Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe Angst und Furcht oft synonym verwendet, doch die Psychologie unterscheidet klar zwischen ihnen. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu verstehen, um die komplexen Reaktionen des menschlichen Organismus in verschiedenen Situationen besser einordnen zu können.
Der Unterschied zwischen Angst und Furcht
Nun sind aber Angst und Furcht Begriffe, die wahllos füreinander in der Umgangssprache gebraucht werden - eine Verballung, die selbst bis in Abhandlungen der heutigen Psychologie durch alte eingefahrene Vorstellungen mitgeschleppt wird. Es ist jedoch zwischen Angst und Furcht zu unterscheiden, sowohl qualitativ wie auch quantitativ.
- Furcht: Furcht entsteht durch eine reale Bedrohung, etwa wenn eine Schlange auf uns zuschnellt. Auf Furcht reagieren wir instinktiv.
 - Angst: Angst ist ein evolutionäres Frühwarnsystem», sagt Jürgen Margraf. Das Wort «Angst», so der 68-Jährige, stammt vom indogermanischen «anghu» und bedeutet «Enge» oder «Beklemmung». Es beschreibt ein diffuses Gefühl der Unsicherheit, oft ohne konkreten Auslöser, etwa das Unbehagen im Dunkeln oder Sorgen um die Zukunft.
 
Furcht hat nie jenen Grad der Intensität des Gefühls aufzuweisen wie Angst, die über die Übererregung bis in die lähmende Inaktivität des Organismus hinein führen kann und hier die Stufen Angsterregung, schlotternde Angst und lähmende Angst durchschreitet.
Wohl ist auch die Furcht vegetative Erscheinung, aber diese vegetative Erregung erreicht niemals den Grad eines Affektes. Ist die Furcht eine Äusserung des Organismus neben anderen Bewusstseinsinhalten, so ist die Angst ein Zustand vom Charakter des Ausschliesslichen. Anders ausgedrückt: der Mensch hat Furcht; was aber die Angst betrifft, so hat nicht der ganze Mensch sie, sondern sie hat den ganzen Menschen. Angst ist sozusagen ein ichloser Zustand, während Furcht immer noch von der Persönlichkeit des Menschen kontrolliert und beeinflusst ist.
Die Rolle des vegetativen Nervensystems
Unser Organismus ist in seiner vegetativen Funktion, d.h. in seiner Steuerung, zweipolig und wird durch ein weiteres zweipoliges System ( der hormonellen Steuerung ) in dieser Funktion unterstützt, wobei beide Systeme eng ineinandergreifen. Das Wesen dieser Steuerung ist, dass der eine Pol in Richtung Leistungssteigerung funktioniert, der andere in Richtung Leistungsdrosselung. Diese beiden Funktionen heissen die sympathische bzw. die parasympathische Funktion.
Lesen Sie auch: Hilfe bei Todesangst: Ein umfassender Leitfaden
- Sympathische Innervation: Die sympathische Innervation des Organismus ist auf Leistungssteigerung und Kraftverausgabung ausgerichtet.
 - Parasympathische Innervation: Die parasympathische Innervation aber auf Leistungsdrosselung und Krafteinsparung, Schonung des Organismus.
 
Dieser biologischen Forderung, dass sich vor bedrohlichen Situationen ( also im Bergsteigen vor der Auseinandersetzung mit Wänden, bei denen man innerlich nicht restlos gewiss ist, ob man die Aufgabe auch überlegen meistern würde ) in erster Linie die parasympathische Funktion des Organismus zu regen beginnt, entsprechen durchaus die Beobachtungen, die man zuweilen bei mehr oder weniger Berggewohnten, wenn sie vor entscheiden- den Aufgaben stehen, machen kann.
Man sieht dann die Erscheinungen der Situationsfurcht, wie sie auch vor anderen entscheidenden Situationen des Lebens auftreten. Der Komplex dieser Erscheinungen ist wohl allen Bergsteigern sehr bekannt: es tritt regere Darmtätigkeit auf ( ein Reflex in der Biologie, der der Selbsterhaltung dient ), es findet sich mit Regelmässigkeit eine Nahrungsabneigung bis zur Nahrungsunverträglichkeit, ein Engegefühl in der Brust, das sich durch zeitweilig vertiefte Atemzüge zu kompensieren sucht; weiter eine schlechte Durchblutung der Muskulatur, die sich in Spannungsgefühl und Schweregefühl der Beine beim Anstieg zur Wand äussert.
Durch die stärkere Durchblutung der Hautgefässe kommt es zum Wärmeverlust und zum Frösteln. Dem kommt noch die meist kühle Morgentemperatur entgegen, so dass Bergsteiger diese Erscheinungen für gewöhnlich auf die geringe Aussentemperatur zurückführen.
Zu den Erscheinungen der Erregung des Vegetativums in dieser Erwartungssituation gehört auch die irrtümlich als « Unart » junger Bergsteiger ausgelegte erregte Stimmung, die sich in Johlen und Schreien äussert, sowie andere laute Derbheiten, die sich bei näherem Hinsehen fast immer als Entlastungsreaktionen von Erregungszuständen vor oder nach seelischen Belastungen ( d. i. schwierigeren bergsteigerischen Unternehmungen ) herausstellen.
Die motorischen Entladungen führen zwar den Organismus nicht aus der widrigen Zone heraus, weil das Grosshirn über Vorstellungen vom eigenen Ich hier zur Zeit noch die Oberhand über den Organismus hat, aber diese Entladungen sind dessen ungeachtet nichtsdestoweniger stammesgeschichtliche Reaktionen und als solche kaum als bergsteigerische Unarten hinzustellen.
Lesen Sie auch: Ursachen für Angst und Panik
Es ist auch in dieser Richtung bezeichnend, wie schnell oft gerade bei den jüngsten Bergsteigern polternde Einsatzfreudigkeit in spontane Umkehr und Verzicht auf das Unternehmen ohne langes Überlegen und Erwägen umschlägt. Wir kennen genug Beispiele in dieser Beziehung: so das Umdrehen einer von Haus aus innerlich unsicheren Seilschaft ohne viel Aufhebens, wenn einer der Beteiligten bemerkt, dass es für diese Tour eigentlich schon sehr spät sei - oder das schon fast an unbewusste Absicht ( eine Contradictio in adjectogrenzende Vertrödeln des Anstieges, so dass es dann beim Einstieg schliesslich für die Tour schon endgültig zu spät ist; oder die manchmal zu hörenden frappierenden Bemerkungen in der Hütte, wenn beim Aufwachen Schlechtwetter bemerkt wird, die fast schon klingen wie « Gottseidank es regnet! ».
Die allermeisten dieser Gründe für Abbruch der Tour stellen sich für den genaueren Beobachter als kategorische Imperative des Organismus ( d. i. Wenn man sich nun gedrängt sieht, diese biologisch sinnvollen Äusserungen des Vege-tativums entsprechend ihrem Zustandekommen aus der Situation der psychischen Belastung, hier durch Empfinden der Existenzwidrigkeit der vorgenommenen Aufgabe, als komplexe Erscheinungen der Furcht zweckmässig zu erkennen, so sind sie doch in dieser Form noch keineswegs als Momente subjektiver Gefährdung anzusprechen.
Das "Sich-Freiklettern" und subjektive Gefahren
Was nun das Phänomen der Furcht betrifft bzw. sein motorisches Äquivalent, die Maske der lärmenden und johlenden Erregung, oder auch nur die hochgradige innere Spannung bei äusserer Ruhe und Beherrschtheit, die sich in ihrem motorischen Ursprung nur verrät durch grobe Bewegungsimpulse und Verlust der Feindosierung der Bewegungen, so haben wir im Moment des sogenannten « Sich-Freikletterns » in den ersten Seillängen das entsprechende motorische Manifest beim Klettern selbst.
Dieses sogenannte Sich-Freiklettern birgt mancherlei subjektive Gefahrenmomente für den Bergsteiger in sich. Es erhellt ohne weiteres aus der Art der Bewegung im Fels, die durch die Hast der überschiessenden Bewegungen, durch das Fahrige, Automatisierte, unkontrolliert Reflexmässige markiert ist, dass in einem solchen Zustand der Bergsteiger objektiven Gefahrenmomenten, wie Brüchigkeit, plötzlichem Seilzug durch schlecht ablaufendes oder klemmendes Seil und sonstigen Tücken des Geländes, unvorsichtigen Belastungen von Graspolstern usw., in erhöhtem Masse ausgeliefert ist.
Auch gibt diese Art des Steigens vermehrt Anlass zu sogenannten Verhauern und Verkeilungen in die Situationen technischer Ausweglosigkeit. Schliesslich aber ist in dieser psychischen Lage auch der Umschlag vom aggressiven Aufwärtsdrängen zur plötzlichen Rückzugstendenz im Bereiche der Möglichkeit.
Lesen Sie auch: Therapie gegen Schreibangst
Angst als Affekt
Ein ganz anderes Kapitel als die Furcht in ihrem Ausdruck der motorischen Erregung stellt die Angst im Bergsteigen dar. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass die Angst im Gegensatz zur Furcht ein Affekt ist.
Dementsprechend kann es sich in der Situation der Angst niemals ereignen, dass der Betreffende äussert, er hätte Angst. Fällt eine solche Entscheidung, dann handelt es sich um Furcht, nicht aber um Angst. Denn diese ist elementares Ereignis, das mit Bewusstseinseinengung einhergeht, d.h. in dem die psychischen Abläufe ohne bestimmende Mitwirkung des Denkapparates vor sich gehen.
Angst im Kletterverhalten
Eine dieser Erscheinungen von Angst im Bergsteigen ist ein Vorgang beim Klettern in Wänden, der recht oft direkt oder indirekt zur Beobachtung gelangt und folgendermassen charakterisiert ist: bei schwierigen Kletterstellen wird der ruhige Rhythmus des harmonischen Höhersteigens unterbrochen, es kommt zum Zögern, zu wiederholten Ansätzen, die richtige Bewegungslösung für die betreffende Stelle zu finden, die immer wieder rückläufig werden durch wiederholtes Zurücksteigen zum letzten sicheren Stand.
Es besteht also bei mangelndem Impuls zur Rasanz der Bewältigung die Tendenz, sich durch wiederholte Probierbewegungen den Bewegungsschlüssel nach beiden Seiten hin ( also hinauf und hinunter ) herauszuarbeiten. Dieses Zögern aber bringt den Bergsteiger zugleich in eine auf das « Wieder-zu-rück » abgestimmte psychische Reaktionslage, die sich jedoch in der entscheidenden Phase der Bewältigung dieser Stelle, nämlich dann, wenn aus dem richtigen Ansatz heraus in einem Zug weitergegangen werden müsste, als der Finalität des Ganzen abträglich erweist.
Es tritt in diesem Fall immer wieder der Umstand in Erscheinung, dass in der sich kritisch zuspitzenden Situation, in der die psychische Einstellung der kräftigen Strebung zum Weitergehen rationale Forderung wäre, Impulse des « Wieder-zurück » mit rationalen Entschlüssen zum « Jetzt-hinauf !» in bunter Folge und blitzartig in der Situation wechseln.
Diese wechselnden Impulse in der kritischen Situation der Exposition des Individuums müssen aber notwendig zur Erkenntnis der Labilität der Sicherheit führen und bringen ebenso notwendig das Kritische der Lage zu Bewusstsein, das einer Augenblicksentscheidung bedarf. Der situative Ablauf der Bewältigung der schwierigen Stelle ist mithin an jenem Punkt angelangt, wo, in einer ungünstigen Stellung, das Hinauf und das Hinunter in gleicher Weise problematisch ist.
Verständlich führt diese Erkenntnis absoluter Exposition zu panikartiger Gesamtstimmung des Organismus und diese zum Einsetzen von Primitivreaktionen unter Ausschaltung des bewussten Denkens: es kommt auch hier zum Bewegungssturm, der über eine Vielzahl von Probierbewegungen dem Individuum aus der kritischen Situation heraushelfen soll.
Das, was sich dann auf diese Weise aufwärts bewegt, ist kein Bergsteiger im Sinne der erlernten Ausübung, sondern ein Organismus wie jeder andere in Primitivreaktionen, wie sie jedes Lebewesen, das sich in Gefahr befindet, zeigt. Wir können diese Primitivreaktionen oft im Bergsteigen der minder Erfahrenen und minder Berggewohnten beobachten, und sie werden einem klar als das, was sie an sich sind, wenn wir die Art und Weise sehen, wie diese Leute eine bergsteigerische Situation plötzlich beenden: mitten aus dem Herumzaudern setzt nach einer Pause des Verharrens in zunehmender innerer Spannung plötzlich eine rasante Tendenz zur Beendung der Situation ein, ein Haschen und Tappen nach Griffen, ein Scharren nach Tritten, der ganze Organismus ist mit einem Mal in Bewegung, die Hände langen nach allem, was ihnen unter die Finger kommt, und unter den unmöglichsten Stellungen, mit Armen, Beinen und Knien arbeitend, kämpft sich das Individuum höher.
Dass in diesen Situationen so wenig passiert, muss uns eigentlich wie ein Wunder erscheinen. Es ist aber keines, da der vom Nebendenken befreite Organismus in der Primitiv-reaktion des Bewegungssturmes frei von allen störenden Nebenimpulsen und nur vollständig erfüllt ist von der biologischen Zweckmässigkeit der Einstellung auf das « Heraus aus dieser Situation um jeden Preis ».
tags: #angst #und #furcht #unterschied #psychologie