In der Eltern-Kind-Psychiatrie geht es darum, die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern im Kontext ihrer Familien zu fördern. Dabei spielen verschiedene Konzepte eine wichtige Rolle, darunter Familientherapie, Bindungstheorie und spezifische Behandlungsansätze für unterschiedliche Störungsbilder.
Triangulierungsprozesse in Familien
Häufig werden Kinder in elterliche Konflikte hineingezogen. Wir sprechen von «Triangulierungsprozessen», wenn Kinder mit einem Elternteil eine problematische Allianz gegen den anderen Elternteil eingehen. In solchen Szenarien befinden sich Kinder verstärkt in Gefahr, ‘adultifiziert’, ‘parentifiziert’ oder ‘infantilisiert’ zu werden.
Die entstehenden Dynamiken sind am besten zu verstehen, wenn man die Sichtweisen und Haltungen aller an dem Dreieck Beteiligten zu verstehen versucht: die des Elternteils, mit dem das Kind lebt oder die meiste Zeit verbringt (dem «näheren Elternteil»); die des Elternteils, bei dem das Kind weniger oder keine Zeit verbringt (dem «distanzierteren Elternteil») und die des betroffenen Kindes.
So kann z.B. der nähere Elternteil zu den Triangulierungsprozessen beitragen, indem er sich kritisch dazu äussert, wie der distanziertere Elternteil das Kind behandelt oder behandelt hat. Eine weitere Dynamik, die zu Triangulierungsprozessen beitragen kann, besteht darin, dass sich der nähere Elternteil immer stärker auf die emotionale Unterstützung und Präsenz des Kindes verlässt. Dadurch wird das Kind in die «Sache» des näheren Elternteils hineingezogen und negativen Gefühlen dem früheren Partner, der früheren Partnerin gegenüber ausgesetzt. Das kann dazu führen, dass das Kind sich nach und nach aus Loyalität - und um seine bestehende Beziehung zu schützen - vom anderen Elternteil distanziert.
Der "Family Ties"-Ansatz
Eia Asen und ihre Kolleg*innen haben den «Family Ties»-Ansatz speziell für die Arbeit mit Familien bei massiven Elternkonflikten entwickelt. Es geht darum, positive familiäre Verbindungen und Beziehungen zu stärken und die Kinder von den Einschränkungen und Fesseln zu befreien, die sich leider oft in stark zerstrittenen Familien entwickeln. Der Ansatz integriert Bindungs- und Mentalisierungskonzepte in einen systemischen Rahmen, also in die Familie und die verschiedenen Systeme, denen sie angehört.
Lesen Sie auch: ADHS erkennen: Der Elternfragebogen
Während betroffene Kinder oft vor der Entstehung von massiven Konflikten ihrer Eltern eine gute und sichere Bindung zu beiden Elternteilen aufgebaut haben, kann sich ihr Bindungsverhalten in Reaktion auf elterliche Konflikte verändern, weil sie versuchen, sich die elterliche Zuwendung mindestens eines Elternteils zu erhalten. So könnten sie glauben, es sei nicht erwünscht, beiden Eltern Liebe zu zeigen, also auch dem Elternteil, bei dem sie nicht mehr leben. Möglicherweise kommt ihnen das wie ein Verrat am näheren Elternteil vor.
Bindung entwickelt sich gewöhnlich im Kontakt mit primären Bezugspersonen, und ihre Qualität wird durch das Mentalisierungsvermögen der Menschen im näheren Umfeld beeinflusst. Gerade bei Hochstrittigkeit können wir erleben, dass es Eltern nicht möglich ist, sich auf ihre eigenen mentalen Zustände und auch auf jene der Kinder zu fokussieren.
Im Kontext des zivilrechtlichen Kindesschutzes müssen Eltern oftmals an einer angeordneten Beratung oder Mediation zur Konfliktklärung teilnehmen. Pflicht- oder Zwangskontexte können in bestimmten Situationen hilfreich sein, trotz anfänglicher Proteste sowohl der betroffenen Eltern als auch der Kinder. Wichtig ist, von Anfang an eine Allianz mit beiden Eltern in Einzelarbeit aufzubauen: Das bedeutet oft, dass man sich die gegenseitigen Beschuldigungen und vergangenen Ereignissen geduldig anhört, denn jeder Elternteil will sich von den Beratenden wirklich gehört und verstanden wissen.
Psychische Erkrankungen der Eltern
In der Sozialen Arbeit begegnen wir immer wieder Familien, in denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist. Welche Rolle spielt eine Diagnose bzw. Diagnosen sagen meiner Meinung nach - und ich bin Psychiater - wenig über Umfang und Qualität der Elternfähigkeit aus. Es gibt Eltern mit der Diagnose Schizophrenie, die fantastisch mit ihren Kindern umgehen - und es gibt Eltern ohne jede Diagnose, denen man das Sorgerecht entziehen muss oder sollte.
Gerade bei hochstrittigen Eltern ist es immer wieder der Fall, dass sich Eltern gegenseitig «Diagnosen» zuschreiben. Da wird eine Mutter von ihrem Ex-Partner als Borderline «diagnostiziert» und dort dem anderen Elternteil eine «narzisstische Persönlichkeitsstörung» zugeschrieben. Der Fokus unserer Arbeit sollte es nicht sein, die «Diagnosen» und die in ihnen enthaltenen massiven Schuldzuweisungen zu bestärken oder zu verwerfen, sondern das Augenmerk exklusiv auf die Situation der Kinder und deren Leiden zu richten.
Lesen Sie auch: Selbsthilfegruppen: Depressionen im Kindesalter
Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass die Hauptarbeit vornehmlich mit den Eltern und deren sozialen Netzwerken stattfinden sollte. In unserem pandemiebedingt entwickelten «Family-Ties»-Online-Programm nehmen die Kinder nur an zwei von insgesamt zehn Online-Treffen teil (beim ersten und letzten Mal) - die übrigen Treffen finden mit den Eltern und ihren Unterstützungspersonen statt. Werden Kinder im Beratungsprozess zu intensiv einbezogen, besteht die Gefahr, dass sie unbeabsichtigt weiter trianguliert und zu vermeintlichen «Co-Therapeut*innen» werden.
Milieutherapeutisches Behandlungskonzept
Die KPA verfolgt ein interdisziplinäres, milieutherapeutisches Behandlungskonzept, bei dem das Behandlungsteam (Therapie, Pflege/Sozialpädagogik, Schule) die Kinder durch die Behandlung begleiten. Wir arbeiten mit Freiwilligkeit und Motivation, d.h. sämtliche Behandlungsmassnahmen setzen die Beteiligung der Kinder und das Einverständnis der Sorgeberechtigten voraus. Der milieutherapeutische Rahmen lässt Spielraum, auf die individuellen Grenzen, Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familie einzugehen. Die Klärung des Auftrags mit gemeinsamer Zielvereinbarung stellt das Kernstück der Behandlung dar.
Bei der Vorbereitung des Austritts steht im Vordergrund, dass die Kinder und ihre Familien auf die Zeit nach dem stationären Aufenthalt vorbereitet sind. Dazu gehört:
- Die Beziehung zwischen Kind und Familie ist gestärkt oder geklärt, eine Rückkehr in die Familie oder eine Platzierung ist vorbereitet.
 - Die schulische Situation ist geklärt und aufgegleist.
 - Die soziale Reintegration wurde gefördert.
 - Bei Bedarf ist eine ambulante Einzeltherapie oder Familienunterstützung aufgegleist.
 
Funktionelle Ausscheidungsstörungen
Dr. Margarete Bolten äussert sich zur interdisziplinären Behandlung von funktionellen Ausscheidungsstörungen. Grundlage der Therapie muss es daher sein, diese Aggressionen anzugehen, aber hier fällt die Autorin in das alttestamentliche „Strafe muss sein“.
Sie fordert „unerwünschtes Verhalten (z.B. Retentionsmanöver und Einkoten) sollte während des gesamten Therapieverlaufs konsequent mit negativen Konsequenzen verknüpft werden (Einbeziehen des Kindes in das Reinigungsritual, Kind kann nicht zum Spielen das Haus/die Wohnung verlassen). Dieser Punkt ist im Behandlungsplan ausgesprochen relevant“.
Lesen Sie auch: Elterliche psychische Gewalt: Was bedeutet das?
Geeignet ist das von Bolten gut dargestellte „möglichst positive regelmässige Toilettentraining “, welches ich in zwei Punkten anders empfehle: Zwar externalisiere ich ebenfalls das Problem, verwende dazu aber kein „Kaki-Monster“, sondern empfehle, dem Kind unaufgeregt zu sagen „der Darm müsse üben“. Ich setze weniger auf Belohnung mit Token als auf verbale Anerkennung, aber auch diese soll unaufgeregt, leichthin sein. („Machet kes Gschyss“).
Das Basler Behandlungskonzept
Das Basler Behandlungskonzept bei funktionellen Defäkationsstörungen basiert auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung, welche ein strukturiertes, verhaltensbasiertes Vorgehen empfiehlt. Unser Programm zielt, neben der Beachtung der somatischen Faktoren, unter anderem darauf ab, ungünstige elterliche Verhaltensinterpretationen zu reduzieren und damit die Eltern-Kind-Beziehung zu verbessern.
Die klare Strukturierung und die verhaltensorientierten Teilschritte führen zu einer deutlichen Stressreduktion, denn die meisten Familien haben, bevor sie in unser Programm aufgenommen wurden, verschiedene eigene Lösungsversuche ausprobiert. Oftmals werden bereits einzelne Therapiebausteine angewendet, diese jedoch zum Teil nicht mit dem gewünschten Erfolg. Diese wiederholten Misserfolge führen dann wiederum zu Enttäuschungen und negativen Emotionen bei den Eltern, was die Eltern-Kind-Beziehung weiter belastet.
Auch das Argument, dass die Anwendung von so genannten „Logischen Konsequenzen“ nichts Anderes als alttestamentliche Strafen sei, können wir nicht teilen. Folgendes möchten wir hierzu festhalten.
Die menschliche Existenz ist durch permanentes Lernen und damit verbundenen Anpassungen geprägt. Jede Handlung hat in irgendeiner Art und Weise eine bestimmte Folge (oder Konsequenz), die dann wiederum vom Individuum beurteilt wird und damit zukünftiges Verhalten beeinflusst.
Logische Konsequenzen sind also Reaktionen auf ein Verhalten des Kindes mit einem klaren, sofortigen, verhältnismässigen Bezug zu dem, was Eltern zu reduzieren suchen. Die logische Folge muss immer verlässlich und respektvoll wiedergegeben werden.
Wenn ein 10-jähriges Kind regelmässig einkotet, u.a. weil es vielleicht nicht 3-mal täglich für 10 Minuten auf der Toilette sitzt, wird es in das Reinigungsritual einbezogen (ohne elterliche Vorwürfe und Aggressionen, sondern ruhig und klar in der Haltung). Dem Kind wird damit die Verantwortung für sein eigenes Handeln übergeben, was im Nebeneffekt auch seine Selbstständigkeit stärkt. Aus unserer Sicht hat das einen erheblich stressreduzierenden und beziehungsverbessernden Effekt, da die Eltern nicht widerwillig und voller Groll die Unterwäsche des Kindes reinigen und anschliessend mit Ablehnung und Wut auf das Kind reagieren.
Weiterhin wird durch dieses Prozedere die Motivation am Toilettentraining mitzuwirken erhöht. Natürlich, und dies haben wir in unserem Artikel auch betont, erfordert der Einbezug des Kindes in das Reinigungsritual ein ausreichendes Entwicklungsalter.
Wenn das Kind beginnt, den Kot durch Retention zurückzudrängen, sollten Eltern bestimmt, aber freundlich das Kind zur Toilette schicken oder begleiten. Das Kind erst nach dem Toilettengang nach draussen zum Spielen zu schicken, ist unserer Ansicht nach ebenfalls keine Strafe.
In unserem Behandlungsprogramm versuchen wir Eltern darin zu unterstützen, ihre eigenen Grenzen besser wahrzunehmen und dem Kind mit Respekt und Liebe zu begegnen. Um die Bestrafung des Einkotens geht es dabei in keinster Weise.
tags: #eltern #kind #psychiatrie #konzepte