Kinder von Eltern mit Suchterkrankung: Eine Herausforderung für die psychische Gesundheit

Rund 100'000 Kinder in der Schweiz leben mit einem Elternteil, der Alkohol oder eine andere Substanz auf problematische Weise konsumiert und in einem grossen Teil der Fälle süchtig ist. Dazu kommen noch die Kinder mit Eltern, die von anderen Substanzen (illegale Drogen, Medikamente) abhängig sind, oder problematische Verhaltensweisen (Glücksspiel, etc.) aufweisen. Fast jede fünfte Person in der Schweiz trinkt Alkohol missbräuchlich.

Sucht Schweiz gibt jedes Jahr den Anstoss für die nationale Aktionswoche «Kinder von Eltern mit Suchterkrankung». Brechen wir das Tabu und machen wir die Situation und die Bedürfnisse dieser Kinder sichtbar! Geben wir diesen Kindern eine Stimme!

Auswirkungen auf Kinder

Wenn ein Elternteil suchtkrank ist, leidet die ganze Familie: die betroffene Person, aber auch ihr Partner oder ihre Partnerin und die Kinder. Alkohol spielt im täglichen Leben dieser Familien eine vorherrschende Rolle.

Die familiäre Atmosphäre ist geprägt von Spannungen, Konflikten und Instabilität. Diese Kinder fühlen sich oft sehr verunsichert. Ein Kind von alkoholabhängigen Eltern hat häufig Angst, fühlt sich unsicher, einsam, schuldig und ist dem elterlichen unberechenbaren Verhalten ausgesetzt.

Die alkoholbelastete Situation erzeugt chronischen Stress bei Kindern. Unsicherheit und Instabilität dominieren den Alltag, Normalität und Sicherheit gehen verloren. Je nach Ausmass des Konsums erlebt das Kind einen gänzlich anderen Vater oder eine gänzlich andere Mutter, es wird mit zwei verschiedenen Persönlichkeiten und gegensätzlichem Verhalten konfrontiert.

Lesen Sie auch: Belastung nach Organtransplantation

Auch beim nicht abhängigen Elternteil ist häufig die ganze Aufmerksamkeit auf das Suchtproblem des Partners oder der Partnerin gerichtet. So wird das Kind sich selbst überlassen und ihm Aufgaben und Verantwortung übertragen, denen es oftmals nicht gewachsen ist.

Kinder lieben ihre Eltern und wollen sie nicht verletzen. Sie verbergen oft die familiäre Situation und tragen dieses Geheimnis während ihrer Kindheit mit sich herum. Einige Kinder ziehen durch ihr Verhalten Aufmerksamkeit auf sich, z.B. durch ungerechtfertigte Abwesenheiten, Vergessen von Hausaufgaben, mangelnde Hygiene, usw.

Kinder aus alkohol- bzw. suchtbelasteten Familien leiden unter der häufig instabilen Beziehung, der Unberechenbarkeit im Verhalten der Eltern und wenig Verlässlichkeit. Knapp 30% der Kinder aus alkoholbelasteten Familien erleben auch häusliche Gewalt. Kinder sind in 80-90% der Fälle anwesend oder befinden sich im Nebenraum und hören und spüren die Gewalt. Sie erleben durch häusliche Gewalt (verbal, tätlich, psychisch) eine existenzielle Bedrohung. Sie können nicht einschätzen, was passiert und fühlen sich oft verantwortlich und schuldig für die Gewalt.

Es kommen in Familien, in welchen ein Elternteil ein Alkoholproblem hat, Aggressionen und Gewalt zwischen den Ehepartnern deutlich öfter vor als bei alkoholunbelasteten Familien. Die Kinder müssen oft Streit und Auseinandersetzungen zwischen den Eltern aushalten. Dazu gehört auch, dass sie ihre Eltern in extremen körperlichen Zuständen erleben.

Sowohl Alkohol- wie Gewaltproblematik wirken negativ auf die kognitive, soziale und gesundheitliche Entwicklung von Mädchen und Jungen. Ihre Lern- und Konzentrationsfähigkeit wird beeinträchtigt, was zu Defiziten in der kognitiven Entwicklung führen kann. Mädchen und Jungen erfahren keine konstruktiven Konfliktlösungsmuster. Jugendliche, die Gewalt zwischen den Eltern miterlebt haben, werden sehr viel öfter selbst gewalttätig bzw.

Lesen Sie auch: Charakteranalyse: Winnie Puuh

Ein herausforderndes Verhalten beim Kleinkind, d.h. häufiges Weinen und Schreien, bedarf einer intensiven, verständnisvollen und einfühlsamen Bezugsperson.

Risiko für die Kinder

Kinder von alkoholkranken Eltern haben im Vergleich zu anderen Kindern ein bis zu 6-fach höheres Risiko, als Erwachsene selbst eine Abhängigkeit zu entwickeln. Etwa 30% der Kinder von alkoholabhängigen Eltern werden als Erwachsene selbst suchtkrank. Damit stellen diese Kinder die grösste bekannte Risikogruppe in der Suchtprävention dar.

Bei bestehenden elterlichen Alkoholproblemen entwickeln Söhne eher psychische Auffälligkeiten, z.B. Bei einem alkoholabhängigen Vater kann es zu emotionaler Vernachlässigung kommen. Töchter von suchtkranken Eltern können darüber hinaus emotionalem und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sein. Sie entwickeln eher psychologische Auffälligkeiten, z.B.

Alkohol in der Schwangerschaft

Alkoholkonsum erhöht das Risiko für Tod-, Fehl- und Frühgeburten, tiefes Geburtsgewicht oder Wachstumsverzögerung. Die Plazenta ist zwar eine wirkungsvolle Schranke, Alkoholmoleküle können sie aber ungebremst passieren. Babys können Alkohol nicht abbauen. Die Leber, wo der Alkohol abgebaut wird, ist bei einem ungeborenen Kind noch nicht reif genug, um den Abbau zu ermöglichen. Es fehlen Enzyme dafür, dass sich diese erst nach der Geburt richtig ausbilden. Während die Alkoholwirkung bei der Mutter nach wenigen Stunden nachlässt, bleibt der Alkohol im Körper des Kindes. Da die Enzyme für den Alkoholabbau in der Leber erst nach der Geburt gebildet werden, gibt es keine Untergrenze für Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Jeder Schluck Alkohol der Mutter kann schädlich sein.

Was tun?

Einige Kinder entwickeln Resilienzen und sind kaum von negativen Folgen betroffen. Bei anderen zeigen sich viele Folgeschäden erst im Jugend- oder Erwachsenenalter. Kinder alkohol- oder suchtkranker Eltern sollen auf keinen Fall stigmatisiert werden.

Lesen Sie auch: GdB bei psychischen Leiden: Was Sie wissen müssen

Die Kinder sollen in ihrem Alltag unterstützt und gefährdete Kinder so schnell wie möglich erkannt werden, um ihnen angemessene Hilfe anzubieten.

Erwachsene, die beruflich mit Kindern aus suchtbelasteten Familien in Kontakt sind, insbesondere in Schulen, können wichtige Unterstützung bieten.

Wissen, was zu tun ist, wenn man in einer Familie im näheren Umfeld ein Suchtproblem vermutet, ist nicht immer einfach. Was tun und was sagen, wenn man sich Sorgen um die Kinder macht? Wie hilft man den Kindern und ihren Eltern?

Hilfsangebote

Dank dem Suchtindex finden Sie einfach ein Hilfsangebot in Ihrer Nähe. Der Suchtindex ist eine Datenbank, die den Grossteil der Suchthilfeangebote der Schweiz umfasst.

Sucht Schweiz unterstützt Pflegeeltern und Fachpersonen in Kinderheimen, damit sie im Alltag mit Kindern von suchtbetroffenen Eltern über mehr Wissen und Vorgehensweisen verfügen. Die Suchtkrankheit der Eltern wirkt sich sehr oft auf die Entwicklung des Kindes aus, was eine angemessene Unterstützung erfordert.

Für Fachpersonen wurde eine Fortbildung aus Grundmodul (online) und Aufbaumodulen (oder auf Anfrage; Kontakt: IKS) zu verschiedenen Themen in Form von Workshops entwickelt.

Das Projekt war Teil des Kantonalen Aktionsprogramms „Psychische Gesundheit für Kinder und Jugendliche 2017-2020“, welches mit Unterstützung von Gesundheitsförderung Schweiz und in Kooperation mit dem Interreg V Projekt KIG III - Kinder im seelischen Gleichgewicht (ABHO30) durchgeführt wurde.

Zusätzliche Informationen

  • Du hast das Gefühl, dass dein Papa oder deine Mama zu viel Alkohol trinkt und machst dir deswegen Sorgen. Du möchtest mehr darüber wissen und wünschst, mit anderen Kindern oder Jugendlichen, die Ähnliches erleben, in Kontakt zu treten.
  • Die Kurzfilme von Kinderseele Schweiz sind an Jugendliche, betroffene Eltern, Angehörige und Fachpersonen gerichtet. Darin werden die gängigsten psychischen Krankheiten und deren Auswirkungen einfach und verständlich erklärt. Das hilft Betroffenen und ihrem Umfeld die Situation besser zu verstehen.
  • Wie verhalten sich Menschen mit einer Sucht? Was können Jugendliche tun, wenn das Mami oder der Papi betroffen sind? Zwei Jugendliche erklären das Krankheitsbild auf einfache Weise. In zwei weiteren Kurzfilmen erzählen Mia und Michi von ihren Erfahrungen, mit einem suchterkrankten Elternteil aufzuwachsen.
  • Eine neue Studie schätzt die Anzahl Kinder mit Eltern mit einer Substanzgebrauchsstörung (substance use disorder). Zur Bewertung der Substanzgebrauchsstörung (SUD) wurden die Diagnosekriterien für Tabak, Alkohol, Cannabis, Kokain oder Amphetamin verwendet.
  • Im Beitrag wird das aktuelle Wissen zu den Entwicklungsrisiken, Resilienzen und Präventionsmöglichkeiten für Kinder suchtkranker Eltern zusammengefasst. Kinder suchtkranker Eltern bilden die größte Risikogruppe zur Entwicklung einer Suchtstörung.

Statistik

In der Schweiz leben 5,8% der Kinder unter 15 Jahre in einer Familie, in der ein oder beide Elternteile risikoreich Alkohol konsumieren. 31,3% wachsen in einem Umfeld auf, in dem die Eltern täglich nikotinhaltige Produkte (z.B. Tabakprodukte, E-Zigaretten) zu sich nehmen. Der Anteil an Kindern, deren Eltern risikoreich illegale Drogen (z.B. Cannabis, Kokain, Heroin) konsumieren, ist gering (1,8%).

tags: #psychische #störungen #kinder #alkoholiker #eltern