Grundstimmung? Welche Sorgen beschäftigen es? Wo ist der Platz des Kindes innerhalb der Familie? Welche Haltung hat es zur Schule? Wie ist die Beziehung zu den Lehrkräften? Wie zufrieden ist das Kind mit seinen sozialen Kontakten?“.

Die emotionale Diagnostik ist wichtig, um herauszufiltern, ob die Konzentrationsprobleme und körperliche Unruhe beispielsweise mit emotionalen Belastungen oder Gefühlsverstimmungen des Kindes zusammenhängen. Viele Kinder entwickelt kurzfristig ADHS-ähnliche Symptome, wenn sich ihre Lebenssituation stark verändert, etwa nach einem Umzug, der Trennung der Eltern oder dem Tod einer nahestehenden Person.

6. Zusammenführung aller Informationen

Alle Komponenten, d.h. die Vorgeschichte, die Verhaltensbeobachtung des Kindes, die Einschätzung des kindlichen Verhaltens durch Eltern und Lehrer/innen und die Ergebnisse der Testdiagnostik und emotionalen Diagnostik fließen in den abschließenden Befund mit ein.

Wie dir vielleicht aufgefallen ist, enthält ein großer Teil der ADHS-Abklärung eine stark subjektive Komponente. Je nachdem, wie du selbst und die Lehrkräfte das kindliche Verhalten einschätzen und die Fragebögen ausfüllen und wie die Fachperson das Verhalten des Kindes beurteilt, wird sich der Befund verändern. Nicht unerheblich für die Diagnosestellung ist auch, wie das Kind in der Testsituation gerade reagiert und welche Verfahren genau eingesetzt werden.

Die Verhaltensbeobachtung durch die Diagnostiker/in spiegelt den Eindruck wider, den sie innerhalb von einigen Stunden von deinem Kind gewonnen hat. Es wird somit nochmals klarer, dass die ADHS-Diagnostik kein „Bluttest“ ist, aus dem man klare Schlüsse (vorhanden/nicht vorhanden) ableiten kann. Vielmehr ist der abschließende fachärztliche Befund ein Mosaik, die einige subjektive Komponenten mit einschließen. Die Testergebnisse der standardisierten Testverfahren allein reichen für eine Diagnose nicht aus.

Immer wieder erleben wir Familien, die seit Jahren einen ADHS-Verdacht mit sich herumtragen und abwarten wollen, solange das Kind noch in der Lage ist, seine Schwierigkeiten zu kompensieren. Oft entwickelt sich daraus aufseiten des Kindes mit der Zeit eine immer größere Erschöpfung, das Gefühl „es sowieso nicht zu können“, „dumm zu sein“ oder „es eh niemandem recht machen zu können“.

Wartezeiten und Behandlung

Stelle dich darauf ein, dass es keine Seltenheit ist, 6 bis 12 Monate auf einen Platz zur ADHS-Diagnostik warten müssen. Symptome sind Unaufmerksamkeit, ausgeprägte motorische Aktivität und erhöhte Impulsivität. Sie können bei den Betroffenen sehr unterschiedlich sein, häufig führen sie jedoch zu deutlichen sozialen, schulischen bzw. Die ADHS-Diagnose sollte immer durch Fachpersonen erstellt werden.

Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose): Wir prüfen, ob die ADHS-Symptome durch andere Störungen ausgelöst werden. Es kann dazu z.B. eine Untersuchung des Kindes erforderlich sein (bspw. Hör- und Sehtests), Laboruntersuchungen, selten neurologische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren. Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen treten bei Kindern mit ADHS häufiger auf.

Fragebogenverfahren: Wir setzen ADHS-Fragebogen ein, die von den Eltern, Lehrpersonen und -je nach Alter - von dem betroffenen Kind selbst ausgefüllt werden. Dabei wird systematisch nach den für ADHS relevanten Problemen inkl. Testpsychologische Untersuchungen: Mittels Tests erfassen wir Leistungsprobleme oder auch Stärken. Meist wird zunächst ein Test zum allgemeinen Leistungsniveau (Intelligenztest) durchgeführt, der sich aus mehreren Untertests zu unterschiedlichen Fähigkeiten zusammensetzt.

Weitere Testverfahren, auch am Computer, z.B. Aufklärung über die Behandlungsoptionen und Notwendigkeiten sowie gemeinsame Entscheidungsfindung. Wenn eine sehr deutliche Beeinträchtigung vorliegt, besteht die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung. Für Eltern mit einem Kind mit ADHS bis 12 Jahre besteht zudem die Möglichkeit der Teilnahme an einem störungsspezifischen Elterntraining.

Bei positivem Befund empfehlen wir in der Regel gemäss geltenden internationalen Richtlinien eine multimodale Behandlung: Psychopharmakotherapie: die Psychiater:innen der Praxis psy-bern erarbeiten gemeinsam mit Ihnen einen erfolgreichen Medikationsplan, die Rezeptierung und Kontrolle im weiteren Verlauf erfolgt durch die Hausärzt:innen.Psychotherapie (vorwiegend kognitiv-verhaltenstherapeutisch).

ADHS im Erwachsenenalter

ADHS beginnt im Kindesalter, bleibt bis ins Erwachsenenalter bestehen und führt zu spürbaren Einschränkungen in verschiedenen Lebensbereichen. ADHS-Betroffene leiden häufig unter weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Abhängigkeitsstörungen oder Angststörungen.

Untersuchungen weisen darauf hin, dass der ADHS eine Hirnreifungsstörung zu Grunde liegt, die zu einer komplexen Beeinträchtigung neurokognitiver Prozesse führt.

  • meist sind mehrere Familienmitglieder betroffen (hohe genetische Komponente)
  • Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum oder Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft, Frühgeburt
  • gestörtes Gleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin, Noradrenalin und Serotonin

Gemäss aktuellen Forschungsergebnissen leiden 3-4 % der Erwachsenen unter einer ADHS. Zwei Drittel aller Erwachsenen, die in ihrer Kindheit an einer ADHS litten, haben auch als Erwachsene Schwierigkeiten, alltägliche Situationen zu meistern.

Die Grundlage der ADHS-Diagnose ist ein ausführliches klinisches Interview gestützt auf die Kriterien des DSM-5, das die Analyse der medizinischen Anamnese des Patienten umfasst. Ärzte fragen nach ADHS-Symptomen in der Kindheit sowie nach aktuellen Schwierigkeiten im Erwachsenenalter.

Zur Diagnose von ADHS bei Erwachsenen werden häufig spezifische standardisierte Fragebögen und Bewertungsskalen verwendet zur Erfragung allfälliger ADHS-spezifischer Auffälligkeiten in der Kindheit sowie im Erwachsenenalter. Die Verhaltensbeobachtung kann wertvolle Informationen über das tägliche Funktionieren des Patienten liefern.

Neuropsychologische Tests, wie Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und exekutive Funktionstests, zusammen mit der Erhebung des Intelligenzniveaus, können bei der Diagnose von ADHS hilfreich sein. Ein wichtiger Bestandteil der ADHS-Diagnose bei Erwachsenen ist die Differentialdiagnose.

Obwohl bildgebende Verfahren des Gehirns, wie Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET), nicht routinemässig zur Diagnose von ADHS eingesetzt werden, deuten wissenschaftliche Studien darauf hin, dass sie in Zukunft zusätzliche Informationen über strukturelle und funktionelle Veränderungen im Gehirn im Zusammenhang mit ADHS liefern könnten.

Die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen erfordert den Einsatz komplexer Diagnoseverfahren, die verschiedene Bewertungsmethoden kombinieren. Klinische Interviews, Fragebögen, Verhaltensbeobachtungen, neuropsychologische Tests, Tests zur Erhebung des Intelligenzniveaus und Differentialdiagnosen bilden die Grundlage des modernen Ansatzes zur Erkennung dieser Störung. Mit fortschreitender Forschung könnten bildgebende Verfahren des Gehirns in Zukunft eine grössere Rolle bei der ADHS-Diagnose spielen.

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