Mirtazapin bei Burnout-Syndrom

Depression und Burn-out sind in den vergangenen Jahren zu regelrechten Volkskrankheiten geworden. Antriebslosigkeit, ein durchdringendes Gefühl von Müdigkeit und fehlender Motivation, kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Längst nicht in jedem Fall helfen Antidepressiva gegen Antriebslosigkeit und düstere Gedanken.

Ein guter Arzt aber weiss: Längst nicht jeder, der sich schlecht fühlt, braucht Medikamente, die seine Psyche stimulieren - ganz im Gegenteil: Wer Antidepressiva einnimmt, ohne dabei therapeutisch begleitet zu werden, der droht vollends den Boden unter den Füssen zu verlieren.

Wie schnell Patienten von unvorsichtigen Medizinern mit psychopharmazeutischen Mitteln versorgt werden, zeigen drei Beispiele aus Luzern.

Drei Fallbeispiele

Der Fall Lena

Die 25-jährige Lena hat ein Tief. Im Job läuft es nicht wie gewünscht, es gibt Probleme mit Vorgesetzten.

Die Unzufriedenheit wirkt sich zunehmend auch auf das Privatleben der Krienserin aus. Sie fühlt sich unausgeglichen, antriebslos, reagiert bisweilen gereizt auf ihr Umfeld. Als die Situation über mehrere Wochen anhält, sucht sie Rat bei ihrem Hausarzt in Kriens beziehungsweise bei dessen Stellvertreter, da er gerade in den Ferien weilt.

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Der Arzt hört sich rund zehn Minuten an, was Lena zu erzählen hat, und verschreibt ihr das Antidepressivum Mirtazapin. Das Mittel schlägt ein wie eine Bombe - allerdings im negativen Sinn: «Die ersten drei bis vier Tage hat es mich komplett ausgeschaltet», schildert Lena.

«Ich lag nur noch im Bett, war kaum einmal zwei Stunden am Stück wach, fühlte mich schlechter als jemals zuvor. So was habe ich noch nie erlebt.» Auch nach den ersten Tagen lassen Müdigkeit, Antriebslosigkeit und negative Gedanken nicht nach.

Zwei Wochen nimmt sie auf Anraten ihres Arztes das Medikament. Wie sehr es in ihre Psyche eingreift, erfährt sie erst, als sie den Beipackzettel durchliest.

Darin steht unter anderem: Es kommt vereinzelt vor, dass Patienten eine Tendenz aufweisen, Suizidgedanken zu entwickeln beziehungsweise an Selbstverletzung zu denken (normalerweise während der ersten zwei Wochen, manchmal auch länger). Als Lena nach einer Woche Angstzustände plagen, sucht sie den Stellvertreter ihres Hausarztes erneut auf.

Dieser verschreibt ihr obendrauf auch noch das stark abhängig machende Beruhigungsmittel Lexotanil.

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Lena wird skeptisch, bricht die Behandlung nach zwei Wochen aus eigener Initiative ab. «Ich merkte, dass etwas schiefläuft, dass mir die Medikamente viel mehr schaden als nützen.»

Während sie das Medikament einnimmt, ist sie keinen einzigen Tag in der Lage, ihrem Bürojob nachzugehen - und nicht nur psychisch, auch körperlich setzen ihr die Mittel massiv zu: Innert zweier Wochen nimmt sie 7 Kilo zu.

Inzwischen ist sie wieder bei ihrem Hausarzt in Behandlung, dieser hat sich eingehend mit ihrer Situation befasst, hat positiv auf sie eingeredet, sie ermuntert, sich beruflich neu zu orientieren - und ihr ein Medikament verschrieben, welches auf die Schwere ihrer Beschwerden angepasst ist. Inzwischen geht es ihr merklich besser.

Der Fall Reto

Reto fühlt sich ausgebrannt. Über Jahre ist er seinem Studium und verschiedenen Nebenjobs nachgegangen, in der Familie gabs Probleme, die Eltern sind getrennt. Er fühlte sich für alles und jeden aus seinem Umfeld zuständig, versuchte überall zu helfen.

Der 28-Jährige kommt an den Punkt, an dem er nachts nicht mehr durchschläft, morgens erschöpft zur Arbeit erscheint, unkonzentriert ist und den hohen Ansprüchen, die er an sich selber stellt, nicht mehr gerecht werden kann.

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Der Luzerner erkennt den Ernst der Lage und wendet sich erst an einen Allgemeinmediziner, dann an einen Psychiater. Für diesen ist klar: Hier gibt es Anzeichen auf eine Depression, möglicherweise steht er gar kurz vor einem Zusammenbruch, einem sogenannten Burn-out.

Die vom Psychiater verschriebene Lösung des Problems heisst Effexor. Das laut Herstellerbeschreibung «stimmungsaufhellende» Medikament soll den Patienten wieder in die Spur bringen, und zwar schnell.

Die Auflistung möglicher Nebenwirkungen dieses Mittels ist knapp 5000 Zeichen lang - das ist ein Umfang, der ungefähr der Textlänge dieses Zeitungsartikels entspricht. Bessern tut sich damit aber gar nichts - im Gegenteil.

«Ich fühlte mich Tag und Nacht ununterbrochen wie betrunken, allerdings nur körperlich - ohne die mentalen Hochgefühle, die man während eines Alkoholrausches bisweilen verspürt.» Sogar seine Sprachfähigkeit sei unter dem Medikamenteneinfluss beeinträchtigt gewesen, schildert Reto.

«Ich redete, als hätte ich Watte im Mund - undeutlich, schwerfällig. Hätten mich Leute in diesem Zustand gesehen, hätten sie gedacht, ich sei mit Drogen vollgepumpt.»

Schliesslich interveniert Reto. Das Medikament wird abgesetzt. Erst jetzt folgt eine ausführliche Untersuchung. Das Resultat lässt aufhorchen: Es hat weder mit einer Depression noch mit einem Burn-out etwas zu tun. Reto leidet an einer Schlafstörung, einer therapierbaren Form von Narkolepsie.

Mit der entsprechenden Begleitung von Fachleuten des Schlaflabors des Luzerner Kantonsspitals und Medikamenten, die ihm zu einem geregelten Tag-Nacht-Rhythmus verhelfen, ist Retos Problem gelöst.

Der Fall Angelika

Angelika ist 33 und Büroangestellte. Sie hat gerade eine schwierige Trennung hinter sich. Nach den ersten Wochen, in denen sie sich mit Ausflügen, Ferien und Ausgang abzulenken versuchte, vergräbt sie sich zusehends zu Hause.

Ihrer Arbeit auf der Verwaltung einer Luzerner Gemeinde geht sie zwar weiterhin nach, sie wirkt aber betrübt und abwesend. Ihrem Umfeld fällt die schlechte Stimmung der Frau auf. Sie konsultiert ihren Hausarzt.

Dieser macht einen Gesundheitscheck - nebst einem leichten Eisenmangel, den sie bereits medikamentös behandelt, fehlt ihr nichts. Die Schnelldiagnose: Depression. Der Arzt händigt ihr die Medikamente Stilnox und Mianserin aus.

Ersteres ist ein starkes Schlafmittel, dessen Wirkstoff zu den sogenannten Hypnotika gehört. Angelika reagiert extrem darauf: «Die Tabletten knipsten mir regelrecht das Licht aus. Obwohl ich mich an die Anweisungen meines Arztes hielt, konnte ich am Morgen kaum aufstehen, weil ich dermassen k. o. war. Mehrmals verschlief ich mich um Stunden.»

Noch schlimmer ist die Wirkung des zweiten Medikaments, eines Antidepressivums, das in erster Linie als Stimmungsaufheller dienen soll. Von einem positiven Effekt kann aber keine Rede sein.

«Vor der Einnahme des Mittels hatte ich das Gefühl, schlecht drauf zu sein. Nach einer Woche mit Mianserin aber dachte ich erstmals, wirklich krank im Kopf zu sein.

Ich hatte düstere Gedanken, neigte dazu, mir selber zu schaden, indem ich nichts mehr ass oder mich mit der Haarbürste oder der Nagelfeile an Armen und Beinen verletzte.

Die Einnahme der Substanz hat mich im wahrsten Sinn des Wortes zu einem anderen Menschen gemacht.» Zu einer psychologischen Abklärung hat ihr der Hausarzt zu keinem Zeitpunkt geraten.

Nach neun Tagen bricht sie die Medikamenteneinnahme ab und sucht eine Psychologin auf. Die Betreuung findet fortan in Form von Gesprächen statt - ohne Medikamente.

Kopfschütteln bei Experten

Doch wie kann es sein, dass Patienten ohne genaue Abklärung mit Antidepressiva versorgt werden? Nicht nur Betroffene, auch Fachleute schütteln darob den Kopf.

Einer von ihnen ist Martin Büeler, Biochemiker und Laborleiter bei Synlab Suisse in Frauenfeld, einem führenden Unternehmen für humanmedizinische Labordienstleistungen. Büeler kennt die im Text erwähnten Medikamente bestens.

Für ihn ist klar: Es gibt viele Ärzte, die harte Medikamente verschreiben, ohne sich eingehend mit den Krankheitsbildern der Patienten auseinanderzusetzen.

Antriebslosigkeit und ihre Behandlung

Antriebslosigkeit hat viele Gesichter und kann durch unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden. Oft sind es berufliche und familiäre Belastungen, die uns in die Knie zwingen. Menschen mit hohem Perfektionsanspruch sind besonders anfällig, da sie sich selbst unter enormen Druck setzen.

Die Symptome entwickeln sich meist schrittweise. Anfangs ist es vielleicht nur innere Unruhe oder eine allgemeine Unzufriedenheit, die dann zu einer ernsthaften Antriebslosigkeit fortschreitet. Sie kann zwar ein Symptom verschiedener Erkrankungen sein, darunter körperliche Krankheiten und Faktoren des Lebensstils, ist aber häufig auf zugrunde liegende psychische Probleme zurückzuführen.

Antidepressiva

Antidepressiva, insbesondere Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), haben sich als wirksame Mittel gegen die mit Depressionen verbundene Antriebslosigkeit erwiesen. Von SSRIs und SNRIs bis hin zu pflanzlichen Behandlungen wie Johanniskraut gibt es mehrere therapeutische Optionen, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Bei der Auswahl eines Antidepressivums spielt die Anamnese eine entscheidende Rolle. SSRI wirken, indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin im Gehirn hemmen, wodurch mehr Serotonin für die Rezeptoren verfügbar wird. Dies führt zu einer Verbesserung der Stimmung und des Antriebs.

Im Allgemeinen haben die SSRI eine ähnliche Wirksamkeit, unterscheiden sich aber etwas in Bezug auf das Nebenwirkungsprofil, den Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und der Pharmakokinetik.

  • Citalopram vs. Escitalopram: Escitalopram ist das S-Enantiomer des racemischen Gemischs Citalopram.
  • Fluoxetin: Fluoxetin ist dafür bekannt, dass es bestimmte Leberenzyme, insbesondere CYP2D6, hemmt, was zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen kann. Darüber hinaus wird Fluoxetin häufig als einer der stärker aktivierenden SSRI beschrieben, was bedeutet, dass es mehr Stimulation oder erhöhte Energie verursachen kann, insbesondere im Vergleich zu anderen SSRI wie Citalopram oder Escitalopram.
  • Paroxetin: Paroxetin hat unter den SSRI eine der höchsten Affinitäten für den Serotonintransporter (SERT). Aufgrund der hohen Affinität zum Serotonintransporter gilt Paroxetin als starker SSRI, trotz seiner kürzeren Halbwertszeit.
  • Sertralin: Sertralin hat neben seiner Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmwirkung auch eine leichte Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmwirkung. Sertralin birgt auch ein geringeres Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen als einige andere SSRI wie Fluoxetin und Paroxetin, da es einen geringeren Einfluss auf Leberenzyme wie CYP2D6 hat.

ssNRI wirken durch die Hemmung der Wiederaufnahme von sowohl Serotonin als auch Noradrenalin, was die Stimmung und den Antrieb verbessert. Venlafaxin und Duloxetin sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Nebenwirkungen vergleichbar.

  • Duloxetin: Duloxetin ist ein Serotonin-Norepinephrin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), der zur Behandlung verschiedener Erkrankungen eingesetzt wird, wobei der Schwerpunkt auf der psychischen Gesundheit und chronischen Schmerzen liegt. Das Medikament hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, zwei wichtigen Neurotransmittern, die an der Stimmungsregulation und der Schmerzwahrnehmung beteiligt sind.
  • Venlafaxin: Venlafaxin wirkt ebenfalls in erster Linie durch die Erhöhung der Serotonin- und Noradrenalinspiegel im Gehirn. Diese Neurotransmitter spielen eine wesentliche Rolle bei der Regulierung von Stimmung und Angstzuständen. In niedrigeren Dosen wirkt Venlafaxin eher wie ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und konzentriert sich hauptsächlich auf Serotonin.

NDRI steigern den Antrieb, indem sie die dopaminerge und noradrenerge Funktion im Gehirn verbessern.

Trizyklische Antidepressiva erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt, was zu einer Verbesserung der Stimmung und einer Verringerung von Unruhe führt. Amitriptylin wird häufig zur Behandlung von Depressionen, chronischen Schmerzen und Migräne eingesetzt und wirkt, indem es den Serotonin- und Noradrenalinspiegel im Gehirn erhöht. Imipramin wird in erster Linie zur Behandlung von Depressionen und manchmal auch von Angststörungen eingesetzt, wird aber auch zur Behandlung von Bettnässen (Enuresis) bei Kindern verschrieben.

MAO-Hemmer blockieren die Monoaminoxidase-Enzyme, um die Konzentration von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im Gehirn zu erhöhen. Die Einnahme von MAO-Hemmern erfordert jedoch besondere Vorsicht.

Pflanzliche Heilmittel

Pflanzliche Heilmittel wie Johanniskraut werden häufig bei Antriebslosigkeit eingesetzt. Johanniskraut-Präparate müssen eine bestimmte Menge an Extrakt enthalten, um eine antidepressive Wirkung zu erzielen.

Kombinierte Behandlung

Eine kombinierte Behandlung aus Medikamenten und Psychotherapie kann besonders effektiv sein. Nach Beendigung einer alleinigen Antidepressivabehandlung kann es zu einer erhöhten Rückfallrate kommen, verglichen mit psychotherapeutischen Ansätzen.

Burnout und Depression

Burnout ist ein stressbedingtes psychosomatisches Syndrom und zeigt eine hohe Überlappung mit Depression. Burnout ist eine Stressbelastungsstörung, die sich prozesshaft in der Auseinandersetzung mit Stress am Arbeitsplatz (oder auch im persönlichen Umfeld) entwickelt. Es stellt sich als psychosomatisches Syndrom mit unterschiedlicher Ausprägung in Abhängigkeit des Schweregrads und der individuellen Neigung dar.

Prägende Merkmale von Burnout sind eine physische, psychische und kognitive Erschöpfung, gepaart mit vegetativen Symptomen, Motivationsverlust und Leistungsminderung.

Risikofaktoren für die Entwicklung eines Burnouts wirken sowohl arbeitsbezogene Belastungen als auch individuelle Charakteristika.

Soziale Unterstützung, nach Temam (30) ein mehrdimensionales Konzept, umfasst die tatsächlich erhaltene Unterstützung durch andere Menschen oder die Gewissheit, dass diese bei Bedarf verfügbar sind. Soziale Unterstützung kann sich als emotionale, instrumentelle, informative oder finanzielle Unterstützung äussern und aus unterschiedlichen Quellen herrühren. Wie viele Untersuchungen darlegen, ist soziale Unterstützung gesundheitsfördernd.

Die starke Überlappung von Burnout und Depression wurde in zahlreichen Studien beschrieben (34-36). In einer Querschnittsuntersuchung einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in Finnland (37) hatten 7,5% der Probanden, die keine Symptome eines Burnouts aufwiesen, eine Depression. Probanden mit einem milden Burnout litten zu 20,3% an einer Depression, Probanden mit einem schweren Burnout zu 52,9%.

Allerdings ist die Beziehung von Burnout und Depression komplex. So kommen mehrere Studien zum Schluss, dass Burnout zu Depression führt, also ein Risikofaktor für Depression oder eine Vorstufe der Depression darstellt (13, 38-40). Andere Untersuchungen folgern eher, dass Depression die Entwicklung von Burnout begünstigt (41, 42). Es kann sich aber auch um eine bidirektionale Beziehung zwischen Burnout und Depression handeln. Diese Sichtwiese wird durch vier longitudinale Studien bestätigt (13, 35, 43, 44).

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