Die Serie "Borderline" erkundet die komplexen Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen und die Orte, an denen diese aufeinandertreffen. Dabei werden sowohl reale als auch symbolische Drehorte genutzt, um die Thematik der Serie zu unterstreichen.
Shirin Neshat: Eine iranische Künstlerin in New York
New York, die Stadt der multikulturellen Gegensätze und Symbiosen, spielt eine wichtige Rolle in der Serie. Hier ist Hybridität und Andersartigkeit normal. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat, die in dieser Stadt lebt und arbeitet, ist sowohl eine Fremde als auch eine waschechte New Yorkerin. Ihre Werke sind geprägt vom Ausdruck kultureller Gegensätzlichkeiten.
Neshat kam als Teenager vier Jahre vor der Revolution im Iran in die Vereinigten Staaten, um sich auszubilden. Sie gehört zu einer wachsenden Gruppe interkultureller Künstler und Filmemacher, deren Leben und Schaffen Stil-, Genre-, Geschlechts-, Rassen-, Nationalitäts-, Ethnizitäts-, Sprach- und Kulturgrenzen überschreitet. Da sie sich weder hier noch dort wohlfühlen, artikulieren sie sich von einer Art Schwelle oder "Borderline" aus und machen diesen Bereich zu ihrem kulturellen Ausgangspunkt.
Nach einem zehnjährigen Hiatus kehrte Neshat in den Iran zurück und hielt ihre Erfahrungen mit der Kamera fest. "Es war erschreckend, zu sehen und zu fühlen, wie sich das Land und die Menschen zehn Jahre nach der Revolution kulturell, sozial und politisch so sehr verändert haben." Aus diesem Bedürfnis heraus entstand 1993 die Fotoserie "Women of Allah", in der die Künstlerin selbst ins Bild tritt.
Die Bedeutung des Tschadors
Die eindringlichen Schwarzweissaufnahmen zeigen Teile des weiblichen Körpers, eingehüllt im Tschador, und beziehen sich auf die islamische Revolution in Iran und die Rolle der Frau in Relation zu Gewalt und Politik. Die durch die Verhüllung reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten räumen Händen, Füssen, Gesichtern und Augen einen zentralen Platz ein und verdeutlichen, wie gross die Bedeutung des Sichtbaren in einer Kultur des Verbergens ist. Verstärkt wird der Ausdruck jener exponierten Körperteile durch das Hinzufügen von Kalligraphie.
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Neshat arbeitet mit den Mitteln, die der Islam ihr bietet, und verlässt nicht den Rahmen der sozialen, kulturellen und religiösen Codes. Sie benutzt diese beschränkten Mittel in ihren photographischen Kompositionen dazu, Schönheit, Eleganz und Spiritualität als widersprüchlichen Gegenpart zu gewissen politischen Neigungen des Islam einzusetzen.
Die Künstlerin wird oft mit dem Problem der falschen Interpretation konfrontiert. Für den westlichen Betrachter haben die mit Schriftzeichen überzogenen Fotoarbeiten exotischen und dekorativen Charakter. Er sieht sich vor einer geheimnisvollen Welt, entdeckt in der mysteriösen Orientalin die Sehnsucht nach ursprünglichen Kulturen, findet mit dem Schleier jedoch zugleich das Motiv, das seine Voreingenommenheit gegenüber dem Islam als intoleranter und frauenfeindlicher Gesellschaft bestätigt. Viele Iraner fühlen sich nicht wohl mit dem, was sie zeigt, und ihre Arbeit wird oft missinterpretiert und als eine Plattform für Diskussionen und nicht als Kunst verstanden.
Trennung der Geschlechter und Dualismus
Um neue Ideen umsetzen zu können, begann Neshat, mit dem Medium Film zu experimentieren. Der Erfolg der Videoinstallation "Turbulent" 1998 verschaffte auch ihren Fotoarbeiten erneute Aufmerksamkeit. Das Publikum sieht sich darin mit zwei sich gegenüberliegenden Bildflächen und der Trennung in eine männliche und eine weibliche Welt konfrontiert.
Was Neshat damit anspricht, sind bestehende gesellschaftspolitische Zwänge und das Übertreten derselben. Die Regel der Sittsamkeit verbietet es Frauen im Iran, öffentlich zu singen. Die leidenschaftliche weibliche Stimme in "Turbulent" durchbricht diese Schranke und lässt die Männer erstarren. Frauen üben unter ihrem Schleier eine ganz persönliche Macht aus.
Das Prinzip des Dualismus, wie ihn Neshat in "Turbulent" formuliert hat, prägt auch ihre nachfolgende Arbeit. Ein Dualismus, der nicht nur auf zwei Leinwände beschränkt ist, sondern auf mehreren Ebenen spielt. Vermeintliche Gegensätzlichkeiten kommen in ihrer Arbeit zum Ausdruck: Mann und Frau, öffentliche und private Sphäre, Kultur und Natur, Fortschritt und Tradition, Orient und Okzident, westliche und islamische Welt, Individuum und Masse.
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"Soliloquy": Die Erfahrung des Entwurzeltseins
Der Film "Soliloquy" beschäftigt sich mit der erschreckenden Erfahrung des Entwurzeltseins. Auf einer Bildfläche erscheint Neshat in schwarzem Schleier vor einer modernen Stadtkulisse (Drehort: Albany, New York). Auf der anderen Bildfläche dieselbe Frau, ähnlich gekleidet, vor einer traditionell islamischen Stadtkulisse (Drehort: das kurdische Dorf Mardin in der Türkei). Thematisiert wird der Unterschied zwischen Exil und Zuhause, doch die Unvereinbarkeit wird deutlich, wenn die beiden Frauen die jeweilige Stadt erkunden.
Neshat betont, dass für Menschen aus islamischen Ländern Amerika zunächst eine Schockerfahrung ist. Die kulturellen Gegensätze können unglaubliche Probleme verursachen. Sie definiert aber, dass sie entschieden gegen Fundamentalismus und Gewalt ist. Kritik übt sie aber auch am imperialistischen Auftreten Amerikas, am Fehlverhalten und an der Arroganz der Amerikaner gegenüber anderen Kulturen, was nicht zuletzt mitgeholfen habe, den Islam als Waffe stark werden zu lassen.
Monte Verità: Ein weiterer Drehort für Grenzerfahrungen
Ein weiterer Drehort, der in der Serie "Borderline" eine Rolle spielen könnte, ist der Monte Verità in der Schweiz. Dieser Berg war im frühen 20. Jahrhundert ein Zentrum für Aussteiger, Künstler und Sinnsuchende, die dort ein naturnahes und klassenloses Leben führten. Die Kommune auf dem Monte Verità experimentierte mit neuen Lebensformen und brach mit gesellschaftlichen Konventionen.
Der Film "Monte Verità" erzählt die Geschichte dieser Kommune und ihrer Mitglieder. Die historische Figur der Lotte Hattemer, gespielt von Hannah Herzsprung, ist ein Gründungsmitglied der Kommune und stirbt 1906 unter rätselhaften Umständen. Die Szenen im Ascona der Jahrhundertwende wurden in Cannobio gedreht.
Die Drehorte der Serie "Borderline" spiegeln die Thematik der Grenzüberschreitung und der Auseinandersetzung mit kulturellen Gegensätzen wider. Sie laden den Zuschauer ein, über die Komplexität der Identität und die Suche nach einem Zuhause in einer globalisierten Welt nachzudenken.
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