Essstörungen im Kontext von Schönheitsidealen und sozialem Druck

In der heutigen Gesellschaft, in der soziale Medien und Fitness-Influencer allgegenwärtig sind, entsteht ein enormer Druck, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen. Dies kann insbesondere für junge Frauen und Mütter zu einem Nährboden für Essstörungen werden.

Der Druck auf Mütter

Viele Mütter fühlen sich nach der Geburt ihres Kindes unter Druck gesetzt, schnell wieder ihre alte Figur zu erreichen. Die Medien präsentieren oft unrealistische Bilder von Müttern, die wenige Wochen nach der Entbindung bereits wieder schlank und fit sind. Dies führt dazu, dass sich viele Frauen für ihren "normalen" Ex-Babybauch schämen und versuchen, ihn zu verstecken. Sie meiden Kameras und Schwimmbäder oder greifen zu kaschierender Kleidung.

Es entsteht der Eindruck, dass Mütter-Mitten zeitgleich mit der letzten Presswehe in sich zusammenschnurren müssen. Doch Rückbildungsgymnastik sorgt nicht dafür, sondern dafür, dass der weibliche Beckenboden wieder belastbar wird, Organe zurück an die richtige Stelle kommen, Muskeln ihre Arbeit aufnehmen und dafür, dass der Rücken der Frau nicht weh tut.

Laut einer Studie des britischen Instituts für Kindergesundheit und der psychiatrischen Abteilung der Universität London gab von 739 schwangeren Probandinnen jede vierte an, grosse Angst vor einer Gewichtszunahme und vor der Veränderung ihres Körpers zu haben. Jede zehnte zeigte mehrere Verhaltensweisen, die auf eine Essstörung hinweisen - wie Hungern, exzessiv Sport treiben, Abführmittel-Missbrauch… Jede 15. Schwangere wies das Vollbild einer Essstörung auf.

Der Einfluss von Social Media und Influencern

Instagram-Grössen wie Pamela Reif oder Sarah Harrison zeigen ihren Millionen Followern ihre trainierten Körper und geben Tipps, wie diese an ihrer Gesundheit und ihrer Figur arbeiten können. Gegen viel Bewegung und eine gesunde Ernährung lässt sich zunächst nichts Schlechtes sagen. Dennoch können die Botschaften der Influencerinnen für bestimmte Personen, vor allem junge Frauen, gefährlich werden.

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Carla, eine junge Frau, die an Magersucht erkrankte, sagte: "Ich sah auf Instagram, wie sportlich und schlank diese Frauen sind, und dachte mir: Wow, so muss ich auch sein." Dieses Denken habe sie krank gemacht: "Für mich war es immer eine Qual, ins Fitness zu gehen. Ich ging trotzdem, weil ich das Gefühl hatte, ich müsse das tun, um dieser Gesellschaft zu gefallen."

Influencer und Influencerinnen können oft unrealistische Körperideale transportieren und suggerieren, dass Nahrungsergänzungsmittel notwendig sind, um diese zu erreichen.

Sophia Thiel und ihr Kampf gegen die Bulimie

Auch die Fitness-Influencerin Sophia Thiel hat öffentlich über ihren jahrelangen Kampf gegen die Bulimie gesprochen. Sie enthüllte, dass der Druck, ständig anhand ihrer Figur beurteilt zu werden, ihre Essstörung noch verstärkt hat.

In der Fitnessbranche herrsche ein «klassischer Fleischbeschau», in der es nur darum gehe, wie durchtrainiert eine Person sei, klagt Sophia. Als sie 2017 erstmals beim World Fitness Day auftrat und dort sogar einen Weltrekord schaffte, sei in den Medien nur über ihr Gewicht geredet worden.

Thiel machte sich selbst Druck. Zu der Zeit habe sie die ersten grösseren Gewichtsschwankungen erlebt, worauf sich die Klatschpresse sofort gestürzt habe. Die Blondine selbst habe sich dabei den grössten Druck gemacht und sei sehr hart mit sich umgegangen, um einen Sixpack zu bekommen. Ihre Gefühle hätten die Bloggerin schliesslich überwältigt und sie habe gedacht: «Am liebsten wäre ich eine Maschine ohne Emotionen, dann müsste ich nichts empfinden und dann würde mich das Ganze nicht so treffen.»

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Über ihren Kampf mit ihrem Körper und ihrer Psyche hat die Influencerin ein Buch geschrieben. In «Come Back Stronger» schreibt sie darüber, wie sie dank einer Psychotherapie endlich einen Ausweg aus ihrem Körperwahn gefunden hat: «Das war das beste, was ich je hätte tun können. Ich würde es jedem da draussen empfehlen.»

Bigorexie: Muskelsucht als verzerrte Körperwahrnehmung

Neben Magersucht und Bulimie gibt es auch die sogenannte Bigorexie, auch Muskeldysmorphie genannt. Dabei handelt es sich um eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der Betroffene übermässig auf den Erhalt und Aufbau ihrer Muskulatur fixiert sind, die sie auch bei starker Ausprägung als schwach wahrnehmen.

Bei einer Umfrage im Auftrag der AOK gaben 38 Prozent der 18- bis 19-jährigen männlichen Befragten an, sich als zu leicht im Sinne von zu wenig muskulös wahrzunehmen. Gemessen an den Werten, die aus Alter, Grösse und Gewicht ermittelt wurden, entsprach diese Wahrnehmung nur bei acht Prozent der Realität.

Die Muskeldysmorphie ist eine spezielle Form der Körperdysmorphie, also eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers. Betroffene sind übermässig auf den Erhalt und Aufbau ihrer Muskulatur fixiert, die sie auch bei starker Ausprägung als schwach wahrnehmen.

Abgrenzung: Intensives Training oder schon eine Muskeldysmorphie?

Eveline Müller betont, dass allgemeine Informationen keine individuelle Einschätzung oder Diagnose ersetzen. Handlungsbedarf sieht sie, wenn das Training und die Beschäftigung mit dem eigenen Körper zwanghaft werden und der Alltag darunter leidet.

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Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rät, professionelle Hilfe aufzusuchen, wenn alle oder einige der aufgezählten Punkte zutreffen:

  • Training und Ernährung dominieren den Tagesablauf und die Gedanken.
  • Soziale Kontakte, Schule oder Beruf werden für das Training vernachlässigt.
  • Die körperliche und psychische Gesundheit werden durch Übertraining oder den Missbrauch von Anabolika und Nahrungsergänzungsmitteln gefährdet.
  • Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ist trotz offensichtlicher Trainingserfolge permanent spürbar.
  • Der Leidensdruck ist hoch.

Wege aus der Essstörung

Eine Therapie bei einer Psychologin oder einem Therapeuten ist oft der erste Schritt, um eine Essstörung zu überwinden. Es ist wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn man merkt, dass man ein problematisches Verhältnis zum Essen oder zum eigenen Körper hat.

Carla, die an Magersucht erkrankt war, begann eine Therapie bei einer Psychologin. Obwohl sie zweimal in der Woche zu ihr ging, half ihr die Behandlung nicht - im Gegenteil: «Meine Therapeutin hat sich stark auf eine gesunde Ernährung konzentriert und nicht realisiert, wie krank mein Denken bereits war.»

Nach der gescheiterten Therapie versucht Carlas Mutter sie von einem Klinikaufenthalt zu überzeugen. Carla ist dagegen. Sie will ihre Ausbildung als Kinderbetreuerin fortsetzen. Die Mutter gibt ihr eine letzte Chance: zunehmen oder Klinik. Carla kann heute nicht mehr genau sagen, was dann passiert ist - aber irgendwie konnte sie den Schalter umlegen, wie sie sagt: dank dem Druck der Mutter und dank ihrem Freund.

Es ist wichtig, sich von unrealistischen Schönheitsidealen zu distanzieren und sich auf die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden zu konzentrieren. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen kann hilfreich sein.

Hier bekommen Sie Hilfe: Wenn Sie selbst an einer Essstörung leiden oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, stehen Ihnen verschiedene Anlaufstellen offen.

Zunahme von Essstörungen seit der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat krankhaftes Essverhalten gefördert. Am Kinderspital Zürich hat sich die Zahl der Hospitalisationen von Jugendlichen mit Essstörungen mehr als verdoppelt. Auch Gabriella Milos und ihr Team stellen eine Zunahme in ihrer Klinik am Unispital fest, allerdings keine dramatische. «Erst wenn die Leute wirklich krank sind, kommen sie zu uns», sagt Milos.

Im Vergleich zu 2019 habe die Beratungszeit der AES um 25 Prozent zugenommen.

Tabelle: Warnzeichen für eine Essstörung

Bereich Warnzeichen
Körperliches Starker Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, Müdigkeit, Schwäche, Haarausfall, Ausbleiben der Menstruation
Psychisches Ständige Beschäftigung mit Essen und Gewicht, Angst vor Gewichtszunahme, negatives Körperbild, Gefühl von Kontrollverlust
Verhalten Restriktives Essverhalten, Essanfälle, Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, exzessiver Sport
Soziales Rückzug aus dem sozialen Leben, Isolation, Stimmungsschwankungen

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