Sozialer Einfluss in der Psychologie: Definition und Arten

Ein zentraler Aspekt der Sozialpsychologie befasst sich mit dem Leben des Individuums in der Gruppe. Gruppen finden sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft: Sei es im privaten Umfeld (Familie, Freundeskreis), im Freizeitbereich (Sportmannschaft, Pfadigruppe) oder in der Ausbildung (Schulklasse, Lerngruppe). Auch in der Wirtschaft sind Gruppen und Teams nicht mehr wegzudenken. Gerade hier wird die Lösung komplexer Probleme fast immer Kollektiven übertragen.

Forschungskommissionen entscheiden über Fördermittel, Produktentwicklungsgruppen generieren innovative Ideen und Jurys verleihen Preise. Dahinter steht die Hoffnung, dass Gruppen die Beschränkungen von Individuen bezüglich Fähigkeiten und Wissen überwinden und so höhere Leistung bringen und bessere Entscheidungen treffen können. Doch leider schaffen es Gruppen nicht immer ihr Potential wirklich zu nutzen; ihre Leistungen bleiben häufig hinter ihren Möglichkeiten zurück. In einigen Fällen kann im Gruppenkontext sogar ein Abfall gegenüber der jeweiligen Individualleistung beobachtet werden.

Angesichts der beschriebenen Allgegenwärtigkeit von Gruppen ist damit die Frage, welche Faktoren die Gruppenleistung und damit den Erfolg einer Gruppe determinieren, von zentraler Bedeutung für Wissenschaft und Praxis. Am Lehrstuhl Sozialpsychologie untersuchen wir diese Faktoren. Gruppenprozessen fällt dabei eine Schüsselrolle zu.

Einflussfaktoren auf die Gruppenleistung

  • Diversität: Diversity bezieht sich auf alle jene Unterschiede zwischen Personen, die dazu führen können, dass die andere Person als von mir selbst verschieden wahrgenommen wird. Wir richten besondere Aufmerksamkeit auf Effekte der Diversität der Gruppe - auf Unterschiedlichkeiten innerhalb von Gruppen - und deren Wirkung auf die Gruppenleistung. Dabei untersuchen wir sowohl Effekte der Diversität auf sozialer Ebene (Geschlechterzusammensetzung der Gruppe, Altersstruktur, Herkunft...) als auch Effekte der sog. informationalen Diversität (Verteilung von Wissen, Informationen und Kompetenzen innerhalb der Gruppe).
  • Führung: Führung ist die intentionale soziale Einflussnahme mit dem Ziel Gruppenprozesse - und darüber die Gruppenleistung - in eine bestimme Richtung zu lenken. In diesem Bereich untersuchen wir den Einfluss von Führungsstil und Führungsverhalten.
  • Koordination: Koordination bezeichnet den Prozess der Organisation der Ressourcen und Handlungen einer Gruppe, so dass diese in der Lage ist, die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen. Dazu zählt unter anderem die Zuteilung von Teilaufgaben an einzelne Gruppenmitglieder. Koordination kann auf verschiedene Arten erfolgen: Man kann beispielweise eine Aufgabe mehr oder weniger explizit zuteilen oder einen Vorgang mehr oder weniger ausführlich erläutern.

Sozial-kognitive Lerntheorie und Beobachtungslernen

Gleichzeitig mit dem Behaviorismus entwickelten sich Theorien, die Lernen nicht nur als Reiz-Reaktions-Verkettungen ansahen, sondern als Resultat innerer Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse. Damit werden kognitive Aspekte ins Spiel gebracht, das Individuum erwirbt neues Verhalten durch aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt. Die sozial-kognitive Lerntheorie geht auf Albert Bandura (geb. 1925) zurück. Dieser postulierte, dass alle möglichen Verhaltensweisen über die Beobachtung des entsprechenden Verhaltens gelernt werden können.

Das zentrale Konzept von Banduras Theorie ist das Beobachtungslernen. Dabei wird Verhalten durch die Beobachtung anderer Individuen erworben oder modifiziert. Gelernt wird nicht nur das Verhalten, sondern auch die Kenntnis der Konsequenzen. Die Imitation ist eine einfache Form von Beobachtungslernen, eine reflexhafte Nachahmung von beobachteten Verhaltensweisen, die man vielfach bei Säuglingen und im Tierreich nachweisen kann. Gegenüber dem Lernen durch direkte Erfahrung (Konditionierungslernen) hat Beobachtungslernen den Vorteil, dass negative Konsequenzen, die bei Versuch-Irrtums-Lernen zwangsläufig auftreten, vermieden werden können. Ausserdem ist Lernen auch möglich, wenn das Modell nicht selbst anwesend ist, sondern beispielsweise als Film gezeigt wird, was die Lernmöglichkeiten deutlich erweitert (Petermann et al., 2011).

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Eine Sonderform des Beobachtungslernens bildet das Modelllernen, bei dem neue Verhaltensweisen erworben werden, die bislang nicht im Verhaltensrepertoire enthalten waren. Wir lernen viel - sowohl prosoziales als auch antisoziales Verhalten - durch die Beobachtung von Modellen; allerdings gibt es viele mögliche Modelle, die zur Auswahl stehen. Welche Variablen bestimmen nun, welche Modelle am wahrscheinlichsten das Verhalten beeinflussen werden?

Günstige Bedingungen für Modelllernen sind die Identifikationsmöglichkeit mit dem Modell, eine emotional positive, entspannte Atmosphäre, das Gefühl der Freiwilligkeit bezüglich Annahme oder Ablehnung einer Handlungsweise (Bundschuh, 2008, S.

Soziale Erwünschtheit als Einflussfaktor

Soziale Erwünschtheit ist eine Art der Antwortverzerrung. Sie führt dazu, dass die Beobachtungen in einer Studie von der Wirklichkeit abweichen. Häufig spricht man in der empirischen Forschung von sozialer Erwünschtheit. Dies betrifft das Antworten bei Umfragen oder Interviews, aber auch das Verhalten in Gruppen, z. B. Unter einigen Umständen neigen Menschen mehr zu sozialer Erwünschtheit als unter anderen. Ein Grund hierfür ist die Selbstdarstellung. Soziale Erwünschtheit kann jedoch auch in Form von Selbsttäuschung auftreten, gerade wenn es um unser Selbstbild geht.

Soziale Erwünschtheit ist oft situationsabhängig. In einigen Bereichen und zu einem gewissen Grad ist die Tendenz zu sozialer Erwünschtheit situationsübergreifend. Ein Grund hierfür ist zum Beispiel, ob uns die Meinung oder Beurteilung anderer wichtig ist. In dem Falle wären wir vielleicht anfälliger für den Einfluss sozialer Normen.

In der empirischen Forschung kommt soziale Erwünschtheit häufig vor. Soziale Erwünschtheit ist eine Art der Antwortverzerrung. Das heißt, dass sie die Ergebnisse beeinflusst, weil sie diese systematisch verzerrt. Die Ergebnisse entsprechen so weniger der Realität. Am besten ist es, die Tendenz zu sozialer Erwünschtheit in deiner Studie von vornherein zu verringern oder sogar zu verhindern.

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Zusätzlich dazu, dass du versuchst, das Vorkommen sozialer Erwünschtheit zu verhindern, kannst du messen, inwiefern sie aufgetreten ist. Hierzu wurden sogenannte Soziale-Erwünschtheits-Skalen (Englisch: social desirability scales) entwickelt. Wie: Die Fragen dieser Skala werden zusammen mit dem restlichen Fragebogen gestellt. Beispiel: ‚Hast du jemals gelogen?‘ oder ‚Hast du schon einmal eine Vorlesung geschwänzt?‘.

Systemismus als Erklärungsansatz für soziale Probleme

Der Systemismus geht auf Silvia Staub-Bernasconi und die Zürcher Schule zurück. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Theorie ist Silvia Staub-Bernasconis Feststellung, dass die Soziale Arbeit keine eigenständige Expertise aufweist und von anderen Disziplinen fremdbestimmt wird. Dank einer systematischen und eigenständigen theoretischen Fundierung soll die Professionalisierung der Sozialen Arbeit vorangetrieben und diese als gleichwertige Disziplin etabliert werden (Staub-Bernasconi, 2002, S. Das theoretische Gerüst zur Fundierung ihrer Theorie findet Staub-Bernasconi beim argentinischen Philosophen Mario Bunge. Es handelt sich dabei um eine spezifische Form der Systemtheorie, die im Wissenschaftsdiskurs als „emergentistischer Systemismus“ bezeichnet wird.

Gemäss Bunge gibt es keine völlig isolierten Dinge. „Jedes Ding interagiert mit (einigen) anderen Dingen“ (2004, S. 71). Das Universum ist ein System, das jedes andere Ding als Teil enthält.(Bunge & Mahner 2004, S. Das Universum wird somit als eine (annähernd unendliche) Menge hierarchisch verschachtelter Systeme und Subsysteme verstanden. Dabei gibt es unterschiedliche Arten von Systemen; „diese können physikalisch, biologisch, psychisch, sozial oder kulturell sein und unterscheiden sich untereinander durch jeweils spezifische Eigenschaften und Gesetzmässigkeiten“ (Staub-Bernasconi, 2012, S. Allen Arten von Systemen sind drei elementare Eigenschaften gemeinsam, die von Bunge und Mahner (2004, S. 75) im Rahmen der sogenannten ZUS-Analyse beschrieben werden.

  • Umgebung: Jedes System hat eine Umgebung und lässt sich von dieser abgrenzen. Im Prinzip wäre mit Umgebung die gesamte restliche Welt gemeint.
  • Struktur: „Um wirklich ein System und nicht bloss einen Haufen zu bilden, müssen die Teile eines komplexen Dings mit anderen Teilen interagieren, d. h. es muss Verknüpfungen zwischen den Komponenten des Systems geben“ (Bunge & Mahner, 2004, S.75).

Der Begriff der „Emergenz“ ist für das Verständnis des Systemismus von entscheidender Bedeutung. Obrecht bezeichnet „System“ und „Emergenz“ als „begriffliche Zwillinge“, die im Mittelpunkt der Theorie stehen (2000, S.

Mit Atomismus beziehungsweise Individualismus bezeichnet Staub-Bernasconi „eine philosophische, metatheoretische Position, die davon ausgeht, dass alles Existierende aus isolierten, unverbundenen Einheiten besteht (…)“ (2012, S. 268). Den Mittelweg zwischen Atomismus („Jedes Ding geht seinen eigenen Weg“) und Holismus („Jedes Ding hängt mit allen anderen Dingen zusammen“) nennt Bunge „Systemismus“ (Bunge & Mahner, 2004, S. 71-72).

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Im Systemismus werden Menschen als lern-, sprach- und selbstwissensfähige Biosysteme betrachtet, die von Bedürfnissen determiniert werden. Diese Bedürfnisse können biologisch, psychisch oder sozial sein und sind von Wünschen zu unterscheiden. Bedürfnisse sind elementar und lebensnotwendig. Wünsche können durchaus legitim sein, ihre Erfüllung darf aber nicht zu Lasten der Bedürfnisbefriedigung anderer gehen (Sagebiel, 2012, S. 46). Die Bedürfnisdeterminiertheit des Menschen ist vielleicht der entscheidende Baustein für die Übertragbarkeit des philosophischen Systemismus in die Soziale Arbeit und bestimmt somit wesentlich die Inhalte von Staub-Bernasconis Theorie.

Die mangelnde Befriedigung von Bedürfnissen führt zu inneren Spannungszuständen und ist somit ein primärer Faktor für die Entstehung sozialer Probleme. Das ist wiederum für die Gegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit bedeutsam: Gegenstand Sozialer Arbeit sind gemäss Staub-Bernasconi soziale Probleme (1996, S.

Aus systemistischer Sicht sind soziale Probleme das Resultat individueller, sozialer und gesellschaftlicher/kultureller Faktoren: Konsequenterweise fragt „das systemistische Paradigma nach dem Erklärungsbeitrag aller Grundlagendisziplinen“ (Staub-Bernasconi, 2012, S.

Die ungerechte Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen führt dazu, dass eine volle Bedürfnisbefriedigung nur einer Minderheit vorbehalten ist. Das ist für Staub-Bernasconi Anlass für eine differenzierte gesellschaftliche Machtanalyse, in die sowohl gesellschaftliche (makrosoziale) wie auch individuelle (mikrosoziale) Betrachtungen einfliessen.

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