Psychische Gesundheit ist ein wichtiges Thema, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhalten hat. Weltweit ist Depression die vierthäufigste Ursache für Krankheit und Behinderung bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren (WHO 2019). Im europäischen Vergleich ist die Prävalenz depressiver Symptomatik bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15 bis 29 Jahre) in Deutschland mit am höchsten (11,5 %); deutlich höher als der EU-Durchschnitt von 5,2 % (Hapke et al. 2019, 64). Zugleich bilden die sog. affektiven Störungen die am schnellsten zunehmende F-Diagnosegruppe (Dilling et al. 2015) im Jugendalter, ebenfalls angeführt von den depressiven Störungen (Steffen et al. 2019, 21). Damit stellt sich Depression als eine der bedeutsamsten und bedrohlichsten Erkrankungen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter dar. Da sie in der „Gefahrenzone“ (Döbert et al. 1980, 9) der Adoleszenz inmitten des Sozialisationsprozesses auftritt, erscheint die Analyse von deren komplexen Verflechtungen als besondere Herausforderung für die Sozialisationsforschung.
Theoretische Perspektiven: Lebenspraxis, Identität und Agency
Mit dem Begriff der Lebenspraxis beschreibt Ulrich Oevermann zunächst jene „Einheit, der als lebendiger, als Agens“ die „Strukturtransformationsprozesse der Erzeugung des Neuen zuzurechnen sind“ (2016, 157). Die Krisenhaftigkeit des Sozialisationsprozesses leitet sich, nach Oevermann, bereits aus dem Umstand ab, dass Menschen über strukturierte Handlungsspielräume verfügen, die sie gleichzeitig dem Zwang aussetzen, in einer „Zukunftsoffenheit von Entscheidungsalternanten“ (Oevermann 2016, 159) auswählen und diese Entscheidungen zudem noch begründen zu müssen (ebd.).
Zur Bestimmung des Identitätsbegriffs wird auf das Konzept der Identitätskonstruktionen von Heiner Keupp et al. (2008) Bezug genommen, welches gesellschaftliche Wandlungsprozesse der Spätmoderne - die mit Begriffen wie Individualisierung, Pluralisierung, Globalisierung assoziiert sind und in die Adoleszenten in besonderer Weise eingebunden sind - zentral berücksichtigt. Identität wird hier in erster Linie als konzeptioneller Rahmen verstanden, „innerhalb dessen eine Person ihre Erfahrungen interpretiert“ (Keupp 2005, 809) und die jeweils die Basis für die alltägliche Identitätsarbeit bildet (ebd.). Die Passung wird dabei u. a. über die Verknüpfung unterschiedlicher Teilidentitäten innerhalb eines machtbestimmten sozialen Raums und unter Rückgriff auf individuell-biographisch begründete Kompetenzen - über die kommunikativ vermittelten Netzwerkressourcen bis hin zu gesellschaftlich-institutionell vermittelten Ideologien und Strukturvorgaben - hergestellt und begründet sich zentral in der Narration, also im sozialen Aushandlungs- und Darstellungsprozess mit Anderen (Keupp et al. 2008, 189 ff.).
Hier erweist sich die Konzeptionierung von Mustafa Emirbayer und Jeff Goodwin und von Emirbayer und Ann Mische als besonders anschlussfähig. Menschliche Agency zeichnet ihnen zufolge insbesondere die Fähigkeit sozial eingebetteter Akteur*innen aus, „sich vorgefundene kulturelle Kategorien und Bedingungen des Handelns in Einklang mit ihren persönlichen und kollektiven Idealen, Interessen und Verpflichtungen anzueignen, sie zu reproduzieren und potentiell Innovationen einzuführen“ (Emirbayer/Goodwin 2017, 324). Bei der Konstitution von Handlungsfähigkeit unterscheiden die Autoren drei Dimensionen: (1.) Iteration: Eine habituelle Dimension, die sich auf vergangene Erfahrungen bezieht, (2.) Projektion: eine an der Zukunft orientierte Fähigkeit, alternative Möglichkeiten zu imaginieren sowie (3.) praktische Evaluation: die Fähigkeit, mögliche Handlungsverläufe in der Gegenwart praktisch und normativ zu prüfen und zu beurteilen (Emirbayer/Mische 2017).
Fallrekonstruktiver Zugang zum Material
Das Datenmaterial der Fallrekonstruktion bilden biographische Erzählungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche diese in einem sog. Eigenbericht im Vorfeld einer stationären psychosomatischen Behandlung schriftlich verfasst haben. Berücksichtigt werden muss, dass die Datensammlung nicht originär zu Forschungszwecken stattfand (Oevermann 2000, 87 f.).
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Zur Auswertung der biographischen Erzählungen wird im Folgenden eine Verknüpfung der forschungsmethodischen Zugänge von objektiver Hermeneutik (Oevermann 2000, 2002), der Rekonstruktion narrativer Identität nach Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann (2002) sowie der Agency-Analyse (Lucius-Hoene 2012) angestrengt. So betrachtet Oevermann, ausgehend von der Prämisse, dass die soziale Wirklichkeit einer Lebenspraxis nur als Sequenzfolge - d. h. „als ein regelgeleiteter Ablauf und ein Ineinanderübergehen von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem“ (Garz/Raven 2015, 139) - zu verstehen ist, die Methode der sequenzanalytischen Rekonstruktion als diejenige, die dieser Wirklichkeit entspricht (Oevermann 2009, 44).
Demgegenüber geht es dem Verfahren zur Rekonstruktion narrativer Identität um eine adäquate Erfassung jener subjektiven Bedeutungsstrukturen von Selbstverständigung und -entwurf, die (der Lebenspraxis) Handlungs- und Orientierungsfähigkeit sichern (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 51). Agency betrachten die Autor*innen dabei als einen wesentlichen Aspekt der (temporalen) historisch-biographischen Konstitution von narrativer Identität, der sich daraus ergibt, wie die erzählende Person ihre Handlungsmöglichkeiten und Handlungsinitiative im Hinblick auf die Ereignisse ihres Lebens linguistisch konstruiert (ebd., 59).
Migräne und Kopfschmerzen: Herausforderungen und Behandlungsansätze
Kaum eine Krankheit schränkt das tägliche Leben so akut ein wie Migräne. Es gibt zwar wirksame Medikamente, doch offenbar informieren sich die Mediziner nicht richtig, und als Konsequenz erhalten viele Patienten nicht die richtige Behandlung. Demnach wurde jeder dritte Betroffene nicht adäquat therapiert. Zwar erhielten 904 Patienten korrekterweise vorbeugende Medikamente, weil sie übermässig häufig oder stark unter Attacken litten. Aber von den 1031 Patienten, die keine Prophylaxe bekamen, hätten zwei von dreien doch eine gebraucht, weil ihre Migräne so schlimm war. Die fehlende Therapie verursachte in den drei Monaten vor dem Arztbesuch im Schnitt fünf Fehltage in der Schule oder bei der Arbeit.
Die korrekte Migräne-Behandlung ist übersichtlich in Empfehlungen beschrieben, die sich jeder Arzt im Internet herunterladen kann. Bei leichten Attacken werden Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen empfohlen und bei schwereren Triptane. Hilft das nichts, kann man beides zusammen nehmen. Gegen die Übelkeit helfen Metoclopramid oder Domperidon. Jedem Patienten raten die Experten zu regelmässigem Sport, das kann Häufigkeit und Schwere der Attacken lindern. Manchen helfen auch Entspannungsverfahren, Biofeedback, Akupunktur oder eine Verhaltenstherapie.
Vorbeugende Medikamente kommen infrage, wenn Betroffene drei und mehr Attacken pro Monat haben, die ihre Lebensqualität beeinträchtigen, wenn die Migräne regelmässig länger als 72 Stunden dauert oder Akutmedikamente nicht helfen. Zur Verfügung steht eine Handvoll Präparate, mit denen etwa halb so häufig Anfälle auftreten.
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Viele Patienten wollen gar keine vorbeugenden Medikamente - sei es, weil sie Angst vor Nebenwirkungen haben, nicht ständig Tabletten schlucken wollen oder zweifeln, ob das hilft. Immer wieder kämen jedoch Patienten zu ihm, die die vorbeugenden Medikamente nicht vertrügen oder bei denen sie nicht gut wirkten. «Ich erkläre ihnen dann, dass möglicherweise einer der neuen Antikörper infrage käme», sagt Gaul. «Viele Patienten haben davon noch nie etwas gehört.»
Bei mehr als jedem zweiten Patienten in der Studie wurde irgendwann der Kopf mit Computer- oder Kernspintomografie untersucht. «Das war aber völlig überflüssig», sagt May. «Aufnahmen vom Hirn sind bei Kopfschmerzen nur sehr selten notwendig.»
Multimodale Schmerztherapie
In seiner Sprechstunde an der RehaClinic erlebe er auch immer wieder, dass die Patienten von der multimodalen Schmerztherapie noch nie etwas gehört hätten. Hier bekommen die Patienten ein auf sie zugeschnittenes Therapieprogramm, bestehend aus Medikamenten, Psychotherapie, Physiotherapie und Lebensstiländerung.
Ein Schmerztagebuch ist ein wichtiges Instrument bei der Behandlung chronischer Schmerzen. «Ziel eines Schmerztagebuches ist es unter anderem, Zusammenhänge besser zu erkennen», erklärt Sabrina Moll, Psychologin (M.Sc.) und Heilpraktikerin für Psychotherapie aus Frankfurt am Main. Dadurch kommt man den Auslösern, den sogenannten Triggern, auf die Spur.
Problematisch wird das Führen eines Tagebuches allerdings, wenn sich dadurch eine starke Fokussierung auf den Schmerz entwickelt», warnt die Psychologin. «Manche Betroffene neigen dazu, von früh bis spät ängstlich in den Körper hineinzulauschen und regelrecht auf den ansteigenden Schmerz zu warten.» Dadurch könne ein Teufelskreis aus Erwartungsangst und Schmerzverstärkung, eine «sich selbst erfüllende Prophezeiung» entstehen.
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Nicht nur Schmerzpatienten profitieren von einem Wohlfühltagebuch. Es kann auch bei der Behandlung seelischer Erkrankungen ein wertvolles Instrument sein. «Schreiben entfaltet von sich aus eine heilsame Wirkung», betont Peter Bögli, Fachpsychologe für Psychotherapie an der Klinik Südhang in Kirchlindach, «das ist klinisch nachgewiesen.»
Zusammenfassung der wichtigsten Punkte
Hier ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
- Depressionen sind eine bedeutende Herausforderung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter.
 - Ein umfassendes Verständnis von Lebenspraxis, Identität und Agency ist entscheidend für die Behandlung psychischer Erkrankungen.
 - Migräne wird oft nicht adäquat behandelt, obwohl wirksame Medikamente und Therapien verfügbar sind.
 - Multimodale Schmerztherapie und Wohlfühltagebücher können wertvolle Instrumente in der Behandlung chronischer Schmerzen und seelischer Erkrankungen sein.
 
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