Verzeihen lernen: Ein Weg zu innerem Frieden und besserer Gesundheit

Es schmerzt höllisch, wenn man von jemandem verletzt wird, der einem wichtig ist. Man zählt auf die Person, und das Vertrauen wird einfach ausgenutzt. Ist man verletzt, beginnt man, einen Groll zu hegen und über der Freundschaft oder Beziehung schwebt eine dunkle Wolke. Manche Verletzungen sitzen sogar so tief, dass der Zorn über Jahre hinweg anhält.

Denn am schlimmsten ist das Wütendsein nicht für die Person, der nicht verziehen wird. Tut man sich schwer damit, jemandem zu vergeben, ist das für einem selbst noch viel belastender. Man trägt die Wut mit sich herum und blockiert dadurch sein eigenes Glück. Eine Unzufriedenheit entsteht, und man tut sich selbst keinen Gefallen. Zu vergeben kann dann eine heilende Wirkung haben. Wie Ihnen das gelingt, lesen Sie hier.

Warum ist Verzeihen so wichtig?

Sie spielen lange die beleidigte Leberwurst? Einen Groll zu hegen, tut Ihnen nicht gut. Warum Sie lernen sollten, schneller zu vergeben.

An irgendeinem Punkt in unserem Leben werden wir alle durch die Handlungen oder Worte eines anderen verletzt. Vielleicht ein Freund, der etwas ausgeplaudert hat, was du ihm im Vertrauen erzählt hast; eine Schwiegermutter, die kritisiert, wie du deine Kinder erziehst; ein Partner, der dich betrogen hat; oder ein Chef, der das Lob für deine harte Arbeit einheimst. Diese emotionalen Wunden können bei dir für Wut, Bitterkeit, Groll und sogar Rachegefühle sorgen.

Indem du Vergebung übst, kannst du auch Frieden, Hoffnung, Dankbarkeit und Freude finden. Aber jemandem oder sich selbst zu vergeben ist, wie so viele Dinge im Leben, leichter gesagt als getan. Im Allgemeinen beinhaltet Vergebung jedoch die Entscheidung, Groll und Rachegedanken aufzugeben.

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Laut Margit Nooteboom, Psychologin bei Open Up, kann der Prozess der Vergebung viel Zeit und Mühe kosten. Trotz des möglichen inneren Kampfes, den sie verursachen kann, kann Vergebung einen positiven Einfluss auf dich selbst, für die verletzende Person und für die Menschen um dich herum sein. Sie kann helfen, dein Selbstwertgefühl wiederherzustellen.

Die Worte oder Taten, die dich verletzt oder beleidigt haben, werden dich vielleicht dein ganzes Leben lang begleiten, aber Vergebung kann ihre Auswirkungen auf dich verringern und dir helfen, dich vom Einfluss der Person zu befreien, die dich verletzt hat.

Mit diesem Wissen kannst du es vielleicht kaum erwarten, mit dem Prozess zu beginnen. Beachte bitte allerdings die folgende Nebenbemerkung: Vergebung bedeutet nicht, dass du den Schaden, der dir zugefügt wurde, vergisst oder entschuldigst oder dich mit der Person aussöhnst, die den Schaden verursacht hat.

Laut Michael McCullough ist unsere Fähigkeit zur Vergebung ein Teil der menschlichen Natur, der sich im Laufe des Prozesses der natürlichen Auslese entwickelt hat, und laut der Evolutionswissenschaft hat sie sich parallel zu unserer Neigung zur Rache entwickelt. Sowohl Vergebung als auch Rache sind soziale Instinkte, die für unsere menschlichen Vorfahren Probleme lösten.

Nun, das Loslassen von Groll und Bitterkeit kann den Weg für eine bessere Gesundheit und einen friedlicheren Geisteszustand ebnen. Wenn du enttäuscht wirst, kann es sich so anfühlen, als ob dein Herz buchstäblich schmerzt. Es handelt sich nicht um einen Phantomschmerz. Diese starken negativen Emotionen beeinflussen wirklich deine Gesundheit.

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Eine Studie aus dem Jahr 2017 in den Annals of Behavioral Medicine war die erste, die mehr Vergebung mit weniger Stress und letztendlich besserer psychischer Gesundheit in Verbindung brachte. Darüber hinaus hat eine andere Studie, die bei Positive Psychology veröffentlicht wurde, gezeigt, dass Vergebung einen noch größeren Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden hat.

Kurz gesagt: Vergebung ist gut für deinen Körper, deine Beziehungen, deinen Geist und deinen Platz in der Welt als Mensch. Wir glauben, dass das Grund genug ist, praktisch jeden zu überzeugen, am Loslassen von Wut und an der Fähigkeit zur Vergebung zu arbeiten.

Verzeihen ist für die psychische Gesundheit wichtig. Wenn ich nicht verzeihen kann, trage ich mit der Zeit ganz viel Groll mit mir herum. Ich werde zum verbitterten Menschen. Die anderen Menschen mögen einen dann immer weniger, und dadurch gerät man immer mehr in die Isolation. Wenn man verbittert ist, ist man schon ganz nah an einer Depression. Das tut uns psychisch und körperlich nicht gut.

Wie kann man lernen zu verzeihen?

Es mag nicht jeder Person leicht fallen zu vergeben, doch ist diese Fähigkeit durchaus erlernbar.

Die REACH-Methode

Nach ausgiebiger Recherche stießen wir auf die REACH-Methode, ein Modell mit fünf Schritten, das den Prozess der Vergebung erleichtert. Das Mastermind hinter diesem hilfreichen Tool ist der Psychologe Everett Worthington Jr., ein klinischer Psychologe und Professor für Psychologie an der Virginia Commonwealth University. Worthingtons Fünf-Schritte-Methode der Vergebung heißt REACH.

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Hier ist die Anleitung von Everett Worthington Jr.:

  1. Erinnere dich an den Schmerz. Wenn wir verletzt sind, ist es ganz natürlich, Angst oder Wut zu fühlen. Um zu heilen, musst du dich der Tatsache stellen, dass du verletzt wurdest. Entscheide dich bewusst dafür, nicht schnippisch (gemein und verletzend) zu sein, dich nicht als Opfer zu sehen und die andere Person nicht wie einen Idioten zu behandeln.
  2. Habe Mitgefühl mit der Person, die dich verletzt hat. Erkläre die verletzende Handlung, nicht aus deiner Perspektive, sondern aus der des anderen. Tatsächlich bedeutet Empathie, sich in die andere Person hineinzuversetzen. Das baut Empathie auf, und selbst wenn du dich nicht einfühlen kannst.
  3. Das altruistische Geschenk des Vergebens. Erinnere dich an einen Moment, in dem du jemandem Unrecht getan hast - vielleicht ein Elternteil, ein Lehrer oder ein Freund - und die Person hat dir vergeben. Die Chancen stehen gut, dass du dich danach leicht und frei fühlst. Biete dem Übeltäter das Geschenk der Vergebung zu seinem eigenen Wohl an.
  4. Verpflichte dich. Sobald du verziehen hast, schreibe eine Notiz an dich selbst. Willst du noch einen Schritt weiter gehen? Nimm dir vor, öffentlich zu verzeihen, damit du später keine Chance hast, einen Rückzieher zu machen.
  5. Halte an der Vergebung fest. Erinnerungen an das verletzende Ereignis werden auftauchen, selbst nachdem du vergeben hast. Wenn nötig, lese die Notizen deiner Selbstverpflichtung, die du geschrieben hast, noch einmal durch, denn du wirst fast sicher in Versuchung geraten, daran zu zweifeln, ob du wirklich vergeben hast.

Weitere Schritte und Überlegungen

  • Sich in die andere Person hineinversetzen: In einem ersten Schritt Richtung Verzeihen sollte man versuchen, die andere Person zu verstehen. Es kann enorm helfen, sich in denjenigen hineinzuversetzen, der einem gekränkt hat, und zu versuchen, zu verstehen, warum so gehandelt wurde.
  • Andere um Rat bitten: Ist man sich nicht ganz sicher, wie man reagieren soll, kann man auch Aussenstehende um Rat fragen. Über das Geschehen sprechen zu können, kann bei der Verarbeitung helfen. Das Ganze durch die Augen von neutralen Personen zu sehen, kann helfen, im Vergebungsprozess voranzukommen.
  • Seine Gefühle zulassen: Werden Sie sich über Ihre Gefühle klar und lassen Sie jede einzelne Emotion zu. Wenn Sie weinen wollen, dann tun Sie es. Lassen Sie diese Gefühle anschliessend hinter sich und lassen Sie sich auf neue ein: Mit dem Verzeihen kommt auch Befreiung von all diesen belastenden Emotionen.
  • Vergebung laut aussprechen: Sagen Sie «Ich verzeihe X, dass er/sie Y getan hat» laut vor sich hin. Je nachdem wie tief die Verletzung sitzt, wird einmal nicht ausreichen. Tun Sie es so lange, wie Sie es brauchen - vielleicht auch hundertmal. Beim Verzeihen handelt es sich um eine Willensentscheidung: Das Herz muss noch akzeptieren, was der Verstand bereits entschieden hat.
  • Akzeptieren: Ist der Prozess einmal geschafft, dürfen Sie die neu gewonnen Gefühle zulassen. Akzeptieren Sie, was Sie nun fühlen. Eine Erleichterung wird sich einstellen.
  • Am Guten festhalten: Überlegen Sie sich, was Sie schon alles Schönes mit der Person, die Sie verletzt hat, erlebt haben. Was hat sie Ihnen schon Positives getan? In diesen Momenten sollten Sie sich besinnen und an Schönes denken, das Sie gemeinsam erlebt habe.

Selbstvergebung

Margit Nooteboom gibt Ratschläge, wie du dir selbst verzeihen kannst. Margit sagt: „Sich selbst zu verzeihen bedeutet, dass du dein Verhalten, und das, was passiert ist, akzeptierst und dass du bereit bist, es hinter dir zu lassen und mit deinem Leben weiterzumachen, ohne dich um vergangene Ereignisse zu sorgen, die nicht geändert werden können. In diesem Schritt akzeptierst du deine eigene Verantwortung für deine Handlungen. Erlaube dir, deine Handlungen oder dein Verhalten zu bereuen. Finde geeignete Wege, um es wiedergutzumachen.

Wir werden gefangen in Schuldgefühlen, bis wir uns verzeihen. Nicht selten kreisen wir ständig um das Vorgefallene, bauschen es auf in einer Katastrophe. Wieder müssen wir durch den Prozess:

  1. Das Vorgefallene betrachten, Verantwortung für unser Anteil übernehmen. Bereuen, dass es geschehen ist.
  2. Innehalten und 3-5 Sachen, die Du heute gut gemacht hast, Dir in Erinnerung rufen.
  3. Dich selbst vergeben. Sprich es aus, schreib es auf, um diesen Schritt zu betonen.
  4. Gibt es Konsequenzen vom Deinen Fehler, die Du wieder in Ordnung bringen kannst? Was und wie ist angemessen?

Vergebung ist ein Prozess

Verzeihen ist nicht ein kurzer Akt, sondern ein langwieriger Prozess. Wurde jemand gekränkt, entstehen Risse in der Freundschaft oder Beziehung. Die Bindung zwischen zwei Menschen wird zerstört und um diese wieder zu kitten, braucht es Zeit.

Man kann nicht von jetzt auf gleich entscheiden, dass man jemanden verzeiht. Zuerst muss man verstehen, warum das Ganze so gekommen ist und was sich der andere dabei gedacht hat, um dann das Geschehene akzeptieren zu können.

Denn irgendwie hat man die Person ja auch vermisst.

Hawaiianisches Vergebungsritual: Ho'oponopono

Ein altes hawaiianisches Ritual in moderner Form. Dahinter steckt einerseits eine uralte Erkenntnis, dass alle miteinander verbunden sind. Andererseits basiert dieses Ritual auf die feste Überzeugung, dass Vergebung im Herzen, dem Sitz der Emotionen passiert und zwar sowohl bei mir und dadurch beim anderen. Es sind vier Schritte mit jeweils einem kurzen Satz:

  • Reue: „Es tut mir leid.“
  • Vergebung: „Bitte verzeih mir.“
  • Liebe: „Ich liebe mich/dich.“
  • Dankbarkeit: „Danke.“

Dieser Schritt schliesst das Ritual ab und ist entscheidend für das Loslassen. Das Ritual schenkt inneren Frieden und befreit, aber natürlich eher, wenn es oft angewendet wird.

Vorteile der Vergebung auf einen Blick:

VorteilBeschreibung
Bessere GesundheitVergebung reduziert Stress, senkt den Cholesterinspiegel und verbessert den Schlaf.
Psychische GesundheitVergebung reduziert Angstzustände, Depressionen und schenkt inneren Frieden.
Befreiung von LastenVergebung ermöglicht es, die Vergangenheit loszulassen und in der Gegenwart besser zu leben.

Wer den Groll für immer mit sich trägt, der schleppt eine grosse Last. Verzeiht man, legt man diese Last ab und gewinnt vielleicht sogar wieder etwas dazu: Eine Freundin oder einen Freund, den man verloren geglaubt hat.

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