Sexuelle Anziehung in der Psychotherapie: Eine umfassende Betrachtung

Sexualität ist ein zentraler Aspekt unseres Lebens, beeinflusst unsere Beziehungen, unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität. Dennoch erleben viele Menschen im Laufe ihres Lebens Herausforderungen in diesem Bereich. Sexualtherapie kann helfen, diese Probleme zu bewältigen, und eine Ausbildung in diesem Bereich ermöglicht es Fachpersonen, Betroffenen professionell zur Seite zu stehen.

Was ist Sexualtherapie?

Sexualtherapie ist eine spezialisierte Form der Psychotherapie und Beratung, die Menschen dabei unterstützt, ihre sexuellen Herausforderungen, Funktionsstörungen und Beziehungsprobleme zu bewältigen. Der Begriff setzt sich etymologisch aus dem lateinischen sexus (Geschlecht, Sexualität) und dem griechischen therapeía (Pflege, Heilung, Dienst) zusammen und bedeutet wörtlich “die Heilung oder Pflege im Bereich der Sexualität”. Das Ziel der Sexualtherapie ist es, das sexuelle Wohlbefinden zu fördern und individuelle oder partnerschaftliche Lösungen für bestehende Herausforderungen zu entwickeln. Ein zentraler Bestandteil ist der offene und wertfreie Dialog zwischen Klient und Therapeut, der Raum für die Reflexion von Ängsten, Unsicherheiten und Erwartungen bietet.

Für eine umfassendere Definition der Sexualtherapie kannst du auch den Artikel Wikipedia: Sexualtherapie (Deutsch) lesen.

Häufige sexuelle Herausforderungen bei Frauen

Viele Frauen erleben im Laufe ihres Lebens Herausforderungen im Bereich der Sexualität. Dazu zählen Themen wie Orgasmusstörungen, Vaginismus oder Dyspareunie.

  • Orgasmusstörungen: Manche Frauen finden es schwer, einen Orgasmus zu erreichen, obwohl sie sich körperlich erregt fühlen. Dies kann sowohl in der Selbstbefriedigung als auch in der Partnerschaft auftreten. Psychologische Faktoren wie Stress, Unsicherheiten oder ein negatives Körperbild spielen eine Rolle.
  • Vaginismus: Dabei handelt es sich um unwillkürliche Muskelanspannungen im Vaginalbereich, die das Eindringen erschweren oder unmöglich machen können. Frauen mit Vaginismus berichten häufig von Schmerzen, Scham oder sogar Angst vor Intimität.
  • Dyspareunie: Schmerzen während oder nach dem Geschlechtsverkehr sind nicht nur körperlich belastend, sondern können auch das Vertrauen in die Partnerschaft und die eigene Sexualität beeinträchtigen. Diese Schmerzen können auf Infektionen, Narbengewebe zurückzuführen sein.

Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen sind vielschichtig und gehen über körperliche Beschwerden hinaus. Sie betreffen das Selbstbild, die Partnerschaft und manchmal sogar den gesamten Alltag.

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Sexuelle Herausforderungen bei Männern

Sexuelle Funktionsstörungen sind auch bei Männern ein häufiges, jedoch tabuisiertes Thema. Männer fühlen sich häufig unter Druck, in jeder Situation „funktionieren“ zu müssen, was die psychologische Belastung bei Problemen noch verstärkt.

  • Erektionsstörungen: Schwierigkeiten, eine Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, können viele Ursachen haben. Neben körperlichen Faktoren wie Durchblutungsstörungen, Diabetes oder Hormonmangel spielen auch Stress, Leistungsdruck und Partnerschaftskonflikte eine zentrale Rolle.
  • Vorzeitige Ejakulation: Wenn der Höhepunkt zu früh eintritt, kann dies das sexuelle Erleben für beide Partner beeinträchtigen. Dieses Problem ist häufig verbunden mit Scham oder der Angst, die Erwartungen des Partners nicht zu erfüllen.
  • Vermindertes sexuelles Verlangen: Viele Männer erleben Phasen, in denen sie wenig Lust auf Sexualität verspüren. Dies kann durch hormonelle Veränderungen, Stress oder depressive Verstimmungen ausgelöst werden.
  • Schmerzen während der Ejakulation: Dieser seltene, aber belastende Zustand hat vielfältige Ursachen, von Prostataentzündungen bis hin zu psychischen Blockaden.

Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern sind kein Grund zur Scham. Sie zeigen lediglich, dass Körper und Geist Unterstützung benötigen, um wieder in Einklang zu kommen.

Weitere sexuelle Herausforderungen

  • Dranghafte Sexualität: Dranghafte Sexualität, manchmal auch als Sexsucht oder zwanghaftes sexuelles Verhalten bezeichnet, kann sich tiefgreifend auf das Leben eines Menschen auswirken. Betroffene empfinden einen starken, unwiderstehlichen Drang, sexuelle Fantasien oder Verhaltensweisen auszuleben, der sich negativ auf Beziehungen, Beruf und das persönliche Wohlbefinden auswirken kann.
  • Sexuelle Vorlieben: Sexuelle Vorlieben sind ein Ausdruck der Individualität, können jedoch auch zu Einschränkungen führen, wenn sie das eigene Erleben oder die Beziehung negativ beeinflussen.
  • Sexuelle Lustlosigkeit: Sexuelle Lustlosigkeit ist ein häufiges Phänomen, das sowohl Frauen als auch Männer betreffen kann. Sie zeigt sich in einem verminderten Interesse an Sexualität oder der Unfähigkeit, sexuelle Erregung zu erleben. Hormonelle Ursachen wie ein Abfall von Testosteron oder die hormonellen Schwankungen während der Menopause können das Verlangen beeinflussen. Psychische Belastungen wie Stress, Ängste oder Depressionen spielen ebenfalls eine zentrale Rolle.
  • Sexuelle Selbstsicherheit: Sexuelle Selbstsicherheit ist eine wichtige Grundlage für erfüllte Sexualität, aber viele Menschen kämpfen mit Unsicherheiten. Diese können aus Scham, negativen Erfahrungen oder einem kritischen Körperbild resultieren. Ein negatives Körperbild kann die Selbstwahrnehmung erheblich beeinflussen. Personen, die sich mit ihrem Körper unwohl fühlen, ziehen sich zurück und vermeiden Intimität, wodurch eine erfüllte Sexualität erschwert wird.
  • Sexualität in Partnerschaften: Sexualität in Partnerschaften ist von unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen geprägt. Während der eine Partner häufiger Lust auf Intimität verspürt, hat der andere möglicherweise ein geringeres Verlangen. Weitere Herausforderungen können durch Affären, sexuelle Aussenbeziehungen oder den Wunsch nach einer offeneren Gestaltung der Beziehung entstehen. Solche Themen sind schwer anzusprechen und erfordern eine sensible und respektvolle Kommunikation.
  • Beziehungsformen: Beziehungsformen sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Ob monogam, polyamor, in einer offenen Beziehung oder in anderen individuellen Modellen - jede Form der Partnerschaft bringt einzigartige Chancen und Herausforderungen mit sich. Die Gestaltung von Intimität und Sexualität kann in solchen Beziehungsformen bereichernd sein, erfordert jedoch Reflexion, Offenheit und eine klare Kommunikation. Themen wie Eifersucht, Unsicherheiten, unterschiedliche Bedürfnisse oder das Setzen von Grenzen spielen eine zentrale Rolle.
  • Unerfahrenheit: Für Menschen, die auch im Erwachsenenalter noch keine oder nur wenige sexuelle Erfahrungen gesammelt haben, kann dies mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden sein. Gesellschaftliche Erwartungen und der Vergleich mit anderen führen dazu, dass sich Betroffene schämen oder das Gefühl haben, „etwas verpasst“ zu haben.
  • Sexualität und Behinderung: Sexualität ist ein Grundbedürfnis und ein wichtiger Bestandteil des Lebens - unabhängig von körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Menschen mit Behinderungen erleben jedoch häufig Barrieren, wenn es um ihre Sexualität geht. Diese Hindernisse können sowohl physischer als auch gesellschaftlicher Natur sein. Viele Betroffene berichten von mangelnder Privatsphäre, fehlender Aufklärung oder Vorurteilen, die sie daran hindern, ihre Sexualität frei und selbstbestimmt zu leben.

Die Rolle der Sexualtherapie

Sexualtherapie bietet einen geschützten Raum, um die Ursachen der Lustlosigkeit zu erforschen. Ziel ist es, die sexuelle Vitalität wiederzuentdecken, sei es durch die Wiederbelebung des körperlichen Begehrens, den Abbau von psychischen Barrieren oder die Verbesserung der Partnerschaftsdynamik. Sexualtherapie hilft dabei, Unsicherheiten zu überwinden, indem sie Raum für Reflexion und Veränderung bietet. In der Sexualtherapie werden diese Themen offen und wertfrei behandelt. Paare lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren, und entwickeln neue Wege, Intimität und Nähe herzustellen. Sexualtherapie bietet einen geschützten Raum, um diese Dynamiken zu verstehen, individuelle und partnerschaftliche Wünsche zu erkunden und Wege zu finden, wie Freiheit, Vertrauen und emotionale Nähe miteinander in Einklang gebracht werden können. In der Sexualtherapie wird ein geschützter Raum geschaffen, in dem Fragen und Unsicherheiten offen angesprochen werden können. Gemeinsam werden individuelle Bedürfnisse und Wünsche erkundet. Die Therapie zielt darauf ab, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und den Einstieg in die eigene sexuelle Reise selbstbestimmt und in einem sicheren Tempo zu gestalten. Sexualtherapie bietet einen geschützten Raum, um individuelle Bedürfnisse und Wünsche zu erkunden. Sie hilft dabei, Hemmschwellen abzubauen, das Selbstbewusstsein zu stärken und praktische Lösungen für Herausforderungen zu finden. Gleichzeitig ermöglicht sie einen offenen Dialog, um das Verständnis für Sexualität als natürlichen und wichtigen Teil des Lebens zu fördern.

Sexuelle Gesundheit in der ärztlichen Praxis

Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig - auch bei psychiatrischen Patienten. Angesprochen werden sie in der Praxis allerdings nur selten. Laut der Lausanner Studie aus dem Jahr 2011 erstellen nur 40 Prozent der Ärzte eine Sexualanamnese, obwohl es 90 Prozent der Patienten gerne hätten, wenn nach sexuellen Problemen gefragt würde.

Viele psychische und psychiatrische Themen gehen mit sexuellen Problemen einher. Beispielsweise bei Patienten mit Stimmungsschwankungen, Depressionen oder aufgrund der Einnahme von Neuroleptika oder Antidepressiva.

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Ein guter Gesprächseinstieg für den Psychiater

Bei psychiatrischen Patienten gehört die ausführliche Anamnese sowieso dazu. Die Fragen sollten dabei einfühlend, aber trotzdem direkt und genau erfolgen. Beispielsweise: «Haben Sie einen Partner?», «Wie ist Ihre Sexualität? Ist diese zufriedenstellend?», «Tritt die Störung partnerbezogen oder partnerunabhängig auf?» und so weiter. Ein guter Einstieg ist auch die Verordnung von Medikamenten wie Psychopharmaka. Oftmals können diese sexuelle Funktionsstörungen auslösen, und dann ist es wichtig, das anzusprechen, weil sonst die Gefahr eines Therapieabbruchs besteht. Oder das Thema lässt sich leicht ansprechen, wenn die Partnerschaft oder das Single-Leben thematisiert wird.

Was gehört alles zur Sexualanamnese?

Psychiater sollten sich bewusst sein darüber, dass sexuelle Funktionsstörungen nicht per se ein psychologisches Problem sind. Abzuklären sind die Biologie des Problems und der psychologische Anteil daran unter Einbezug von Beziehungsaspekten, sozialen Aspekten wie der finanziellen Situation und der Arbeitssituation.

Wie sieht die Therapie aus?

Die Therapie von sexuellen Problemen beginnt mit der Anamnese. Denn die Befundaufnahme ist Teil der Therapie, weil man die Probleme bereits geordnet und erfasst hat. Die Diagnose ist dann der Ausgangspunkt der Behandlung. Handelt es sich beispielsweise um eine Depression, ein Alkohol- oder ein Drogenproblem und so weiter, braucht es eine Psychotherapie und unter Umständen eine Medikation?

Beispiel aus der Praxis

Eine knapp 30-jährige Patientin kam aufgrund von Stimmungsschwankungen zu mir in die Praxis. Die Beziehung zum Partner bestand seit vier Jahren; die beiden hatten aber seit zwei Jahren keinen Sex mehr. Sie litt unter Lustlosigkeit, hatte aber gleichzeitig Angst davor, dass sie fremdgehen könnte, weil die Beziehung sexuell unbefriedigend war. Sie wollte aber unbedingt, dass die Beziehung bestehen bleibt, da sie einen Heirats- und Kinderwunsch hatte. Die sexuelle Lustlosigkeit sprach sie erst nach einigen Sitzungen an, als sie Vertrauen in die Behandlung hatte. Es stellte sich im Gespräch heraus, dass sie vom Partner erwartet hatte, dass er die sexuelle Führung übernimmt. Ihr Partner konnte das aber aus Angst und Unsicherheit selbst nicht. Beide hatten nie über die Probleme miteinander geredet. Im Gespräch wurde nochmals intensiv thematisiert, dass sie sich einen kräftigen Mann gewünscht hatte, der sich um Sex bemüht. In der Behandlung schlug ich ihr vor, sie solle selbst die Initiative ergreifen und die Probleme aktiv angehen. Sie sollte mit ihrem Partner darüber sprechen, was sie braucht, welche Wünsche sie hat, und ihn so weit wie möglich anleiten. Denn es stellte sich heraus, dass sie sexuell viel erfahrener war als er. In der Therapie habe ich sie in diesem Prozess begleitet.

Medikamentöse Behandlung

Männer: Bei der häufigsten männlichen Störung, der erektilen Dysfunktion, werden die rezeptpflichtigen Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) eingesetzt. Sie erleichtern den Bluteinstrom in den Penis, indem sie die Blutgefässe erweitern und so zu einer Verstärkung und Verlängerung der Erektion führen. Sie wirken meist (75%) bei psychischen und körperlichen Ursachen, entfalten ihre Wirkung aber nur, wenn sexuelle Lust vorhanden ist. In der Regel sind PDE-5-Hemmer gut verträglich.

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Alternative Therapien: Prostaglandin E1 (Alprostadil) kann als Gel in den Penis eingespritzt werden. Das führt zu einer Gefässerweiterung und damit zu einem steifen Penis.

Frauen: Bei der Frau kann die Lustlosigkeit in den Wechseljahren mit einer Hormonersatztherapie deutlich gebessert werden. Ein neues Medikament ist Flibanserin, ein Wirkstoff aus der Gruppe der Serotonin-Rezeptor-Modulatoren und damit eigentlich ein Antidepressivum. Es wurde zur Behandlung prämenopausaler Frauen mit einer hypoaktiven Sexualfunktionsstörung entwickelt. Flibanserin stimuliert das sexuelle Verlangen, indem es die Konzentrationen von Serotonin und Dopamin im Gehirn beeinflusst. Die Tabletten werden einmal täglich abends vor dem Schlafengehen eingenommen.

Statistiken zu sexuellen Funktionsstörungen

Geschlecht Anteil Leidensdruck
Frauen 43% (25-63%) 15%
Männer 31% (10-52%) 15%

Tipps für ein erfüllteres Sexualleben

  1. Schaffen Sie sich dafür Räume, sowohl örtlich wie auch zeitlich, in denen es um nichts anderes geht, als um die schönste Sache der Welt.
  2. Nehmen Sie Ihren Partner achtsam und bewusst in die Arme, beobachten Sie, was bei sich passiert und warten Sie, bis sich ein angenehmer Zustand von Entspannung ausbreitet.
  3. Gemäss dem Paar- und Sexualtherapeuten David Schnarch ist in den früheren Lebensjahrzehnten einerseits und zu Beginn einer Paarbeziehung anderseits die Sexualität quasi ein Selbstläufer.
  4. Viele Menschen haben das Gefühl, beim Sex gehe es vor allem darum, den Partner, die Partnerin zu befriedigen.
  5. In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, dass heutzutage vor allem sensible Männer ihr sexuelles Verlangen abwerten oder mit Skepsis betrachten.
  6. Der Sexualtherapeut Jack Morin hat den Begriff des "Erotischen Kernthemas" geprägt.

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