Depressive Erkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. In einem Jahr leiden ca. 7% der Bevölkerung an einer depressiven Störung. Die Lebenszeitprävalenz von Depressionen beträgt ca. 17%. Dies bedeutet, dass 17% der Bevölkerung im Leben mindestens einmal eine depressive Störung erlebt. Frauen sind mit ca. 20% Lebenszeitprävalenz häufiger betroffen als Männer mit ca. 13%.
Jugendliche und junge Erwachsene bilden die Altersgruppe, die in der Schweiz am häufigsten an einer Depression erkrankt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass das Gehirn in der Adoleszenz besonders vulnerabel ist. Für eine Depression im Kindes- und Jugendalter gibt es meist keinen einzelnen Auslöser. Die Erkrankung entsteht aus einem Zusammenspiel von biologischen und psycho-sozialen Ursachen. Genetische Prädisposition, Reifungsprozesse im Gehirn, Lebensereignisse, Persönlichkeitsfaktoren, Umwelt, Stress, Lichtentzug, Medikamente und körperliche Erkrankungen beeinflussen die Entstehung.
Biologische Ursachen
Dass sich Depressionen in der Adoleszenz besonders häufig manifestieren, ist kein Zufall. Im Jugendalter entwickeln sich die einzelnen Gehirnregionen in unterschiedlichem Tempo. Bestimmte subkortikale, also unterhalb der Gehirnrinde liegende, Gebiete, wie die Amygdala, spielen eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und entwickeln sich früh. Der präfrontale Kortex hingegen, ein Teil der Gehirnrinde im Stirnbereich, reift erst später und ist ausschlaggebend für die Emotionsregulation. Dies führt zu Imbalance: Die Emotionen sind zwar schon da, die Kontrolle über sie hingegen fehlt noch.
Die Gehirne von Jugendlichen reifen nicht nur anders, sie verarbeiten negativen Input auch anders als erwachsene Gehirne. Wenn adoleszente Gehirne bestrafende Lernimpulse verarbeiten, so ist die Gehirnaktivität in der sogenannten vorderen Inselregion wesentlich höher als bei Erwachsenen. Jugendliche Gehirne reagieren also ausserordentlich stark auf negativen Input, Verlust und Bestrafung und speichern dies. Jugendliche reagieren dadurch intensiver auf negatives Feedback mit Auswirkungen auf Stimmung und Selbstwertgefühl. Bei Erwachsenen hingegen wird Feedback besser mit bisherigen Erfahrungswerten aus früheren Situationen abgeglichen und relativiert, da im Gehirn eine stärkere Verbindung zwischen Gehirnrinde (bewusste Verarbeitung) und tieferliegenden Strukturen besteht.
Nebst Reifungsprozessen im Gehirn hat auch die hormonelle Umstellung während der Pubertät Einfluss auf die Entstehung einer Depression. Ein Anstieg von Sexualhormonen, wie Östrogen und Testosteron, sowie die erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisols (gesteigerte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) führen auch auf hormoneller Ebene zu Imbalance. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel wirken depressionsfördernd. Vermutet wird, dass die erhöhte Vulnerabilität von weiblichen Jugendlichen für Depression durch die hormonelle Umstellung in der Pubertät mit verursacht sein könnte.
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Psycho-soziale Ursachen
Mindestens so entscheidend wie biologische Faktoren sind personen- und umfeldbezogene Einflüsse. In einer Unicef-Studie in 2021 gaben 89% der Schweizer 14-19jährigen Jugendlichen mit Symptomen einer Depression und/oder Angststörung an, mindestens eine negative Kindheitserfahrung gemacht zu haben. Ein Drittel von ihnen erlebte sogar vier oder mehr negative Kindheitserfahrungen. Eine Meta-Analyse (Mandelli 2015), welche die einzelnen Formen von frühen traumatisierenden Kindheitserfahrungen und ihren Einfluss auf Depression bei Erwachsenen untersucht hat, identifizierte emotionalen Missbrauch als stärksten Risikofaktor, gefolgt von anderen Faktoren wie Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt.
Werden solche Erfahrungen von einem reifenden Gehirn, welches Emotionen noch nicht ausreichend reguliert und negative Erfahrungen intensiv abspeichert, verarbeitet, führt dies zu erheblicher, chronischer Belastung. Auch Mobbing, das Gefühl ungeliebt zu sein, Diskriminierungserfahrungen (insbes. bezüglich sexueller Orientierung), Trennung der Eltern, häufige Umzüge, Flucht und Migration können auf diese Weise eine Depressionsentstehung begünstigen. Nicht nur die persönlichen Umstände, sondern auch wirtschaftlich-gesellschaftliche Themen erzeugen bei den Jugendlichen ein Gefühl von fehlender Kontrolle. Als grösste Sorgen diesbezüglich nannten Jugendliche 2022 den Krieg in Europa, Klimawandel und Inflation (Schnetzer et al). Eine Vergleichsstudie der verschiedenen Zürcher Sekundarschulklassen A, B und C ergab, dass bei einem negativen Blick auf die Zukunft, Suizidgedanken und Suizidversuche stärker steigen, je tiefer das Bildungsniveau der Befragten ist.
Weitere Faktoren, die das Depressionsrisiko beeinflussen
- Genetische Veranlagung: Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist erhöht, wenn enge Familienmitglieder betroffen sind.
 - Neurobiologische Veränderungen: Es gibt Hinweise auf Veränderungen im Gehirnstoffwechsel und der Funktion bestimmter Hirnregionen bei Menschen mit Depressionen.
 - Körperliche Erkrankungen: Chronische Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herzerkrankungen können das Risiko für eine Depression erhöhen.
 - Hormonelle Veränderungen: Hormonelle Umstellungen, wie sie im Wochenbett oder in den Wechseljahren auftreten, können eine Depression begünstigen.
 - Stress: Chronischer Stress und Überlastung können zu einer Depression führen.
 - Traumatische Erlebnisse: Verlusterfahrungen, Missbrauch oder Gewalt können das Risiko für eine Depression erhöhen.
 - Ungünstige Lebensbedingungen: Armut, Erwerbslosigkeit oder soziale Isolation können zu einer Depression beitragen.
 - Persönlichkeitsmerkmale: Menschen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften, wie z. B. einem geringen Selbstwertgefühl oder einer Neigung zu Grübeleien, sind anfälliger für Depressionen.
 - Medikamente: Die Einnahme bestimmter Medikamente, wie z. B. Kortison oder Betablocker, kann als Nebenwirkung eine Depression auslösen.
 - Drogen- und Alkoholkonsum: Missbrauch von Drogen und Alkohol kann das Risiko für eine Depression erhöhen.
 - Schlafstörungen: Chronischer Schlafmangel kann zu einer Depression beitragen.
 
Formen der Depression
Weltweit sind über zehn verschiedene Arten von Depression mit unterschiedlichen Symptomen bekannt. Einige der häufigsten Formen sind:
- Psychotische Depression: Eine schwerwiegende Form der Depression, die zusätzlich zu den typischen depressiven Symptomen wie tiefer Traurigkeit und Antriebslosigkeit auch psychotische Symptome aufweist.
 - Dysthymie: Eine Form der Depression, die durch eine langanhaltende, chronische depressive Verstimmung gekennzeichnet ist.
 - Saisonale Depression: Eine spezielle Form der Depression, die jährlich zu bestimmten Jahreszeiten auftritt, typischerweise im Herbst und Winter.
 - Stille Depression: Eine Form der Depression, bei der Betroffene ihre depressiven Gefühle nicht offen äussern können oder diese nicht offensichtlich erkennbar sind.
 
Depressionen im Alter
Die Verbreitung von Depressionen bei älteren Menschen ist hoch, nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind: Einsamkeit, Verlust von nahestehenden Personen, körperliche Erkrankungen und Einschränkungen der Mobilität und Selbstständigkeit. Faktoren, die das Risiko einer Depression deutlich erhöhen können.
Die Problematik der Altersdepression stellt eine Herausforderung für Medizin und Gesellschaft dar. Ist die Depression an sich schon ein komplexes und vielschichtiges Krankheitsbild, so wird die Situation im Alter durch zusätzliche altersbedingte Begleiterkrankungen noch komplizierter. Diese Konstellation erschwert nicht nur die Diagnosestellung, sondern stellt auch die Behandlung vor besondere Herausforderungen.
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Diagnostik
Symptome der Depression überschneiden sich häufig mit denen anderer Erkrankungen, die im Alter vermehrt auftreten. So können etwa Gedächtnisprobleme, ein allgemeiner Energieverlust oder Schlafstörungen sowohl auf eine Depression als auch auf neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit hinweisen. Auch körperliche Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schilddrüsenfunktionsstörungen können depressive Symptome nachahmen oder verstärken. Diese Symptomüberschneidungen erschweren eine klare Diagnosestellung erheblich.
Behandlung
Die Behandlung einer Altersdepression wird durch die Polypharmazie - die Einnahme vieler verschiedener Medikamente gleichzeitig - erschwert. Viele ältere Menschen nehmen Medikamente gegen verschiedene Alterserkrankungen ein, was das Risiko von Wechselwirkungen mit Antidepressiva erhöht. Dies erfordert eine sorgfältige Abstimmung der Medikation, um die Wirksamkeit der Behandlung zu gewährleisten und gleichzeitig das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen zu minimieren.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist ein multidisziplinärer Ansatz notwendig, der sowohl die medizinischen als auch die psychosozialen Aspekte berücksichtigt. Angehörige und Betreuungspersonen können eine wertvolle Stütze sein, indem sie zuhören und Verständnis zeigen, ohne zu urteilen.
Therapiemöglichkeiten
Eine Depression wird in aller Regel mit Psychotherapie, Medikamenten oder einer Kombination aus beidem behandelt. Antidepressiva steigern den Antrieb, stabilisieren die Stimmung und wirken angstlösend. Im Rahmen der Gesprächstherapie lernen Betroffene, ihre Erkrankung zu akzeptieren und entwickeln Strategien für den Umgang mit Krisen. Mehr dazu lesen Sie im Artikel «Depression: Behandlung». Länge und Intensität einer depressiven Episode unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Klar ist: je früher die Therapie beginnt, desto besser die Prognose.
Bei Depressionen kommen verschiedene Medikamente zum Einsatz, die man grob in zwei Gruppen einteilen kann:
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- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): SSRI erhöhen die Konzentration von Serotonin im Gehirn. Serotonin ist ein Botenstoff, der eine wichtige Rolle bei der Stimmungsregulation spielt.
 - Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): SNRIs erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn.
 
Psychotherapie
Gute Ergebnisse verspricht häufig eine Verhaltenstherapie. Die analytische Psychotherapie basiert auf Sigmund Freud. Hierbei geht es darum, nicht bewältigte Konflikte oder traumatische Erlebnisse aus früherer Zeit (beispielsweise der Kindheit) zu verarbeiten. Bei der Gesprächstherapie entsteht ein enges und vertrautes Verhältnis zwischen Therapeut oder Therapeutin und Patient oder Patientin.
Medikamente
Bei schweren Depressionen unterstützen häufig Psychopharmaka die Therapie, meist Antidepressiva. Sie wirken nicht sofort, sondern oft erst nach zwei, manchmal auch erst nach drei, vier oder fünf Wochen. Antidepressiva beeinflussen die Neurotransmitter, die Botenstoffe im Gehirn. Das sind vor allem Serotonin und Noradrenalin. Sie dienen dazu, bei der Übermittlung von Gefühlen im Gehirn winzige Spalten zwischen den Nervenzellen zu überbrücken. Bei depressiven Menschen ist diese Gefühlsübermittlung häufig gestört. Antidepressiva sorgen dafür, dass die Botenstoffe wieder besser funktionieren.
Antidepressiva im Überblick:
- Tri- und tetrazyklische Antidepressiva: Sie hemmen den Abbau der Botenstoffe in den Nervenzellen. Dadurch stehen mehr Botenstoffe zur Weiterleitung von Reizen zur Verfügung.
 - ssRI/ssNRI: Diese Antidepressiva sorgen ebenfalls dafür, dass Nervenzellen die Botenstoffe langsamer abbauen.
 - MAO-Hemmer: Sie unterdrücken die Wirkung des Enzyms Monoaminoxidase (MAO), das die Botenstoffe im Gehirn abbaut.
 - Lithium: Nur, wenn andere Medikamente nicht helfen, setzen wir Lithium ein. Es verstärkt oft die Wirkung anderer Antidepressiva.
 - Johanniskraut: Bei einer leichten Depression hilft oft Johanniskraut. Vor einer Verordnung klären wir Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ab.
 
Wenn sich die erkrankte Person deutlich besser fühlt, sollte sie das Antidepressivum noch einige Monate lang weiter nehmen.
Unterschiede in der Depressionssymptomatik zwischen Frauen und Männern
Die Unterschiede in der Depressionssymptomatik zwischen Frauen und Männern sind sowohl auf biologische als auch psychosoziale Faktoren zurückzuführen. Hormonelle Unterschiede, insbesondere die Konzentration von Östrogen und Testosteron, können die Stimmung beeinflussen und somit das Risiko und die Ausprägung einer Depression beeinflussen. Unterschiedliche soziale Rollen und Erwartungen, der Umgang mit Stress und Emotionen sowie gesellschaftliche Normen spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Ausprägung von Depressionen.
| Frauen | Männer | |
|---|---|---|
| Häufigere Symptome | Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Grübeleien, Konzentrationsschwierigkeiten, Schuldgefühle, innere Unruhe | Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Müdigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Aggressivität, Rückzug aus dem sozialen Leben | 
| Zusätzliche Symptome | Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Heisshungerattacken, Gewichtszunahme, Schmerzen, Verdauungsprobleme | Suchtverhalten, riskante Aktivitäten, Verleugnung der Symptome, somatische Beschwerden (z. B. | 
Wo finde ich Hilfe?
Wenn Sie den Verdacht haben, an einer Depression zu leiden, zögern Sie nicht, Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt anzusprechen! Hausärzt*innen sind häufig die ersten Ansprechpartner und können bei Bedarf an Fachärzt*innen und Psychotherapeut*innen überweisen. Hilfe, Beratung und Kontakte erhalten Sie ausserdem durch den sozialpsychiatrischen Dienst an Ihrem Wohnort. Der Austausch mit Gleichbetroffenen kann bei der Bewältigung einer Krankheit eine grosse Unterstützung sein.
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