Soziales Kompetenztraining für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung

Während der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters stellen erhöhte soziale Anforderungen spezifische Herausforderungen für Personen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) dar.

Bedeutung der frühen Förderung

So individuell sich Autismus zeigt, es gibt pädagogisch-therapeutische Massnahmen, die sich allgemein bewährt haben. Dabei gilt: «Je früher eine gezielte Förderung und Unterstützung einsetzt, desto besser für die Entwicklung des Kindes», sagt HfH-Dozent Matthias Lütolf. Auffälligkeiten sind für das geschulte Auge bereits im ersten Lebensjahr zu erkennen, wenn das Kleinkind etwa kaum auf seinen Namen reagiert oder Blickkontakt aufnimmt. Unterstützend sind Methoden wie Verhaltenstherapien oder Visualisierungshilfen.

Für Kinder stellt sich gleich nach der Diagnose die Frage: «Wie kann mein Kind optimal unterstützt werden?». Die Wahl der richtigen Fördermassnahmen ist immer vom Alter und Entwicklungsstand des Kindes und der Schwere der autistischen Symptome abhängig. Bei jungen Kindern mit frühkindlichem Autismus sind intensive verhaltenstherapeutische Programme am besten untersucht. Andere intensive Früh-Förderungen sind eher spieltherapeutisch orientiert. Alle Programme haben eine klare Struktur, es wird täglich mehrere Stunden mit dem Kind 1:1 gearbeitet. Damit soll die Entwicklung des Kindes möglichst breit gefördert werden.

Heilpädagogische Früherziehung

«In der Heilpädagogischen Früherziehung werden Kinder mit Behinderungen, mit Entwicklungsverzögerungen, -einschränkungen oder -gefährdungen ab Geburt bis maximal zwei Jahre nach Schuleintritt mittels Abklärung, präventiver und erzieherischer Unterstützung sowie angemessener Förderung im familiären Kontext behandelt.» (EDK, 2007) Aufgrund dieser Definition der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) richtet sich die Heilpädagogische Früherziehung (HFE) an Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten und an Kinder, deren Entwicklung gefährdet ist. Mögliche Auffälligkeiten können sich in der geistigen, sprachlichen, motorischen, emotionalen, sozialen und in der Wahrnehmungsentwicklung zeigen.

Heilpädagogische Früherziehung bietet diesen Kindern ab Geburt bis spätestens zwei Jahre nach Schuleintritt Förderung, sowie deren Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen Beratung und Begleitung an.

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Aufgaben und Angebote der Heilpädagogischen Früherziehung im Kontext Autismus-Spektrum-Störung

Heilpädagogische Früherzieherinnen und Früherzieher kommen immer wieder mit Kindern in Kontakt, bei welchen ein Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung besteht oder welche Verhaltensweisen aus dem Autismus-Spektrum zeigen. In diesen Situationen ist es die Aufgabe der Fachperson, frühe Hinweise auf eine Autismus-Spektrum-Störung zu kennen und beobachten zu können. Neben dem allgemeinen Wissen zu Besonderheiten des Autismus-Spektrums erhält dabei die Anwendung von Screening-Instrumenten wie dem M-Chat, dem VSK oder dem EEFA durch die Fachpersonen eine besondere Bedeutung.

Das Ziel soll dabei eine klarere Einschätzung der Situation sein, auf deren Basis in Absprache mit den Eltern die weitere Abklärung an einer Autismus-Fachstelle eingeleitet werden kann. An dieser Abklärung nimmt die Heilpädagogische Früherziehung aktiv teil, indem sie ihre Erfahrungen und Beobachtungen schildert, allenfalls Videos von Spiel- und Alltagssequenzen einbringt und so garantiert, dass der Informationsfluss aufrecht erhalten bleibt.

Die Beratung der Eltern ist ein zentrales Angebot der Heilpädagogischen Früherziehung. Ein umfangreiches Wissen über Autismus-Spektrum-Störungen ist dabei unerlässlich. Neben der Empfehlung des weiteren Vorgehens und der Koordination der weiteren Abklärungsschritte in Zusammenarbeit mit den Autismusfachstellen geht es in diesem Prozess auch um das Aufzeigen der Möglichkeiten und Grenzen der Heilpädagogischen Früherziehung in der Förderung und Begleitung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen.

Das allgemeine Angebot der Heilpädagogischen Früherziehung beinhaltet grundsätzlich individuelle Fördermöglichkeiten, welche auch bei Kindern mit Autismus-Spektrum- Störungen bedeutsam sind. Diese orientieren sich an der allgemeinen Entwicklung des Kindes und bieten unter anderem motivierende Lernsituationen, strukturfördernde Angebote, kommunikationsspezifische Förderinhalte und alltagsunterstützende Hilfestellungen für die Familien.

Es können zusätzlich spezifische Methoden einbezogen werden, die sich als besonders unterstützend bei einer Autismus-Spektrum-Störung erwiesen haben. In der Arbeit der Heilpädagogischen Früherziehung sind dies zum Beispiel verschiedene Methoden wie TEACCH oder PECS, die Förderung im Bereich der Unterstützten Kommunikation (UK) oder auch der Einbezug von Hilfsmitteln bzw. Förderprogrammen aus dem Bereich der digitalen Medien. Fragen zur Förderung sind grundsätzlich in enger Zusammenarbeit mit den Autismusfachstellen zu klären.

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Soziale Kompetenztrainings

Gezielte gruppenbasierte soziale Kompetenztrainings haben sich als wirksame therapeutische Interventionen für Kinder und Jugendliche im autistischen Spektrum erwiesen.

Im Sozialkompetenz-Training sammeln Kinder im Alter von ca. 9 - 13 Jahren positive zwischenmenschliche Erfahrungen und soziale Lernerfolge. Sie lernen spielerisches Verhalten und einen sozialen Umgang. Anhand von Beispielen erlernen sie umgangssprachliche Kommunikation. Je nach Bedürfnis der Gruppe werden spezielle Themen ausgewählt. In einer Gruppe sind maximal acht Kinder. Es wird für eine ruhige und lernfördernde Atmosphäre gesorgt. Im Training werden lebenspraktische Situationen geübt.

Für Jugendliche und Erwachsene wollen in erster Linie ihre sozialen Kompetenzen verbessern. Das soll ihnen helfen, das Denken und Fühlen ihrer Mitmenschen besser zu verstehen und sich in Gruppen besser zurechtzufinden. Ausserdem können sie lernen, Strategien zur Bewältigung schwieriger Alltagsituationen zu entwickeln. Viele dieser Ziele können am besten in Gruppen erlernt werden.

Soziale Kompetenzen sind später auch für einen erfolgreichen Eintritt ins Berufsleben matchentscheidend.

KOMPASS Training

KOMPASS ist eine Therapie im Gruppensetting, bei dem soziale Kompetenzen schrittweise erlernt werden. Beide Trainings umfassen ca. 30 wöchentliche Sitzungen innerhalb von 8 Monaten. Jede Sitzung besteht aus Theorie, Übungen und Trainingsaufgaben. Die drei Basismodule beinhalten Emotionserkennung, Small Talk und nonverbale Kommunikation.

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Nach dem Basistraining hat ein Teil der Teilnehmer*innen mit KOMPASS aufgehört, ein anderer Teil hat das KOMPASS-Training mit dem Training für Fortgeschrittene (KOMPASS-F) fortgesetzt. Die Daten (Einschätzungen der Eltern, Ausbildner*innen und Therapeut*innen durch Fragebögen, sowie Aufgaben zur Emotionserkennung) wurden zu 5 Messzeitpunkten erhoben.

Auch in der KOMPASS-F-Gruppe wurden ähnliche Effekte beobachtet. Der Effekt blieb ein Jahr nach dem Training erhalten.

KOMPASS-Basistraining

Das Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche und junge Erwachsene mit Autismus-Spektrum-Störungen KOMPASS soll Betroffenen helfen, konkrete Verhaltensskripts zur Bewältigung sozialer Alltagssituationen, aber auch das dazugehörende soziale Verständnis zu erlernen. Aufgrund von Forschungsbefunden gehen wir davon aus, dass soziale Fertigkeiten bewusst gelernt und intellektuell nachvollzogen werden können. Dabei werden die Stärken von Menschen mit ASS genutzt und deren neuropsychologischen Besonderheiten berücksichtigt.

Das KOMPASS-Basistraining umfasst drei Module:

  • Im Modul «Emotionen» geht es um das Erkennen und Darstellen mimischer und stimmlicher emotionaler Ausdrücke wie auch das Reagieren auf Gefühle anderer.
  • Im Modul «Small Talk» erlernen die Teilnehmenden soziale und wechselseitige Kommunikation.
  • Im Modul «Nonverbale Kommunikation» lernen sie, wie sie einen guten Eindruck hinterlassen sowie Blickkontakt, Mimik, Gestik und Körperhaltungen einsetzen können.

KOMPASS-Fortsetzungsgruppe

Die KOMPASS-Fortsetzungsgruppe baut auf dem Basistraining auf und umfasst folgende Module:

  • Im Modul «Komplexe Kommunikation» geht es um aktives Zuhören, Gruppengespräche, konstruktives Feedback, Argumentieren und das Entwickeln von Strategien für konstruktive Streitgespräche.
  • Im Modul «Komplexe Interaktionen» besprechen wir die Entwicklung und Pflege von Freundschaft, das Wesen und die Bedeutung von Gegenseitigkeit, Komplimente, Partner- und Teamarbeit sowie Kompromisslösungen.

Evaluation des Basistrainings

In der Evaluation des Basistrainings haben wir 108 Teilnehmer*innen in unserer Klinik durch Eltern-, Lehrer- und Selbstberichte sowie einen computergestützten Test beurteilt. Die Verbesserungen wurden mit einer Wartegruppe (65 Teilnehmer*innen) vor dem Training verglichen.

Unsere Ergebnisse zeigten einen signifikanten Rückgang des sichtbaren autistischen Verhaltens, verbunden mit anhaltenden Verbesserungen der sozialen Kompetenzen ein Jahr nach dem Training. Auch die allgemeinen psychiatrischen Symptome verbesserten sich nach der Intervention. Bemerkenswerterweise zeigten Teilnehmende aus externen Zentren ähnliche Verbesserungen, was die Wirksamkeit des Manuals bestätigt.

Unten: Resultate gemäss Fragebogenangaben der Eltern. Von links nach rechts: Reduktion der Symptomatik im Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) und der Sozialen Reaktivitätsskala (SRS), Zunahme der sozialen Kompetenzen gemäss Fragebogen zur Erfassung von Gruppenverhalten (FEG) und Abnahme der psychischen Probleme allgemein anhand der Child behaviour checklist (CBCL).

Weitere bewährte Therapieansätze und Fördermassnahmen

Im Verlauf der letzten 20 Jahre hat sich weltweit einiges im Bereich der Förderung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) getan. So gibt es mittlerweile ein recht grosses Angebot an geeigneten und weniger geeigneten Therapien und Fördermassnahmen für Menschen mit ASS. Den Überblick zu behalten, ist sowohl für Fachleute als auch für Laien nicht mehr so einfach. An dieser Stelle soll deshalb ein kurzer Überblick über verschiedene fundierte, autismusspezifische Therapieansätze und Fördermassnahmen gegeben werden.

Autismus deutsche schweiz unterstützt und fördert die in diesem Beitrag aufgelisteten Methoden und möchte mit der nachfolgenden Übersicht den Entscheidungsprozess der Eltern unterstützen und helfen, die für sie geeignete Methode zu wählen.

ABA (Applied Behavioral Analysis)

ABA ist in erster Linie eine Wissenschaft. In den 60er-Jahren wurden Techniken und Strategien dieser Wissenschaft erstmals in spezifischen Förderprogrammen für Menschen mit ASS eingesetzt. In den letzten Jahren wurden diese ABA-Programme in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. ABA ist eine Verhaltenstherapie, die grosse Erfolge aufweist. Sehr systematisch und strukturiert kann erwünschtes Verhalten über primäre und sekundäre Verstärker aufgebaut und unerwünschtes Verhalten abgebaut werden.

TEACCH (Treatment and Education for Autistic and related Communication handicapped Children)

Die TEACCH Methode wird oft in Schulen und verschiedenen weiteren Institutionen wie Wohnheimen oder Werkstätten angewendet. Die Strukturierung bildet den Kern des TEACCH-Programms. Ein durch die Methode der visuellen Strukturierung selbständiges Arbeiten hilft dem Betroffenen, seine Lebensqualität zu erhöhen und soll das Lernen erleichtern.

RDI (Relationship Development Intervention), FIAS (Früh- Intervention bei Autistischen Störungen), DIR (Developmental Individual Differences), PLAY (Play and Language for Autistic Youngsters)

Die Beziehungsebene ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Arbeit mit Menschen mit ASS. Eher auf spieltherapeutischen Konzepten beruhen Programme wie RDI, FIAS, DIR = Floortime oder PLAY.

PECS (The Picture Exchange Communication System)

Alternative Kommunikationsformen sind bei Menschen mit ASS oft notwendig. In diesem Bereich haben sich das PECS-System oder die Gebärdensprache bewährt. Die zugrunde liegenden Lehr-Strategien werden von ABA abgeleitet. Beim PECS-System ist die Methodik des Aufbaus klar und strukturiert vorgegeben.

FC (Facilitated Communication)

Eine weitere, allerdings in der Fachwelt nicht unumstrittene Form der Kommunikation, ist FC, oder auf Deutsch «Gestützte Kommunikation». Viele Eltern und Fachpersonen berichten, dass sie durch die physische, emotionale und verbale Stütze mit dem betroffenen Menschen in Kommunikation treten können.

Biomedizinische Ansätze

Biomedizinische Ansätze gehen davon aus, dass Umweltfaktoren wie Schwermetallbelastungen, Pestizide usw. für die Entstehung der autistischen Symptome mitverantwortlich und medizinisch behandelbar sind. Diese Hypothesen sind bis anhin nicht ausreichend bewiesen. Viele betroffene Familien und Ärzte berichten aber, dass sie die Methoden mit Erfolg anwenden. Immer mehr wissenschaftliche Berichte und Studien unterstützen die positiven Erfahrungen, welche viele Eltern mit biomedizinischen Interventionen machen.

Wichtige Aspekte bei der Therapieauswahl

Wie schon erwähnt, ist es gerade für Eltern nicht einfach, aus dieser therapeutischen Vielfalt die passende Therapie für ihr Kind mit ASS zu finden. Bei der Vielfalt von Therapien und Ansätzen ist es unumgänglich, sich von einer Autismusberatungsstelle beraten zu lassen, um sich ein Bild über die Philosophie und Wirksamkeit der verschiedenen Methoden machen zu können. Die gewählte Beratungsstelle begleitet Menschen mit Autismus und deren Familie im Idealfall über viele Jahre.

Es kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig ein früher Beginn von therapeutischen Massnahmen und Förderung ist. Je früher einer Auffälligkeit in der kindlichen Entwicklung begegnet werden kann, umso wirksamer ist die anschliessende Therapie. Die frühkindlichen Entwicklungsphasen sind noch stark beeinflussbar. Folgestörungen können verhindert werden.

Die Therapie muss auch zur «Familie» passen. Die Familie muss sich mit dem gewählten Therapieansatz identifizieren können, weil sie diesen über mehrere Jahre anwenden wird. Der Einbezug der ganzen Familie ist von grosser Bedeutung für den Erfolg der gewählten Therapie und Fördermassnahme. Die Familie ist oft der einzige Ort des Vertrauens für das Kind, für den Jugendlichen oder Erwachsenen aus dem Autismus-Spektrum.

Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, eine Therapie im gewohnten Umfeld mit Einbezug der Familienmitglieder durchzuführen. Die Familiensituation muss lebbar sein und dem Menschen mit Autismus muss eine Umwelt geboten werden, wo er sich gut entwickeln kann.

Weiter ist es zwingend notwendig, sich im Vorfeld Überlegungen in Bezug auf personelle, räumliche, finanzielle, organisatorische und zeitliche Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zu machen. Die verschiedenen vorgestellten Therapieansätze und Fördermassnahmen unterscheiden sich in diesen Punkten.

In Bezug auf die Autismusberatungsstelle, Therapeuten und Supervisoren müssen sich die Eltern vorstellen können, mit diesen Menschen über eine längere Zeit zusammen zu arbeiten.

Anspruch auf Anpassungen

Während der Aus- und Weiterbildung haben autistische Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Form eines Nachteilsausgleichs Anspruch auf Anpassungen.

Für betroffene Kinder, Jugendliche und Erwachsene müssen autismusspezifische und auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmte Unterstützungs- und/ oder Fördermassnahmen eingesetzt werden.

Es kann aber nicht nur darum gehen, betroffene Kinder, Jugendliche oder Erwachsene «fit für ihre Umwelt» zu machen. Die Menschen in ihrem Umfeld müssen sich Autismus-Wissen aneignen, um die Welt der Betroffenen zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz Autismus-gerecht zu gestalten. So können die Menschen mit ASS ihre Stärken besser einsetzen und werden durch ihre Schwächen weniger beeinträchtigt.

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