Voraussetzungen für die Unterbringung in der Psychiatrie

Die fürsorgerische Unterbringung (FU) ist die intensivste Massnahme des Erwachsenenschutzrechtes. Unter allen Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts stellt die fürsorgerische Unterbringung in einer Institution (psychiatrische Klinik, Pflegeheim) wohl den schwersten Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen dar. Sie darf erst angewendet werden, wenn mildere Massnahmen ausscheiden.

Das Gesetz mit der Bezeichnung «fürsorgerische Unterbringung», das am 1. Januar 2013 in Kraft trat, regelt den Schutz der betroffenen Person besser als sein Vorgänger, die «fürsorgerische Freiheitsentziehung» (FFE).

Gesetzliche Grundlagen und Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für die Anordnung der FU sowie der medizinischen Zwangsbehandlungen sind in Art. 426 ff. ZGB geregelt. Gemäss Art. 426 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB) darf eine Person, die an einer psychischen Störung, an einer geistigen Behinderung oder unter schwerer Verwahrlosung leidet, gegen ihren Willen in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, sofern die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders sichergestellt werden kann.

Diese Massnahme wird seit Inkrafttreten des neuen Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 als «fürsorgerische Unterbringung» (FU) bezeichnet. Die fürsorgerische Unterbringung bedeutet für Betroffene einen massiven Eingriff in ihre verfassungsmässig garantierte persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV): Einerseits wird Betroffenen - wie bei jedem Freiheitsentzug - das Recht, ihren persönlichen Aufenthalt selbst bestimmen zu können, entzogen und andererseits sind mit einer Einweisung oft auch weitere Zwangsmassnahmen wie die unfreiwillige Medikation verbunden.

Die Bestimmung kommt immer dann zur Anwendung, wenn die betroffene Person Widerstand leistet oder aufgrund einer Urteilsunfähigkeit keine Zustimmung geben kann.

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Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung:

  • Die betroffene Person leidet an einem Schwächezustand aufgrund einer psychischen Störung (dazu gehören auch Suchterkrankungen), einer geistigen Behinderung oder einer schweren Verwahrlosung.
  • Die FU muss geeignet sein, eine Besserung des Schwächezustands der betroffenen Person herbeizuführen.
  • Die FU muss das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen. Dies bedeutet, dass eine FU immer nur als Ultima Ratio angeordnet werden darf.

Das Bundesgericht umschreibt die schwere Verwahrlosung als Zustand, der mit der Menschenwürde schlechterdings nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei genüge es nicht, dass die betroffene Person in unhygienischen Verhältnissen lebt oder keinen festen Wohnsitz hat.

Demnach sollen nur schwerwiegende oder besonders akute Situationen von Fremd- oder Eigengefährdung eine Einweisung gegen den Willen der betroffenen Person rechtfertigen können. Beispielsweise könnte ein unter Schizophrenie leidender Mann, der im Wahn seine Frau mit einem Messer bedroht, aufgrund von akuter Fremdgefährdung fürsorgerisch untergebracht werden. Erleidet eine Frau aufgrund ihrer Spielsucht dramatische Geldverluste, nimmt in der Folge zahlreiche verschreibungspflichtige Medikamente ein und droht sich umzubringen, wäre eine fürsorgerische Unterbringung wegen Selbstgefährdung wohl auch in diesem Fall angezeigt.

Schliesslich muss es sich um eine geeignete Einrichtung handeln. Neben psychiatrischen Anstalten sind auch Alters- und Pflegeeinrichtungen ohne geschlossene Abteilungen darunter zu subsumieren. Das Bundesgericht entschied, dass nicht zuletzt aufgrund der stigmatisierenden Wirkung eine Strafanstalt nur in Ausnahmefällen, namentlich in besonderen Gefährdungssituationen, als geeignete Anstalt in Frage kommt.

Bei einer Einweisung wider Willen sind die Belastung und der Schutz der Angehörigen zu berücksichtigen - obwohl der Schutz der betroffenen Person und nicht der Umgebung dienen muss. Doch wenn Angehörige oder Dritte überfordert sind, bringt diese Überforderung der betroffenen Person nichts. Im schlimmsten Fall würde sie die Probleme noch verschärfen.

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Wer darf eine Einweisung veranlassen?

Berechtigt, fürsorgerische Unterbringungen anzuordnen sind:

  • Die Familiengerichte (die periodische Überprüfung der fürsorgerischen Unterbringung erfolgt innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Unterbringung, danach erneut innerhalb von weiteren sechs Monaten und nach der zweiten Überprüfung mindestens jährlich)
  • Die im Kanton niedergelassenen zur Berufsausübung berechtigten Ärztinnen und Ärzte, die Kaderärztinnen und Kaderärzte sowie die Heimärztinnen und Heimärzte.

Zudem hat der Kanton Aargau einen Leistungsvertrag mit der mobile aerzte AG betreffend Anordnung von fürsorgerischen Unterbringungen abgeschlossen.

Wenn die geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Erwachsenenschutzbehörde eine Einweisung in eine Klinik veranlassen. Die Kantone können Ärzte und Ärztinnen bestimmen, die eine Einweisung für maximal sechs Wochen anordnen dürfen. Zuvor sind sie jedoch verpflichtet, die betroffene Person persönlich zu untersuchen. Sie dürfen sich also nicht bloss auf Angaben von Verwandten, der Polizei oder anderen Personen stützen. die Aufenthaltsdauer von sechs Wochen nicht verlängert, muss die Entlassung aus der Klinik erfolgen.

So haben sich die Einweisungsvoraussetzungen denn auch kaum verändert; neu ist einzig, dass nach geltendem Recht die ärztliche Einweisung längstens sechs Wochen andauern darf, wobei die Kantone kürzere Fristen vorsehen können. Nach Ablauf dieser Frist ist gemäss Art. 429 Abs.

Rechtliche Aspekte und Verfahren

Die FU-Verfahren werden primär im kantonalen Recht geregelt. Das heisst, es ist von Kanton zu Kanton verschieden. Es bestehen kantonal grosse Unterschiede. Nicht nur in Bezug zur FU-Rate, sondern auch in Bezug auf die rechtlichen Regelungen zur Umsetzung.

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Die Kompetenz der Kantone, den Ärztekreis enger oder weiter zu definieren, der eine Zwangseinweisung anordnen darf, hat sich als wichtiger Faktor bei der Erklärung der kantonalen Unterschiede bezüglich der Einweisungszahlen herausgestellt. So kommt die BAG Studie zum Schluss, dass in Kantonen, in welchen eine Zwangseinweisung nur von Fachärztinnen und -ärzten angeordnet werden darf, die Einweisungszahlen erheblich tiefer sind.

Verfahren bei Kindern und Jugendlichen: Kinder und Jugendliche Eltern und andere Sorgeberechtigte dürfen Jugendliche nicht gegen deren Willen in die Psychiatrische Klinik bringen. Nur Ärzte und Behörden dürfen im Rahmen enger gesetzlicher Bestimmungen Jugendliche gegen ihren Willen einweisen. Eine Einweisung in die stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrie darf nur erfolgen, wenn eine psychische Krankheit vorliegt.

Zwangsbehandlungen

Als erstes gilt festzuhalten, dass Behandlungen im Sinne von Art. 434 und Art. 435 ZGB wie die Zwangsmedikation nur während einer FU zulässig sind. Die Möglichkeit der Zwangsbehandlung stellt demnach die logische Konsequenz des Einweisungsentscheids dar.

Art. 434 Abs. 1 ZGB sieht vor, dass eine Zwangsbehandlung ausschliesslich im Rahmen der im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen möglich sein soll. Derartige medizinische Massnahmen dürfen bloss zwangsweise durchgesetzt werden, wenn sie von der Chefärztin/dem Chefarzt der Abteilung schriftlich angeordnet und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden. Darüber hinaus muss der eingewiesenen Person ohne Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden drohen (Selbstgefährdung) oder sie muss eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter darstellen (Fremdgefährdung).

Zusätzlich müssen Betroffene bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit (z.B. aufgrund einer durch die psychische Erkrankung oder Sucht hervorgerufene Bewusstseinsstörung, Demenz oder schwerem Intelligenzmangel) urteilsunfähig sein. Im Übrigen müssen Zwangsbehandlungen stets dem aktuellsten Stand der Wissenschaft entsprechen.

Dagegen umschreibt Art. 435 ZGB die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung in medizinischen Notfallsituationen. Gemäss Art. 435 Abs. 1 ZGB dürfen in Notfällen die zum Schutz der betroffenen Person oder dritter unerlässlichen medizinischen Massnahmen sofort ergriffen werden.

Rechte der Betroffenen und Entlassung

Gemäss Art. 426 Abs. 4 ZGB kann eine zwangseingewiesene oder ihr nahestehende Person jederzeit um Entlassung ersuchen. Über die Entlassung entscheidet laut Art. 428 Abs. 1 ZGB grundsätzlich die Erwachsenenschutzbehörde. Wird das Entlassungsgesuch von ihr abgelehnt, besteht für Betroffene oder ihnen nahestehende Personen die Möglichkeit, diesen Entscheid nach Art. 450 Abs. 1 i.V.m. Art. 450e ZGB gerichtlich anzufechten.

Wird eine FU schliesslich gestützt auf einen ärztlichen Entscheid angeordnet, können Betroffene oder ihnen nahestehenden Personen nach Art. 439 Abs. 1 Ziff. Voraussetzung für die Erhebung der Beschwerde ist immer Urteilsfähigkeit.

Wie kann man sich gegen eine Einweisung wehren? Eine angeordnete Einweisung kann man nicht verhindern, aber sobald man in der Klinik ist, kann man die Entlassung verlangen: «Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Über dieses Gesuch ist ohne Verzug zu entscheiden», heisst es dazu im neuen Gesetz.

Das Entlassungsgesuch, das sich an die Erwachsenenschutzbehörde oder an die Klinikleitung richten kann, kann mündlich erfolgen. Wird das Gesuch abgelehnt, kann man schriftlich ans Gericht gelangen; welches dafür zuständig ist, wird mitgeteilt.

Ans Gericht kann man sich auch wenden, wenn man ärztlich eingewiesen worden ist, wenn man freiwillig eingetreten ist und zurückbehalten wird oder wenn eine Behandlung ohne Zustimmung erfolgt ist.

Bisher musste eine Person aus der Klinik entlassen werden, sobald die akute Krise vorüber war.

Unterstützung und Anlaufstellen

Wenn Rechtsfragen auftauchen, empfiehlt der Beobachter, Organisationen wie Pro Mente Sana (www.promentesana.ch) oder Pro Infirmis (www.proinfirmis.ch) zu konsultieren. Darüber hinaus hat jedermann das Recht, eine Person seines Vertrauens beizuziehen, die ihn unterstützt - das kann eine aussenstehende Person oder ein anderer Patient sein.

Aufgaben einer Vertrauensperson:

  • Die untergebrachte Person über ihre Rechte und Pflichten informieren
  • Anliegen formulieren und weiterleiten
  • Bei Konflikten vermitteln und beistehen
  • Einblick in die Krankengeschichte und ein Auskunftsrecht

Der Vertrauensperson darf keine Kontaktsperre auferlegt werden, und sie muss den Patienten oder die Patientin auch ausserhalb der Besuchszeiten besuchen dürfen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch die Revision des Erwachsenenschutzrechts einige Besserungen in Bezug auf den Rechtschutz erzielt werden konnten (Vereinheitlichung und Ausbau der Beschwerdemöglichkeiten, Interdisziplinarität/Professionalität der einweisungsbefugten Erwachsenenschutzbehörde, Beschränkung der ärztlichen Einweisungsdauer auf 6 Wochen etc.).

Gemäss dieser Analyse stellen die im ZGB statuierten Voraussetzungen und das im Gesetz beschriebene Verfahren eine genügende rechtliche Grundlage dar: Die Einweisungsvoraussetzungen sind so klar und abschliessend geregelt, dass eine FU für Betroffene im konkreten Fall vorhersehbar ist.

Die Schweiz hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen der höchsten Anteile an psychiatrischen Zwangseinweisungen: Fast ein Viertel aller Psychiatrie-Patiententinnen und Patienten in der Schweiz werden laut einer Untersuchung aus dem Jahre 2009 unfreiwillig hospitalisiert.

Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wurde 2011 eine Studie erstellt, die sich mit der Wirksamkeit des Rechtsschutzes bei psychiatrischen Zwangseinweisungen in der Schweiz befasste. Der Studie ist zu entnehmen, dass die Schweiz im Quervergleich mit 15 EU-Staaten einen der höchsten Anteile an psychiatrischen Zwangseinweisungen aufweist.

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