Therapieformen bei ADHS

Wenn eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung vorliegt, wird die Behandlung mit der betroffenen Person und ihren Eltern besprochen. Dabei wird einerseits dargelegt, welche Optionen es gibt, aber auch die Präferenzen der beteiligten Personen berücksichtigt. Die Therapie wird den individuellen Symptomen und Einschränkungen angepasst.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine Entwicklungsstörung, die sowohl Kinder als auch Erwachsene betrifft. Sie ist durch Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet, die das alltägliche Leben erheblich beeinträchtigen können. Die Behandlung von ADHS verfolgt das Ziel, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Hierbei kommen sowohl pharmakologische als auch nicht-pharmakologische Ansätze zum Einsatz.

Nach jahrelangen Diskussionen haben auf ADHS spezialisierte Psychiater und Pädiater in Europa und Nordamerika (grösstenteils) übereinstimmende Leitlinien und die multimodale Therapieform zur Behandlung der neurobiologischen Störung entwickelt. Die multimodale Therapie, die eine Kombination aus verschiedenen Behandlungsformen darstellt, gilt hierbei als der aktuelle Goldstandard und repräsentiert den wissenschaftlich anerkannten Standard in der Behandlung von ADHS.

Bestandteile der multimodalen Therapie

Die drei Bausteine der multimodalen Therapie basieren auf Psychoedukation, Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie. Das bedeutet, dass nach individuellem Bedarf sowohl auf der emotional-seelischen Ebene, als auch auf der verhaltenstherapeutischen, pädagogischen und medizinischen Ebene unterstützt werden soll. Die Umsetzung wird je nach Spezialist unterschiedlich gehandhabt und gewichtet.

Psychoedukation

In jedem Falle sollte die Psychoedukation Teil der Behandlung sein. Mit der Psychoedukation wird ein umfassendes Bild von ADHS vermittelt. Grundsätzlich geht es um erste Massnahmen und Verständnis. Die Psychoedukation hilft, mit ADHS besser umzugehen. Man geht davon aus, dass je besser das Umfeld ADHS versteht, desto besser können alle mit dem ADHS umgehen.

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Bei der Psychoedukation wird mit den betroffenen Personen und gegebenenfalls ihren Eltern die Krankheit sowie ihre Behandlung besprochen. Die Krankheit wird näher erklärt bezüglich ihrer Ursachen, des Verlaufs und dem Störungsbild. Abgesehen von den Beeinträchtigungen, die durch die Krankheit entstehen, wird auch besonderer Wert auf die Stärken des Patienten gelegt. Im therapeutischen Prozess ist es auch ein Ziel der Behandlung, diese Stärken für die betroffene Person und das Umfeld wahrnehmbar zu machen. Auf dieser Grundlage werden Strategien erstellt, welche sowohl die Beeinträchtigungen als auch die Stärken eines Patienten berücksichtigen, und besprochen, wie diese Strategien am besten umgesetzt werden können. Auf der Grundlage einer Psychoedukation werden den betroffenen Personen genügend Informationen vermittelt, um eine gemeinsame Lösungsfindung zu ermöglichen.

Bei Kindern wird deshalb oft das schulische Umfeld mit einbezogen, ebenso die Eltern, beispielsweise mit einem Elterntraining. Auch werden praktische Massnahmen für den Alltag mitgegeben, zum Beispiel Achtsamkeitsübungen oder Hilfen für die Familien-Struktur. Psychoedukation heisst auch, ein Umfeld zu schaffen, welches Menschen mit ADHS beispielsweise mehr Ruhe ermöglicht.

Psychotherapie

Psychoedukation beinhaltet Aufklärung und Beratung, Psychotherapie umfasst therapeutische Massnahmen mit den Betroffenen und deren Eltern. Im Rahmen einer psychosozialen (therapeutischen) Intervention kommt es dann zu einer konkreten Hilfestellung und Anleitung, wie mit der Krankheit umgegangen werden kann.

Nebst der Psychoedukation gehört auch eine therapeutische Intervention zum multimodalen Ansatz. Als Entscheidungsgrundlage dient hierfür die Frage nach dem Leidensdruck. Wo sind momentan die grössten Herausforderungen und «Energiefresser» im Familiensystem auszumachen?

Je nach Thema kann eine Verhaltenstherapie hilfreich sein. Dabei lernen Menschen mit ADHS das Denken, Fühlen und Handeln zu lenken. Eine tiergestützte Therapie, Ergotherapie, eine Lerntherapie, ein Sozialtraining oder ein Coaching für das Kind oder die ganze Familie kann helfen, in die Selbstwirksamkeit zu kommen und Handlungsplanung zu erlernen.

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Pharmakotherapie

Zusätzlich ist die Pharmakotherapie ein elementarer Bestandteil der Behandlung dieses Störungsbildes. Zur multimodalen Therapie können auch Medikamente gehören. Diese werden ausschliesslich durch entsprechend ausgebildeten ärztlichen Fachpersonen eingesetzt. Ausserdem ist eine ausführliche Rücksprache und Einwilligung durch Eltern und Kind Voraussetzung. Wichtig ist auch, dass das Medikament richtig eingestellt ist, weshalb die Einnahme immer von medizinischen Fachpersonen begleitet werden muss.

Die in Kapitel 2 beschriebenen genetischen, neuroanatomischen und neurophysiologischen Veränderungen stehen in engem Zusammenhang mit einer verminderten Verfügbarkeit von Botenstoffen (Transmittern) in bestimmten Hirnarealen. Das betrifft vor allem Dopamin und Noradrenalin. Durch die Anwendung bestimmter Psychopharmaka kann dieser Mangel behoben werden.

In der psychopharmakologischen Behandlung stellen die Stimulanzien (u.a. Methylphenidat) die Behandlungsmethode der ersten Wahl dar. Die Wirksamkeit konnte in vielen Studien belegt werden. Andere Medikamentengruppen, die eingesetzt werden können, sind Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (Atomoxetin) und Antisympathotonika (Guanfacin). Die Verordnung sollte durch qualifizierte Fachärzte*innen erfolgen, z.B. Kinder- und Jugendpsychiater*innen.

Richtig eingestellte Medikamente bei ADHS verändern nicht die Persönlichkeit, sie unterstützen dabei, die Aufmerksamkeit zu verbessern. Die innere Unruhe und äussere Hyperaktivität soll verringert werden.

Behandlung nach Schweregrad

Die Behandlung wird dem Schweregrad der Krankheit angepasst.

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  • Leichter Schweregrad: So empfiehlt sich für die Behandlung einer ADHS von einem leichten Schweregrad vor allem eine psychosoziale Intervention. Dazu zählen auch kindzentrierte Interventionen. Eine Pharmakotherapie wird eingesetzt, wenn diese Massnahmen nicht wirksam sind.
  • Mittlerer Schweregrad: Bei einer ADHS von einem mittleren Schweregrad sollte eine intensivierte psychosoziale Behandlung oder eine Pharmakotherapie im Vordergrund stehen. Eine Kombinationstherapie wird empfohlen.
  • Schwerer Schweregrad: Bei einer ADHS von einem schweren Schweregrad wird an erster Stelle eine Pharmakotherapie empfohlen. Eine intensivierte psychosoziale Therapie sollte ergänzt werden.

Ausserdem kann eine psychosoziale Therapie auch nach einer Pharmakotherapie sinnvoll sein, zum Beispiel wenn die Symptomatik nicht vollständig zurückgegangen ist.

Was ist eine psychosoziale Intervention?

Bei einer psychosozialen Intervention werden psychologische, psychotherapeutische und soziale Massnahmen angewendet, welche ADHS oder gegebenenfalls komorbide Störungen vermindern. Die Interventionen werden direkt am Patienten oder seinen Bezugspersonen durchgeführt, es kann aber auch sein näheres oder weiteres Umfeld mit einbezogen werden.

Behandlungsempfehlung je nach Alter

  • Vorschulalter: Wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind im Vorschulalter handelt, sollten vor allem Elterntrainings, Elternschulungen und Elternberatungen in Betracht gezogen werden. Mithilfe dieser Interventionen wird es den Eltern ermöglicht, ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu entwickeln, ihr Erziehungsverhalten anzupassen und die Beeinträchtigung des Kindes zu vermindern. Es sollten auch Pädagogen und Pädagoginnen der Kindertagesstätte oder des Kindergartens geschult werden, um einen optimalen Umgang mit betroffenen Kindern zu erlangen. Zusätzlich können auch kindzentrierte Interventionen angeboten werden. Eine Pharmakotherapie ist in dieser Altersgruppe möglich, sollte jedoch sorgfältig überprüft werden.
  • Schulalter oder Jugendlicher: Wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind im Schulalter oder einen Jugendlichen handelt, sind auch hier Elterntrainings, Elternschulungen oder Elternberatungen indiziert. Auch eine Schulung der Lehrpersonen wird empfohlen, um ihnen einen besseren Umgang mit betroffenen Kindern oder Jugendlichen zu ermöglichen. Zusätzlich kann auch eine Verhaltenstherapie (kognitiv-behaviorale Intervention) des Kindes oder Jugendlichen angeboten werden. Bei Kindern im Schulalter oder Jugendlichen mit einer moderaten bis schweren Symptomatik wird in erster Linie eine Pharmakotherapie empfohlen. Die anderen oben aufgeführten Interventionen sollten ebenfalls ergänzt werden.

Weitere Therapieformen

Zur Behandlung einer ADHS werden eine Vielzahl von Therapiemöglichkeiten angeboten. Nicht alle Therapieformen sind wirksam. Der Einsatz mancher Behandlungen kann sogar von Nachteil sein, wenn dadurch nachweisbar wirksame Verfahren nicht angewendet werden. Die Anwendung von Neurofeedback oder spezifischer Diäten kann für einzelne Patienten*innen hilfreich sein. Die bisherigen Studien zeigen hierfür jedoch keine ausreichende Wirksamkeit, so dass von einer Anwendung als generelle Intervention abgeraten wird oder nur in Kombination mit wirkungsvollen Therapien.

Wichtige Aspekte bei der medikamentösen Therapie

Bevor ich etwas über die Medikation erzähle, bitte ich die Eltern, mir einfach kurz zuzuhören, wobei ich folgende Punkte betone: «Die Entscheidung, ob Ihr Kind ADHSMedikamente bekommt oder nicht, fällen nur Sie, nicht die Schule und schon gar nicht der Arzt, sondern nur Sie allein. Das Ziel der Medikamente ist, dass sich das Kind besser konzentrieren und seine Impulse besser kontrollieren kann. Dabei darf das Wesen des Kindes nicht verändert werden. diese Medikamente aus ihrem Kind einen Zombie machen könnten. Ja, das ist möglich, nämlich dann, wenn wir die Medikamente überdosieren. Und das ist natürlich ein absolutes No-Go.»

Anschauliche Vergleiche helfen, den Eltern und dem Kind das Wesentliche der ADHS-Medikamente verständlich zu machen: «Diese Medikamente lassen sich mit einer Brille vergleichen. Ich selbst habe eine ausgeprägte Seh­ schwäche. Wenn ich morgens aufstehe, sehe ich sehr schlecht. Dann ziehe ich meine Brille an und funktioniere über den ganzen Tag. Abends lege ich meine Brille wieder ab und bin dann sozusagen wieder im Originalzustand. Genauso ist es auch mit diesen Medikamenten. Sie wirken einige Stunden und dann sind sie wieder weg.»

Im Rahmen der Informationen über die Diagnose ADHS sollte man erwähnen, dass bei Personen mit ADHS im Frontalhirn zu wenig Botenstoffe (Neurotransmitter) vorhanden sind. Damit wird verständlich, dass genau hier die Wirkung der Medikamente einsetzt. Das Entscheidende ist der Leidensdruck. Ohne Leidensdruck braucht es keine Medikamente.

Laut Studien haben die Medikamente etwa bei 80 Prozent der Kinder mit ADHS eine positive Wirkung. Teilweise findet man bereits in der ersten Konsultation die richtige Dosierung mit dem richtigen Medikament. Leider ist das die Ausnahme. Häufig sieht man positive, aber auch negative Wirkungen. Nun gilt es, die Einstellung so zu optimieren, um eine möglichst gute Wirkung bei möglichst wenig Nebenwirkungen zu erreichen. Der Wechsel auf ein anderes MPH-Präparat, beispielsweise Methylphenidat Mepha in der gleichen Dosierung, ist eine Möglichkeit, falls mit dem vorhergehenden P­ räparat eine gute Wirkung erzielt wurde.

Trotz eingehender Forschung in den letzten Jahren gibt es nach wie vor keine zuverlässigen Biomarker, mit denen die perfekte Medikation für ein bestimmtes Kind vorhergesagt werden kann. Somit funktioniert die Einstellung der Medikation nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Es gilt hier sehr gut auf die Kinder und die Eltern zu hören und immer wieder nachzufragen. Beispielsweise ist es entscheidend, wann gewisse Nebenwirkungen auftreten: Bekommt ein Kind regelmässig 1 bis 2 Stunden nach der Einnahme der M­ edikation Bauchschmerzen, so spricht dies für eine Überdosierung. Bekommt ein Kind jeweils nachmittags um 15 Uhr Kopfschmerzen, so spricht das für eine Reaktion auf das Nachlassen der Wirkung. In diesem Fall sollte auf ein Medikament gewechselt werden, das eine längere Wirkungsdauer hat oder bei dem die Wirkung weniger steil abfällt.

Anders als bei Antibiotika, die in mg pro kg Körpergewicht dosiert werden, ist die Dosierung der ADHS-Medikamente individuell sehr unterschiedlich. Diese Dosierung gilt es nun herauszufinden. Auch hier passt wieder der Vergleich mit der Brille: So wie der Optiker zuerst ein dünnes Glas ausprobiert und dann immer dickere Gläser einsetzt, startet man bei den Medikamenten mit einer Minimaldosierung, um dann bis zu einer optimalen Wirkung aufzudosieren.

Ich starte immer mit 5 mg MPH (Medikinet® MR 5 mg). Dieses Präparat enthält 50 Prozent schnell wirksames MPH und 50 Prozent retardiertes MPH. führen. Unterdessen erlauben die Leitlinien auch die Aufdosierung mit Retardpräparaten. Das hat sich sehr gut bewährt. Bei den meisten Menschen wirkt Medikinet® MR etwa 5 bis 7 Stunden. Da der Stoffwechsel der Patienten sehr unterschiedlich schnell arbeitet, gibt es Personen, bei denen die Wirkung schon nach 3 bis 4 Stunden abflacht.

Ich erstelle für die Eltern eine Liste mit Vorschlägen für die Medikation für die nächsten 2 Wochen. Nach 2 Tagen Medikinet® MR 5 mg steigere ich für 2 Tage auf 10 mg und dann alle 2 Tage um weitere 5 mg. Nach 2 Wochen erfolgt eine Konsultation zusammen mit dem Kind. In dieser Situation ist es wichtig, dass Fragen oder Unsicherheiten sofort geklärt werden können.

Beim MPH gibt es keine Maximaldosierung, ab der Nebenwirkungen auftreten. Auch wenn man immer wieder liest, dass 1 mg/kg Körpergewicht eine optimale MPH-Dosierung sei, richte ich mich nur nach den positiven und negativen Wirkungen der jeweiligen Dosis. Solange sich das Kind wohlfühlt, die Eltern keine psychischen Veränderungen im Sinne einer Ruhigstellung bei ihm beobachten und Puls und Blutdruck normal sind, kann die Dosis gesteigert werden. So gibt es durchaus Primarschüler, bei denen sich erst mit 50 bis 60 mg/Tag MPH eine gute Wirkung zeigt.

Zwei Wochen nach Beginn der Medikation sehe ich das Kind mit seinen Eltern in der Sprechstunde. Ich wende mich zuerst an das Kind und frage, was es von den Tabletten spürt. Gerade im Primarschulalter geben die Kinder oft an, nichts von der Medikation zu spüren. Ich frage gezielt nach Nebenwirkungen. Wenn auch diese verneint werden, sind die Eltern mit ihren Beobachtungen an der Reihe. Häufig bekomme ich folgende Rückmeldung: Die Hausaufgaben werden viel schneller erledigt, insgesamt haben wir viel weniger mühsame Diskussionen. Das Kind sei ausgeglichener und habe weniger Wutausbrüche. Dann frage ich das Kind, ob es diese Beobachtungen auch gemacht hat. Oft bestätigen die Kinder die Aussagen der Eltern.

Sollen die Lehrpersonen bei der Medikamenteneinstellung miteinbezogen werden und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt? Wenn immer möglich, sollten die Beobachtungen der Lehrpersonen miteinbezogen werden. Im Idealfall wird die Lehrperson von Anfang mit ins Boot genommen. Das funktioniert aber nicht, wenn die Lehrperson kategorisch gegen ADHS-Medikamente eingestellt ist. Glücklicherweise ist dies nur selten der Fall. ­Öfters informieren die Eltern die Lehrperson primär nicht, und fragen nach 2 Wochen nach, wie es so laufe in der Schule.

Umgang mit Nebenwirkungen

Wie immer gilt es, offen und transparent zu kommunizieren, ohne dabei den Teufel an die Wand zu malen. Mir ist es wichtig, zu betonen, dass alle Nebenwirkungen, die auftauchen können, nur so lange andauern, wie das Medikament wirkt; sie sind also reversibel. Zudem treten die Nebenwirkungen sofort auf. Hier bietet sich wieder der Vergleich mit der Brille an: Habe ich eine unpassende Brille auf, spüre ich das sofort und nicht erst nach zwei Monaten.

Die häufigste Nebenwirkung ist der Appetitverlust während der Wirkungsdauer des Medikamentes. Oftmals ist es so, dass die Kinder über die Mittagszeit wenig essen. Am späteren Nachmittag verspüren sie grossen Hunger. Häufig wird dann nachgeholt, was tagsüber zu wenig gegessen wurde. Teilweise kann es abends sogar zu ­regelrechten «Fressattacken» kommen, die dann von den Betroffenen und den Eltern auch negativ erlebt werden können. Nicht selten normalisiert sich dieses Phänomen nach einigen Wochen regelmässiger Medikamenten­ einnahme.

Eine andere Nebenwirkung, die häufig genannt wird, ist die Einschlafstörung. Dazu kommt es insbesondere dann, wenn der Zeitpunkt des Einschlafens mit dem Nachlassen der Medikamentenwirkung zusammenfällt. Hier ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Medikamenteneinnahme nicht zu spät erfolgt.

Die ADHS-Medikation kann nicht nur auf die Konzentration Auswirkungen haben, sondern auch auf die Gefühlslage. Es gibt Kinder, die sich mit den Medikamenten glücklicher und ausgeglichener fühlen. Es gibt aber auch diejenigen, die sagen, dass sie sich zwar besser konzentrieren könnten, sich aber schlechter fühlten. Diese Kinder empfinden, nicht mehr sie selbst, sondern emotional eingesperrt zu sein. Andere Kinder fühlen sich normal, werden aber von aussen als sehr ruhig oder als fast depressiv wahrgenommen. Das ist natürlich nicht das Ziel der ­Medikation.

Im Zusammenhang mit den möglichen Nebenwirkungen sollte auch der Reboundeffekt angesprochen werden. Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, das besonders bei den Stimulanzien vorkommt. Mit dem Nachlassen der Medikamentenwirkung kann es zu einem emotionalen Chaos im Sinne einer depressiven Verstimmung oder zu massiven aggressiven Ausbrüchen kommen.

Dauer der Medikamenteneinnahme

Oft werde ich gefragt: «Wie lang muss mein Kind dieses Medikament nehmen»? Meine Standardantwort lautet: «So lang, wie es das Medikament braucht.» Bei den meisten Kindern ist das die gesamte Dauer der Schulzeit. Nach dem Übergang in die Lehre ist der Bedarf individuell ­unterschiedlich: Manche Jugendliche benötigen das ­Medikament zwar noch in der Gewerbeschule, aber nicht mehr bei der Arbeit, weil diese idealerweise spannend ist, sodass die eigene Basisaufmerksamkeit ausreicht, um gute Leistungen zu erbringen.

Man soll das Medikament dann nehmen, wenn man es braucht. Dieser Satz gilt auch im Alltag. Es gibt viele Betroffene, die ihre Medikamente nur an den Schultagen und nicht am Wochenende oder in den Ferien einnehmen. Davon rate ich ab, falls das Medikament eine positive Wirkung auf die emotionale Befindlichkeit hat. Die Kinder und ihre Familien sollen sich auch in der Freizeit wohlfühlen. Wird das Medikament hingegen primär zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit eingesetzt, kann es am Wochenende ohne negative Folgen weggelassen werden.

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