Bei einem gesunden Essverhalten wird die Nahrungsaufnahme vor allem durch den Hunger und den Sättigungsmechanismus gesteuert. Essen erhält in erster Linie Gesundheit, Antrieb, Lebensenergie und Lebensfreude.
Essen bringt Genuss, macht Freude, erhält arbeitsfähig und hilft Freundschaften zu pflegen. Das "gesunde" Essen ist rhythmisch in den Tagesablauf eingebaut und gehorcht physiologischen und sozialpsychologischen Anforderungen.
Vom gestörten Essverhalten wird dann gesprochen, wenn die oben genannten Mechanismen nicht oder nicht mehr funktionieren.
Definition von Essstörungen
Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen zeichnen sich durch gestörtes Essverhalten und ein problematisches Verhältnis zum eigenen Körpergewicht aus. Beispiele sind Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge-Eating-Störung (Essanfälle ohne Gegensteuern).
Essstörungen bei Kleinkindern zeigen sich im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, sie führen zu einer unzureichenden Gewichtszunahme und/oder Schwierigkeiten beim Essen. Sie können sich durch Verweigerung der Nahrung, Probleme beim Schlucken oder Unruhe während der Mahlzeiten zeigen.
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Essstörungen können in verschiedenen Lebensphasen ihren Ausgang nehmen. Die Magersucht beginnt in der Regel im Jugendalter bei Heranwachsenden. Die Bulimie und Binge Eating Störung nehmen dagegen meist später ihren Anfang. Sie können in der späteren Jugend oder im jungen Erwachsenenalter beginnen - sogar noch bis ins vierte Lebensjahrzehnt hinein.
Ursachen von Essstörungen
Die Ursachen für Essstörungen sind vielschichtig und meist eine Kombination aus biologischen, psychischen und sozialen sowie genetischen Faktoren. Zu den möglichen Auslösern gehören ein negatives Körperbild, sozialer Druck, familiäre Konflikte, Perfektionismus und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale.
Perfektionismus, Ängstlichkeit, Selbstwertprobleme, depressiven Verstimmungen, ebenso Schwierigkeiten in der Regulation von Gefühlen scheinen bei Essstörungen eine Rolle zu spielen.
Ebenfalls kann eine negative Einstellung und Beurteilung der eigenen Figur und des Körpergewichts zu einer Essstörung führen. Essstörungen kommen in der westlichen Welt deutlich häufiger vor als in anderen Kulturen. Besonders gefährdet sind Hochleistungssportlerinnen und Hochleistungssportler oder Models.
Massgebend ist ein Schönheitsideal in der Gesellschaft, das „superdünne“ Menschen favorisiert. Aber auch die (sozialen) Medien und die Werbung transportieren oft das Ideal vom Schlanksein. Dies übt Druck auf Menschen aus, wenn sie nicht dem gängigen Schönheitsideal genügen. Viele Jugendliche kämpfen mit ihren vermeintlich überflüssigen Pfunden.
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Negative Erlebnisse in der Familie können zur Entstehung der Bulimie beitragen. Auch körperliche oder sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigung in der Familie, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen der Eltern sind oft im Leben von Menschen mit Essstörungen zu finden.
Und wenn in der Familie das Aussehen und Schlanksein einen sehr hohen Stellenwert besitzt oder ein hoher Leistungsanspruch herrscht, kann dies ebenfalls eine Essstörung fördern. In manchen Familien kommen Essstörungen gehäuft vor, was die Beteiligung der Gene vermuten lässt. So entwickeln Angehörige von Menschen mit Essstörungen häufiger ebenfalls eine Essstörung.
Häufigkeit von Essstörungen
Laut einer nationalen Studie aus dem Jahr 2017 zeigen etwa 0,4% der 11- bis 15-jährigen Mädchen und 0,2% der Jungen Symptome einer Anorexie. In den letzten Jahren gibt es laut Expertenangaben eine Zunahme von Essstörungen bei Jugendlichen um 30-40%, vor allem an Anorexie. Die Häufigkeit von anderen Essstörungen wie Bulimie und Binge-Eating-Störung ist geringer.
In der Schweiz entwickeln rund 3,5 Prozent der Bevölkerung im Lauf ihres Lebens eine Essstörung. Damit ist die Häufigkeit in der Schweiz ungefähr so hoch wie in anderen industrialisierten Ländern. Frauen sind öfters betroffen als Männer.
Gemäss Untersuchungen im deutschsprachigen Raum tritt die Anorexia nervosa mit einer Lebenszeitprävalenz von 1.3% in unserer Gesellschaft auf (Häufigkeit über die Lebensspanne betrachtet), wobei die Erkrankung meist im Jugendalter beginnt und das weibliche Geschlecht deutlich überwiegt (1:11).
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Die Lebenszeitprävalenz für eine Essstörung in westlichen Ländern beträgt für Frauen 8.4% (3.3-18.6%) und 2.2% (0.8-6.5%) für Männer. Prävalenzzahlen variieren dabei nach Ländern und Kontinenten (USA führend mit 4.6%, gefolgt von Asien bei 3.5% und Europa bei 2.2%). Global leiden bis zu 4% Frauen und 0.3 % Männer im Laufe ihres Lebens an einer Anorexia nervosa und bis zu 3% Frauen und 1% Männer entwickeln eine Bulimia nervosa.
Die Zahlen zeigen damit Unterschiede mit Blick auf Geschlecht mit einer höheren Prävalenz für Mädchen und Frauen. Immer häufiger zeigen sich zudem die Symptome einer akuten typischen Anorexie bereits im Alter von 11 bis 12 Jahren.
Mit der Covid-19 Pandemie und den damit einhergehenden Lockdown-Maßnahmen zeigte sich ein weiterer Anstieg der Prävalenzzahlen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von Kontrollverlust und Einsamkeit zu mehr Zeit auf den sozialen Medien.
Symptome von Essstörungen
Von einer Magersucht (Anorexia nervosa) spricht man, wenn Gewichtsverlust, auffallendes Essverhalten oder Essensverweigerung, übermässige Sorge um die Körperfigur oder das Gewicht sowie ein gestörtes Körperbild vorliegt.
Zusätzlich können zwanghaftes Kalorienzählen, Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, sozialer Rückzug, Stimmungsschwankungen, Angst und Depression auftreten. Es können auch körperliche Symptome wie Ausbleiben der Monatsblutung, Haarausfall, Schwindel, Müdigkeit und Kälteempfindlichkeit auftreten.
Magersucht: Menschen mit Anorexie sind oft stark untergewichtig. Sie hungern ebenfalls, machen Diäten, erbrechen, nehmen Medikamente ein (z.B. Appetitzügler, Diuretika, Abführmittel) oder treiben exzessiv Sport, um abzunehmen.
Bulimie: Typisch bei der Bulimie sind wiederholte Heisshungerattacken und Essanfälle. Im Anschluss versuchen Betroffene, einer drohenden Gewichtszunahme entgegenzusteuern: durch Erbrechen, Abführmittel, entwässernde Medikamente oder exzessiven Sport.
Binge Eating Disorder: Betroffene haben wie bei der Bulimie Essanfälle, bei denen sie grosse Mengen an Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Im Gegensatz zu einem Bulimiker oder einer Bulimikerin ergreifen sie aber keine Massnahmen, um die drohende Gewichtszunahme zu verhindern.
Atypische Essstörungen: Neben den eindeutig definierten Formen von Ess-Störungen gibt es noch weitere, welche die klassischen Kriterien für eine spezifische Ess-Störung nicht erfüllen. Darunter fallen solche, auf die nicht alle Merkmale eines Krankheitsbilds zutreffen oder bei denen die Merkmale mehrerer Krankheitsbilder gemeinsam auftreten.
Die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen von Essstörungen können fliessend sein. Manche entwickeln auch Mischformen mit den Merkmalen verschiedener Essstörungen. Auch kann eine Form der Essstörung mit der Zeit in eine andere übergehen.
Diagnose von Essstörungen
Die Diagnose einer Essstörung erfordert in der Regel eine umfassende klinische Beurteilung, die eine medizinische Anamnese, körperliche Untersuchungen, die Einschätzung psychischer Belastungen und der Ernährungssituation beinhaltet.
Für die Diagnosestellung der Anorexia nervosa sind die Kriterien der aktuellen Diagnosesysteme massgeblich, die zusammenfassend die Gewichtsentwicklung, das Verhalten und die Selbstwahrnehmung in Bezug auf das Körpergewicht berücksichtigen.
Bei Verdacht auf eine Essstörung sollten kognitive Symptome der Essstörung genau erfragt werden, da das psychische Vollbild einer Anorexia nervosa sich bereits bei einem Normalgewicht manifestieren kann, insbesondere wenn vorbestehend leichtes Übergewicht bestand.
Abklärung und Behandlung
Am Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ werden Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf eine Essstörung ambulant abgeklärt.
Wie läuft eine Abklärung ab?
- Kennenlernen von Kind / Jugendlichen und Familie im Erstgespräch.
 - Schwierigkeiten und Symptome werden erfragt und eine umfassende Anamnese erhoben.
 - Je nach Fragestellung werden mehrere Termine benötigt und in aller Regel wird eine Beurteilung des körperlichen Zustandes durch die Hausärztin / den Hausarzt oder die Kinderärztin / den Kinderarzt aufgegleist.
 - Bei entsprechender Indikation und ausreichender stabiler somatischer Situation findet eine Abklärung in mehreren Terminen statt.
 - Elternberatung und erste therapeutische Interventionen finden in aller Regel bereits während der Abklärungsphase statt.
 - Besprechung der Ergebnisse und Befunde mit den Eltern und dem Kind oder dem/der Jugendlichen sowie Empfehlung für die weitere Behandlung.
 
Ambulante Behandlung
Am Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ überlegen wir gemeinsam mit den Eltern und dem Kind resp. den Jugendlichen, welche Hilfe und Massnahmen unterstützen können. Wir bieten vorgängig Abklärungen, Beratungen und Kurzzeittherapien in Akutsituationen an. Aus Kapazitätsgründen sind in der Fachstelle Essstörungen derzeit keine langfristigen ambulanten Psychotherapien möglich. Eine multiprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen Fachpersonen ist uns sehr wichtig.
Stationäre Behandlung
In der Therapiestation für Kinder und Jugendliche (Psychosomatik, Psychotherapie, Psychiatrie) am Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ erhalten Kinder und Jugendliche mit einer Essstörung eine bedarfsorientierte stationäre Behandlung, wenn die ambulanten Therapiemassnahmen nicht ausreichend waren.
Fragen und Antworten für Eltern
Wie können Eltern erste Anzeichen einer Essstörung bei ihrem Kind erkennen?
Eltern sollten auf Anzeichen wie plötzliches Interesse an Diäten, übermässige Besorgnis über Gewicht und Körperbild, ungewöhnliche Essgewohnheiten (z.B. Vermeidung bestimmter Lebensmittel), häufiges Erbrechen, übermässiges Sporttreiben, sozialer Rückzug und Stimmungsschwankungen achten. Auch körperliche Veränderungen wie schneller Gewichtsverlust, Müdigkeit oder Haarausfall können Hinweise sein.
Wie können Eltern ihr Kind unterstützen, wenn eine Essstörung diagnostiziert wurde?
Der Einbezug der Eltern in die Behandlung ist uns sehr wichtig, da sie eine grosse Ressource für die Überwindung der Essstörung darstellen. Zudem ist die familienbasierte Therapie bei Jugendlichen mit Anorexie besonders wirksam und geht mit kürzerer Krankheitsdauer einher.
Eltern können ihr Kind unterstützen, indem sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und die Therapieempfehlungen befolgen. In einem ersten Schritt bedeutet dies meist, dass Eltern die Verantwortung für die Ernährung übernehmen, bis das Kind wieder ausreichend in der Lage ist, dies selbst zu tun. Es ist wichtig, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, Geduld zu haben und für sich selbst ebenfalls Unterstützung zu suchen, um mit der Situation umzugehen.
Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Entwicklung von Essstörungen?
Soziale Medien können einen erheblichen Einfluss auf das Körperbild und Essverhalten von Kindern und Jugendlichen haben. Der ständige Vergleich mit idealisierten Körperbildern und der Druck, perfekt auszusehen, können zu negativen Selbstwahrnehmungen und Essstörungen beitragen. Eltern sollten die Nutzung sozialer Medien begleiten und mit ihren Kindern über die Medienbotschaften und Social Media Trends sprechen.
Gibt es Präventionsmassnahmen, die helfen können, das Risiko einer Essstörung zu verringern?
Präventionsmassnahmen umfassen die Förderung eines positiven Körperbildes und Wertschätzung des eigenen Körpers, ein genussvoller und gesunder Umgang mit Essen mit regelmässigen gemeinsamen Mahlzeiten, Vermittlung von Freude an Bewegung, offene Gespräche über Medienbilder und deren Realitätsferne sowie die Unterstützung bei der Entwicklung eines starken Selbstwertgefühls. Schulen und Gemeinschaftsprogramme können ebenfalls eine wichtige Rolle in der Prävention spielen.
Tabelle 1: Beurteilungskriterien für das somatische Risiko bei Essstörungen
Die folgende Tabelle zeigt Beurteilungskriterien für das somatische Risiko bei Essstörungen:
| Kriterium | Beschreibung | 
|---|---|
| Herzfrequenz | <40/min | 
| Elektrolytentgleisung | Starke Elektrolytentgleisung | 
| Trinkmenge | Stark reduzierte Trinkmenge | 
| Gewichtsverlust | Fortbestehender Gewichtsverlust von >1kg/Woche | 
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