Die Faszination für Serien mit Psychiatern und True-Crime-Geschichten

True-Crime-Mania: Geschichten über Serienkiller und reale Verbrechen haben Hochkonjunktur.

Die Netflix-Serie «Dahmer» über US-Serienmörder Jeffrey Dahmer (1960-1994) führte die Hitparade wochenlang in fast allen Ländern an.

Erst «The Watcher» stiess den Hit vor zwei Wochen vom Thron.

Doch auch diese Serie, mit Hollywoodstar Naomi Watts (54) in der Hauptrolle, basiert auf einem wahren Verbrechen.

Doch nicht nur bei Streaming-Anbietern, sondern auch in den deutschsprachigen Podcast-Charts liegen Kanäle wie «ZEIT Verbrechen» oder «Mordlust», die sich mit wahren Kriminalfällen beschäftigen, ganz weit vorne in den Hitparaden.

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Und auch diverse Buchhandlungen setzen unterdessen auf True-Crime-Ecken, um die grosse Nachfrage der Leserschaft zu befriedigen.

Woher kommt diese Lust am Düsteren?

Doch woher kommt in Zeiten von Pandemie und Krieg diese Lust am Düsteren?

«Jeder Mensch verspürt eine gewisse Lust an der Angst - daran, sich zu fürchten, zu gruseln, sich der Illusion von Gefahr hinzugeben», erklärte der deutsche Psychiater Borwin Bandelow (70) den Hype kürzlich im «Geo».

Dabei gehe es nicht um real erlebte Furcht.

«Niemand will einem Serienkiller von Angesicht zu Angesicht begegnen.»

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Es betreffe das vorgestellte Grauen, die inszenierte Angst.

«Dieser Nervenkitzel zieht uns an.

Ihm setzen wir uns freiwillig aus, weil wir darauf vertrauen können, dass die Sache - zumindest für uns - gut ausgeht.»

Die Rolle von Endorphinen

In der Sicherheit unserer gemütlichen Stube können wir uns schaurig schön gruseln.

Dass wir diesen Zustand so geniessen, hat damit zu tun, dass unser Gehirn in jeder Angst- oder Stresssituation immer auch Endorphine freisetzt.

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«Sie sorgen für ein Hochgefühl, für Schmerzfreiheit, dafür, dass wir uns stark und beglückt fühlen», erklärt Bandelow.

Je echter die Schilderungen sind, desto effektiver werde unser Angstsystem in Alarm versetzt.

«Und es gibt nichts Echteres, als wenn ich genau weiss: Dieses Verbrechen hat tatsächlich so stattgefunden.»

Historische Wurzeln der Faszination für Gewaltverbrechen

Die Lust an wahren Gewaltverbrechen ist nicht neu: Bereits in der frühen Neuzeit haben sogenannte Bänkelsänger auf Marktplätzen und bei Stadtfesten dramatische Schauergeschichten erzählt und zogen damit Menschen genauso in den Bann, wie es im späten 19. Jahrhundert die Zeitungsberichte über Jack the Ripper taten - Ripper war einer der ersten bekannten Serienmörder, dem die Morde an mindestens fünf Frauen 1888 im Londoner East End zugeschrieben wurden.

Weitere Meilensteine des True-Crime-Genres waren auch Truman Capotes 1965 erschienenes Buch «Kaltblütig», in dem der Autor sich mit der Psyche zweier Männer beschäftigt, die vier Menschen umgebracht haben.

Oder die Fernsehsendung «Aktenzeichen XY … ungelöst», die seit 1967 mithilfe von Zuschauerinnen und Zuschauer versucht, reale Fälle von Verbrechen zu lösen - und das mit Erfolg.

Nach Angaben der Redaktion werden bis heute im Durchschnitt etwa 40 Prozent der ausgestrahlten Fälle aufgeklärt.

Befriedigung durch True Crime

Doch die Lust an True Crime basiert nicht allein auf der Aufklärung der Verbrechen, wie der Psychiater weiss.

«Natürlich bewerten wir Delikte wie einen brutalen Mord auf der rationalen Ebene als abscheulich.

Aber gleichzeitig müssen wir uns eingestehen: Unsere Faszination für das Böse baut immer auch darauf, dass die Befriedigung, die der Verbrecher bei seiner Tat erlebt, auch ein Stück weit unsere Befriedigung als Leser oder Zuschauerin ist.»

Kein Wunder also setzt auch Netflix weiterhin auf das boomende Genre: Am 26. Oktober erscheint beim US-Streaming-Giganten «The Good Nurse».

Der Film erzählt die wahre Geschichte einer Krankenschwester, gespielt von Hollywoodstar Jessica Chastain (45), die einem mörderischen Kollegen, verkörpert von Oscarpreisträger Eddie Redmayne (40), auf die Schliche kommt.

Psychopathen im Film und Realität

Die Netflix-Serie «You» porträtiert einen ebenso attraktiven wie mörderischen Psychopathen.

Oberflächlich gesehen, ist Joe Goldberg ein Mann zum Verlieben: ein zurückhaltender Typ, attraktiv, charmant, aufmerksam.

Doch hinter der hübschen Fassade verbirgt sich ein obsessiver Stalker, Psychopath und Killer.

Joe Goldberg ist der Antiheld der Erfolgsserie «You - du wirst mich lieben», die eben mit der dritten Staffel auf Netflix gestartet ist.

Und er ist der wohl raffinierteste Psychopath, den es im Moment am Bildschirm zu sehen gibt.

Das zeigt sich schon daran, wie viele Zuschauerinnen seinem Charme trotz seines mörderischen Charakters erliegen: Sie treffen sich in Online-Fangruppen, schwärmen davon, wie süss sie ihn finden und dass sie Goldberg, sollten sie ihm im richtigen Leben begegnen, sofort daten würden.

Die Attraktivität von Psychopathen

Tatsächlich faszinieren Psychopathen nicht nur am Bildschirm.

Im echten Leben sind sie sogar besonders geschickt darin, andere für sich einzunehmen - selbst wenn diese um die Gefährlichkeit ihres Gegenübers wissen.

So gibt es immer wieder Gefängniswärter, Therapeutinnen oder Bewährungshelfer, die sich von hochgradig gefährlichen Männern mit psychopathischen Persönlichkeitsprofilen umgarnen lassen.

Umso mehr gilt das, wenn das Gegenüber keine Ahnung hat.

Dies legt eine kanadische Studie nahe, die 2019 im Fachmagazin «Evolutionary Psychological Science» publiziert wurde.

Darin wirkten Männer mit psychopathischen Persönlichkeitszügen in Datingsituationen signifikant attraktiver auf Frauen als andere Geschlechtsgenossen.

Laut Schätzungen zeigt ein Prozent der Bevölkerung psychopathische Züge.

Frank Urbaniok hatte als Gerichtspsychiater mit Dutzenden psychopathischen Gewalttätern zu tun.

Denn was Menschen zu Psychopathen macht, lässt sich ohne Hintergrundwissen nicht leicht erkennen.

«Normale Menschen haben einen Sinn für richtig und falsch und eine Hemmschwelle für Gewalttaten.

Bei Psychopathen gibt es weder diesen Sinn noch diese Hemmschwelle», erklärt Urbaniok - und fügt auch gleich an, dass der Begriff «Psychopath» im Alltag oft ungenau verwendet werde.

Denn nicht jeder, der etwas Unheimliches oder Unbegreifliches tue, sei deswegen ein Psychopath.

«Ganz allgemein haben Psychopathen weniger Angst, erleben Gefühle weniger nachhaltig und intensiv, lassen sich weniger davon steuern.

Zudem sind sie sehr egozentrisch und manipulativ.

Sie beurteilen Situationen nicht nach ‹richtig› oder ‹falsch›, sondern nach ‹nützlich für mich› oder ‹nicht nützlich für mich›.

Und zwar ohne Rücksicht auf Mitmenschen.»

Wie man sich schützt

Doch gerade in Datingsituationen sei Vorsicht angezeigt, denn diese würden besondere Risiken bergen: «Man ist bereit, einen Vertrauensvorschuss zu geben, die Kritikfähigkeit ist heruntergesetzt.

Das ist evolutionär so gewünscht und eigentlich auch richtig», sagt Urbaniok.

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