Narzissmus in Beziehungen: Anzeichen und Warnsignale

«Ganz klar: Narzissmus!» So lautet immer häufiger die Erklärung eines romantischen Scheiterns. Wer früher als unpassend bezeichnet und für gewöhnlich einfach aussortiert wurde, verdient sich heute durch selbst ergoogelte Anzeichen zügig einen Narzissmus-Stempel. Doch ist das wirklich so einfach? Gehen wir mit dem Begriff zu leichtfertig um - oder treten narzisstische Züge wirklich immer häufiger auf?

Fernab aller laienhaften Ferndiagnosen treffen wir im Dating-Leben wohl öfter auf Menschen mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung, als uns lieb ist. Da jedoch jeder Mensch einen gewissen Grad an Narzissmus in sich trägt, lautet die Frage vielmehr: Wie identifizieren wir die Warnsignale rechtzeitig, um uns selbst schützen zu können?

Frühe Anzeichen von Narzissmus beim Dating

Tatsächlich kann man starke narzisstische Züge beim Gegenüber bereits in der frühen Dating-Phase erahnen: «Oft haben Menschen mit starken narzisstischen Zügen eine sehr selbstbewusste Erscheinung, die beeindruckend wirkt. Wenn du vielleicht fasziniert bist von diesem Selbstbewusstsein, ist das ein erster Hinweis, vorsichtig zu werden», erklärt Katharina Eder.

Natürlich könne es sich auch einfach um einen sehr selbstsicheren Menschen handeln, der auch beim ersten Date nicht nervös ist. Daher sollte man genauer hinschauen: «Ausserdem sprechen sie gerne von sich und prahlen, ohne genau oder detailliert zu werden. Auch die ersten überschwänglichen Komplimente können fallen, die auf den ersten Blick ‹zu viel› erscheinen.»

Lovebombing als typisches Indiz

«Geht das erste Kennenlernen in eine intensivere Dating-Phase über, wird man überschüttet von lieben Worten, Zuneigung und Verhaltensweisen oder sogar Geschenken. Das sogenannte Lovebombing.» Lovebombing ist eine weitverbreitete Art der Manipulation, sein Gegenüber anfangs mit Liebe zu überschütten und sie dann kurze Zeit später wieder zu entziehen. Dieses Psychospiel lässt die «Gelovebombten» oftmals völlig verunsichert zurück. Es wird oft in romantischen Beziehungen angewandt, aber kommt auch in Freundschaften oder sogar Arbeitsbeziehungen vor.

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Muss man jetzt also beim leidenschaftlichen Beziehungsbeginn Angst haben, dass man Lovebombing zum Opfer fällt? Oder kann es einfach sein, dass unser Gegenüber wirklich bis über beide Ohren verliebt ist?

«Eine gesunde Beziehung entsteht durch Gegenseitigkeit. Es kann schwierig zu erkennen sein, ob dich jemand aus eigenem Interesse oder manipulativen Gründen an dich binden will, oder wirklich verliebt ist», weiss Katharina Eder. »Auch Menschen mit ADHS oder einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung können Lovebombing betreiben."

Scheint Zuneigungsentzug zu drohen, sobald der Person etwas nicht passt, ist Vorsicht geboten, warnt Eder: «Gesundes Verliebtsein unterscheidet sich in der Selbstlosigkeit und ist nicht verknüpft mit einem Zweck oder um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Für Narzisstinnen und Narzissten besteht diese Verknüpfung jedoch.»

Ausserdem verrät die Dauer der Liebesüberschüttung viel: «Wahre Zuneigung erlischt nicht genauso schnell, wie sie gekommen ist. Spürst du Abwertung, ist es ein Zeichen, zu gehen.» Um sich aber nicht bei jedem kleinen Konflikt von Lovebombing betroffen zu fühlen, empfiehlt Katharina Eder, auf das eigene Gefühl zu vertrauen und Menschen «in Ruhe kennenzulernen» und «auf die eigene Intuition zu hören».

Der Unterschied zwischen «Arschloch» und Narzisst

Nicht jede unschöne Verhaltensweise deutet auf Narzissmus hin, viel mehr kommt es auf die überwiegenden Charaktereigenschaften an: «Ich denke, jeder Mensch verhält sich mal wie ein Arschloch. Ein Narzisst tut dies aber fast immer. Er kann gar nicht anders und das ist der grosse Unterschied.»

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Aber es gibt noch ein weiteres Indiz, welches auf Menschen mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung hinweist: «Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben Schwierigkeiten in allen Lebensbereichen - nicht nur in der romantischen Beziehung», sagt Eder und ergänzt:«Sie haben häufig zwischenmenschliche Probleme auf der Arbeit, ein schwieriges Familienverhältnis und zudem noch Schwierigkeiten in der Partnerschaft.»

Was tun, wenn der Narzisst es bereits in das eigene Leben geschafft hat?

Konfrontieren oder stillschweigend das Weite suchen? Katharina Eder sagt dazu: «Egal, ob narzisstisch oder nicht - es geht immer darum, wie du dich dabei fühlst! Wenn du dich unwohl fühlst, abgewertet oder du verletzt wirst, ist das Grund genug zu gehen. Dazu benötigt es keine Konfrontation, aber ehrliche Worte. Etwas wie: ‹Ich entwickle keine tieferen Gefühle für dich und fühle mich bei dir nicht so wohl, wie ich es mir wünschen würde.

Wann kippt «normaler» Narzissmus in eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?

«Die Diagnosestellung ist eigentlich einfach», erklärt Marc Walter, Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau PDAG. «Es ist wie ein standardisiertes Interview.» Wenn fünf der neun Fragen (siehe Tabelle) bejaht werden, liegt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vor. Zusätzlich müssen auch eine Funktionsbeeinträchtigung und ein Leidensdruck vorliegen.

FrageBeschreibung
Bist du grandios und so wichtig, dass deine überragenden Leistungen auf jeden Fall anerkannt werden sollten?Übersteigertes Gefühl der eigenen Wichtigkeit
Denkst du oft an grenzenlose Macht, Erfolg und Schönheit?Fantasien von grenzenlosem Erfolg
Bist du so einzigartig, dass nur Menschen, die genauso besonders sind, dich verstehen können?Glaube, besonders und einzigartig zu sein
Sollten die anderen dich masslos bewundern?Erwartung übermässiger Bewunderung
Sollten dich andere bevorzugt behandeln?Erwartung, dass andere sie besonders bevorzugt behandeln
Nutzt du andere aus, um deine eigenen Ziele zu erreichen?Ausnutzung anderer
Erkennst du nicht, was andere denken und fühlen? Oder interessiert es dich vielleicht gar nicht?Mangel an Empathie
Bist du neidisch auf andere und denkst du, andere sind neidisch auf dich?Neid auf andere oder Glaube, dass andere neidisch sind
Verhältst du dich arrogant und überheblich?Arrogantes und überhebliches Verhalten

Ein weiteres Merkmal, um schweren pathologischen Narzissmus von leichterem zu unterscheiden: die Beziehungsfähigkeit. Personen mit leichten narzisstischen Zügen sind laut Walter durchaus beziehungsfähig.

Typen von Narzissmus

Nicht immer erscheinen Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gleich. Bekannt ist vor allem der grossartig-maligne Typus, der Donald Trump oder Silvio Berlusconi nachgesagt wird.

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  • Grossartig-maligne Typus: Er verhält sich asozial, kann aggressiv und paranoid sein. Er ist von seiner eigenen Grossartigkeit überzeugt, schreckt vor Rache nicht zurück, fühlt sich aber gleichzeitig wenig wertgeschätzt.
  • Vulnerabler Typus: Der vulnerable Typus ist geprägt von depressiven Stimmungen, Scham und Anspannung. Mit Kritik und Misserfolgen kann er nur schwer umgehen. Dieser Typus wird auch als «verdeckter Narzissmus» bezeichnet und betrifft mehr Frauen.

Manipulationstechniken von Narzissten

Am Anfang steht das sogenannte «Love Bombing». Dabei wird der andere mit Aufmerksamkeit, Geschenken und Komplimenten regelrecht überschüttet. Das Gegenüber denkt oft, die grosse Liebe gefunden zu haben. Doch sobald die Partnerschaft gefestigt ist, ändert sich das Verhalten.

  • Gaslighting: Durch Manipulationen will er oder sie das Selbstbewusstsein des Gegenübers schwächen. Eine Form von Manipulation nennt sich «Gaslighting». Beim Gaslighting nutzen Narzissten Lügen und Unterstellungen, um die andere Person zu verunsichern.
  • Silent Treatment: Beim «Silent Treatment» bestrafen Narzissten ihr Gegenüber damit, dass sie gar nicht mehr sprechen. Sie möchten so Kontrolle über den anderen erlangen und dessen Selbstwert schwächen.

Narzisstinnen sind süchtig nach Bestätigung und Anerkennung, können nie genug Lob bekommen - vertragen aber selbst keine Kritik. Narzissten sind so auf sich fixiert, dass sie Bedürfnisse anderer nicht sehen. Sie haben kein Mitgefühl für andere, hören nicht zu und sprechen nur von sich selbst.

Wie man narzisstischen Beziehungen vorbeugen kann

Eine narzisstische Beziehung kann für Betroffene sehr schmerzhaft sein. Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig vor einer solchen Beziehung zu schützen. Eine Möglichkeit ist, auf die Alarmzeichen, sogenannte Red-Flags zu achten. Wenn dein Gegenüber in der Kennenlernphase übermäßig selbstbewusst und egozentrisch wirkt, solltest du vorsichtig sein.

Auch ein starkes Interesse an deiner Person kann ein Hinweis auf einen Narzissten sein, der dich als Trophäe betrachtet. Es lohnt sich auch, das Verhalten deines potenziellen Partners in verschiedenen Situationen zu beobachten - wie geht er mit Kritik um? Wie verhält er sich gegenüber anderen Menschen? Ein weiterer Schutzmechanismus kann sein, sich Zeit zu lassen und nicht sofort in eine Beziehung zu stürzen.

Tipps zur Vermeidung toxischer Beziehungen

  1. Selbstkenntnis entwickeln: Reflektiere über deine Werte, Bedürfnisse und Ziele in einer Beziehung.
  2. Klare Standards setzen: Überlege im Voraus, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen du in einem Partner suchst.
  3. Langsam angehen: Eile nicht in eine Beziehung.
  4. Aufmerksam für Warnzeichen sein: Sammle Informationen über Narzissmus und lerne, wie sie sich verhalten.
  5. Ehrliche Kommunikation: Sprich frühzeitig über Erwartungen, Bedürfnisse und Grenzen.
  6. Freunde und Familie einbeziehen: Besprich deine Beziehung mit Freunden und deiner Familie.
  7. Überprüfe frühere Beziehungsmuster: Reflektiere über frühere Beziehungen.
  8. Sozialkompetenz beachten: Achte darauf, wie dein potenzieller Partner sich in sozialen Interaktionen verhält.
  9. Werte und Ziele abgleichen: Vergewissere dich, dass deine Werte und langfristigen Ziele mit denen deines Partners kompatibel sind.
  10. Selbstfürsorge praktizieren: Kümmere dich gut um dich selbst.
  11. Intuition vertrauen: Vertraue grundsätzlich deinem Bauchgefühl.
  12. Zeit nehmen, bevor du dich verliebst: Lasse dich nicht zu schnell von deinen Emotionen überwältigen.
  13. Vergangenheit überprüfen: Hinterfrage die Vergangenheit deines Partners.
  14. Finde heraus, wie Konflikte behandelt werden: Achte darauf, wie Konflikte in der Beziehung behandelt werden.
  15. Distanz bewahren: Bewahre in den ersten Phasen der Beziehung eine gewisse Distanz.
  16. Gesundes Misstrauen haben: Sei vorsichtig, aber nicht übermäßig skeptisch.
  17. Zeichen von Empathie suchen: Achte darauf, ob dein Partner echte Empathie zeigt.
  18. Online-Recherche: Du kannst die sozialen Medien deines Partners überprüfen.
  19. Gemeinsame Interessen erkunden: Finde gemeinsame Interessen und Aktivitäten.
  20. Professionelle Hilfe in Betracht ziehen: Ziehe professionelle Beratung oder Therapie in Betracht.

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