Koka und Kokain - für viele ist das praktisch dasselbe. Doch die Geschichte der Kokapflanze und ihrer Derivate ist komplex und voller Widersprüche.
Die Kokapflanze: Ein Geschenk der Götter?
Die Kokapflanze (Erythroxylum coca) wird seit Menschengedenken in den subtropischen Gegenden der südamerikanischen Anden angebaut und von den Indigenen als «heiliges Blatt» (hoja sagrada) verehrt. In der andinen Kultur nimmt Koka einen zentralen Platz ein. Das Kokablatt ist für die Indigenen Mama Kuka («Mutter Koka») oder Mama Inala («Mutter Pflanze») und repräsentiert die Menschheit.
Laut einem aztekischen Mythos soll eine Frau namens Kuka, die ihre Unwiderstehlichkeit nutzte, um Männer zu manipulieren, von den Göttern getötet und begraben worden sein. Aus ihrem Grab wuchs die Kukapflanze, der heutige Cocastrauch.
Kokablätter werden in Südamerika schon seit Jahrtausenden verwendet, unter anderem als Stärkungsmittel und für rituelle und medizinische Zwecke. Kokablätter werden gekaut, in die Wangentasche gelegt oder als Tee zubereitet. Das Kokakauen hat jedoch auch vielfältige zeremonielle/rituelle, religiöse und soziale Funktionen. Sie wurden unter anderem als Stimulans, als Stärkungsmittel und für medizinische Zwecke eingesetzt.
Die eigentliche Funktion aber besteht bei allen Ritualen in der Wiederherstellung und Festigung von Beziehungen, seien es familiäre, gemeinschaftliche, politische, oder eben auch spirituell-religiöse.
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Inhaltsstoffe und Wirkung
Als Kokablätter werden die frischen oder getrockneten Blätter des Kokastrauchs bezeichnet (Erythroxylum coca, Erythroxylum novogranatense). Sie enthalten das psychotrope und stimulierende Kokain und weitere Alkaloide. Weitere Inhaltsstoffe sind ätherisches Öl mit Methylsalicylat, Mineralstoffe und Vitamine.
Kokablätter haben leicht stimulierende Eigenschaften. Das traditionelle Kokakauen unterscheidet sich stark vom heutigen Kokainmissbrauch, weil beim Kauen deutlich weniger Kokain in den Körper gelangt. Das Kokain wird aus den Blättern auch auch langsamer freigesetzt. Der Kalk hat einen Einfluss auf die Freisetzung der Alkaloide.
Kokablätter werden auch gegen die Höhenkrankheit verwendet. Wer als Touristin oder Tourist in El Alto bei La Paz auf 4100 Meter über Meer landet, ist froh um eine Tasse Koka-Tee - das beste Mittel gegen Höhenkrankheit (soroche).
Die Entdeckung des Kokains
Vor allem die betäubenden und schmerzlindernden Eigenschaften verhalfen der Kokapflanze zu medizinischem Ruhm, nachdem der deutsche Chemiker Albert Niemann im Jahre 1858 das Alkaloid Kokain entdeckt hatte. Dabei macht das Kokain weniger als ein Prozent der 14 Alkaloide aus, die aus dem Kokablatt extrahiert werden können.
Kokain wurde erstmals im Jahr 1860 vom deutschen Chemiker Albert Niemann isoliert, der ihm seinen Namen verlieh. Der lokalanästhetische Effekt wurde im Jahr 1884 entdeckt. Der Wiener Augenarzt Carl Koller führte die erste Augenoperation mit dem Lokalanästhetikum durch. Ausgehend von Kokain wurden weitere Lokalanästhetika entwickelt.
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Freud und das Kokain
Sigmund Freud hatte zuvor mit Kokain experimentiert. Das Alkaloid, das in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal rein dargestellt worden war, war zu dieser Zeit noch relativ unbekannt.
Einer der Abnehmer war Freud, der im Jahr 1884 die Publikation „Ueber Coca“ zum Thema schrieb, allerdings eine Arbeit von einer zweifelhaften wissenschaftlichen Qualität. Er gab 7 Empfehlungen für die Anwendung von Coca und Kokain, u.a. auch die Anwendung gegen Morphin-Abhängigkeit. Diese Idee mag aus heutiger Sicht absurd scheinen, weil dabei ein Suchtmittel gegen ein anderes ersetzt wird. Sie ist aber durchaus nicht so abwegig: das sedierende Morphin sollte mit dem stimulierenden Kokain antagonisiert werden. Freud nannte in seinem Artikel über Coca auch die lokalanästhetische Wirkung von Kokain.
Sowohl die Entdeckung Kollers als auch Freuds Publikation führten zu einer Popularisierung von Kokain und einer stark erhöhten Verwendung. Das Alkaloid wurde jetzt auch subkutan gespritzt, z.B. bei zahnärztlichen Behandlungen. Die Verwendung als Droge nahm zu, kurz nach der Jahrhundertwende wurde Kokain geschnupft - vorher hatte man es oral zu sich genommen oder injiziert. Merck produzierte mittlerweile Tonnen der Substanz.
Die Entwicklung von Lokalanästhetika
Nach der Strukturaufklärung von Kokain wurde im Jahr 1905 durch Albert Einhorn Procain synthetisiert (Synonym Novocain, novus + -cain, „das neue Kokain“). Die Ähnlichkeit der chemischen Struktur ist deutlich erkennbar. Procain ist wie Kokain ein Lokalanästhetikum vom Estertyp, wirkt aber nicht vasokonstriktorisch. Wenn Procain ins Plasma gelangt, wird es schnell durch Esterasen hydrolysiert und ist deshalb relativ atoxisch. Im Jahr 1943 wurde Lidocain, ein Lokalanästhetikum vom Amidtyp, synthetisiert.
Coca-Cola und Kokain
Etwa zu selben Zeit, als Koller in Wien Kokain als Lokalanästhetikum entdeckte, erfand John Pemberton in Amerika den Softdrink Coca-Cola. Coca-Cola enthielt Extrakte aus Cocablättern und damit auch Kokain, wenn auch nur eine geringe Menge. Nach der Jahrhundertwende wurde der Extrakt mit Cocablättern hergestellt, denen das Kokain zuvor entzogen worden war. Das Getränk enthält auch heute noch einen Extrakt aus Cocablättern.
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Ein früheres Gesetz, der Pure Food and Drug Act, schreibt es so vor: keine Markenbezeichnung Coke ohne Koka. Koka dürfte damit weltweit zu einem der meistverbreiteten Konsumgüter geworden sein; über eine halbe Milliarde Menschen goutieren täglich davon. Nach Angaben der staatlichen peruanischen Kokagesellschaft Enaco kauft die Coca-Cola-Company jährlich gegen 1000 Tonnen Kokablätter ein, wobei die Firma Stepan Chemical als Abnehmerin vorgeschoben wird. Coca-Cola hüllt sich da in Schweigen. Offenbar widerspricht es den Regeln der «political correctness», das mittlerweile wieder verteufelte Blatt auch nur zu erwähnen.
Kokain als Droge
Das Rauschmittel und Stimulans Kokain wird aus Kokablättern extrahiert. Illegal hergestelltes Kokain kann verunreinigt und gestreckt sein. Problematisch ist es, wenn die Dosis erhöht wird oder der Konsum über einen längeren Zeitraum erfolgt. Dann sind unerwünschte Wirkungen und eine ausgeprägte Abhängigkeit möglich, wie sie vom Kokain bekannt sind.
Es gibt Kokain in diversen Formen. Das weisse Pulver ist eigentlich Kokainhydrochlorid. Es entsteht in Reaktion mit Salzsäure und ist wasserlöslich, was die Aufnahme über Schleimhäute ermöglicht. Das Schnupfen von Kokain hat drastische Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit. Neben akuter Herzinfarktgefahr und chronischen psychischen Leiden, kann auch die Nasenscheidewand durchtrennt werden.
Das Produkt wird oft mit Milchzucker gestreckt, der mittlere Reinheitsgehalt von Kokain im Umlauf beträgt ungefähr 75 Prozent. Ebenfalls finden sich oft weitere pharmakologisch wirksame Substanzen, wie Lidocain oder Levamisol im Kokain, die den verminderten Reinheitsgehalt vertuschen sollen. Diese Verunreinigungen stellen punkto Dosierung einen nicht zu unterschätzenden Risikofaktor dar.
Kocht man Kokainhydrochlorid mit Natriumhydrogencarbonat auf, so erhält man Crack. Erhitzt man Crack auf 96 Grad, verdampft die Base und kann geraucht werden. Crack gilt gemeinhin als eine der gefährlichsten und zerstörerischsten Drogen überhaupt. Kaum eine andere Droge weist ein höheres psychisches Abhängigkeitspotential auf.
Die Kontroverse um die Legalität
Vor über sechzig Jahren hat die UNO die Kokapflanze als verbotene Droge deklariert. Dass das Kokablatt neben Kokain, Opium und Heroin auf der Liste verbotener Betäubungsmittel steht, hat viel mit Kolonialismus, Ignoranz und dem «puritanischen» Bestreben der USA zu tun, eine Welt ohne Betäubungsmittel zu schaffen.
Erst 1988 gewährten die Vereinten Nationen den Koka-Ländern Peru und Bolivien einen kontrollierten Koka-Anbau und den traditionellen Gebrauch des Blattes. Das Kauen der Blätter aber wurde als strafbare Handlung nie von der UN-Konvention gestrichen.
Die Stigmatisierung der Kokapflanze und ihrer Blätter und deren Status als illegales Betäubungsmittel beruhen prinzipiell auf zwei grossen Irrtümern, die sich in der westlichen Welt hartnäckig halten: So machen die meisten Menschen keinen Unterschied zwischen «Koka» - also der Pflanze selbst - und der Droge «Kokain», die mit extrahierten Inhaltsstoffen der Pflanze in aufwändigen Verfahren im Labor hergestellt wird. Falsch ist auch die Vorstellung, das Kauen von Kokablättern oder das Trinken von Koka-Tee mache süchtig und führe zum Drogenkonsum von Kokain.
Seit vielen Jahren versucht der plurinationale Staat Bolivien auf internationaler Ebene mit allen Mitteln, den legalen Status der Kokapflanze und damit des traditionellen Gebrauchs des Kokablattes zurückzuerlangen.
Am 24. Mai 2024 unterstützte die kolumbianische Regierung das Ersuchen Boliviens, und seither arbeiten beide Länder vereint an der Legalisierung des Kokablatts.
Der Internationale Drogenkontrollrat (International Narcotics Control Board, INCB) hat entgegen aller wissenschaftlicher Evidenz in seinem Bericht vom 5. März dieses Jahres das Kokablatt und den Anbau der Kokapflanze erneut als illegal eingestuft.
Kokainkonsum in der Schweiz
Kokain gilt gemeinhin als Reichendroge. Und die Schweiz im internationalen Vergleich als reiches Land. Demnach überrascht es nicht zwingend, dass Kokain in der Schweiz eine durchaus geläufige Droge ist.
Nicht weniger als fünf Schweizer Städte sind in der europäischen Top Ten vertreten. Koks-Mekka Zürich ist dabei nur knapp vor St. Gallen. Mehr gekokst wird lediglich in der Touristenhochburg Barcelona.
| Stadt | Kokainkonsum (mg/1000 Einwohner/Tag) | 
|---|---|
| Barcelona | 127.4 | 
| Zürich | 96.4 | 
| St. Gallen | 92.2 | 
| Bern | 74.4 | 
| Genf | 69.1 | 
| Basel | 64.6 | 
Zum Abschluss noch (obwohl es müssig ist, zu sagen): Nur der Schnee von Frau Holle ist okay.