Die Herkunftsangaben unter den Gesängen weisen auf die Verfasserschaft und Erstveröffentlichung bzw. älteste Quelle hin. Eine Jahreszahl in Klammern bedeutet, dass das Lied wahrscheinlich in diesem Jahr entstanden ist. Eine Reihe von Liedern stammt von mehreren Autoren oder aus verschiedenen Zeiten und Orten. Die Aufzählung solcher Angaben spiegelt den Weg der Überlieferung, den ein Lied durchlaufen hat.
Tempo und Grundschlag richten sich nach verschiedenen Gegebenheiten: Charakter von Text und Melodie, Grösse und Art des Raums, Anzahl der Singenden, Anlass, Absicht. Als Grundmass dient die über die Taktbezeichnung gesetzte Grundschlagangabe. Dabei berücksichtigen wir fliessende Übergänge zwischen dem Viervierteltakt und dem Halbegrundschlag (Vgl.
Die Sprache der Lieder wurde sorgfältig geprüft, insbesondere auch im Blick auf den Sprachwandel und das unterschiedliche Empfinden gegenüber altertümlichen Formulierungen. Die ursprüngliche Stimme der Autorinnen und Autoren wird so weit wie möglich respektiert und ihre ausgeprägte und meist bibelnahe Bildsprache nicht angetastet.
Zeitgenössische Autorinnen und Autoren wurden gebeten, eine Sprache zu wählen, die sich für eine Vielfalt von Gottesbildern offen hält und niemanden ausschliesst. So wurden alle neuen Liedtexte, die gegen die inklusive Sprache verstossen, den Autoren und Autorinnen zur Neubearbeitung zurückgegeben (143, 504). In einzelnen Fällen wurde in ökumenischer Absprache der Begriff «Herr» - falls er sich nicht auf Jesus Christus bezieht - durch «Gott» (304, 571) oder eine andere Umschreibung ersetzt. Wir glaubten auf diese Weise feministischen Kritiken entgegenkommen zu sollen, wo textliche Änderungen problemlos möglich waren.
Damit Kinder ihren Platz in der normalen Gottesdienstgemeinde leichter finden, sind einige wenige Dialektlieder aufgenommen worden. Einen ersten Überblick über die Vielfalt der musikalischen Formen bietet bereits das alphabetische Inhaltsverzeichnis im KG. Christus ist erstanden!
Lesen Sie auch: Ausdrucksstarke Verben der Freude
Der neun Gattungen umfassende Raster ist grobmaschig, erlaubt aber dennoch, ähnlich lautende Inzipits dem richtigen Gesang zuzuordnen. In diesem Raster scheinen die Psalmen nicht auf. Sie werden in einem eigenen Verzeichnis aufgeführt.
Eine sehr offene Gattung sind die «nichtliedmässigen Gesänge» (Gs). Sie umfassen viele unterschiedliche Gesänge, die nicht als eigentliche Strophenlieder bezeichnet werden können, z. B. diverse Gesänge von Taizé, Rufe, Akklamationen, durchkomponierte Propriumsgesänge (Gloria, Credo), Dialoge, liturgische Stücke usw.
Die erwähnten Kürzel betrachten die Gesänge aus einer funktionalen Optik. Anders zeigt sie sich aus einer zeitgeschichtlichen Persepktive. Sie verdeutlicht vor allem, wie Gattungen entstehen und sich weiter entwickeln.
- Gregorianik: Drei Messen → 58-173, div.
 - Cantica → vgl. S.
 - Kyrie-Tropen (Kyrie-Litanei) → 30. 4 (6 mal), 60 → vgl. S.
 - Leisen: 10 Lieder → vgl. S.
 - Kontrafakturen (weltl. Lied wurde zum geistl. 16.
 
In der Reformation wird das Lied zum katechetischen Vehikel. Der Buchdruck unterstützt die Breitenwirkung.
Becker-Psalter (luth. 17. Sie ist geprägt von den Schrecken des 30jährigen Krieges. Weltflucht und Sinnenfreude. Zeit fruchtbarsten Liedschaffens.
Lesen Sie auch: Freude wünschen: Tipps für Hochzeitskarten
21 Melodien aus diesem Jahrhundert wurden im 20. 18. In katholischen Gesangbüchern ist der pietitische Einfluss geringer als in der ref. Kritische Vernunft als oberstes Prinzip: Toleranz, Gewissensfreiheit. Pflichterfüllung. Lieder sind oft belehrend und moralisierend. Neubereimung von Lobwasser durch Matthias Jorissen. → 520, 531; Chr. Liedbestand aus dem 18. Jh.
Durch ein neues Geschichtsbewusstsein wird das wertvolle Liedgut früherer Epochen wiederentdeckt. Heinrich Bone → 356, 765; Fr. H. Ranke → 335; A. W. Vier Lieder aus Franz Schuberts Deutscher Messe → 47, 83, 110, 129 (Textbearbeitung unter Beibehaltung des Inzipts von G.
Das 20. Jahrhundert erbrachte dem KG den grössten Gesangsanteil. (rund 200 Gesänge, davon sind ca. 150 neu). Ein kleiner Teil hat seine Wurzeln in der Jugend- und Singbewegung nach dem 1. Weltkrieg, mehrheitlich aber hat das Singgut seinen Ursprung in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg.
Lieder entstanden aus aktuellem Anlass (Kirchentage, Jugendgottesdienste), aber auch im Zug neuer Kirchengesangbücher: EKG 1954, GL 1975, EG 1993 und zahlreicher freikirchlicher Publikationen. Darunter gibt es einige Übertragungen aus nicht deutschsprachigen Ländern.
Die Lieder können nach unterschiedlichen Kriterien aufgelistet werden: So beispielsweise nach zeitlicher Herkunft, nach Formen und Gattungen, nach ihrer Funktion usw. Im Folgenden wählen wir die Perspektive «Formen und Gattungen». Hinweise dafür sind Begriffe oder Kürzel wie: Kehrvers (Kv), Refrain (Rfr) und V/A. Damit werden nicht nur Formabläufe genauer bezeichnet, sondern Anstösse für diffenziertere Ausführungsmöglichkeiten angedeutet.
Lesen Sie auch: "Freude am Fliegen" im Detail
Das liturgische Grundgesetz vom dialogalen Austausch (Psalm, Psalmodie, Leitvers) ist auch im Lied wiederum vermehrt ein Thema. Er ist nicht neu, in der Unterhaltungsmusik ist er allgegenwärtig. Ein Schlager schlägt ein, wenn der Refrain hinhaut (Der Begriff «Schlager» wird davon abgeleitet).
Im responsorialen Singen (vgl. Kehrvers, Refrain) wird eine «psychodynamische Komponente» spürbar und wirksam: Das Singen wird interessanter, lebendiger, entlastender. Doch dies ist nicht alles. Das «Auf-einander-zu» ist wie alles liturgische Tun auf der Zeichenebene zu sehen. Erfahrungsgemäss dieses Zeichen im gemeinsamen Singen noch direkter und unmittelbarer als andere Zeichen, weil es schon im Formablauf gegeben ist.
V singt dann in der Regel den Vordersatz bis zum Mittelteil (oft Dominante), A singen den zweiten Teil bis zum Schluss (mit der Kadenz auf dem Grundton). Es gibt Lieder, in denen die Melodie ganz gezielt einer Textstruktur folgt, die in allen Strophen gleich angelegt ist und einen Wechsel zwischen den Ausführenden nahezu aufdrängt.
Einzelne Liedkompositionen greifen Liedmotive akklamatorisch auf. In manchen Fällen empfiehlt sich ein Wechsel zwischen V und A, weil die Gemeinde mit einem Teil des Liedes überfordert sein könnte, z. B. KG 68 Aus der Erfahrung mit der Vorauspublikation im Faszikel 94 (1994) weiss man, dass die beiden Synkopen im Vordersatz mit einer Gemeinde kaum zu schaffen sind. Der Nachsatz hingegen ist leicht und problemlos. Ein Wechsel ist hier auch textlich angebracht: V singt das Bekenntnis - A singen die Bitte.
In vielen liturgischen Gesängen ist die Ruf-Antwortstruktur im Wesen der Sache grundgelegt. So beispielsweise in allen Akklamationen (z. B. Amen, Halleluja) und Dialogformen (z. B. Im KG finden sich 8 Kyrie-Litaneien, die alle nach dem gleichen Schema (nach dem greg. Kyrie XVI) gebaut sind. V singt den Tropus - A singen das Kyrie bzw. Eine ähnliche Kyrie-Litanei bringt auch Nr. 60 mit acht verschiedenen Litaneiblöcken für verschiedene Zeiten und Anlässe im Kirchenjahr.
Auch andere Ordinariumsgesänge kennen aus langer Tradition den Wechselgesang. Vor durchkomponierten Gloria- und Credo-Gesängen scheuen viele Gemeinden zurück. Wir haben deshalb die Lösung der akklamatorischen Rufe aufgenommen, wie sie GL seinerzeit verwirklicht hat. Im Gloria 82 heisst der Ruf: «Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an». Im Credo 94: «Amen, wir glauben». Sogar ein Sanctus (117) baut einen Gemeinderuf ein («Hosanna dir in der Höhe»). Gloria (akklamatorische Antwort: Wir loben dich . . . Eigentlich dienen Wiederholungen immer der Intensivierung.
In Einzelfällen ist kein anderer Grund ersichtlich; ein zwingender Grund ergibt sich oft aus der Komposition nicht. 133: Die archaisch wirkende Melodie ist nach einem Vortrag durch V leicht nachzusingen. Möglicherweise stammt sie schon aus dem 13. Jh. Sie soll (nach W. Bäumker) 1278 in der Schlacht auf dem Marchfeld von deutschen Heer gesungen worden sein. So ist es denkbar, dass die des Lesens Unkundigen durchaus diese Form des Singens kannten.
Es fällt auf, dass nur Schöpfungen seit dem 20. Jahrhundert diese Form verwenden. Die ursprüngliche Herkunft von der Psalmodie scheint noch in einigen Stücken durch (39, 536, 538). Ihrer Einprägsamkeit wegen wird diese Form gern bei kindernahen Liedern verwendet (76, 180, 510, 581). Grundsätzlich wird man den Leitvers in all diesen Liedern gleich behandeln wie in der Psalmodie: Der Vorsänger singt den Kehrvers vor, die Gemeinde repetiert ihn, danach wird er nach jeder Strophe von der Gemeinde unvermittelt aufgenommen. In den meisten Gesängen drängt sich eine Solo- oder Chorausführung der Strophen auf.
Dem Refrainlied ist seit dem 12. Jahrhundert in der ganzen Liedgeschichte zu begegnen. Der Refrain steht bereits in den Psalmen (z. B. gen Gesängen in hohem Ansehen. Auch die Gregorianik kennt ihn (Karfreitags-Improperien). Prozessionshymnen weisen häufig einen Refrain auf. In einem weiteren Sinn refrainartig sind die Responsorien und der Einschub einer Antiphon zwischen die Psalmverse, wie dies heute noch im Invitatorium der Fall ist. Die Leisen sind Zeugen der frühen Bedeutung des Refrains im Kirchenlied.
Die Wirkung des Refrains lässt sich sehr gut in der Unterhaltungsmusik aufzeigen. Im Jazz spielt der «Chorus» eine wesentliche Rolle. Im Schlager ist der zum allgemeinen Mitsingen geeignete Refrain die Hauptsache der Komposition.
Untersucht man die einzelnen Refrains etwas genauer, ist ihre Funktion und Intention offenbar nicht immer dieselbe. Die Cantiones (14./15. Jh.: 345, 347) und Melodien des 18. Jh. (350) gehen damit anders um. Im Durchschnitt aber geht es meist um den einprägsamen Kerngedanken, den das Lied vermitteln möchte (335: «Kommt, lasset uns anbeten. . . »; 763: «Patronin voller Güte, uns allzeit behüte». ).
Über die Ausführung eines Refrainslied sagt die Gattung noch nichts aus. Im konkreten Fall legt die Form einen Wechsel zwischen V und A nahe (345, 347). Manchmal ist bei der Einführung eines neuen Liedes die schrittweise Aneignung der Melodie eine Hilfe. Die Gemeinde singt dann beispielsweise nur den Refrain und erst allmählich das ganze Lied. Es gibt auch andere Möglichkeiten, die Form etwas mehr zu betonen. Z. B. 445/447: Der Chor singt mehrstimmig die Strophen, die Gemeinde singt einstimmig das markante Halleluja.
Für liturgische Anlässe (Taufe) oder Feste (Heilige, Engel), die für die Gemeinde oder Gruppen eher selten sind, werden öfters sog. Leih-Melodien verwendet, d. h. Melodien von bereits bekannten und eingesungenen Liedern. Der Grund, weshalb Melodien austauchbar sind, ist die gleiche Strophenform. In zwei Fällen gibt das KG einen entsprechenden Hinweis: 333 «Ich steh an deiner Krippe hier» (J. S. Bach) kann auch mit der Melodie 356 (von M. Luther) gesungen werden. Die selten gebrauchte Melodie 358 «Ein Stern ist aufgegangen» kann auch durch die Leih-Melodie 305 (Es kommt ein Schiff geladen) ersetzt werden. Dies macht im weihnachtlichen Festkreis noch einigermassen Sinn. Im Übrigen aber ist wegen des geprägten Charakters von Liedern grosse Vorsicht geboten.
In der folgenden Liste findet sich eine Zusammenstellung des meist verwendeten Metrums im KG. Es ist dies die sog. «Ambrosianische Strophe», ein achtsilbiger Vierzeiler. Da mag es durchaus einmal angezeigt sein, mangels eines zeitgeprägten Hymnus in der Laudes oder Vesper ein geeignetes Lied zu wählen, das unter die Ambrosianische Hymnusmelodie Nr. 262 oder Nr. 284 passt. Beispielsweise an einem Kreuzfest Nr. 212, oder an Ostern Nr. 443.
Eine scharfe Definition für das NGL gibt bis heute nicht. Am besten lässt sich das Gesangsgut nach seiner Herkunft beschreiben: Kirchentagslieder, Lieder aus der Jugendgewegung, Gesänge aus Taizé und ostkirchliche Anleihen, Lieder aus der grenzüberschreitenden Ökumene usw. Die Gesänge verbindet auch kein einheitlicher Stil. Neben einfacher Mehrstimmigkeit aus Taizé und der Ostkirche, finden sich rhythmische anspruchsvollere, gelegentlich leicht swingende Gesänge, Übernahmen aus andern Ländern und Sprachen, herbe Kirchentonartlichkeit neben Zugeständnissen an zeitgenössische Ohrenfälligkeit.
Breit gesteut ist in dieser Gattung auch die formale Palette: Die bislang im Kirchengsang spärlich vertretene Gattung des Kanons (im KG 53 Stücke) eröffnet ein breites Verwendungsfeld. Inzipit-Kanons eröffnen oder durchsetzen ein Stophenlied, rufähnliche Kanons, Kanons als Leitverse, als Akklamationen oder meditative Einschübe bereichern den Gemeinde- und Chorgesang.
Die bereits angesprochenen responsorialen Singformen bieten neben dem Refrainlied Anreiz in kurzen oder längeren Rufen, tropierten Formen, Singsprüchen usw. Bei der Durchsicht der neuen Lieder fallen öfters auch sowohl eine neue Sprache und wie auch neue Thematiken auf, z. B. Die weltweite Ökumene zeigt sich in allen Gesangbüchern vermehrt auch durch Liedübernahmen (Übertragungen) aus andern Ländern.
Die kurzen Liedimpulse, verfasst von Mitarbeitenden des Liturgischen Instituts, wollen auf den spirituellen Reichtum christlichen Liedguts aufmerksam machen. Silvester. Mitternacht. Ökumenischer Gottesdienst zum Jahreswechsel. Wir singen ein Lied: "Wir gehn dahin und wandern, von einem Jahr zum andern; wir leben und gedeihen, vom alten zu dem neuen, durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und grosse Schrecken, die alle Welt bedecken." (Reformiertes Gesangbuch 548).
Ein altes Lied, wie die Sprache verrät. Der Text stammt aus dem 17. Jahrhundert, doch was er beschreibt, passt durchaus in unsere Zeit. Das Lied berührt mich, nicht allein der Text, sondern dass wir das Lied gemeinsam singen. "Wir singen ein Lied, und das Lied singt von uns", sagt der Philosoph Hans Schmid. Das Lied hat eine besondere Eigenschaft: Es macht etwas mit denen, die es singen.
Es berichtet nicht bloss sachlich, es erzählt nicht nur eine Gegebenheit aus eventuell längst vergangenen Tagen, sondern es sagt etwas über uns, die das Lied gerade singen: über das, was wir denken, fühlen, fürchten, hoffen, glauben. Im Gesang identifizieren wir uns ein Stück weit mit der Botschaft des Liedes, mit den Menschen, die es mit uns zusammen singen und mit denen, die es vor uns gesungen haben. Die Übereinstimmung denken wir uns nicht nur aus, sie geschieht tatsächlich, emotional und persönlich.
Während ich in das Neujahrslied einstimme, wird mir bewusst: Das haben Menschen schon vor bald 400 Jahren gesungen. Ihre Bitte von damals können wir ohne weiteres für uns übernehmen: "...und lass an allen Orten auf so viel Blutvergiessen die Friedensströme fliessen." Ihre Wünsche zum Jahreswechsel sind auch unsere Wünsche: "Sprich deinen milden Segen zu allen unsern Wegen; lass Grossen auch und Kleinen die Gnadensonne scheinen."
Singend nehme ich wahr, dass mein Leben, das Leben derer, die den Gottesdienst mitfeiern, in einem grösseren Zusammenhang steht, darin aufgehoben ist. Meine eigene Welt, meine Sorgen und Pläne werden dadurch relativiert, verlieren an Bedeutungsschwere. Vom gemeinsamen Singen geht etwas Tröstliches, Bestärkendes aus: Wir spüren, dass wir, die hier und jetzt leben, nicht allein sind, zufällig hineingeworfen in diese Welt, ausgesetzt den Wirren der Zeit; wir fühlen uns zugehörig zu einer grossen Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern im Glauben, vereint im gleichen Vertrauen und in einer gemeinsamen Hoffnung.
Weihnachten ist die hohe Zeit der Lieder. Das emotional wichtigste Fest im Jahr wäre nicht, was es ist, ohne das Singen und Musizieren in Familien, Schulen und Kirchen, auf Märkten, Strassen und Plätzen. Mit dem Ende der Festtage verklingen die Lieder weitgehend. Für viele Menschen bleibt Singen aber ein Bedürfnis, auch wenn heutzutage die Gelegenheiten dazu im Lebensalltag häufig fehlen.
Singen gehört zum Menschen, es ist seine «eigentliche Muttersprache» (Hermann Rauhe), die es ihm ermöglicht, die unterschiedlichsten Emotionen zu artikulieren und zu verarbeiten. JederMensch trägt die Fähigkeit zum Singen in sich. Ein Sprichwort drückt dies so aus: "Wenn du gehen kannst, kannst du tanzen. Wenn du sprechen kannst, kannst du singen." Wann und wo singen Sie? Unter der Dusche, im Auto, auf dem Fussballplatz, im Gospel- oder Kirchenchor?
Die Kirche ist einer der wenigen Orte, wo heute noch ungezwungen und ohne besondere musikalische Ansprüche und Erwartungen das Singen gepflegt wird, nicht nur an Weihnachten und Neujahr, sondern das ganze Jahr über. Christinnen und Christen können nicht anders, als ihre Glaubenserfahrungen, Freude und Dankbarkeit ebenso wie Bitte und Klage, mit lauter Stimme, in Form des Gesangs, miteinander zu teilen und vor Gott zu tragen. Denn was sich nicht allein in Worte fassen lässt, davon singt ein Lied.
Singen ist eine intensive Form des Betens, ein Beten mit Leib und Seele. "Wer singt, betet doppelt", soll der Kirchenlehrer Augustinus gesagt haben. Die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus erschienen ist, betrifft uns existentiell. Sie ist zu grossartig, als dass sie mit nüchtern sachlicher Sprechstimme weitergesagt werden kann; sie mussjubelnd und singend verkündet werden. Davon zeugt das Gloria der Engel an Weihnachten ebenso wie das Halleluja an Ostern.
Gesänge begleiten die Christinnen und Christen durchs Leben. Über die Jahrhunderte sind in der Kirche ein grosser Schatz an Liedern und eine Vielfalt an unterschiedlichen Gesangsformen entstanden. In ihnen sind Lebens- und Glaubenserfahrungen "gespeichert", die wieder lebendig werden, jedes Mal wenn wir uns die Lieder singend und hörend zu Eigen machen.
Die ältesten Lieder - Psalmen, Hymnen und Cantica - stammen aus biblischer Zeit. Ihre Texte bilden bis heute die Grundlage und Inspirationsquelle christlichen Gesangs. Zum bestehenden Liedgut kommen ständig neue Gesänge hinzu, denn der Glaube heutiger Menschen verlangt nach einer zeitgemässen sprachlichen und musikalischen Gestalt.
Das Thema des Lobpreises hat uns so viel Kraft geschenkt, dass wir beschlossen haben, es auch dieses Jahr wieder ins Zentrum zu stellen … Und wir gedenken Mère Genevièves, die vor 75 Jahren nach Grandchamp kam. Sie war immer wieder inspiriert von dem Lob Gottes inmitten der Schöpfung. Dies gilt für uns heute noch. In den Bergen können wir Menschen unseren wahren Platz finden. Als winziger Punkt an den Hängen der Gipfel werden wir uns bewusst, dass wir ganz abhängig sind von Gott und der Natur, die uns umgibt. Und das Lob Gottes steigt ganz von alleine in uns auf.
Die Retraite unserer Gemeinschaft begann Frère Richard von Taizé mit folgenden Worten: „In Taizé gibt es eine Linde, auf der sitzt jeden Morgen und jeden Abend eine Amsel und singt. An unserem guten Platz können wir Gott loben für das, was er ist, so wie die Amsel auf ihrem Baum. Solche Momente des Lobpreisens stärken in uns den inneren Menschen. Denn innere Kämpfe schliessen den Lobpreis keineswegs aus.
Wenn wir sie annehmen und es wagen, uns in die Stille in uns zurückzuziehen, dann kann Lob in uns aufsteigen. Dies stellt ein Risiko dar. Denn die Stille entblösst uns und lässt unsere Masken fallen. Nackt stehen wir dann unserer Geschichte gegenüber. Doch wenn wir bereit sind, uns unter Gottes Blick zu stellen, erhellt sich der Raum dieser inneren Kämpfe nach und nach, mit allem, was sie an Dunkelheit, an Gewalt, an Schmerz und manchmal an Abgründen mit sich führen. Licht kann dann einsickern und sogar Licht der Auferstehung werden.
Loben und loslassen, einfacher werden, sind miteinander verbunden. Sie lassen uns menschlicher, ehrlicher, freier und verwundbarer werden und machen uns damit empfänglicher für die anderen und für Gott, den ganz anderen. Jean Vanier, der in diesem Jahr gestorbene Gründer der Arche-Gemeinschaften, war ein wichtiger Zeuge dieser Verwundbarkeit und hat sie sein ganzes Leben lang im Zusammenleben mit Menschen mit einer geistigen Behinderung in den Mittelpunkt gestellt.
Lob Gottes, das überfliesst in allumfassende Liebe! Begegnungen solcher Qualität erfordern eine Arbeit in unserem Inneren, an der Beziehung zu Gott, zu uns selber, zu den anderen, zur Natur. Papst Franziskus nennt dies eine ganzheitliche Ökologie. Er fasst seine Enzyklika Laudato Si mit den Worten zusammen: „Alles ist Gabe, alles ist miteinander verbunden.“ Elena Lassida fügte hinzu: „Alles ist verletzlich.“
Lobpreis sein ist weit mehr als Gottes Lob singen. Irgendwie bedeutet es, ganz in der Gegenwart gegenwärtig zu sein, um darin das Leben zu entdecken: in der Güte, der Schönheit in der Schöpfung und in jedem Menschen. Es ist eine innere Haltung, eine Achtsamkeit gegenüber allem, was lebt. Da gibt es nichts zu tun, es ist ein Werden. Wenn ich das Lob Gottes in mir nachhallen lasse, spüre ich, dass es seine Wurzeln im Kreuz Jesu Christi hat.
Gott hat uns geschaffen, damit wir ihm Ehre erweisen … Dieses Thema hat mich das ganze Jahr über getragen und genährt. Die Litanei, in der wir singen „Du, der du uns rufst, Lobpreis zu sein auf Erden“ drückt alles aus und tröstet mich sehr. Doch trotz allem bleibt immer der Lobpreis eine innere Kraft, die uns drängt, aufrecht und fest zu bleiben, um zu loben. Ich denke auch an jene Art des Lobpreisens ganz ohne Worte, wenn ich mir Zeit nehme, das Leben in Gottes Welt zu geniessen: den Geschmack bestimmter Früchte auskosten, dem Gesang eines Vogels lauschen, voller Bewunderung einem Sonnenuntergang zuschauen … Ich lasse mich von der Welt inspirieren, den zu loben, der ihr Herr ist.