Impfungen und Autismus: Eine Untersuchung des Zusammenhangs und der Forschungslage

Die Falschinformation über einen angeblichen Zusammenhang zwischen der Masern-, Mumps- und Röteln-Impfung (MMR) und Autismus hält sich mit bemerkenswerter Beharrlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch der Gesundheitsminister der USA, Robert F. Kennedy Junior, äussert sich immer wieder kritisch in Bezug auf die Sicherheit von Impfungen, sieht einen Zusammenhang mit Autismus und hat kürzlich den Rückzug einer dänischen Studie gefordert, die zeigt, dass Aluminium in Impfungen keinen Autismus verursacht.

Die Wakefield-Studie und ihre Folgen

In der genannten Studie suggerierten Wakefield et al. eine kausale Beziehung zwischen der MMR-Impfung, Darmentzündungen und Autismus bei Kindern. Obwohl die Studie durch The Lancet 2010 zurückgezogen wurde, der Hauptautor Andrew Wakefield 2010 seine Zulassung als Arzt verlor und die Forschung schliesslich gar als betrügerisch eingestuft wurde, hält sich die darin postulierte Falschinformation über einen angeblichen Zusammenhang zwischen der Masern-, Mumps- und Röteln-Impfung (MMR) und Autismus mit bemerkenswerter Beharrlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung.

Doch die veröffentlichte Studie gelang spätestens 2004 öffentlich in Verruf, als Brian Deer seinen ersten Artikel in der Sunday Times darüber veröffentlichte. Von da an berichtete der Investigativjournalist über 15 Jahre hinweg über den Skandal und publizierte 2020 schliesslich ein Buch mit dem Titel «The Doctor who fooled the world». Die vielen Artikel von Deer, sein Buch und zahlreiche weitere Zeitungsartikel beschrieben allesamt, dass die Studie nicht nur eindeutige methodologische Schwächen aufwies (z.B. die mit 12 Kindern viel zu kleine Stichprobe, keine statistische Analyse), sondern dass Wakefield zudem verschiedenen Interessenkonflikten unterlag und sogar Daten fälschte, um seine schon im Vornherein getroffenen Hypothesen nur noch bestätigen zu können. Gleichzeitig zeigen zahlreiche veröffentlichte wissenschaftliche Artikel klar, dass kein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus besteht.

Warum halten sich Falschinformationen?

Lewandovsky et al. führen verschiedene Gründe auf, weshalb Personen Falschinformationen als wahr empfinden und auch Berichtigungen, sobald die Falschinformation einmal geglaubt wird, oft nicht wirksam sind. Menschen verwenden oft sogenannte Heuristiken, also mentale Abkürzungen, um mit geringem Aufwand Entscheidungen zu treffen oder Urteile zu fällen. Dabei handelt es sich um vereinfachte Denkstrategien, die zwar in den meisten Situationen funktionieren, aber manchmal zu systematischen Denkfehlern führen können.

Laut den Autoren entscheiden Personen oft anhand vier kognitiver Prozesse, ob sie einer Information Glauben schenken oder nicht. Eine Information wird eher als wahr empfunden, wenn die Information:

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  1. mit den anderen Überzeugungen der Person im Einklang steht;
  2. sie in ein breiteres, kohärentes Narrativ passt;
  3. durch jemanden kommuniziert wird, die der Person glaubwürdig erscheint;
  4. im Umfeld der Person oft wiederholt wird und dadurch der Eindruck erweckt wird, es bestünde ein sozialer Konsens darüber.

Lewandovsky et al. (2012) beschreiben verschiedene Gründe, warum Richtigstellungen in der Folge oft wirkungslos bleiben. Ein Grund besteht darin, dass Menschen oft zusammenhängende Erklärungsmodelle aus verschiedenen Informationen konstruieren. Wird eine zentrale Fehlinformation korrigiert, entsteht eine Lücke in ihrem Verständnis. Um ein kohärentes Modell aufrechtzuerhalten, verlassen sie sich weiter auf die falsche Behauptung.

Zudem kann die wiederholte Erwähnung von Falschinformationen (auch in Richtigstellungen) diese vertrauter machen («Familiarity Effect») und kann paradoxerweise den Glauben daran verstärken.

Strategien zur Verringerung von Falschinformationen

Trotz der Herausforderungen gibt es mehrere Strategien, mit denen sich die Auswirkungen von Falschinformationen verringern lassen können. Zum Beispiel können wiederholte Berichtigungen helfen, aber nur wenn die Berichtigung darauf fokussiert, die korrekten Fakten zu bekräftigen, und nicht darauf, die Falschinformationen einfach zu wiederholen (dies könnte zum paradoxen «Familiarity-Backfire-Effekt» führen). Die Widerlegungen müssen zudem einfach verständlich sein.

Schliesslich ist es wirksam, eine alternative, plausible Erklärung, die die durch den Widerruf von Falschinformation entstandene Verständnislücke füllt, zu liefern. Berichtigungen können zudem besonders erfolgreich sein, wenn sie die Motivation hinter einer Falschinformation erklären.

Ursachen und Risikofaktoren von Autismus-Spektrum-Störungen

Die Ursachen einer Autismus-Spektrum-Störung und deren Geschlechterunterschied sind noch nicht abschliessend erklärt. Dabei ist zu erwähnen, dass nicht eine einzelne Ursache für eine Autismus-Spektrum-Störung verantwortlich ist, sondern mehrere Faktoren zusammenwirken. Im Folgenden werden die zwei hauptsächlichen Risikofaktoren beschrieben:

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Genetische Risikofaktoren

Der genetische Risikofaktor wird als eine der Hauptursache für eine Autismus-Spektrum-Störung betrachtet. Leidet ein Elternteil an einer Autismus-Spektrum-Störung, so erhöht sich das Risiko, dass ein Kind ebenfalls davon betroffen sein kann. Ein weiterer Hinweis für den genetischen Einfluss auf die Autismus-Spektrum-Störung ist, dass bei eineiigen Zwillingen (identisches Erbgut) in der Regel beide Kinder betroffen sind.

Verschiedene Studien schätzen die Erblichkeit einer Autismus-Spektrum-Störung auf zwischen 40 bis 80 %. Die Erblichkeit einer (psychischen) Störung ist besonders schwierig abzuschätzen, weil sich das Erbgut eines Menschen im Laufe des Lebens verändert. So können Veränderungen (Mutationen) am Erbgut die Aktivität eines Genes verändern und die Entwicklung einer Zelle verändern. Diese Phänomene sind ein Teilbereich der epigenetischen Forschung und haben ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung von psychischen Störungen.

Schwangerschaft

Die Schwangerschaft ist eine sehr vulnerable Phase im (beginnenden) Leben eines Kindes. Deshalb ist die Schwangerschaft und deren Umstände ein Risikofaktor für die Entstehung einer psychischen Störung. Über verschiedene Studien hinweg fanden Forscher heraus, dass sich das Risiko einer Autismus-Spektrum-Störung erhöht, je älter die Eltern bei der Schwangerschaft sind.

Ausserdem können besonders physische und psychologische Vorerkrankungen (und deren Medikation) der Mutter ein Risikofaktor darstellen, wie zum Beispiel Typ-I-Diabetes, Autoimmunerkrankungen, Allergien oder Asthma. Immer wieder werden folgende andere mögliche Ursachen für eine Autismus-Spektrum-Störung genannt: Impfungen (besonders gegen Masern, Mumps und Röteln), Magen-Darm-Erkrankungen des Kindes oder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Diese Risikofaktoren wurden jedoch in zahlreichen Studien als eine mögliche Ursache für eine Autismus-Spektrum-Störung ausgeschlossen.

Aluminium in Impfstoffen und Autismus

Dass gängige Impfstoffe Aluminium enthalten, verursacht bei vielen Eltern Unbehagen. In vielen Impfstoffen wird Aluminium als Wirkverstärker (Adjuvans) eingesetzt, um die Immunantwort des Körpers auf den Impfstoff zu verbessern. Eine grosse dänische Studie gibt nun Entwarnung: Sie fand kein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen, Allergien oder neurologische Entwicklungsstörungen bei geimpften Kindern.

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Das Forschungsteam vom Statens Serum Institut in Dänemark analysierte die Daten von über 1,2 Millionen Kindern, die zwischen 1997 und 2018 geboren worden waren. Aus den Gesundheitsregistern konnten die Forscher und Forscherinnen ermitteln, wie viel Aluminium die Kinder bis zum zweiten Lebensjahr über alle Impfungen insgesamt aufgenommen hatten.

Die Ergebnisse verglichen sie mit der Häufigkeit von insgesamt 50 chronischen Erkrankungen in den ersten fünf Lebensjahren der Kinder: 36 Autoimmun-, 9 allergischen sowie 5 neuroentwicklungsbedingten Störungen (wie ADHS). Besonders im Fokus standen Autismus-Spektrum-Störungen und ADHS - auch hier zeigte sich kein erhöhtes Risiko für die geimpften Kinder. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit für eine entsprechende Störung war bei Kindern, die mehr Aluminium-haltige Impfungen erhalten hatten, sogar etwas geringer als bei weniger häufig geimpften Sprösslingen.

Bei seinen Berechnungen hatte das Team mögliche Störfaktoren miteinbezogen, die das Erkrankungsrisiko beeinflussen könnten. Dazu zählen Geburtsjahr und -jahreszeit, Geschlecht, Geburtsgewicht, Alter der Mutter bei der Entbindung, Rauchen, Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme der Mutter während der Schwangerschaft sowie Anzahl der Besuche in der hausärztlichen Praxis vor dem zweiten Lebensjahr.

Die Masernimpfung und ihre Bedeutung

Die unzureichende Impfrate trägt zu den anhaltenden Masernfällen in der Schweiz bei. Bei Masern handelt es sich um eine hoch ansteckende Krankheit, die durch eine Virusinfektion verursacht wird. Die Krankheit kann sich beim Husten, Niesen oder sogar beim Atmen leicht von einer Person auf eine andere übertragen. Darüber hinaus können Viruspartikel bis zu 2 Stunden lang in der Luft verweilen. Um die Ansteckungsfähigkeit von Masern zu verdeutlichen: eine infizierte Person kann das Virus auf bis zu 90 % der nicht immunen Personen in ihrer Umgebung übertragen.

Bei Personen, die sich mit Masern infiziert haben, treten Symptome in der Regel innerhalb von 10-14 Tagen nach der Exposition auf, wobei ein auffälliger Hautausschlag das sichtbarste Zeichen einer Maserninfektion ist. Zu den frühen Symptomen von Masern gehören Husten, eine laufende Nase, eine Entzündung der Mundschleimhaut mit typischen roten Flecken sowie rote und tränende Augen. Diese Symptome halten in der Regel 4-7 Tage an. Der für Masern charakteristische Ausschlag beginnt in der Regel 7-18 Tage nach der Ansteckung und tritt im Gesicht und am oberen Hals auf. In den folgenden Tagen breitet er sich über den ganzen Körper aus, bis er schlussendlich die Hände und Füsse erreicht. Der Ausschlag bleibt 5-6 Tage bestehen, bevor er abklingt.

Der 1963 entwickelte und 1971 verbesserte Masernimpfstoff (als er mit Mumps und Röteln kombiniert wurde) ist der beste Schutz gegen Masern. Kinder können ihre erste Dosis des Masernimpfstoffs mit 9 Monaten und die zweite Dosis im Alter von 12 Monaten erhalten. Eine einzige Dosis schützt zu 93 % vor Masern, zwei Dosen erhöhen die Wirksamkeit auf 97 %. Die Masernimpfung ist die beste Möglichkeit, Sie und Ihr Kind vor einer Ansteckung zu schützen und dazu beizutragen, einen weiteren Ausbruch zu verhindern.

Epidemiologie des Autismus: Inzidenz und Prävalenz

In den Neunzigerjahren stieg die Anzahl der Autismusdiagnosen bei Kindern stark an. Studien belegen das für Grossbritannien, die USA und Dänemark. Vor 1990 wurde Autismus nur bei wenigen Kindern diagnostiziert. Zusammengenommen zeigen die publizierten Studienresultate, dass es in den Neunzigerjahren gleichzeitig in den USA, Grossbritannien und Dänemark einen dramatischen Anstieg der Anzahl von Kindern mit Autismusdiagnose gab. Zusätzlich lieferten sie äusserst überzeugende Evidenz, dass die MMR-Impfung nicht die Ursache dieses Anstiegs war.

Wir haben in einer 20-Jahres-Studie die jährliche Autismusrate bei Kleinkindern anhand der GPRD-Einträge von rund 1000 Hausärzten in Grossbritannien untersucht. Wir konnten zeigen, dass die kumulative Inzidenz des Autismus bei Kindern, die zwischen 1988 und 1995 geboren worden waren, zu steigen begann und von einem niedrigen Niveau um mehr als das Fünffache anstieg. Die Inzidenz flachte dann ab und erreichte ein Plateau bei Kindern, die zwischen 1996 und 2001 geboren worden waren.

In den USA hatte sich das CDC für eine andere Methode entschieden: Hier erfasst man Jahr für Jahr die Prävalenzrate von Kindern im Alter von 8 Jahren, die irgendwann zuvor als autistisch diagnostiziert wurden. Für 2000 und 2002 berechnete man eine jährliche Prävalenzrate von 6,7 und 6,6/1000. Ab 2004 stieg die Prävalenzrate stetig, bis sie 2008 11,3/1000 betrug, ein Anstieg um 78 Prozent seit 2004.

Es ist wahrscheinlich, dass zumindest ein Teil des frühen Anstiegs der Autismusdiagnosen bei Kindern in den Neunzigerjahren zum einen auf die Änderung und die Ausweitung der diagnostischen Kriterien zurückzuführen ist (wodurch ein breites Spektrum an Störungen einbezogen wurde) und zum anderen auf die erhöhte Aufmerksamkeit bei Ärzten wie Bevölkerung bezüglich des Autismus.

Zunahme der Autismusfälle: Ursachen und Erklärungen

Nicht nur in den USA ist die Zahl der Autismusdiagnosen gestiegen. Das Phänomen tritt weltweit auf. Wie erklären sich Fachleute die Zunahme der Fälle? Und was ist bereits bekannt zu den Ursachen von Autismus?

Vielmehr stecke ein komplexes Zusammenspiel von genetischen Veranlagungen und Umwelteinflüssen dahinter. Der Vorwurf, die Impfung führe zu Autismus, gehe auf eine gefälschte Studie aus den 1990er Jahren zurück, die längst zurückgezogen worden sei. Mehrere Untersuchungen haben inzwischen einen Zusammenhang zwischen dem Masern-Impfstoff und Autismus ausgeschlossen.

Studien haben gezeigt, dass der Anteil der genetischen Faktoren an der Entstehung von Autismus bei 80 bis 90 Prozent liegt. Zudem gelten Schwangerschaftsdiabetes, gewisse Epilepsie-Medikamente und Luftverschmutzung als Risikofaktoren. Doch nichts davon dürfte für den massiven Anstieg der Autismusfälle in den vergangenen Jahren ausschlaggebend gewesen sein.

Ein Teil des Anstiegs lässt sich damit erklären, dass die Menschen in den Industrieländern immer später Eltern werden. Denn das Risiko, ein autistisches Kind auf die Welt zu bringen, steigt mit jedem Lebensjahr des Vaters und der Mutter.

Vor allem aber, davon sind die meisten Experten überzeugt, ist die Zunahme der Diagnosen auf eine erhöhte Sensibilität für das Störungsbild und auf veränderte Definitionen zurückzuführen. Die beiden international anerkannten Handbücher zur Klassifikation psychischer Störungen, das DSM und das ICD, haben ihre Definitionen für Autismus immer wieder angepasst.

Unter anderem zeigte eine dänische Untersuchung aus dem Jahr 2015, dass 60 Prozent des Anstiegs von Autismusdiagnosen bei Kindern auf Änderungen der Diagnosekriterien und einen stärkeren klinischen Fokus auf Autismus zurückzuführen waren.

Das gesellschaftliche Bild von Autismus hat sich verändert. Heute wissen mehr Menschen, was Autismus ist. Das Stigma ist kleiner geworden, die Diagnose hat eine gewisse Attraktivität entwickelt und eine Abklärung wird auch in leichten Fällen angestrebt.

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