Wolfgang Binder: Schwerpunkte in Psychologie und Psychotherapie

Wolfgang Binder ist Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Allgemeine Psychologie an der Freien Universität Berlin. Er hat sowohl experimentelle als auch historische Studien zur internationalen Forschung beigetragen. Seine experimentalpsychologischen Untersuchungen behandeln vor allem Probleme des Gedächtnisses und der Verhaltensregulation.

Die Schwerpunkte seines Lehrangebots orientieren sich an seinen Forschungsinteressen im Bereich der Experimentellen Psychopathologie und Psychotherapie.

Forschungsschwerpunkte und Methoden

Kennzeichnend für seine Forschung ist eine enge Verzahnung von experimenteller Psychopathologieforschung mit der Weiterentwicklung aktueller wirksamer psychologischer Interventionen.

Folgende Fragen werden mit empirischen und experimentellen Methoden in naturalistischen und randomisierten klinischen wie experimentellen Laborstudien untersucht:

  • Welche Faktoren führen zur Entstehung psychischer Erkrankungen?
  • Welche Faktoren fördern Resilienz und Widerstandskraft im Kontext von potentiell traumatischen Ereignissen?
  • Welche aktiven Mechanismen machen aktuelle und evidenzbasierte Psychotherapie effektiv?
  • Wie können wir diese sogar noch wirksamer machen, durch Translation von Befunden aus den Grundlagenwissenschaften, beispielswiese zum autobiographischen Gedächtnis und zur "offline" Gedächtniskonsolidierung im Schlaf?

Die Doppelaffiliation der Abteilung mit dem Psychologischen Institut und der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) unterstützt den Link der Forschung zum klinischen Alltag (und umgekehrt). Als Abteilung sind sie fachlich beteiligt beim Ausbau und der Evaluation der psychiatrischen Angebote an der PUK, wo auch Forschungsprojekte durchgeführt werden. So sind auch die therapeutischen Angebote auf dem neuesten Stand der Forschung. Ambulant sind sie involviert in die Behandlung von Stress- und Traumaabhängigen Erkrankungen im Rahmen des Ambulatoriums für Spezialisierte Psychotherapie, ASP, an der PUK.

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Psychotherapie und ihre Entwicklung

Anhand historischer und rezenter Literatur sowie aktueller Dokumente wird die Geschichte der Psychologie und Psychotherapie von der Zeit der Aufklärung bis zur jüngsten Gegenwart rekonstruiert und einer kritischen Analyse unterzogen. In diesem Zusammenhang diskutiert wird die Bilanz der Psychotherapiereform von 2019/2020.

Eine empirische Psychologie, die gleichzeitig Natur-, Lebens- und Heilkunde ist - dieses Konzept stammt aus der Zeit der Aufklärung. Doch schon im 19. Jahrhundert gehen insbesondere naturkundliche und heilkundliche Psychologie eigene Wege. Gegenwärtig, nach mehr als 50 Jahren des Zusammenlebens in akademischen Institutionen, weisen sie in paradigmatischer Hinsicht nur wenige Gemeinsamkeiten auf und tendieren zu unterschiedlicher Institutionalisierung.

Integration in der Psychotherapie

Integration in der Psychotherapie ist m.E. in der Zusammenschau jedoch offenbaren sich m.E. Möglichkeiten und Fortschritte sowohl für die Forschung als auch für die Praxis.

Als umfassendes Modell für alle Themen habe ich das sogenannte "Modell der vier hierarchischen Stufen" von Andreas Blaser und Mitarbeitern (1992) gewählt. Es bildet das Gerüst für die thematische Einbettung der verschiedenen Themen und auch für das Inhaltsverzeichnis.

Die Begründer von drei der hier untersuchten sechs Psychotherapie-Richtungen waren und sind meine Lehrer auf dem Weg zur eigenen Praxis-Tätigkeit als Integrativer Psychotherapeut.

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Es fliessen Inhalte ein aus den Bereichen meines Studiums an der Universität Bern (insbesondere einige sehr interessante Seminare, sowie mein Praktikum an der Praxisstelle von Klaus Grawe), aber auch an anderen Institutionen (POT-Seminare an der Psychiatrischen Poliklinik des Inselspitals in Bern und ein Praktikum an der Psychosomatischen Klinik in Grönenbach, wo eine Integration psychodynamischer und humanistischer Therapieansätze praktiziert wird) sowie meine eigene Psychotherapie-Ausbildung in Integrativer Therapie und Gestaltpsychotherapie am Fritz Perls Institut u.a.

Psychotherapieforschung

Psychotherapieforschung ist wie die Psychoanalyse etwa 100 Jahre alt. Damals hat Freud mit dem detaillierten Studium einiger Einzelfälle begonnen. In enger Wechselwirkung zwischen Beobachtung, Theoriebildung und therapeutischen Interventionen entstanden so gleichzeitig die Psychoanalyse als Theorie über den Menschen sowie als Behandlungstechnik.

In der Folge entwickelte sich die, damals vornehmlich von Aerzten ausgeübte, Psychotherapieforschung immer mehr von der Grundlagenforschung weg in Richtung Anwendungsforschung. Diese ist im Sinne von Herrmann (1979) technologische Forschung mit dem Ziel, möglichst effiziente Methoden für die Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen zu entwickeln. Grawe (1982): "Unter dem Nützlichkeitsaspekt als Versorgungsmethoden sind Therapien daher unabhängig von ihrem theoretischen Hintergrund zu beurteilen".

Ausgelöst durch Eysenck (Eysenck 1952), begann eine Aera der Legitimierung von Psychotherapie. Es ging also zuerst ganz generell um den Nachweis irgendeines Nutzens psychotherapeutischen Schaffens, um den Nachweis von Wirksamkeit.

Danach folgte die Phase der schulenvergleichenden Konkurrenz und Forschung, der vergleichenden Wirkung. Man versuchte herauszufinden, was genau in den einzelnen Richtungen und Verfahren errreicht wurde, um zu Aussagen zu gelangen, welche Therapieverfahren nützlicher sind als andere. Diese Forschungsrichtung war noch ziemlich eng verbunden mit der jeweiligen Theorie der untersuchten Therapierichtungen.

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Die Forschung zur differentiellen Indikation geht noch einen Schritt weiter: "welches therapeutische Vorgehen [ist] aus welchen Gründen für welche Patienten besonders geeignet" (Grawe 1992). Die vierte grosse Fragestellung befasst sich mit den Wirkungsweisen von Psychotherapie, d.h. Immer wichtiger werden die sogenannten Metastudien, welche bestehende Studien zusammenfassend darstellen.

Die Forschung, welche sich auf die Ergebnisse oder die Wirkung von Psychotherapie bezieht, befindet sich in der paradoxen Situation, dass trotz der heute schier unzähligen, verschiedenen Psychotherapierichtungen (Corsini 1982 spricht von über 400), auf den ersten Blick keine Unterschiede in der Wirksamkeit gefunden werden konnten. Von Luborsky stammt die Aussage, dass alle bekannteren Therapie-Verfahren einen Preis gewonnen haben, d.h. Erst in neuerer Zeit konnten differentielle Wirksamkeiten festgestellt werden, wonach sich Therapieformen in spezifischen Bereichen sehr wohl unterscheiden.

Es konnte nachgewiesen werden, dass das von Luborsky postulierte "Dodo-Verdikt" (oder auch "Aequivalenzparadoxon" (Stiles 1986)), wonach alle Psychotherapieformen wirksam seien, so nicht stimmt. Die vier herausgearbeiteten Heuristiken (reflektierende Abstraktion, Emotionsverarbeitung, Kompetenzerweiterung und Beziehungsgestaltung) werden unterschiedlich eingesetzt. Mehr noch: "Die meisten der empirisch gefundenen Unterschiede stimmen gut mit den Konzepten der jeweiligen Therapieformen überein" (S.335). Dabei schneidet insbesondere der interaktionale Therapieansatz in verschiedenen Bereichen besonders gut ab.

Das Fazit der Berner Forschungsgruppe: "Wir interpretieren die Ergebnisse dieser Untersuchung in erster Linie als einen Hinweis darauf, dass Flexibilität im Beziehungsverhalten und im technischen Vorgehen zu den wichtigsten Qualitäten eines erfolgreichen Psychotherapeuten gehören. Durch die Schulenorientierung im Bereich der Psychotherapie wird die Entwicklung dieser Qualitäten nicht gefördert, sondern eher behindert. Für die Verbesserung der gesellschaftlichen Dienstleistung "Psychotherapie" wäre es wichtig, theoretische Konzepte und Ausbildungsformen zu entwickeln, die diese therapeutischen Qualitäten systematisch fördern".

Messmethoden und Qualitätssicherung

In neuerer Zeit wird diese, nach empirisch-nomothetischen Gesichtspunkten zusammengestellte, Messvorgehensweise im Rahmen des Qualitätsmanagements diskutiert.

Diese im folgenden aufgelisteten Fragebogen werden meistens zu vier verschiedenen Messzeitpunkten (prä, post, follow up I und II) den Klienten zum Ausfüllen vorgelegt:

  1. Veränderungen im Persönlichkeits- oder Fähigkeitsbereich (z.B.
  2. Veränderungen im Freizeitbereich (z.B.

Die "Tempel Studie" von Sloane et al. Diese klassische Psychotherapie-Vergleichsstudie erwähne ich, weil sie inhaltlich bereits auf vieles Bezug nimmt, das für diese Arbeit hier wesentlich ist: beim Vergleich von Verhaltenstherapien und Psychoanalytischen Therapien fanden diese amerikanischen Forscher u.a.

Da die generelle Fragestellung nach allgemeiner Wirksamkeit sich als zu grob und wenig ergiebig erwiesen hat, versuchen neuere Forschungsansätze mehr ins Detail zu gehen und es wird herauszufinden versucht, was sich in (einzelnen) psychotherapeutischen Sitzungen genau ereignet. Dies beinhaltet verbales, aber auch nonverbales Geschehen und insbesondere die Interaktion zwischen Therapeut und Klient.

Die vorliegende Untersuchung gehört zu diesem Typus. Historisch entstand dieses Verfahren in den fünfziger Jahren mit der Entwicklung des "Interpersonal Circle" durch Timothy Leary. In 8 Clustern wurde interaktionelles Verhalten beschrieben (von submissiv zu dominant und von freundlich-zugeneigt zu feindselig-ablehnend). In einem sog. Circumplex-Modell werden alle Cluster kreisförmig angelegt.

In diesem Verfahren werden meist mittels Rating-Bogen bzw. Kategoriensystemen entweder in vivo oder mit Hilfe von Video-, Tonbandaufzeichnungen oder Transkripten reale Situationen aus dem zu untersuchenden Lebensbereich (hier meist Psychotherapien) erfasst. Für diese Arbeit hier benutzte ich ein Kategoriensystem, welches auf Videomittschnitte angewendet wird (siehe Kap.

Statt direkt Verhalten zu beobachten, kann solches auch im Nachhinein erfragt werden, mittels z.B. Therapie-Stundenbögen. mittels Video Rating-Systemen im "Slow Motion-Verfahren", z.B. in den derzeit laufenden Projekten der Grawe-Gruppe zur "Wirkfaktorenanalyse" (Grawe/Dick et al. 1996).

Zwei wichtige Gebiete, welche m.E. in nächster Zeit verstärkt beforscht werden sollten, sind die Differentielle Indikation, wie sie z.B. in der Berner Psychotherapiestudie (Grawe/Caspar/ Ambühl 1989) sehr schön durchgeführt wurde (siehe auch Grawe 1982) und die Forschung zum "Matching" von Therapeut und Klient. Die Frage also, auf welche Faktoren es ankommt, damit ein bestimmter Klienten gut mit einem bestimmten Therapeuten zusammenarbeiten kann bzw. umgekehrt.

Wenn diese beiden Themenbereiche klarer herausgearbeitet werden (auch mittels Einzelfallanalysen, z.B. Arnold/Grawe 1989), wird es mit der Zeit möglich sein, auf die Indikationen und insbesondere die Kontraindikationen für ein bestimmtes Verfahren eingehen zu können und Klienten von Anfang an mit einem für sie geeigneten Therapeuten mit einer für sie geeigneten psychotherapeutischen Ausrichtung bekannt zu machen.

Jede Therapieform hat m.E. ihre Stärken und Schwächen; somit erscheint es sinnvoll, z.B. Menschen mit ausgesprochener Angst-Symptomatik (z.B. soziale oder einfache Phobien) mit (kognitiver) Verhaltenstherapie zu behandeln, Personen hingegen mit strukturellen Defiziten (sprich: Persönlichkeitsstörungen) eher psychoanalytisch zu behandeln. Ueber diese Zuordnungen wird natürlich zwischen den Schulenanhängern sehr gestritten und ein Konsens ist noch in weiter Ferne, scheint mir aber sehr vonnöten, wenn Psychotherapie auch eine breite gesellschaftliche Anerkennung und Relevanz bekommen will (vgl.

Immer mehr wird das psychotherapeutische Prozessgeschehen mit den erreichten Ergebnissen in Beziehung gesetzt, es wird also versucht, (kausale) Verbindungen zu suchen zwischen z.B. "Patient’s in-session impacts" und dem "postsession outcome" oder zwischen der therapeutischen Beziehung ("therapeutic bond") und dem "outcome" etc.

Oft werden auch in Prozess-Studien Bezüge zum Outcome hergestellt; dies ist u.a. Ein Nachteil der vorliegenden Studie ist gerade hier zu sehen: mangels Daten zum Outcome zu den erhobenen Messungen ist es nicht möglich einen Bezug von Prozess (hier: Art, Häufigkeit und Verteilung der Interventionen) und Outcome (wie erfolgreich war dieses Vorgehen?) herzustellen.

Die Frage nach der Wirksamkeit von Psychotherapie hat in der Schweiz im Zusammenhang mit der (Wieder-) Aufnahme psychologisch-psychotherapeutischer Leistungen in die Grundversicherung der Krankenkassen wieder an Interesse gewonnen. Hier werden die unterschiedlichen Standpunkte von Forschern und Praktikern und von "Empirikern und Hermeneutikern" besonders deutlich (vgl.

Meta-Analysen

Weil natürlich einzelne Studien wegen den strengen Kriterien, welche die empirische Wissenschaft Psychologie an solche stellt, immer nur Stückwerk bleiben und lediglich einzelne Aspekte beleuchten, ist es je länger je mehr vonnöten, den mittlerweile unüberschaubaren Fundus an Forschungsresultaten in zusammenfassender Weise darzustellen.

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