Die Borderline-Störung ist charakterisiert durch Instabilität des Affekts, der Identität, durch Impulsivität und durch selbstverletzendes Verhalten.
Neuropsychiatrische Untersuchungsmethoden sind ein schnell expandierender Forschungsbereich mit einer wachsenden Anzahl von Analysemethoden zur Untersuchung neurobiologischer Korrelate von Persönlichkeitsstörungen. Neben experimenteller Induktion spezifisch krankheitsbezogener sozialer Situationen und Emotionen wie Scham oder Wut wird auch nach Korrelaten einer biologischen Anfälligkeit für spezifisch neuropsychiatrische Syndrome gesucht.
Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen eine erhöhte Reagibilität für negative Emotionen sowie einen länger anhaltenden negativen Affekt. Neurophysiologisch gibt es eine breite Evidenz lokalisierter Veränderungen bei Borderline-Patienten, die zwei im klinischen Alltag im Vordergrund stehenden Syndromen zugrunde liegen:
- Zum einen ein Disinhibitionssyndrom, welches mit Störungen der Exekutivfunktionen einhergeht wie gestörter Zielhierarchisierung und Selbststeuerung, Selbstverletzungen, Drogenkonsum, pathologischem Kaufen, Spielen, Essen und so weiter.
 - Zum anderen Korrelate einer gestörten Affektregulation mit erhöhter emotionaler Reagibilität.
 
Die gestörte Affektregulation führt zu den bekannten erheblichen Schwierigkeiten in den Bereichen Beruf, Partnerschaft und des sozialen Umfelds. Auf der neuropsychologischen Ebene korrelieren die krankheitsspezifischen Kognitionen der Patienten in sozialen Situationen und engen Beziehungen - zu denen Ausgrenzungs- und Verlassenheitsgefühle zählen - mit einer täglich wachsenden Befundlage veränderter Hirnstrukturen und vor allem Hirnfunktionen.
Neurobiologische Grundlagen der Borderline-Störung
Relevante Hirnstrukturen veränderter Affektregulation und Disinhibition: Erste hirnstrukturelle Veränderungen bei Patienten mit Borderline-Störung wurden bereits 1998 nachgewiesen. In der Folge erweiterte sich die Evidenzlage. Es fanden sich wiederholt verminderte Volumina im Frontallappen, im Hippokampus und der Amygdala sowie vor allem im linken Orbitofrontalkortex (lOFC) und im rechten anterioren Cingulum (rACC).
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Ausser diesen volumetrischen Auffälligkeiten bei Borderline-Patienten liessen sich Veränderungen auch im Hirnstoffwechsel mittels funktionell-metabolischer Techniken nachweisen: PET- und SPECT-Studien zeigten arialspezifische Hyper- wie auch Hypometabolismen, welche als Ausdruck einer gestörten Funktion der Netzwerke interpretiert werden können.
So ist der globale präfrontale Glukoseverbrauch (PET) herabgesetzt, und fokal zeigen Patienten mit Borderline-Störung Verminderungen der Neuronenaktivität (SPECT) im dorsolateralen Präfrontallappen (dlPFC). Fokale, vermutlich kompensatorische Aktivitätssteigerungen, fanden sich vor allem im anterioren Cingulum und in einzelnen frontalen Gyri.
Des Weiteren finden sich Veränderungen in einzelnen Neurotransmittersystemen, deren Sensitivität und vor allem krankheitsbezogene Spezifität bis heute jedoch noch unklar sind. Positive Befunde fanden sich im Serotonin-, Glutamat- und GABA-System.
Neben den genannten strukturellen und metabolischen Veränderungen expandiert die neuropsychiatrische Befundlage vor allem im Bereich der räumlich und zeitlich höher auflösenden f- und sMRT mit neueren Geräten und einer wachsenden Anzahl von Analysetechniken wie BOLD (Blood Oxygen Dependent Level), DTI (Diffusion Tensor Imaging mit statistischer Traktografie), ASL (Arterial Spin Labeling) und so weiter. Zusätzlich lassen sich diese Techniken mit einer wachsenden Zahl experimenteller «Online»-Aufgaben kombinieren.
Experimentelle Aufgaben und biologische Korrelate
Beim zuletzt genannten Punkt sind Impulskontrollaufgaben zentral, die mit Go/No-Go-Test-Aufgaben störungsspezifische Fragestellungen der Persönlichkeitsforschung untersuchbar machen.
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Im Gegensatz zu Kontrollprobanden zeigen BorderlinePatienten auf emotionale Stimuli stärkere Aktivierungen der Amygdala sowie weiterer limbischer und präfrontaler Regionen. Gesunde Kontrollprobanden zeigen im Go/No-Go-Test aufgabenbezogene Aktivierungen im dorsolateralen Präfrontallappen sowie im linken Orbitofrontalkortex, wohingegen Borderline-Patienten mit gestörter Impulskontrolle kompensatorisch ausgedehnte Aktivierungen im Präfrontallappen zeigen.
Veränderungen im Präfrontallappen korrelieren bei Borderline-Patienten mit dem charakteristischen Fehlen reifer Persönlichkeitseigenschaften, von Inhibitionskontrolle, Aufmerksamkeit, mit schlechterem Arbeitsgedächtnis, verminderter Emotions- und Motivationsregulation sowie vor allem einem moderaten Erlernen adäquater sozialer Verhaltensweisen.
Disinhibitionssyndrom und gestörte Affektregulation beeinflussen sich gegenseitig, was sich experimentell (emotionales Go/No-Go-Task) sowohl in einer verminderten ventromedial-präfrontalen Aktivierung (Disinhibition) als auch einer stärkeren Aktivierung unter anderem der Amygdala (emotionalere Reagibilität) zeigt.
Insgesamt kann gesagt werden, dass sich einzelne Hirnareale als zentrale «Schaltstellen» einer gestörten frontolimbischen Regulation bei Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsstörung sowohl anatomisch (volumetrisch) als auch metabolisch-funktionell sowie nach experimenteller aufgabenspezifischer Provokation identifizieren lassen.
Korrelate der gesteigerten Emotionsverarbeitung finden sich unter anderem in der Amygdala und der Insel. Gleichzeitig finden sich Veränderungen im anteriorcingulären, dem medial-frontalen, dem orbito-frontalen und dem dorsolateral-präfrontalen Kortex als biologische Signifikate der gestörten Exekutivfunktionen und der Affektregulation.
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Zur Aufrechterhaltung der Funktionen auf behavioraler Ebene finden sich typischerweise kompensatorische «Entlateralisationen» präfrontal sowie Akquirierungen weiterer temporoparietaler Areale.
Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Das aktuelle DSM-5 fasst die Borderline-Persönlichkeitsstörung in einem gemischten dimensional-kategorialen Modell zusammen. Essenziell sind (A) Störungen der Persönlichkeitsstruktur und -funktion (Selbstbild und interpersonelles Verhalten) sowie störungsspezifische pathologische Persönlichkeitseigenschaften (B).
Kriterium A: Signifikante Beeinträchtigung der Persönlichkeitsstruktur
- a) Identitätsstörung
 - b) Selbststeuerung
 
UND
Kriterium B: Pathologische Persönlichkeitseigenschaften
- a) emotionale Instabilität
 - b) soziale Ängstlichkeit
 - c) Trennungsangst und Zurückweisungssensitivität
 - d) Depressivität
 
- Disinhibitionssyndrom
 - a) Impulsivität
 - b) erhöhtes Risikoverhalten
 
Auf behavioraler Ebene zeigen Borderline-Patienten keine signifikant abweichende Motorimpulsivität, aber eine belohnungsbezogene Impulsivität, die als Kernsymptom in der Psychopathologie des Alltagslebens zu sekundärer Destabilisierung (Arbeitsplatzverlust, Drogenkonsum etc.) führt.
Psychodiagnostik und Persönlichkeitstests
Persönlichkeitstests eignen sich jedoch nicht, um eine Persönlichkeitsstörung z.B. nach ICD10 oder DSM-5 zu diagnostizieren. Zur Diagnosestellung ist ein zweistufiger diagnostischer Prozess vorzuschlagen, bei dem der Patient mittels Selbstbeurteilung oder eines kurzen Interviews gescreent wird. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die systematische Erfassung.
Abschliessend hielt er fest, dass Persönlichkeitsstörungen eine der am schwersten zu diagnostizierenden psychischen Störungen darstellen und die Diagnose in der Praxis oft falsch oder zu schnell gestellt wird. «Teils wird die Diagnose auch vom Vorgänger unkritisch übernommen».
OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik
OPD ist ein psychodynamisches Diagnosesystem, welches vorwiegend für psychoanalytisch und tiefenpsychologisch arbeitende Psychotherapeuten konzipiert ist. Das diagnostische Manual ist als Ergänzung zu den bestehenden psychiatrischen Diagnosemanualen (dem DSM-IV und dem ICD-10) zu sehen, das mit dem Ziel entwickelt wurde, ein verlässliches und valides diagnostisches Instrumentarium zur Verfügung stellen zu können.
Damit stellt OPD eine Alternative zu den rein auf Deskription und Phänomenologie basierenden internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV dar. Durch die Operationalisierung, das heisst Messbarmachung der wesentlichen Variablen für psychodynamische Theorien, wird eine bessere Objektivität, Reliabilität und Validität der Diagnose möglich.
OPD gliedert sich in fünf unterschiedliche, aber miteinander verbundene Felder. Achse 1 umfasst das Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen, Achse 2 umfasst habituelle und dysfunktionale Beziehungsmuster, Achse 3 umfasst lebensbestimmende und Aktualkonflikte, Achse 4 umfasst die Struktur und Achse 5 umfasst psychische und psychosomatische Störungen nach ICD-10.
Aus der Sicht niedergelassener Psychotherapeuten ist OPD oft zu zeitaufwändig, um routinemässig breite Anwendung zu finden.
Juristische Aspekte von Persönlichkeitsstörungen
Für die Rechtsprechung ist nicht die Diagnose entscheidend, sondern die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Hans Jakob Mosimann wies darauf hin, dass Persönlichkeitsstörungen praktisch nie als einzige Diagnose in den vom Bundesgericht beurteilten Fällen vorkommen und der Fokus immer auf den Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit liegt.
Malingering und Persönlichkeitsstörungen
«Malingering» beinhaltet Symptome, die einer falschen Ursache zugeschrieben werden, einer absichtlichen und übertriebenen oder vorgetäuschten Simulation. «Malingering» grenzt sich von Begriffen wie Konversionsstörungen ab, die beispielsweise nicht willentlich beeinflusst werden können und psychischen Störungen zugeordnet werden.
Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung sind aber nicht «erfolgreicher» beim «Malingering». «Malingering zu erkennen, kann dann vielleicht darauf hinweisen, dass ein Patient Unterstützung benötigt».
Versicherungsmedizinische Begutachtung
Eine Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn ein Mensch auffällige Verhaltensweisen und Einstellungen zeigt, die ihn erheblich in seiner individuellen Zufriedenheit und im Erreichen seiner persönlichen Ziele einschränken. Betroffene geraten zudem häufig mit ihren Mitmenschen oder mit der Gesellschaft in Konflikt, sie verhalten sich starr und sind unflexibel.
Die Betroffenen erleben ein starkes Gefühl von Hilflosigkeit und Schwäche, das sich in einem extrem unterwürfigen und anklammernden Verhalten sowie dem übermässigen Bedürfnis, umsorgt zu werden, zeigt. Patientinnen und Patienten mit dieser Störung beschäftigen sich ständig mit Details, sie sind pedantisch. Betroffene sind extrem ordentlich, perfektionistisch und kontrollsüchtig. Sie zeigen eine übertriebene Orientierung an Normen, Regeln und Systeme auf Kosten von genussvollen Aktivitäten und zwischenmenschlichen Beziehungen.
Weitere Persönlichkeitsmerkmale
- Hauptmerkmale sind die Überzeugung, selbst sozial unbeholfen, unattraktiv oder minderwertig zu sein, andauernde Gefühle von Anspannung und Besorgtheit, Angst vor negativer Bewertung oder Ablehnung in sozialen Kontakten.
 - Hauptmerkmale sind die Neigung zu unbedachtem, impulsivem Verhalten ohne Rücksicht auf Konsequenzen, geringe Frustrationstoleranz und ein Mangel an Empathie, Schuldbewusstsein und Verantwortungsgefühl. Betroffene empfinden selten Angst und sind bereit, hohe Risiken einzugehen. Dabei missachten sie Regeln, Normen und Gesetze. Die Fähigkeit, aus den negativen Konsequenzen zu lernen, ist reduziert.
 - Patientinnen und Patienten mit dieser Störung neigen zu theatralisch und dramatisch wirkendem Verhalten und einer übermässigen Emotionalität. Oft haben sie das Bedürfnis, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und Anerkennung, Lob und Aufmerksamkeit von anderen zu erhalten. Ihr Denken ist von Sprunghaftigkeit, Ungenauigkeit und Unschärfe gekennzeichnet. Sie zeigen sich leicht beeinflussbar von anderen Menschen oder Ereignissen.
 - Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen sind im hohen Masse von Fantasien grenzlosen Erfolgs, von Macht, Glanz, Schönheit oder Liebe eingenommen. Sie erleben sich als etwas Besonderes und Einzigartiges und gegenüber anderen Menschen als überlegen.
 - Paranoide Persönlichkeiten hegen ein tiefes Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen Menschen. In Partnerschaften reagieren sie oft eifersüchtig, sind extrem empfindlich gegenüber Kritik, sehr verletzlich und nachtragend.
 - Schizoide Persönlichkeiten fallen durch Einzelgängertum, Distanziertheit, ein hohes Mass an Autonomiebestrebungen und eine eingeschränkte Bandbreite emotionalen Ausdrucks auf. Sie haben oft keine engeren Freunde und nur selten einen Lebenspartner. Im Kontakt wirken sie unbeteiligt, kühl und distanziert.
 - Betroffene zeigen merkwürdige, verschoben wirkende Verhaltensweisen und einen eigenwilligen Denkstil auf. Sie leiden unter sozialen Defiziten und sind oft bindungsunfähig. Schizotype Persönlichkeiten sind oft mit magischen Denkinhalten oder seltsamen Überzeugungen beschäftigt.
 
Behandlung der Borderline-Erkrankung
Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting, inklusive Psychoedukation und Erarbeiten von konkreten Strategien bei problematischem Verhalten. Die Anmeldung zur Aufnahme erfolgt über die vorbehandelnden Ärztinnen und Ärzte oder andere Fachpersonen.
Die Behandlung einer Borderline-Erkrankung ist manchmal schwierig und dauert wegen der tief verankerten Persönlichkeitsstruktur meist lange an. Inzwischen gibt es zahlreiche erprobte Behandlungsansätze, die zu einer deutlichen Reduktion der Symptome und einem verbesserten zwischenmenschlichen Verhalten führen.
In den letzten Jahren sind verschiedene Psychotherapieverfahren für die Borderline-Erkrankung entwickelt worden, die im Einzel- oder im Gruppensetting angewendet werden können. So etwa die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT), die Schematherapie, die mentalisierungsbasierte Therapie und die übertragungsfokussierte Therapie.
Online-Selbsttests
Der nachfolgende Selbsttest prüft Borderlinesymptome:
- Bemühen Sie sich oft verzweifelt, ein tatsächliches oder auch nur vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden?
 - Sind Ihre Beziehungen instabil und gekennzeichnet durch einen schnellen Wechsel von Idealisierung und Entwertung oder von Liebe und Hass?
 - Ist Ihr Selbstbild oder Ihre Selbstwahrnehmung deutlich instabil?
 - Verhalten Sie sich oft impulsiv oder selbstschädigend (Geldausgeben, Sexualität, Drogen, Alkohol, zu schnelles Fahren, Fressanfälle)?
 - Haben Sie sich schon selbst verletzt? Gab es suizidale Handlungen oder Selbstmordandeutungen?
 - Leiden Sie unter ausgeprägten Stimmungsschwankungen oder affektiver Instabilität (zum Beispiel Reizbarkeit, Angst, schlechte Laune, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich nur kurz andauern)?
 - Fühlen Sie sich oft innerlich leer?
 - Hatten Sie schon Probleme mit ungemessener Wut, oder Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren (Wutausbrüche, andauernde Wut oder körperliche Auseinandersetzung)?
 - Kennen Sie vorübergehende, durch Belastung ausgelösten misstrauisch-paranoide Vorstellungen oder einen Verlust des Realitätsbezuges?
 
Fazit
Die aktuelle neuropsychiatrische Forschung versucht, eine genauere Bestimmung der Mechanismen neuraler Veränderungen bei Persönlichkeitsstörungen experimentell darzustellen. Insbesondere soll das Verständnis krankheitsspezifischer kognitiver und interpersoneller Prozesse erweitert und neurobiologisch untermauert werden.
Die neurophysiologischen Studien bei Borderline-Patienten belegen ein hyperresponsives subkortikal-limbisches Netzwerk (emotional Arousal) und ein ineffizientes regulatorisches Kontrollsystem, das via gestörte anteriore Gehirnnetzwerke operiert.
Die neuropsychiatrische Forschung versucht dabei, unterschiedliche Beobachtungsebenen (strukturelle, funktionelle, neurochemische, genetische und klinische Daten) in Modellen zu integrieren, um dynamische Wechselwirkungen zwischen biologischen und psychologischen Faktoren in der Entstehung der BorderlinePersönlichkeitsstörung zu verstehen.
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