Voraussetzungen für Rentenversicherung bei Angststörung

Viele Menschen mit Angststörungen fragen sich, ob sie Anspruch auf eine Rentenversicherung haben. Die Antwort hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Schwere der Erkrankung und die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit.

Grundlagen der Rentenversicherung bei Angststörungen

Die Rentenversicherung in Deutschland ist ein wichtiger Pfeiler der sozialen Sicherheit. Sie soll Menschen absichern, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können.

Um Leistungen aus der Rentenversicherung zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören:

  • Eine bestehende Angststörung, die von einem Arzt oder Psychotherapeuten diagnostiziert wurde.
  • Eine erhebliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Angststörung.
  • Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wie z.B. eine bestimmte Anzahl von Beitragsjahren.

Die Rolle von Gutachten und medizinischen Nachweisen

Ein wichtiger Bestandteil des Antragsverfahrens ist die Vorlage von ärztlichen Gutachten und medizinischen Nachweisen. Diese sollen die Diagnose der Angststörung und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit belegen.

Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle:

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  • Die Diagnose der Angststörung muss anhand von anerkannten Diagnosekriterien (z.B. ICD-10) gestellt worden sein.
  • Die Schwere der Erkrankung muss anhand von standardisierten Fragebögen und klinischen Untersuchungen dokumentiert werden.
  • Die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit müssen detailliert beschrieben werden. Dazu gehören z.B. Einschränkungen bei der Ausübung bestimmter Tätigkeiten, Fehlzeiten am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit von Pausen.

Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Sache im Juni 2022 zur weiteren Abklärung und neuen Entscheidung an die IV-Stelle zurück. Es betonte die Unterscheidung von Schadenminderungs- und Mitwirkungspflicht und forderte eine gutachterliche Abklärung des Gesundheitszustands sowie die Prüfung der Zumutbarkeit schadenmindernder Massnahmen im Sinne von Art.

Erwerbsfähigkeit und Grad der Behinderung

Ein zentraler Begriff im Zusammenhang mit der Rentenversicherung ist die Erwerbsfähigkeit. Sie beschreibt die Fähigkeit einer Person, aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Rentenversicherung prüft, inwieweit die Erwerbsfähigkeit durch die Angststörung eingeschränkt ist. Dabei wird unterschieden zwischen:

  • Voller Erwerbsminderung: Die Person kann aufgrund der Angststörung keinerlei Erwerbstätigkeit mehr ausüben.
  • Teilweiser Erwerbsminderung: Die Person kann noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen oder in reduziertem Umfang.

Zusätzlich zur Erwerbsfähigkeit kann auch der Grad der Behinderung (GdB) eine Rolle spielen. Er gibt an, wie stark eine Person aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen in ihrer Teilhabe am Leben eingeschränkt ist.

Ein hoher GdB kann den Anspruch auf bestimmte Leistungen erleichtern, z.B. auf eine Rente für schwerbehinderte Menschen.

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Der Fall A._: Ein Beispiel aus der Rechtsprechung

Das Bundesgericht hebt das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich sowie die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich auf und weist die Sache an die IV-Stelle zurück. A._ meldete sich 2008 wegen psychischer Probleme bei der IV-Stelle Zürich an. Die IV finanzierte ihm eine berufliche Erstausbildung zum Kaufmann EFZ (August 2009 bis Juli 2012) und ein anschliessendes Arbeitstraining (August 2014 bis Januar 2015).

Nachdem A._ im Frühjahr 2019 erneut Leistungen beantragt hatte, wurde er unter anderem wegen einer sozialen Phobie, einer generalisierten Angststörung, Panikattacken sowie Verdachts auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden Zügen behandelt. Die IV-Stelle verpflichtete ihn mehrfach zur schadenmindernden medizinischen Behandlung, insbesondere einer mehrwöchigen stationären Therapie. Diese Massnahmen scheiterten jedoch, da A._ die anberaumten Klinikaufenthalte aufgrund "ausgeprägter Angst, mit fremden Menschen auf Station in Kontakt zu sein", jeweils absagte.

Gestützt auf einen Bericht der behandelnden Psychiaterin Dr. B._ (Mai 2023) und ein bidisziplinäres Administrativgutachten (Februar 2024) der SMAB AG, attestierte die IV-Stelle eine Arbeitsfähigkeit von 90 Prozent in leidensangepassten Tätigkeiten und wies das Leistungsbegehren im Juni 2024 erneut ab. Das kantonale Sozialversicherungsgericht bestätigte diese Entscheidung im November 2024.

Die Einschätzung der Ärzte

Dr. B._ diagnostizierte eine schwere ängstlich-vermeidende (selbstunsichere) Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.6) sowie eine abhängige Persönlichkeitsakzentuierung, rezidivierende depressive Episoden (gegenwärtig leichtgradig), eine ausgeprägte soziale Phobie und Panikattacken. Sie hob hervor, dass diese Störungen eine Beeinträchtigung auf allen Erfahrungs- und Verhaltensebenen zur Folge hätten. Insbesondere das "klassische Muster der Vermeidung" bei überfordernden Situationen, wie dem Antritt einer stationären Therapie, sei als imminentes Symptom der Angststörung realisiert worden. Trotz Einsicht in den Nutzen einer stationären Therapie sei es dem Versicherten nicht gelungen, diese anzutreten. Sie attestierte eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit 2017 und hielt A._ für nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar, wobei sie die Prognose auch langfristig als ungünstig einschätzte.

Die Administrativgutachter diagnostizierten ebenfalls eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung (F60.6), soziale Phobie (F40.1) und Panikstörung (F41.0). Sie verneinten Hinweise auf Beschwerdebetonung oder Aggravation. Jedoch hinterliess die Selbsteinschätzung des Beschwerdeführers zu seiner beruflichen Leistungsfähigkeit in adaptierter Tätigkeit bei ihnen "sehr stark den Eindruck einer nicht-krankheitsbedingt eingeschränkten Arbeitsmotivation". Sie erklärten das Misslingen der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt nach der Ausbildung "am ehesten" damit, dass die Anforderungen an soziale und kommunikative Fähigkeiten im Vergleich zu Praktika höher seien. Für "gut strukturierte, regelmässige Tätigkeit[en] ohne besonderen Zeitdruck und ohne erhöhte Anforderung an die emotionale Belastbarkeit", die weitestgehend alleine ausgeübt werden könnten, attestierten sie eine Arbeitsfähigkeit von 90 Prozent (10 % erhöhter Pausenbedarf). Sie teilten die Ansicht, dass eine stationäre Behandlung derzeit nicht bewältigt werden könne, hielten aber eine Gruppentherapie für sinnvoll und eine spätere stationäre Behandlung nach Besserung des Krankheitsbildes für möglich.

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Die Entscheidung des Gerichts

Das Bundesgericht hält fest, dass die Feststellung einer Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit verfrüht ist. Die in den Akten dokumentierte Vorgeschichte und die ärztlichen Stellungnahmen deuten in erster Linie auf ein Problem der objektiven Eingliederungsfähigkeit hin. Der Grundsatz "Eingliederung vor/statt Rente" gebietet, diese Frage von Amtes wegen aufzugreifen. Eine Restarbeitsfähigkeit, die auf einer objektiv nicht realisierbaren Eingliederung beruht, kann nicht als Grundlage zur Bestimmung des Invalideneinkommens herangezogen werden.

Das Gericht kritisiert, dass zu den Auswirkungen der Gesundheitsschädigungen auf die grundsätzliche Fähigkeit des Beschwerdeführers, sich beruflich zu integrieren, jede gutachterliche Stellungnahme fehlt. Die Administrativexpertise vom Februar 2024 enthält nichts, was die Darlegungen der behandelnden Ärztin Dr. B._ über die fundamentalen Eingliederungshindernisse (Vermeidungsverhalten, Ängste) widerlegen könnte. Im Gegenteil, die Gutachter stimmen zu, dass der Beschwerdeführer derzeit nicht in der Lage ist, eine stationäre Behandlung zu bewältigen.

Das Bundesgericht hält die vorinstanzliche Annahme, die Äusserungen des Beschwerdeführers hätten den Eindruck einer nicht krankheitsbedingt eingeschränkten Arbeitsmotivation vermittelt, für unhaltbar. Die "konsternierte" Reaktion des Beschwerdeführers sei vielmehr mit den fachärztlich beschriebenen Verhaltensmustern bei einer Persönlichkeits- und Angststörung vereinbar. Die Gutachter hätten selbst einen Zusammenhang zwischen der misslingenden beruflichen Integration und störungsbedingten "sozialen und sonstigen Ängsten" hergestellt. Auch die Argumentation der Vorinstanz, die absolvierten Ausbildungen bewiesen eine Eingliederungsfähigkeit, werde durch die Differenzierung des psychiatrischen Gutachters zwischen den Anforderungen einer Lehre und jenen des ersten Arbeitsmarktes widerlegt.

Die Notwendigkeit von Integrationsmassnahmen

Das Bundesgericht betont die Wichtigkeit einer eingliederungsorientierten Therapie. Es weist darauf hin, dass eine wirksame Förderung der Eingliederungsfähigkeit abgestimmte medizinische Massnahmen und Massnahmen zur sozial-beruflichen Rehabilitation erfordert. Letztere, insbesondere Massnahmen zur Gewöhnung an den Arbeitsprozess, Förderung der Arbeitsmotivation, Stabilisierung der Persönlichkeit, Einüben sozialer Grundfähigkeiten und Aufbau der Arbeitsfähigkeit, sind explizit für Versicherte mit psychischen Problemen gedacht, deren Gesundheitszustand für eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt noch nicht stabil genug ist. Die Voraussetzungen für solche Integrationsmassnahmen (seit mindestens sechs Monaten 50 % Arbeitsunfähigkeit) seien erfüllt.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Frage, ob eine Angststörung zu einem Anspruch auf Rentenversicherung führt, ist komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen die Schwere der Erkrankung, die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit und die medizinische Dokumentation. Das Urteil des Bundesgerichts zeigt, dass die Eingliederungsfähigkeit ein zentraler Aspekt bei der Beurteilung ist und dass Integrationsmassnahmen eine wichtige Rolle spielen können.

Aspekt Bedeutung
Diagnose Anerkannte Diagnosekriterien (z.B. ICD-10)
Schweregrad Standardisierte Fragebögen, klinische Untersuchungen
Erwerbsfähigkeit Volle oder teilweise Erwerbsminderung
Grad der Behinderung (GdB) Einschränkung der Teilhabe am Leben
Eingliederungsfähigkeit Objektiv realisierbare Integration in den Arbeitsmarkt

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