Panikattacken und Angststörungen: Therapieleitlinien und Behandlungsansätze

Angststörungen zählen neben Insomnie und Depressionen zu den häufigsten psychischen Krankheiten der Bevölkerung und kommen auch in der allgemeinmedizinischen Praxis häufig vor. Angst ist eine Basisemotion des Menschen und für das Überleben eminent wichtig. Ihr Sinn und Zweck besteht darin, vor Gefahren zu warnen und den Körper auf eine adäquate Reaktion (Flucht, Kampf oder Verstecken) vorzubereiten.

Angst ist allerdings dann problematisch (pathologisch), wenn sie zu oft und zu intensiv auftritt, und vor allem dann, wenn sie im Verhältnis zur objektiven Gefahr in der gegebenen Situation unangemessen oder zu heftig ist. So sind eine gewisse Vorsicht und Reaktionsbereitschaft angesichts der Gefahren des Strassenverkehrs beim Autofahren angemessen, Panik vor dem Fahren jedoch «zu viel» Angst. Angststörungen präsentieren sich oft durch physische Symptome. Am eindrücklichsten ist die Panikattacke.

Dabei kommt es oft völlig unvorhersehbar zu einem plötzlichen Anfall von Angst mit vegetativen Symptomen wie z.B. Herzklopfen, Brustschmerzen, Erstickungsgefühlen, Schwindel und Entfremdungssymptomen (Derealisation oder Depersonalisation). Die Panikattacke nimmt einen Crescendo-förmigen Verlauf, wobei der Patient zunehmend Angst bekommt, zu sterben oder die Kontrolle zu verlieren (z.B. wahnsinnig zu werden oder in Ohnmacht zu fallen). Eine Panikattacke dauert oft nicht länger als 10-20 Minuten und ist grundsätzlich selbstlimitierend. Sekundär entsteht aber eine Furcht vor einer erneuten Panikattacke: Die «Angst vor der Angst».

Die Lebenszeitprävalenz von Angststörungen liegt bei 15 - 20%, während die Lebenszeitprävalenz für die Panikstörung im Speziellen bei 1.5 - 3% liegt (1, 4). Bis zu 20 Prozent der Menschen erleiden mindestens einmal in ihrem Leben eine Panikattacke. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Doch macht eine einzelne Attacke noch keine Panikstörung aus. Die Wahrscheinlichkeit, eine Panikstörung während des gesamten Lebens zu entwickeln, beträgt bei Frauen 5,5 Prozent und bei Männern 2,2 Prozent.

Diagnostik und Differentialdiagnosen

Obwohl sich die Diagnose einer Panikattacke aus der typischen Klinik ergibt, ist es natürlich wichtig, andere somatische Erkrankungen auszuschliessen (Tab. 1). Zu diesen Differentialdiagnosen zählen Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD, Herz-Kreislauferkrankungen einschließlich Angina pectoris und Myokardinfarkt, neurologische Zustände wie Migräne und Multiple Sklerose, endokrine Störungen wie Hyperthyreose und Hypoglykämie, sowie weitere Krankheitsbilder wie periphere Vestibularisstörungen.

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Panikattacken beginnen typischerweise mit einer auffälligen physiologischen (z.B. Herzklopfen, Schwitzen, Schwindel) oder psychischen (z.B. Gedankenrasen. Konzentrationsprobleme) Veränderung (2), die durch diverse Auslöser wie emotionale Erregung, körperliche Erschöpfung, Koffeinzufuhr oder Umgebungseinflüsse hervorgerufen werden kann. Solche Veränderungen werden vom Betroffenen sensitiv wahrgenommen und als gefährlich bewertet. Typische Panikgedanken sind z.B. «Hilfe, ich sterbe» oder «Ich werde in Ohnmacht fallen». Diese Kognitionen lösen eine Reaktion von starker Angst aus, die wiederum zusätzliche vegetative Stresssymptome nach sich zieht, welche wiederum die angstvolle Wahrnehmung und die katastrophisierenden Gedanken verstärken.

Es ist essentiell, zwischen internen, physiologischen Vorgängen und deren Wahrnehmung zu unterscheiden. Im Angstmodus nimmt der Patient physiologische Veränderungen hypervigilant wahr, und bewertet diese weitaus drastischer, als sie objektiv sind. Zum Beispiel könnten Palpitationen im Liegen lediglich aufgrund einer verbesserten Wahrnehmung in dieser Position bemerkt werden.

Akutbehandlung einer Panikattacke

Wenn ein Patient im Rahmen einer Panikattacke ärztliche Hilfe sucht, erwartet er eine Notfallbehandlung, da er subjektiv von einer lebensbedrohlichen Situation ausgeht. Einerseits geht es dann darum, dem Patienten Sicherheit zu vermitteln und ihn zu beruhigen. Oft reicht schon das Sicherheit signalisierende Umfeld einer Arztpraxis oder einer Krankenhausumgebung aus. Bei akuter Angst wirken das kompetente, verständnisvolle Gespräch und die Aufklärung darüber, dass eine Panikattacke spontan ohne Lebensgefahr vorübergeht (2). Bei Hyperventilation hilft eine Anleitung zur Bauchatmung. Bewährt hat sich auch die Tüten-Rückatmung, also dass der hyperventilierende Patient seine eigene Ausatemluft wieder einatmet bis die Hyperventilationssymptome verschwunden sind.

In der akuten Panikattacke kann auch ein kurzwirksames Benzodiazepin verabreicht werden (z.B. Lorazepam Expidet), das wegen seiner starken Lipophilie und der Möglichkeit der Sublingualgabe rasch wirkt (1, 3). Dennoch ist zu bedenken, dass die pharmakologische Wirkung bei der peroralen Medikation häufig erst nach spontanem Abklingen der Panikattacke einsetzt. Das Medikament hat als Sicherheitssignal einen starken Placebo-Effekt. Wegen des Gewöhnungs- und Abhängigkeitspotenzials sollten Benzodiazepine nur in der Akutphase oder zu Beginn bis zum Einsetzen der Wirkung einer anderen Therapie eingesetzt werden. Sollte über die akute Panikattacke hinaus eine länger bestehende Angststörung wie eine Panikstörung vorliegen, sollten Benzodiazepine nicht als Dauermedikation gegeben werden.

Langfristige Therapieoptionen

Patienten mit einer beeinträchtigenden Angststörung (Panikstörung/Agoraphobie, Soziale Phobie, Generalisierte Angststörung (GAS), «Angst und depressive Störung, gemischt») sollten psychotherapeutisch oder medikamentös behandelt werden. Langfristig zeigen psychotherapeutische und medikamentöse Interventionen eine vergleichbar starke Wirksamkeit. Eine beeinträchtigende Spezifische Phobie sollte mit Expositionstherapie behandelt werden.

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Prinzipiell sollte ein Patient mit Panikstörung/Agoraphobie (Ia/A), Generalisierter Angststörung (Ia/A) und Sozialer Phobie (Expertenkonsens/KKP) über die Möglichkeit der Behandlung mittels Psychotherapie und Pharmakotherapie informiert werden. Dabei sollte die Präferenz der Patienten berücksichtigt werden, nachdem sie über folgende Aspekte informiert wurden: Wirkeintritt, Nachhaltigkeit, unerwünschte Wirkungen und Verfügbarkeit. Ist eine Therapieform unzureichend wirksam, sollte die jeweils andere, beziehungsweise eine Kombination, angeboten werden (Expertenkonsens/KKP).

Psychotherapie

Grundlage jeder Psychotherapie ist der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer guten, tragfähigen therapeutischen Beziehung, welche den Therapieerfolg positiv beeinflusst. Allen Patienten mit einer Angststörung sollten Psychoedukation zu ihrer Diagnose, der möglichen Ätiologie und Information zu den verschiedenen Behandlungsformen angeboten werden (4). Da die KVT zurzeit die beste empirische Evidenz (Ia/A) für die psychotherapeutische Behandlung von Angststörungen hat (1, 4), wird diese im Folgenden genauer beschrieben. Sollte sich die KVT als nicht genügend wirksam, nicht erwünscht oder nicht verfügbar erweisen, sollte eine psychodynamische Psychotherapie angeboten werden (IIa/B; Soziale Phobie: Ib/B).

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Grundlage kognitiver Therapien ist, dass Gedanken unsere Gefühle beeinflussen und die Reaktion eines Individuums auf eine Situation von deren Interpretation abhängt (1). So kann ein Vortragender das Gähnen einer Person im Publikum als «mein Vortrag ist langweilig» oder als «die Person hat letzte Nacht wenig geschlafen» interpretieren. Je nach Interpretation wäre die darauffolgende emotionale Reaktion unterschiedlich. Im Laufe der Sozialisation werden gewisse Grundannahmen (Schemata) herausgebildet, welche die Interpretation von Situationen beeinflussen. Beck geht davon aus, dass maladaptive Gedanken, welche die Gefühle und das Verhalten von Patienten beeinflussen, ein gemeinsames Merkmal von psychischen Störungen sind (7). Dementsprechend kann eine Modifikation des Denkens zu einer Verbesserung der Stimmung und des Verhaltens führen.

Neben den kognitiven Aspekten ist ein wesentlicher Anteil der KVT die Konfrontation mit angstauslösenden Situationen bzw. Stimuli. Während der Konfrontation ist es das Ziel, zu lernen, dass die gefürchtete Reaktion nicht eintritt (z.B. «die Spinne beisst mich nicht»), oder dass die gefürchtete Reaktion ausgehalten werden kann (z.B. «ich kann auch ängstlich einen Vortrag halten»). Die Konfrontation kann in der echten Situation (in vivo), in der Vorstellung (in sensu) oder in der virtuellen Realität (in virtuo) erfolgen (1).

Auch modernere Formen der KVT im Rahmen der sogenannten «dritten Welle der Verhaltenstherapie», wie Achtsamkeitsbasierte Therapie, Acceptance and Commitment Therapy (ACT) und Compassion Focused Therapy (CFT), sind vielversprechend in der Behandlung von Angststörungen (8, 9, 10, 11). Achtsamkeitsbasierte Therapie und ACT fokussieren im Vergleich zur klassischen KVT mehr auf die Akzeptanz von maladaptiven Gedanken als darauf, diese zu verändern (12). Im Rahmen der CFT lernen Patienten sich selber zu beruhigen, wenn sie Angst empfinden, indem sie sich selber mit Mitgefühl begegnen (13).

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Pharmakotherapie

Für die pharmakologische Behandlung von Angststörungen (keine Empfehlung für die Spezifische Phobie) bestehen die höchsten Evidenzkategorien (Ia) und Empfehlungsgrade (A) für die SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) und SNRIs (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer). Je nach Angststörungen werden auch andere Substanzklassen empfohlen wie z.B. Trizyklische Antidepressiva (TZAs) (Ia/B).

Beim Einsatz von SSRIs/SNRIs und TZAs wird der Patient über eine Wirklatenz von ca. 2 Wochen (1-6 Wochen) und über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen informiert (bei SSRIs/SNRIs z.B. Unruhe / Schlaflosigkeit in den ersten Tagen, sexuelle Dysfunktionen, Absetzphänomene; bei TZAs/Opipramol: z.B. anticholinerge Wirkung, Sedierung, Gewichtszunahme, kardiovaskuläre Wirkung). Darüber hinaus zeigte eine Studie 2017 (20), dass rund ein Viertel einer Patientenpopulation, die wegen Angst oder Depression mit z.B. Escitalopram, Sertralin, Desvenlafaxin (aktiver Hauptmetabolit von Venlafaxin) behandelt wurde, innerhalb der ersten 6 Behandlungswochen eine ängstlich-agitierte Symptomatik mit motorischer Unruhe («jitteriness syndrome») entwickelte.

Bei den SSRIs und SNRIs besteht eine flache Dosis-Response-Kurve, d.h. dass ca. 75% der Patienten bereits auf eine initiale/niedrige Dosis reagieren. Bei bestehenden Leberfunktionsstörungen können Dosierungsanpassungen erforderlich sein (z.B. Citalopram). Für einige Präparate bestehen Empfehlungen für altersbedingte Dosis-anpassungen (z.B. TZAs, Citalopram, Escitalopram). Um Überstimulierungen und Schlaflosigkeit zu verhindern, sollte die Dosis morgens oder mittags gegeben werden. TZAs sollten in niedriger Dosierung begonnen und alle 3-5 Tage erhöht werden.

Um Rückfälle zu vermeiden wird empfohlen die Psychopharmakotherapie nach eingetretener Remission noch mindestens 6-12 Monate weiterzuführen. Eine Verlängerung der Dauer kann u.a. dann erwogen werden, wenn ein Absetzversuch zu einem Wiederauftreten der Angstsymptomatik führte oder der Krankheitsverlauf besonders schwer war.

Benzodiazepine sind zwar wirksam (Ia/Ib), sollen jedoch aufgrund gravierender Nebenwirkungen (Abhängigkeitsentwicklung, Toleranz, Verlängerung der Reaktionszeit, Stürze etc.) nicht angeboten werden (KKP). In Ausnahmefällen (z.B. bei schwerer kardialer Erkrankung, bestehenden Kontraindikationen für die jeweiligen Standardmedikamente oder Suizidalität) können sie unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung angewendet werden. Sie sollten dann aber in der Regel nur für wenige Wochen eingenommen und nach längerer Behandlung sehr langsam ausgeschlichen werden (ggf. über mehrere Wochen).

Weitere Behandlungsansätze

Nebst der psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlung hat sich in unserer klinischen Praxis die Wichtigkeit von körperlichem Training in der Verminderung von Angstsymptomen gezeigt. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse zeigte einen moderaten Effekt in der Verbesserung von Angstsymptomen bei Patienten mit einer diagnostizierten Angststörung (25).

Zudem bestehen vielversprechende Verfahren in Form von Biofeedback-Therapie, bei welcher Veränderungen biologischer Zustandsgrössen (z.B. Herzrate/Herzratenvariabilität, Atemfrequenz/tiefe, muskuläre Anspannung, Hautleitwert) mittels elektronischen Hilfsmitteln in Echtzeit am Bildschirm sichtbar und so dem eigenen Bewusstsein zugänglich gemacht werden können. Hier zeigte eine Meta-Analyse 2017 z.B. dass Herzratenvariabilitäts-Biofeedback-Training mit einer starken Reduktion bezüglich Angst- und Stress-erleben einhergeht (26).

Bedeutung der frühzeitigen Diagnose

Je früher die Diagnose einer Angsterkrankung gestellt werden kann, desto besser. Angsterkrankungen sind häufig - rund 10 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen leiden innerhalb eines Jahres an mindestens einer Angststörung (1). Doch rund zwei Drittel der Betroffenen erhalten keine adäquate Behandlung (2, 3). Mit zum Teil gravierenden Folgen: Unbehandelte Angststörungen neigen zur Chronifizierung, auch die Entwicklung weiterer psychischer Probleme (allen voran: Depression und Substanzmissbrauch) ist häufig (4, 5). Da Angststörungen sehr gut behandelbar sind, ist eine frühzeitige (Verdachts-) Diagnose für die Einleitung einer zeitnahen, störungsspezifischen Behandlung besonders wichtig.

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