Selektives Essverhalten bei Kindern: Definition, Ursachen und Lösungsansätze

Die Nahrungsaufnahme ist ein menschliches Grundbedürfnis, das jedoch weit mehr als nur die Zufuhr von Energie und Nährstoffen bedeutet. Das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen wird von angeborenen Präferenzen, physiologischen Mechanismen und externen Faktoren beeinflusst.

Dazu gehören Familienstrukturen, Zeit, Ernährungswissen der Eltern, Familieneinkommen und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln. Vorlieben sowie emotionale und soziale Assoziationen zu bestimmten Nahrungsmitteln entstehen in Interaktionen mit Bezugspersonen. Essen wird also in der Kindheit sowohl durch als auch beim Essen gelernt.

Die Beziehung eines Säuglings zu seinen primären Bezugspersonen wird stark durch die Nahrungsaufnahme geprägt und gilt als besonders wichtig für die gesamte Entwicklung des Kindes. Mit dem Stillen und dem allmählichen Wechsel zur festen Nahrung sind vielfältige Erziehungs- und Lernprozesse verknüpft.

Der Einfluss der familiären Esskultur

Kinder lernen durch das Angebot, das soziale Umfeld anbietet, zu essen, was geniessbar ist. Mit der Sozialisation werden Kinder in die Esskultur der jeweiligen Gesellschaft eingeführt. Die Nahrungsaufnahme ist also nicht allein biologisch determiniert, sondern stark durch familiäre, soziokulturelle, religiöse Erfahrungen geprägt, wird durch Lern- bzw. Erziehungsprozesse gebildet und hat damit einen lebenslangen Einfluss auf das Ernährungsverhalten, die Gesundheit und das Wohlbefinden.

Studien zeigen, dass Kinder, die von klein auf mit einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung in Kontakt kommen, langfristig eine vielseitigere Lebensmittelakzeptanz aufweisen und tendenziell eine optimalere Gewichtsentwicklung haben. Die Art und Weise, wie im Kleinkindalter Mahlzeiten gestaltet werden, beeinflusst das spätere Essverhalten.

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Kinder, bei denen Mahlzeiten regelmässig mit Stress oder Konflikten assoziiert sind, entwickeln häufiger eine gestörte Beziehung zum Essen. Auch eine unregelmässige oder unstrukturierte Ernährung, z.B. durch das Fehlen gemeinsamer Mahlzeiten, stellt einen erheblichen Risikofaktor für frühkindliche Fütter- und Essstörungen dar.

Studien zeigen, dass Kinder, die regelmässig zu Hause gemeinsam mit der Familie essen, eher ein normales Gewicht entwickeln und weniger anfällig für übermässigen Zuckerkonsum sind. Dies betont die Bedeutung der familiären Esskultur und der Rolle von Eltern als Vorbilder für gesunde Ernährungsgewohnheiten.

Das in der Kindheit erworbene grundlegende „Ess-Programm“ lässt sich nur durch bewusste Anstrengung ändern. Erfahrungen mit der Nahrungsaufnahme gelten für die Primärsozialisation in der Familie als besonders herausragend, da sie es ermöglichen, Essen als genuss- bzw.

Selektives Essverhalten: Ein häufiges Problem

Selektives Essverhalten ist eines der häufigsten Ernährungsmuster bei Kleinkindern und gilt als Hindernis für ein gesundes Essverhalten. Selektives Essverhalten bei Kindern kann zu einer Vielzahl familiärer Probleme und Konflikte im Zusammenhang mit der Ernährung führen.

Hierbei sind besonders elterliche Sorgen um das Gedeihen und die Gesundheit des Kindes, Konflikte bei den Mahlzeiten und Schuldgefühle der Eltern zu nennen. Eltern empfinden das wählerische Essverhalten des Kindes oft als Ausdruck von Widerstand und oppositionellem Verhalten ihrer Kinder.

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Ein hoch selektives Essverhalten kann zu einer Reduktion der Lebensmittelvielfalt führen, was möglicherweise eine unausgewogene und nährstoffarme Ernährung nach sich zieht. Im Vergleich zu nicht wählerischen Esser:innen konsumieren wählerische Esser:innen eine geringere Auswahl an Lebensmitteln, was wiederum zu schlechtem Wachstum, Untergewicht oder auch Übergewicht, aber auch zur Entwicklung von Essstörungen führen kann.

Zudem kann aufgrund der unzureichenden Aufnahme von Ballaststoffen, was häufig auf einen geringen Obst- und Gemüsekonsum zurückzuführen ist, das Mikrobiom verändert sein.

Ursachen für selektives Essverhalten

  • Genetische Prädisposition hinsichtlich einer sensorischen Überempfindlichkeit
  • Frühkindliche Fütterstörungen
  • Verzögerte Einführung fester Nahrung während des Abstillens
  • Druck auf das Kind, bestimmte Lebensmittel zu essen

Wählerisches Essverhalten und Lebensmittelneophobien gehen bereits im Vorschulalter häufiger mit Übergewicht oder Adipositas einher. Eine Gemeinsamkeit aller Fütterungs- oder Essstörungen im frühen Kindesalter sind Probleme des Kindes bei der Nahrungsaufnahme, welche nicht allein durch organische Ursachen erklärbar sind.

Diese Probleme können sowohl mit einem sehr niedrigen Gewicht bzw. einer Gedeihstörung, mit Normalgewicht oder auch mit Übergewicht einhergehen. Auch treten gehäuft Ängste im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme auf.

Die Rolle der Eltern und Erziehungsstile

Es gibt wissenschaftliche Hinweise darauf, dass zu restriktive Erziehungsstile im Hinblick auf die Ernährung und das Essverhalten von Kindern problematisch sein können. Besonders autoritäre Erziehungsstile, die durch hohe Kontrolle und geringe Akzeptanz geprägt sind, können das Risiko für ungesundes Essverhalten oder Übergewicht erhöhen.

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Dies geschieht oft durch eine starke Einschränkung der Nahrungswahl, die das natürliche Hunger- und Sättigungsgefühl der Kinder beeinträchtigen kann. Auch wenn Essen als Belohnung bzw. Bestrafung genutzt wird, kann sich ein gestörtes Verhältnis zu Nahrungsmitteln entwickeln, was wiederum die Entstehung von Essstörungen begünstigen kann.

Ein flexibler, aber konsequenter Erziehungsstil, der gesunde Essgewohnheiten unterstützt, ohne Verbote oder extreme Einschränkungen, scheint hingegen positive Effekte auf die Ernährung und das Essverhalten von Kindern zu haben.

Was tun bei selektivem Essverhalten?

Viele Kinder sind pingelig, wenn es darum geht, was auf ihrem Teller landet. Wenn ein Kind angewidert das Gesicht verzieht, sobald es Brokkoli auf dem Tisch entdeckt, und die Karotte kurzerhand auf den Boden wirft, kann das für Eltern anstrengend sein.

Es gibt keine anerkannte Definition des «Picky Eatings», der Begriff umfasst ein breites Spektrum, erklärt die Ernährungsberaterin Isabelle Rieckh, die an der Berner Fachhochschule lehrt. Wählerische Esser können Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sein, die nur etwa zehn bis 15 verschiedene Lebensmittel zu sich nehmen oder bestimmten Nahrungsmitteln skeptisch gegenüberstehen.

Häufig verweigern sie auch, neue Gerichte oder Lebensmittel zu probieren, was am Geschmack, der Konsistenz oder der Textur liegen kann. Ernährungsberaterin Rieckh betont: «Ein leicht wählerisches Essverhalten bei Kindern ist normal und unbedenklich.»

Allerdings kann die Abneigung von Lebensmitteln oder Angst vor dem Essen auch extreme Formen annehmen und sich zu einer Essstörung entwickeln. Studien zeigen zudem, dass wählerisches Essverhalten häufig bei neurodivergenten Kindern und Erwachsenen vorkommt, etwa bei Menschen im Autismus-Spektrum oder mit AD(H)S.

Tipps für Eltern

  • Geduld bewahren: Auch wenn Kinder über Jahre hinweg wählerische Esser sind, legt sich dieses Verhalten normalerweise im Erwachsenenalter.
  • Wiederholtes Anbieten: «Passen Sie die Menüs nicht zu sehr an die Vorlieben des Kindes an», rät Ernährungsberaterin Isabelle Rieckh.
  • Freiwilligkeit betonen: Wichtig ist, das Kind nicht zum Probieren zu drängen.
  • Vorbild sein: «Wenn Eltern selbst Freude am Essen haben und diese auch bei ausgewogenen Mahlzeiten zeigen, wird das Kind dies bemerken und sich animiert fühlen, es ihnen nachzumachen», sagt Moritz Daum, Entwicklungspsychologe an der Universität Zürich.
  • Entspannte Atmosphäre schaffen: Gemeinsame Mahlzeiten sollen positiv und lustvoll erlebt werden.
  • Fachliche Unterstützung einholen: «In der heutigen Informationsflut ist es oft schwierig zu beurteilen, was eine ausgewogene Kinderernährung ausmacht und welches Essverhalten noch ‚normal‘ ist», betont Rieckh.

Selektives Essen (ARFID): Eine spezifische Form der Essstörung

Für Menschen mit selektivem Essverhalten (SED) respektive der vermeidend-restriktiven Essstörung (ARFID; avoidant-restrictive food intake disorder) sind solche Situationen alltägliche Realität. Aber auch für «Picky Eater», das heisst wählerische oder heikle Esser und Esserinnen, die nicht in das offizielle Diagnoseraster der Essstörung passen, kann auswärts essen - sei es bei Freunden, im Restaurant oder in den Ferien - grossen Stress und Panik auslösen.

ARFID steht für weit mehr als nur ein «heikles» Essverhalten. Es ist eine anerkannte Essstörung, die durch eine tiefsitzende Vermeidung oder eingeschränkte Aufnahme von Nahrung charakterisiert ist. Diese Störung kann ernährungsbedingte Mängel, Gewichtsverlust und soziale Isolation zur Folge haben und erfordert ein tieferes Verständnis bei der Behandlung.

Hypnosetherapie als möglicher Ausweg

Durch Hypnosetherapie öffnen wir das Fenster zu deinem Unterbewusstsein, dem Ort, wo viele unserer Prägungen, Überzeugungen und Erfahrungen gespeichert sind. Diese sanfte, aber tiefgehende Methode ermöglicht es uns, an der Wurzel des selektiven Essverhaltens oder der ARFID zu arbeiten, indem wir verborgene Ängste und Blockaden aufspüren und auflösen.

Umgang mit Stigmatisierung

Die Stigmatisierung von Menschen mit Übergewicht oder Adipositas ist schwer abbaubar und eine der wenigen Formen von Diskriminierung, die breit geteilt und akzeptiert wird, teilweise auch unter Gesundheitsfachleuten. Die aktuelle Forschung konnte zeigen, dass die Stigmatisierung eine zentrale Barriere für die Behandlung von Übergewicht ist.

Um die Stigmatisierung von betroffenen Patient:innen zu vermeiden, ist es von grundlegender Bedeutung, die vielen Determinanten der Adipositas zu verstehen und eine holistische Behandlung anzubieten. In Bezug auf die Sprache kann es hilfreich sein, mit den Eltern und den Patient:innen zu besprechen, welche Begriffe sie bezüglich der Gewichtsproblematik verwenden möchten.

Die motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ist ein weiteres Instrument, welches die intrinsische Motivation der Betroffenen und ihrer Familien unterstützt, gesundheitsfördernde Veränderungen anzustreben. MI basiert auf einem kooperativen und empathischen Ansatz mit offenen Fragen und reflektierendem Zuhören.

Tabelle 1: Tipps für den Umgang mit übergewichtigen Kindern und Jugendlichen

Aspekt Empfehlung
Sprache Sensible Wortwahl, Vermeidung stigmatisierender Begriffe
Gesprächsführung Motivierende Gesprächsführung, offene Fragen, empathisches Zuhören
Behandlung Holistische Behandlung, Berücksichtigung aller Determinanten der Adipositas

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