Situationen mit Todesgefahr wie Unfälle, Überfälle, Vergewaltigungen, Krieg, Folter oder Naturkatastrophen lösen bei allen Menschen starke Angst, Panik, Ekel oder auch Wut aus. Manchmal klingen diese Gefühle auch lange nach dem traumatischen Ereignis nicht ab, sondern bleiben bestehen.
Ekel und Scham sind negative Gefühle, die wir als unangenehm empfinden. Viele Pflegende halten Ekel und Scham für unangemessene Reaktionen, die ausgehalten werden, um schnellstmöglich der unangenehmen Situation zu entfliehen. Gefühle, die unterdrückt, verleugnet oder nicht ernstgenommen werden, können zu Stress, Frustration, Angst, Wut und Gewalt führen.
Mit Ärger und Ekel geben wir zum Ausdruck, dass die Grenzen eines tolerierbaren Verhaltens überschritten wurden. Natürlich können wir uns auch ärgern, wenn wir mit dem Hammer die Wand statt den Nagel getroffen haben, und eine faulende Kartoffel im Vorratsschrank wird uns anekeln. Aber Ärger und Ekel dienen auch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie sind moralische Emotionen.
Die Rolle von Ärger und Ekel in der Kommunikation
Wir wollen einem Herrn, der sich in der Schlange vorgedrängt hat, unser Ärger zeigen. Wenn Ärger und Ekel der zwischenmenschlichen Kommunikation dienen, wollen wir damit bei unserem Gegenüber etwas bewirken. Aber was? Warum benutzen wir zwei unterschiedliche Gesichtsausdrücke, um unserem Missfallen Ausdruck zu verleihen? Weil wir zwei unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck bringen wollen, vermuten Forscher.
Wenn Sie über Situationen nachdenken, in denen Sie Ärger verspüren, dann werden Sie feststellen, dass es vor allem Situationen sind, in denen sich jemand unfreundlich oder unfair verhalten hat. Sein Verhalten ärgert uns, weil er unsere Rechte oder Rechte von Anderen verletzt hat. Ekel richtet sich dagegen fast immer gegen jemanden, der körperrelevante Normen (z.B. Hygiene- oder Sexualnormen) überschritten hat. Die Person selbst ekelt uns an.
Lesen Sie auch: Behandlung von Essstörungen
Wenn eine Person egoistisch gehandelt hat, werden sich ihre Kollegen über sie ärgern. Seit vielen Jahren vermuten Forscher, dass Ärger vor allem Schuld, Ekel dagegen vor allem Scham bei unserem Gegenüber auslöst, und zwar in sozialen Gruppen, die für uns relevant sind (Kollegen, Familie, Freunde usw.).
Der Drängler in der Schlange kann Sie ignorieren (wenn Sie nicht zwei Köpfe grösser sind), weil er Sie vermutlich nie mehr antreffen wird. Bei Ihren Arbeitskollegen oder Freunden wollen Sie aber Ihren guten Ruf aufrechterhalten. Diese Vermutung haben Roger Giner-Sorolla und Pablo Espinosa in ihren Studien bestätigt.
Ähnlich wie in unserem Anfangsbeispiel baten die Forscher Studenten sich vorzustellen, sie würden in ihr Studentenheim kommen und alle würden sie entweder verärgert oder angeekelt anschauen. Die Gesichtsausdrücke wurden mittels Fotos verdeutlicht. Wie erwartet berichteten die Studenten mehr Schuld als Scham bei verärgerten Gesichtern und mehr Scham als Schuld bei Gesichtern, die Ekel ausdrückten.
Diese Gefühle wären ohne weitere Bedeutung, wenn sie nicht unterschiedliches Verhalten vorhersagen würden. Schuldgefühle verleiten uns nämlich dazu, das angeschlagene Vertrauen in der zwischenmenschlichen Beziehung wieder herzustellen. Sie werden sich vermutlich für Ihr Verhalten entschuldigen oder probieren, es zu erklären, wenn sich jemand zu Recht über Sie ärgert.
Scham führt dagegen eher dazu, dass wir die Beziehung in der Zukunft vermeiden. Ekel hat deshalb auch ernsthaftere Konsequenzen als Ärger. Wenn sich jemand über uns ärgert, dann bedeutet das: „Ich finde Dein Verhalten nicht in Ordnung“. Wenn er sich ekelt, dann sagt er indirekt: „Ich will mit Dir nichts zu tun haben“. Wir fühlen uns abgelehnt und isoliert. In anderen Worten, Ekel ist eine starke Waffe, mit der wir jemanden empfindlich verletzen können.
Lesen Sie auch: Psychologie in Münster studieren
Ekel und Scham im Pflegebereich
Sowohl Pflegende als auch Patienten:innen sind davon betroffen. Ekel und Scham sind natürliche Gefühle, die sich nur bedingt steuern lassen. Ekel und Scham werden oft mit der Körperarbeit oder der Körperausscheidung assoziiert. Aber ebenso können bestimmte Verhaltensweisen oder Essen und Trinken diese Emotionen auslösen.
Die Auseinandersetzung mit Ekelempfindlichkeit von Pflegeauszubildenden und dessen Einfluss ergab, dass 60 Prozent der Befragten Ekel bei Pflegeaufgaben verspüren. Aus Ekel haben 14 Prozent diese Pflegeaufgaben vermieden und 26 Prozent glaubten, dass sie aufgrund dieser Emotion nicht als Pflegende qualifiziert wären, beziehungsweise den Beruf verlassen (Özkan et al.
Es scheint ein direkter Zusammenhang zwischen ekelauslösenden Pflegesituationen und der Pflegequalität zu bestehen. In der klinischen Praxis wird beobachtet, dass Pflegeinterventionen, die mit Ekel verbunden werden, rascher durchgeführt werden. Ausserdem werden Patient:innen, die «ekelerregende Verhaltensweisen» zeigen, von Pflegenden weniger häufig und weniger lang besucht. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass hier eine Vernachlässigung der Pflegequalität möglich ist.
Strategien im Umgang mit Ekel und Scham in der Pflege
Genauso unterschiedlich wie Emotionen erlebt werden, gibt es auch Strategien. Aktuell gibt es keine einheitlichen evidenzbasierten Empfehlungen. Unabhängig der Quellen gibt es verschiedene deckungsgleiche Empfehlungen.
- Beziehung zwischen Patient:innen und Pflegenden und Wissen: Als hilfreich beschrieben wird die Haltung der Pflegenden, dass nicht der/die Patient:in als Mensch ekel- oder schamauslösend ist, sondern dass das Auslösende, z. B. ein Stoma, Körpergeruch, Wunden oder Verhaltensweisen, sind. Dies zu reflektieren ist zentral. Es wird empfohlen, den Fokus auf die Interaktion zu legen. Auch das Wissen über auslösende Faktoren hilft, sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Herausforderung besteht darin, in diesem Moment auf den Menschen zuzugehen.
 - Arbeitsklima und eigene Motivation: Arieli (2013) beschreibt die Denkweise «ich bin stark und erinnere mich daran, warum ich den Beruf Pflege gewählt habe» als Motivation, um mit emotional belastenden Situationen umgehen zu können. Dies gilt auch für Ekel und Scham. Pflegenden, die davon potenziell betroffen sein könnten, wird empfohlen, das arbeitsbezogene Wohlbefinden zu optimieren.
 
Die Investition in den Umgang mit Ekel und Scham verbessert indirekt auch die allgemeinen Arbeitsbedingungen.
Lesen Sie auch: Was steckt hinter Missgunst?
Es ist wünschenswert, dass Personen in Schlüsselpositionen und Vorbildrollen das Thema ansprechen. Da keine Richtlinien oder Expertenstandards bekannt sind, gilt in erster Linie Erfahrungswissen. Ein offenes Ohr und das Ernstnehmen sind wichtige Unterstützungsmassnahmen.
Der Alltag zeigt, dass der professionelle Umgang mit Ekel und Scham noch weiterer Aufmerksamkeit bedarf. Insbesondere ist das Bewusstsein für das Auftreten zu schärfen. Es scheint zentral, da Auswirkungen auf die Patientensicherheit und Mitarbeitendenzufriedenheit nicht unerheblich sind.
Allgemein gilt es auch, für weitere Tabuthemen zu sensibilisieren, am besten früh und bereits in der Ausbildung. Aufgrund der Vielfältigkeit des Berufs erleben Pflegende unterschiedlichste Situationen und Emotionen in einer Bandbreite, wiewohl in keinem anderen Beruf.
Die aktuelle Studienlage basiert aktuell auf retrospektiven Erzählungen. Da es herausfordernd ist, solche Emotionen zu erfassen, würde ein Instrument in Form einer evidenzbasierten Skala Unterstützung bieten, um das Erlebte zu beschreiben.
Tabelle: Strategien im Umgang mit Ekel und Scham
| Bereich | Strategie | 
|---|---|
| Beziehung und Wissen | Fokus auf Interaktion, Wissen über Auslöser | 
| Arbeitsklima und Motivation | Stärkung der Motivation, Optimierung des Wohlbefindens | 
| Führung und Unterstützung | Offene Kommunikation, Ernstnehmen von Emotionen | 
tags: #scham #und #ekel #psychologie #definition