Weichteilrheuma und psychische Ursachen: Ein umfassender Überblick

Das Fibromyalgie-Syndrom wird auch als “Faser-Muskel-Schmerz” oder “Weichteilrheuma” bezeichnet. Die Fibromyalgie ist als rheumatische Krankheit anerkannt, aber bei vielen noch komplett unbekannt. Das Krankheitsbild geht allerdings weit über die Weichteile (Muskeln, Sehnen, Faszien) hinaus. Die Fibromyalgie ist eine Krankheit mit Schmerzen in Bändern, Sehnen und Muskeln, Konzentrationsstörungen, depressiven Symptomen, Schlafstörungen und reduzierter körperlicher Leistungsfähigkeit.

In den westlichen Industriestaaten erkranken daran zwischen 1% und 5% der Bevölkerung, in der Regel im frühen und mittleren Erwachsenenalter. Frauen sind zwei- bis fünfmal häufiger betroffen als Männer. Selten entwickeln auch Kinder und Jugendliche eine Fibromyalgie. Die Krankheit kommt bei Personen mit entzündlichem Rheuma häufiger vor als in der Durchschnittsbevölkerung.

Was ist Weichteilrheuma?

Weichteilrheuma, Weichteilrheumatismus oder extraartikulärer Rheumatismus ist keine einzelne Erkrankung. Vielmehr handelt es sich um einen Sammelbegriff für verschiedene entzündliche und nicht-entzündliche, schmerzhafte Erkrankungen von Weichteilen des Bewegungsapparates. Zu diesen Weichteilen zählen vornehmlich:

  • Muskeln
  • Sehnen, Sehnenansätze, Sehnenscheiden
  • Bänder
  • Schleimbeutel
  • Faszien (Bindegewebe)
  • Fettgewebe

Nicht zum Weichteilrheuma gehören demnach Erkrankungen von Knochen, Gelenken und Gelenkknorpel - wie etwa die rheumatoide Arthritis.

Arten von Weichteilrheuma

Je nach rheumatischer Erkrankung betrifft das Weichteilrheuma den ganzen Körper oder nur umschriebene Körperstellen.

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Generalisiertes Weichteilrheuma

Das Weichteilgewebe kann diffus im ganzen Körper chronisch schmerzen. Dann verwendet man manchmal den Begriff „generalisiertes Weichteilrheuma“. Schmerzen vor allem der Muskeln und Sehnenansätze an verschiedenen Stellen des ganzen Körpers sind typisch für das Fibromyalgie-Syndrom (kurz: Fibromyalgie).

Lokalisiertes Weichteilrheuma

Beim lokalisierten (oder regionalen) Weichteilrheuma beschränken sich die Beschwerden auf bestimmte Bereiche des Körpers.

Symptome des Weichteilrheumas

Der Begriff Weichteilrheuma steht im Grunde für die Symptome der jeweiligen Krankheiten: chronische Weichteilschmerzen, die wiederholt oder anhaltend auftreten. Beim Fibromyalgie-Syndrom können die Schmerzen praktisch überall im Körper (in Weichteilen) spürbar sein, beim lokalisierten Weichteilrheuma sind sie auf einen umschriebenen Bereich begrenzt.

Oftmals sind die betroffenen Strukturen auch in ihrer Funktion beeinträchtigt (v.a. Bewegungseinschränkung). Je nach Art von weichteilrheumatischer Erkrankung sind noch weitere Symptome möglich.

  • Karpaltunnelsyndrom: Schmerzhaftes Einschlafen der Hände, besonders nachts; kribbelnde Missempfindungen in der Handfläche, später auch an den Fingern
  • Pannikulitis Pfeifer-Christian-Weber: Schübe mit schmerzhaften Knötchen im Unterhautfettgewebe (z.B. der Oberschenkel) und Allgemeinsymptomen wie Fieber, Müdigkeit
  • Fibromyalgie-Syndrom: Diffuse Weichteilschmerzen oft begleitet von weiteren Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden

Ursachen und Risikofaktoren

So vielfältig die Weichteilrheuma-Krankheiten sind, so verschieden sind auch deren Ursachen. Manchmal gibt es zudem nicht einen Auslöser allein, sondern es sind mehrere Faktoren an der Entstehung der Schmerzen beteiligt.

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  • Fehlbelastungen und Überlastung
  • Verletzungen
  • Andere rheumatische Erkrankungen
  • Sonstige Erkrankungen
  • Anatomische Besonderheiten
  • Medikamente
  • Psychische Faktoren: Vor allem chronische psychosoziale Stresszustände können an der Entstehung von weichteilrheumatischen Beschwerden beteiligt sein, etwa bei schmerzhaften, knotigen Muskelverhärtungen (Myogelosen).

Psychische Ursachen und Stress

Stress beeinflusst die Art und Weise, wie Schmerzen und andere Reize verarbeitet werden. Die Schmerz- und die Stressverarbeitung überlagern sich im Gehirn. Aufgrund dessen kann aus Sicht der Psychosomatik in der Kindheit erfahrener Stress später im Lebens ein Schmerzsyndrom verursachen.

Umgekehrt führen chronische Schmerzen wiederum zu Stress und depressiver Entwicklung. Ungefähr drei von vier Betroffenen leiden an einer schlummernden oder ausgeprägten Depression.

Diagnose von Weichteilrheuma

Es ist für Ärztinnen und Ärzte nicht immer leicht, die Erkrankung hinter Weichteilrheuma zu erkennen - die Beschwerden können sehr vielfältig sein.

Anamnese

Den Anfang der Diagnosefindung bildet ein ausführliches Gespräch zur Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Der Arzt oder die Ärztin lässt sich dabei vom Betroffenen alle auftretenden Beschwerden genau schildern und fragt zudem beispielsweise nach:

  • eventuellen Verletzungen
  • Vor- und Grunderkrankungen
  • Einnahme von Medikamenten
  • Beruf, häufig ausgeübter Tätigkeit
  • sportlichen Aktivitäten

Körperliche Untersuchung

Weitere Informationen gewinnen Ärztinnen und Ärzte aus einer körperlichen Untersuchung. Beispielsweise lassen sich Myogelosen als knoten- oder wulstförmige, begrenzte Verhärtungen in der Muskulatur ertasten. Drückt man auf die Verhärtungen, kann das sehr schmerzhaft für die Betroffenen sein.

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Besonders wichtig sind das Abtasten und Drücken bei Verdacht auf Fibromyalgie. Bei dieser Erkrankung reagieren nämlich bestimmte Stellen am Körper sehr empfindlich auf Druck ("Tender Points" oder Schmerzpunkte).

Weitere Untersuchungen

Je nach Art der Beschwerden und der vermuteten Ursache sind manchmal noch weitere Untersuchungen angezeigt - um die Verdachtsdiagnose zu bestätigen und andere mögliche Erkrankungen auszuschliessen. Einige Beispiele:

  • Bildgebende Verfahren wie Ultraschall, Röntgen, Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) oder Computertomografie (CT)
  • Blutuntersuchungen
  • Gewebeproben (Biopsien)

Fibromyalgie-Diagnosekriterien von 2016

  • WPI ≥ 7 und SSS ≥ 5 oder WPI 4-6 und SSS ≥ 9
  • Generalisierte Schmerzen in 4 von 5 Regionen
  • Symptome sind seit ≥ 3 Monaten vorhanden

Im Unterschied zu früheren Richtlinien ist die Fibromyalgie keine Ausschlussdiagnose mehr. Die Diagnose Fibromyalgie kann unabhängig von und zusätzlich zu anderen Diagnosen gestellt werden.

Therapie von Weichteilrheuma

Vor allem Art und Ausmass der Weichteilrheuma-Symptome sowie ihre Ursache (soweit feststellbar) bestimmen die Behandlung bei Weichteilrheuma.

Behandlung von Grunderkrankungen

Wann immer möglich, sollte bei weichteilrheumatischen Beschwerden die Ursache behandelt beziehungsweise beseitigt werden.

Weitere Therapie-Bausteine bei Weichteilrheuma

Es gibt weitere Therapiemassnahmen, die gegen Weichteilrheuma helfen können. Besonders wichtig sind diese, wenn sich die Ursache der Beschwerden nicht feststellen oder nicht behandeln lässt.

  • Kälte- und Wärmeanwendungen
  • Medikamente
  • Physiotherapie, Ergotherapie, Sport
  • Ruhigstellung und Schonung

Multimodale Therapie

Neuere Erkenntnisse sprechen für eine multimodale Strategie: die Kombination verschiedener Behandlungen und Selbsthilfemassnahmen zu einer individuellen Therapie. Weiterhin zentral bleibt die Patientenschulung mit dem Ziel, die Ressourcen der Betroffenen zu stärken (Empowerment) und ihnen medizinisches Wissen zu vermitteln.

Die multimodale Therapie der Fibromyalgie umfasst eine psychologische Therapie bzw. Beratung, körperliche Aktivitäten und Trainings, eine medikamentöse Therapie sowie ergänzende Behandlungen, auch solche der Erfahrungsmedizin.

Behandlungen und Selbsthilfe im Überblick

Teil einer multimodalen Therapie können im Prinzip alle Behandlungen und Selbsthilfemassnahmen sein, die die Symptome einer Fibromyalgie nachweislich lindern und deren Verschlimmerung abwenden. Dabei verfahre man nach dem Prinzip «Trial and error» (Versuch und Irrtum). Denn es kann niemand voraussagen, welche Mittel und Massnahmen bei wem wie anschlagen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie ist ein Sammelbegriff für diverse Therapieformen und Techniken, die auf eine Verhaltensänderung zielen. Die Grundidee besteht darin, negative, oft passive Verhaltens- und Reaktionsmuster auf Stress und Schmerz zu durchbrechen und sie durch positive, aktive Verhaltensmuster zu ersetzen.

Achtsamkeit und Entspannung

Bei einer Fibromyalgie zu empfehlen sind Achtsamkeitsübungen, Entspannungsverfahren, autogenes Training, Meditation und Selbsthypnose sowie Bewegungsmeditation in Form von Yoga, Pilates, Tai-Chi und Qi-Gong.

Angepasste körperliche Aktivitäten

Gemäss Studien vermag ein leichtes, regelmässiges Ausdauertraining die Schmerzen und die Müdigkeit einer Fibromyalgie zu reduzieren. Empfohlen werden Nordic Walking, Schwimmen, Wassergymnastik und Velofahren, sei es auf der Strasse oder dem Home-Trainer.

Weitere Selbsthilfe-Massnahmen

  • Energiemanagement (Pacing)
  • Schmerz-Tagebuch
  • Beziehungspflege
  • Trauma-Therapie
  • Ernährung

Medikamentöse Therapie

Es gibt kein Medikament gegen die Fibromyalgie, aber man kann sich die schmerzdistanzierende Wirkung gewisser Psychopharmaka zunutze machen. Zum niedrig dosierten Einsatz kommen etwa die Antidepressiva Amitriptylin, Duloxetin oder Fluoxetin.

Schmerzmittel

Gängige Schmerzmittel haben bei Fibromyalgie kaum oder gar keine Wirkung. Auf opiathaltige Schmerzmittel sollte man möglichst verzichten. Das einzige wirksame Medikament aus dieser Gruppe ist Tramadol.

Entzündungshemmer

Bei Schüben und starken Muskelverspannung können cortisonfreie Antirheumatika (NSAR) helfen. Sie wirken auf die entzündeten Strukturen des Bindegewebes ein und reduzieren so die Schmerzen.

Cannabis

Viele Menschen mit schwer behandelbaren Schmerzen schätzen die Hanfpflanze. Der berauschende Cannabis-Wirkstoff THC kann eine Schmerzdistanzierung bewirken und den Schlaf fördern. Dagegen hat der nicht-berauschende Cannabis-Wirkstoff CBD eine entzündungshemmende, entspannende, stimmungsaufhellende und angstlösende Wirkung.

Erfahrungsmedizin

Wie bei allen Erkrankungen mit hohem Leidensdruck und wenig wirksamen schulmedizinischen Therapiemöglichkeiten herrscht auch bei der Fibromyalgie eine hohe Nachfrage nach der komplementären oder alternativen Erfahrungsmedizin.

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Aspekte der Fibromyalgie zusammen:

Aspekt Beschreibung
Definition Chronisches Schmerzsyndrom mit Schmerzen in Muskeln und Bindegewebe
Symptome Weitverbreitete Schmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigungen
Ursachen Unbekannt, möglicherweise genetische Veranlagung, Stress, veränderte Schmerzwahrnehmung
Diagnose Klinische Diagnose, Ausschluss anderer Erkrankungen, WPI, SSS
Therapie Multimodal: Bewegung, Psychotherapie, Medikamente, Entspannungstechniken

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