Therapie bei Psychose und Sucht gleichzeitig

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sucht ist eine komplexe Krankheit mit vielfältigen psychischen, physischen und sozialen Konsequenzen. Ärzten kommt in der Behandlung und Betreuung eine wichtige Rolle zu. In unserer Serie zu neuen Entwicklungen in der Suchtmedizin möchten wir Ihnen den aktuellen Forschungsstand in der Neurobiologie, der Pharmakotherapie und der Psychotherapie in ausgewählten suchtmedizinischen Krankheitsbildern aufzeigen.

In diesem Artikel wird auf der Grundlage von Metaanalysen und Übersichtsarbeiten ein Überblick über wirksame Interventionen psychosozialer Behandlungen von Patienten mit Suchterkrankungen und komorbiden psychischen Störungen gegeben. Dabei wird zwischen Sucht und schwereren (z.B. Psychosen, bipolare Erkrankungen) und leichteren (z.B. Angststörungen, Depressionen) psychischen Störungen unterschieden.

Obwohl vor über 25 Jahren systematisch mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Wirksamkeit psychosozialer Behandlungen von Patienten mit einer Komorbidität von psychischen Störungen und Suchterkrankungen begonnen wurde, wird bis in jüngste Zeit die Behandlung dieser auch Doppeldiagnosepatienten (DDP) genannten Gruppe als eine «Mission impossible» bezeichnet (1). Dieses entmutigende Verdikt einer «unmöglichen Aufgabe» scheint aus wissenschaftlicher Sicht weniger in den Studienergebnissen begründet zu sein, als vielmehr in der Art und Weise, wie diese Resultate zustande gekommen sind. Denn das grösste Problem der Studien ist ihre Heterogenität: Die Untersuchungen unterscheiden sich in den Patienten-, Behandlungs-, Setting- und Ergebnisvariablen derart stark, dass es kaum möglich ist, zwei vergleichbare Studien zur selben Fragestellung zu finden.

So definierten sie jene als schwere DDP, die zum Beispiel unter einer Psychose und unter Mehrfachabhängigkeit von Substanzen litten, und als leichte DDP jene, die zum Beispiel lediglich eine Spinnenphobie und Cannabismissbrauch aufwiesen (2). Allerdings hat diese Einteilung bis heute weder für die Diagnostik, Ätiologie und Indikation noch für die Behandlung deutliche Vorteile gebracht, zumal auch der grösste Teil der Wirksamkeitsforschung hinsichtlich psychosozialer Behandlungen bei Patienten mit schweren psychischen Störungen (v.a. Schizophrenie und schizoaffektive Störungen) durchgeführt wurde. In den Überblicksartikeln wurde festgestellt, dass die Anzahl Untersuchungen von leichteren DDP erstaunlich gering ist.

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Der erfolglose Versuch dieser Systematik hat dazu geführt, dass heute weniger von DDP gesprochen wird, sondern dass vielmehr die Kombinationen der beiden (oder auch mehr) Störungen explizit erwähnt und Therapien für spezifische Störungskombinationen entwickelt werden (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen und Sucht).

Heterogenität in der Behandlung

Ähnliche Heterogenität findet sich in der Behandlung. Es konnten nur gerade 14 randomisiert-kontrollierte Studien zu diesem Thema gefunden werden, wobei zum Teil auch Patienten mit anderen psychischen Störungen (z.B. bipolare Störungen) eingeschlossen wurden.

Unter integrativer Behandlung werden Programme verstanden, in denen Interventionen für die verschiedenen Störungen in einem gemeinsamen Erklärungs- und Therapiemodell aufeinander bezogen und auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt werden. Die Behandlung der psychischen Störung und der Suchterkrankung findet zur selben Zeit, im selben Behandlungssetting und durch dieselben Behandlungspersonen statt. Meist bestehen erfolgreiche Programme aus einer Kombination von bestimmten Interventionen wie etwa motivierender Gesprächsführung, kognitiver Verhaltenstherapie, Rückfallprävention, Kontingenzmanagement, Case Management und/oder Familieninterventionen.

Komorbidität von schweren psychischen Störungen und Sucht

Unter schweren psychischen Störungen werden meistens psychotische Störungen, einschliesslich Schizophrenie, schizophreniformer und schizoaffektiver Störungen, bipolarer Störungen und schwerer Depressionen verstanden (4). Drake und Kollegen haben wiederholt systematische Überblicksarbeiten zur Wirksamkeit von Behandlungsangeboten für schwere DDP vorgestellt (5). Sie stellen dabei fest, dass integrative Programme, die ihren Schwerpunkt auf das Einbinden der Patienten durch motivierende Gesprächsführung legen, erfolgreich sind, wenn sie ein gestuftes Programm zur Umsetzung und Stabilisierung von Verhaltensänderungen anbieten.

Es zeigt sich zwar in der Literatur ein uneinheitliches Bild bezüglich Wirksamkeit psychosozialer Behandlungen, aber wenn schwere DDP lange in stationären Behandlungen verweilen, in das Behandlungssystem integriert werden können und die Behandlungen gestuft erfolgen, sind gute Ergebnisse berichtet worden, wenn sie Komponenten wie motivierende Gesprächsführung, kognitive Verhaltenstherapie in Kombination mit Kontingenzmanagement, Rückfallprävention, Familienintervention und Case Management enthielten.

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Leichtere Formen von Komorbidität

Unter leichteren Formen von Komorbidität psychischer Störungen und Sucht werden Angststörungen und leichte bis mittelgradige Depressionen und Störungen durch Substanzkonsum verstanden (4). Bis heute sind nur gerade 7 kontrollierte Studien publiziert, die integrative Behandlungen von Depression und komorbider Sucht untersuchten. Sie ergaben, dass die Patienten der Experimentalgruppe im Vergleich zu Kontrollgruppen mit Standardbehandlungen eine stärkere Verbesserung im Substanzkonsum und in den Depressionssymptomen sowie eine grössere Veränderungsmotivation und einen längeren Verbleib in den Behandlungen aufwiesen (7). In einem Überblick zur Behandlung von Angststörungen und Sucht fand Hesse, dass integrative Behandlung im Allgemeinen die Abstinenztage erhöht, tendenziell die Angstsymptome verringert und die Haltequote verbessert (8). Er schloss dennoch, dass psychosoziale Interventionen allein für eine erfolgreiche Behandlung dieser Komorbiditätsform nicht genügen und dass dafür andere Interventionen als die bisher untersuchten nötig sind, um noch stärkere und anhaltende Verbesserungen zu erzielen.

In der Komorbiditätsforschung nimmt die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine Sonderstellung ein, da sie die am häufigsten untersuchte Angststörung ist. Ihre Behandlung kann in die drei Phasen Stabilisierung, Konfrontation und Reintegration eingeteilt werden, wobei in der Konfrontationsphase die Exposition, das heisst die vertiefte Auseinandersetzung mit der traumatischen Erfahrung, als Standardtherapieform angesehen wird. Lange wurde von Klinikern empfohlen, Exposition erst nach erfolgreicher Stabilisierung der psychischen Symptomatik anzuwenden. Diese Empfehlung wurde zunehmend relativiert.

Heute stehen uns integrative Behandlungsprogramme zur Verfügung, in denen bereits früh in der Behandlung mit Expositionen begonnen wird. Gleichzeitig erfolgen Interventionen zur Reduktion des Suchtmittelkonsums. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend (9). Für die Stabilisierungsphase gibt es nur ein effektives, mittlerweile etabliertes Behandlungsprogramm.

Persönlichkeitsstörungen und Sucht

Für Persönlichkeitsstörungen ist die psychosoziale Behandlung, insbesondere die störungsspezifische Psychotherapie, die Behandlung der ersten Wahl. In Bezug auf diese Komorbidität liegen ebenfalls nur sehr wenige kontrollierte Studien vor. Der Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der komorbiden Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Die vorhandenen Studien sind schwer miteinander vergleichbar, weil sie sehr heterogen hinsichtlich der Merkmale der Patienten, der Programme und Interventionen, der Settings, der Intensität und der Ergebnisvariablen sind. Dies macht aus wissenschaftlicher Perspektive eine gesicherte Schlussfolgerung schwierig. Hinzu kommt, dass die Studien vorwiegend aus den USA, einige aus Kanada, Australien oder Grossbritannien, aber nur selten aus Kontinentaleuropa stammen. Jüngst wurde deswegen versucht, eine europäische Perspektive einzunehmen und einen umfassenden Überblick zum Thema Komorbidität abzuliefern (13). Im deutschen Sprachraum sind nur wenige Monografien erschienen (14, 15).

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Dualdiagnose: Wenn Suchterkrankungen und Schizophrenie gleichzeitig auftreten

Wenn Sucht von Schizophrenie begleitet wird, spricht man von einer Dualdiagnose. Bei einer Dualdiagnose muss die Therapie beiden Krankheitsbildern gerecht werden. Problematisch ist hierbei, dass sich die beiden Erkrankungen gegenseitig negativ verstärken.

Bei der häufig festgestellten Dualdiagnose handelt es sich um das gemeinsame Auftreten von Suchterkrankungen und Schizophrenie. Im Einzelfall muss unterschieden werden, ob die Sucht oder die schizophrene Erkrankung im Vordergrund steht. Oft versuchen Patientinnen oder Patienten durch die Einnahme von Drogen die Symptome einer Schizophrenie selbst zu therapieren. Dies führt leider nicht zum Erfolg, sondern zu einer Abhängigkeit von diesen Substanzen. Im weiteren Verlauf entwickelt die entstandene Sucht eine Eigendynamik.

Die beiden Krankheitsbilder beeinflussen sich gegenseitig negativ und führen oft zu massiven finanziellen und sozialen Problemen, die bis hin zum Verlust von Wohnung, Beruf, Freunden und Familie reichen.

Um eine Dualdiagnose festzustellen, bedarf es einer sorgfältigen Erhebung der Krankengeschichte. Zudem helfen Angaben aus dem Umfeld des Erkrankten dabei, eine Suchterkrankung ans Licht zu bringen. Wenn gleichzeitig eine akute schizophrene Episode vorliegt, erschwert dies die Diagnosestellung. In diesem Fall sind die Patienten oder Patientinnen in ihrem Denken und ihrer Wahrnehmung so stark eingeschränkt, dass sie keine verlässlichen Angaben zu ihrem Drogenkonsum machen können.

Die Therapie von Patientinnen und Patienten mit einer Dualdiagnose ist eine besondere Herausforderung, da sich die Symptome der beiden Erkrankungen gegenseitig negativ beeinflussen. Notwendig ist ein integrierter Behandlungsplan, der beiden Krankheitsbildern gerecht wird. Je nach Patient oder Patientin muss individuell entschieden werden, ob die Sucht oder die Schizophrenie im Vordergrund steht. Anhand dieser Entscheidung gestaltet sich das weitere Vorgehen in der Behandlung. Nach Abklingen der akuten Psychose wird in einem zweiten Schritt die Suchterkrankung behandelt. Da es bei Patientinnen oder Patienten mit Schizophrenie häufig zu Einschränkungen der kognitiven und sozialen Fähigkeiten kommt, ist eine Anpassung der suchttherapeutischen Behandlung notwendig.

Die Dualdiagnose wird an allen unseren Standorten behandelt - ambulant und tagesklinisch - in Pfäfers, St.Gallen und Wil auch stationär.

Entgegennahme von Anmeldungen an den Standorten Pfäfers und Wil werktags von 8.00 - 17.00 Uhr besetzt, davor und danach diensthabender Arzt, diensthabende Ärztin.

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