Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung in der Psychiatrie in der Schweiz

Die Schweiz weist im europäischen Vergleich einen hohen Anteil an psychiatrischen Zwangseinweisungen auf. Fast ein Viertel aller Psychiatrie-Patienten in der Schweiz werden unfreiwillig hospitalisiert. Dieser Artikel erläutert die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Zwangseinweisung und mögliche Zwangsbehandlungen.

Rechtliche Grundlagen der fürsorgerischen Unterbringung

Gemäss Art. 426 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB) darf eine Person, die an einer psychischen Störung, an einer geistigen Behinderung oder unter schwerer Verwahrlosung leidet, gegen ihren Willen in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, sofern die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders sichergestellt werden kann. Seit dem 1. Januar 2013 wird diese Massnahme als «fürsorgerische Unterbringung» (FU) bezeichnet.

Die fürsorgerische Unterbringung bedeutet für Betroffene einen massiven Eingriff in ihre verfassungsmässig garantierte persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV): Einerseits wird Betroffenen - wie bei jedem Freiheitsentzug - das Recht, ihren persönlichen Aufenthalt selbst bestimmen zu können, entzogen und andererseits sind mit einer Einweisung oft auch weitere Zwangsmassnahmen wie die unfreiwillige Medikation verbunden.

Voraussetzungen für eine FU

Es müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine FU angeordnet werden kann:

  • Schwächezustand: Betroffene müssen an einer psychischen Störung (inkl. Suchterkrankung), einer geistigen Behinderung oder schwerer Verwahrlosung leiden.
  • Verhältnismässigkeit: Die FU muss geeignet sein, eine Besserung des Schwächezustands herbeizuführen und das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen.
  • Geeignete Einrichtung: Es muss sich um eine geeignete Einrichtung handeln, wobei neben psychiatrischen Anstalten auch Alters- und Pflegeeinrichtungen ohne geschlossene Abteilungen in Frage kommen können.

Die FU muss also geeignet sein, eine Besserung des Schwächezustands der betroffenen Person herbeizuführen. Sodann muss die FU das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen. Dies bedeutet, dass eine FU immer nur als ultima ratio angeordnet werden darf.

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Schliesslich muss angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs insbesondere der Zumutbarkeit des Eingriffs für die Betroffenen grosse Beachtung geschenkt werden. Demnach sollen nur schwerwiegende oder besonders akute Situationen von Fremd- oder Eigengefährdung eine Einweisung gegen den Willen der betroffenen Person rechtfertigen können.

Beispielsweise könnte ein unter Schizophrenie leidender Mann, der im Wahn seine Frau mit einem Messer bedroht, aufgrund von akuter Fremdgefährdung fürsorgerisch untergebracht werden. Erleidet eine Frau aufgrund ihrer Spielsucht dramatische Geldverluste, nimmt in der Folge zahlreiche verschreibungspflichtige Medikamente ein und droht sich umzubringen, wäre eine fürsorgerische Unterbringung wegen Selbstgefährdung wohl auch in diesem Fall angezeigt.

Das Bundesgericht umschreibt die schwere Verwahrlosung als Zustand, der mit der Menschenwürde schlechterdings nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei genüge es nicht, dass die betroffene Person in unhygienischen Verhältnissen lebt oder keinen festen Wohnsitz hat.

Der Begriff der Einrichtung wird relativ weit verstanden. Neben psychiatrischen Anstalten sind auch Alters- und Pflegeeinrichtungen ohne geschlossene Abteilungen darunter zu subsumieren. Das Bundesgericht entschied, dass nicht zuletzt aufgrund der stigmatisierenden Wirkung eine Strafanstalt nur in Ausnahmefällen, namentlich in besonderen Gefährdungssituationen, als geeignete Anstalt in Frage kommt.

Wer darf eine FU anordnen?

Grundsätzlich wird eine FU durch die kantonal zuständige Erwachsenenschutzbehörde angeordnet. Neben der Erwachsenenschutzbehörde können auch Ärzte und Ärztinnen eine fürsorgerische Unterbringung anordnen.

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Wenn ein Arzt oder eine Ärztin eine fürsorgerische Unterbringung anordnet, darf dies nur nach vorheriger persönlicher Untersuchung geschehen. Zudem ist eine solche Unterbringung von Gesetzes wegen zeitlich beschränkt: Die Kantone legen die entsprechenden Fristen fest, wobei sie nicht über sechs Wochen hinausgehen dürfen. Ärztlich angeordnete Unterbringungen fallen automatisch dahin, wenn die Frist abläuft, ohne dass die Erwachsenenschutzbehörde einen vollstreckbaren Entscheid getroffen hat.

Schliesslich kann die ärztliche Leitung einer Klinik eine Person mit einer psychischen Störung, die vorerst freiwillig in die Klinik eingetreten ist, nun aber diese wieder verlassen will, für höchstens drei Tage gegen ihren Willen zurückbehalten. Sie darf dies nur tun, wenn die betroffene Person sich selbst an Leib und Leben gefährdet oder andere ernsthaft gefährdet. Nach Ablauf von drei Tagen kann die betroffene Person die Klinik wieder verlassen, es sei denn, es liege bis dann ein vollstreckbarer Unterbringungsentscheid der Erwachsenenschutzbehörde vor.

Dauer der ärztlichen Einweisung

So haben sich die Einweisungsvoraussetzungen denn auch kaum verändert; neu ist einzig, dass nach geltendem Recht die ärztliche Einweisung längstens sechs Wochen andauern darf, wobei die Kantone kürzere Fristen vorsehen können. Nach Ablauf dieser Frist ist gemäss Art. 429 Abs.

Zwangsbehandlungen während einer FU

Als erstes gilt festzuhalten, dass Behandlungen im Sinne von Art. 434 und Art. 435 ZGB wie die Zwangsmedikation nur während einer FU zulässig sind. Die Möglichkeit der Zwangsbehandlung stellt demnach die logische Konsequenz des Einweisungsentscheids dar.

Art. 434 Abs. 1 ZGB sieht vor, dass eine Zwangsbehandlung ausschliesslich im Rahmen der im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen möglich sein soll. Derartige medizinische Massnahmen dürfen bloss zwangsweise durchgesetzt werden, wenn sie von der Chefärztin/dem Chefarzt der Abteilung schriftlich angeordnet und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden.

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Darüber hinaus muss der eingewiesenen Person ohne Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden drohen (Selbstgefährdung) oder sie muss eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter darstellen (Fremdgefährdung). Zusätzlich müssen Betroffene bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit (z.B. aufgrund einer durch die psychische Erkrankung oder Sucht hervorgerufene Bewusstseinsstörung, Demenz oder schwerem Intelligenzmangel) urteilsunfähig sein.

Im Übrigen müssen Zwangsbehandlungen stets dem aktuellsten Stand der Wissenschaft entsprechen. Wissenschaftlich umstrittene Massnahmen kommen genauso wenig in Frage wie Behandlungsformen mit dauerhaft schädigenden Nebenwirkungen.

Dagegen umschreibt Art. 435 ZGB die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung in medizinischen Notfallsituationen. Gemäss Art. 435 Abs. 1 ZGB dürfen in Notfällen die zum Schutz der betroffenen Person oder dritter unerlässlichen medizinischen Massnahmen sofort ergriffen werden. Als medizinischen Notfall werden akute, lebensbedrohliche Zustände bezeichnet. Unter unerlässlichen Massnahmen werden die in der vorliegenden Situation indizierten und unaufschiebbaren medizinischen Handlungen verstanden.

Rechte der Betroffenen

Jede Person, die in einer Einrichtung untergebracht wird, kann eine Vertrauensperson beiziehen, die sie während des Aufenthalts und bis zum Abschluss aller damit zusammenhängender Verfahren unterstützt.

Gemäss Art. 426 Abs. 4 ZGB kann eine zwangseingewiesene oder ihr nahestehende Person jederzeit um Entlassung ersuchen. Über die Entlassung entscheidet laut Art. 428 Abs. 1 ZGB grundsätzlich die Erwachsenenschutzbehörde. Wird das Entlassungsgesuch von ihr abgelehnt, besteht für Betroffene oder ihnen nahestehende Personen die Möglichkeit, diesen Entscheid nach Art. 450 Abs. 1 i.V.m. Art. 450e ZGB gerichtlich anzufechten.

Wird eine FU schliesslich gestützt auf einen ärztlichen Entscheid angeordnet, können Betroffene oder ihnen nahestehenden Personen nach Art. 439 Abs. 1 Ziff. Voraussetzung für die Erhebung der Beschwerde ist immer Urteilsfähigkeit. Im Falle der betroffenen Person darf an diese keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden.

Wie bereits erwähnt, sind neben den Betroffenen auch ihnen nahestehende Personen, insbesondere Vertrauenspersonen im Sinne von Art. 432 ZGB zur Beschwerde berechtigt. Als «nahestehend» werden Personen bezeichnet, die kraft ihrer Eigenschaften und aufgrund ihrer verwandtschaftlichen oder familiären Bande als fähig erscheinen, die Interessen der betroffenen Person wahrzunehmen (BGE 114 II 213 E. 3). Weiter können gemäss bundesgerichtlicher Definition indessen nur natürliche Personen als nahestehend gelten. Juristische Personen, wie Vereine beispielsweise, fallen ausser Betracht.

Kantonale Unterschiede und Empfehlungen

Die Kompetenz der Kantone, den Ärztekreis enger oder weiter zu definieren, der eine Zwangseinweisung anordnen darf, hat sich als wichtiger Faktor bei der Erklärung der kantonalen Unterschiede bezüglich der Einweisungszahlen herausgestellt. So kommt die BAG Studie zum Schluss, dass in Kantonen, in welchen eine Zwangseinweisung nur von Fachärztinnen und -ärzten angeordnet werden darf, die Einweisungszahlen erheblich tiefer sind.

Ein weiterer Faktor für die Unterschiede zwischen den Staaten ist die Regelung, ob im Falle einer Zwangseinweisung obligatorisch ein Beistand (z.B. Anwalt/-in, Sozialarbeiter/in) ernannt werden muss. Aus diesem Grund wird in der Studie des BAG die Einführung von unabhängigen kantonalen Begleitungs- und Beratungsdiensten für untergebrachte Personen empfohlen.

Zusammenfassung der Gesetzesartikel

Die relevanten Gesetzesartikel zur fürsorgerischen Unterbringung sind:

  • Art. 426 ZGB: Zulässigkeit einer fürsorgerischen Unterbringung
  • Art. 428 ZGB: Unterbringung durch die Erwachsenenschutzbehörde
  • Art. 429, 430 ZGB: Unterbringung durch Ärzte und Ärztinnen
  • Art. 427 ZGB: Zurückbehaltung freiwillig Eingetretener
  • Art. 433, 434, 435 ZGB: Durchführung von medizinischen Massnahmen bei psychischen Störungen
  • Art. 432 ZGB: Recht zum Beizug einer Vertrauensperson
  • Art. 439 ZGB: Beschwerdemöglichkeiten

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