Carl Gustav Jung: Ein Pionier der Tiefenpsychologie

Vor 150 Jahren kam C. G. Jung zur Welt. Er sollte die Psychologie tiefgreifend verändern. So wurde Jung zu dem, als den wir ihn kennen: ein Pionier der Tiefenpsychologie. Ihm lag die Selbstentwicklung des Menschen am Herzen.

Eines seiner zentralen Anliegen wird häufig mit «werde, der Du bist» paraphrasiert. Er selbst nannte dies «Individuation». Dieser Prozess hat das Ziel, durch die einzelnen Lebensphasen hindurch authentisch zu werden. Sich aufmerksam dem Ich und seiner Befindlichkeit zu widmen und die eigene Resilienz zu stärken sind Motive, die wir heute gut kennen.

Am 26. Juli 1875 kommt Carl Gustav Jung im schweizerischen Kesswil, als Sohn eines evangelischen Pfarrers und dessen Frau, auf die Welt. Schon früh interessiert er sich dabei für die eigenen Träume und das eigene Denken. Nach der Schulzeit in Basel, beginnt er dort im Jahr 1895 sein Medizinstudium. Hierbei trifft er die Entscheidung, Psychiater zu werden und zeigt ein vertieftes Interesse für Philosophie, Theologie und Naturwissenschaften, aber auch für den Okkultismus und Spiritismus.

Frühe Einflüsse und Berufswahl

Um ein Haar wäre der heute weltberühmte Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung (1875-1961) nicht Arzt, sondern wie sein Vater Pfarrer geworden. Davon abgehalten hat ihn ein Wachtraum auf dem Basler Münsterplatz. Aus heiterem Himmel erschien dem Zehnjährigen eine gottähnliche Figur auf einem Thron und liess ein riesengrosses Exkrement fallen. Direkt auf das Basler Münster pflatschte es. Eine schockierende und wegweisende Erfahrung für den frommen Jungen. Für ihn: ein Wink mit dem Zaunpfahl, die theologische Karriere zu meiden. So widmete er sich später der Medizin und wurde Arzt an der psychiatrischen Uniklinik Burghölzli in Zürich.

Im Herbst 1900 bewarb sich ein junger Thurgauer Arzt, Carl Gustav Jung, beim Zürcher Burghölzli, der heutigen Psychiatrischen Universitätsklinik. Sein Medizinstudium in Basel hatte er gerade beendet und war entschlossen, Psychiater zu werden. Er erhielt die Stelle und blieb mit einer Unterbrechung fast ein Jahrzehnt, bis 1909, am Burghölzli.

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Gefestigt wird Jungs Berufswahl dabei durch die Arbeit als Assistent Eugen Bleulers an der Zürcher Psychiatrischen Klinik Burghölzli. Während dieser Zeit beschäftigt ihn die Frage nach der Psyche von, damals als „Geisteskranken“ bezeichneten Menschen, ganz besonders. Im Jahr 1902 promovierte Jung dann „zur Psychologie und Pathologie okkulter Phänomene“ und heiratete ein Jahr später die Schaffhauser Industriellentochter Emma Rauschenbach.

Die Anfänge der analytischen Psychologie

Am 10. Dezember 1900 trat C.G. Jung seine Assistentenstelle an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich an. Er war gerade 25 Jahre alt und hatte zehn Tage zuvor sein Staatsexamen in Basel abgelegt. Jung ging gern nach Zürich. In Basel bot sich ihm, wie er später betonte, zu jenem Zeitpunkt keine berufliche Perspektive. Er wusste bei seiner Bewerbung wohl kaum, was ihn am Burghölzli erwartete. Der damalige Direktor, Eugen Bleuler, war hochangesehen, das Burghölzli selbst bereits durch dessen Vorgänger, August Forel, weltweit berühmt.

Jung fiel es anfänglich nicht leicht, sich dem strengen Regime Bleulers unterzuordnen und die immense Arbeitsbelastung auf sich zu nehmen. Auch war er bei seinen Kollegen in der Klinik alles andere als beliebt. Noch in hohem Alter erwähnte er, dass er in diesem «Weltkloster» seine «gesamte Jugend» verloren habe. Da ihm Bleuler aber erlaubte, seinen geliebten Studien okkulter Phänomene auch am Burghölzli nachzugehen, besserte sich sein Befinden nach einiger Zeit. Er wurde selbstbewusst, wirkte aber nachgerade nicht selten arrogant.

Kurz nach Abschluss seiner Dissertation lernte er Franz Ricklin sen. kennen, der damals aus Deutschland ebenfalls ans Burghölzli gekommen war. Es begann eine enge Zusammenarbeit mit Ricklin und Bleuler. Die drei wandten sich für einige Jahre mit grossem Einsatz den «Diagnostischen Assoziationsstudien» zu. Die Methode der Assoziationsstudien zum Zweck der Diagnosestellung hatte bereits eine längere Tradition.

Im Unterschied zu den Genannten, war für ihn das diagnostische Moment sekundär. Die Ergebnisse des Experiments dienten ihm vielmehr als Leitlinien für die Therapie. Zusammen mit Bleuler und Ricklin arbeitete Jung einen Wortkatalog von rund 100 Wörtern aus, die dem Probanden nacheinander zugerufen wurden. Der Proband hatte die Aufgabe, so schnell wie möglich ein eigenes Wort zu assoziieren, beispielsweise «Haus» - «Dach», «Liebe» - «schön», «schwimmen» - «Meer».

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Dabei ging es Jung neben der Beziehung zwischen Reizwort und Assoziation vor allem auch um die Reaktionszeit, das Zeitintervall zwischen dem Zurufen des Reizwortes und dem Aussprechen des Reaktionswortes. Was geht in den Geisteskranken vor? Dieser Grundfrage war letztlich alles untergeordnet, was Jung dem Assoziationsexperiment entlocken wollte.

Im Dienste einer möglichen Systematisierung der Assoziationen stellte er zum einen die Frage, wie sich die Assoziationen Kranker von denen Gesunder unterscheiden. Auch der Haupteinfluss, den Jung bestimmte, war nur vage formuliert. Jung griff das heraus, was er «Aufmerksamkeit» nannte: «…jenen unendlich komplizierten Mechanismus, der mit zahllosen Fäden den assoziativen Prozess an alle übrigen im Bewusstsein repräsentierten Phänomene psychischer und körperlicher Provenienz knüpft» (GW, Bd.

In solch absichtlich unscharf gehaltenen Bestimmungen zeigt sich bereits ein Hauptcharakteristikum der späteren Jungschen Psychologie. Jung war stets darum bemüht, psychologische Begriffe offenzuhalten und dem jeweils gewählten Blickwinkel anzupassen. Dies ist ihm später vielfach vorgeworfen worden, gehört aber zwingend zu seiner Psychologie. Seines Erachtens sind im Seelenleben keine klar abgrenzbaren Phänomene auszumachen.

Obwohl erst später deutlich ausformuliert, fasst Jung seelische Phänomene im Kontext einer stets neu sich gestaltenden Abfolge von Imaginationen. Mit wechselndem Kontext und wechselnder Perspektive verschiebt sich auch deren Bedeutungsgehalt. Im Rahmen dieser Sichtweise folgen die Assoziationen im Assoziationsexperiment demselben Prinzip wie die Bilder in Träumen. Beide sind sie Momentaufnahmen seelischer Bewegung.

Trotz stetem Wandel sind die menschlichen Phantasien nie zufällig und schon gar nicht unerheblich oder sinnlos. Sie stehen stets in einem Sinnzusammenhang, dessen Gesetzmässigkeiten zu finden sind. Dabei war Jung überzeugt, dass im Gesunden wie im Kranken grundsätzlich dieselben seelischen Gesetze wirken: «Im Grunde genommen entdecken wir im Geisteskranken nichts Neues und Unbekanntes, sondern wir begegnen dem Untergrund unseres eigenen Wesens. Diese Einsicht war für mich damals ein mächtiges Gefühlserlebnis» («Erinnerungen, Träume, Gedanken, S.

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In jedem Menschen liegt also Unverarbeitetes, wirken abgespaltene, sogenannte gefühlsbetonte Komplexe als Störungen ins Alltagsleben hinein. Der Unterschied zwischen Gesunden und Kranken liegt lediglich im Bezug der Komplexe zum jeweiligen Bewusstsein und zu den Anforderungen der Aussenwelt. In der Psychose beispielsweise ist die Anpassungsmöglichkeit der Komplexe an all das, was äussere Wirklichkeit meint, nicht mehr gegeben.

Der dem Assoziationstest entstammende Begriff des «gefühlsbetonten Komplexes» wurde ein Zentralbegriff für die Jungsche Psychologie. Auch Jungs Auseinandersetzung mit Sigmund Freud floss wesentlich in die Begriffsbildung ein. Ein gefühlsbetonter Komplex enthält, so Jung, subjektive gefühlsbetonte Erlebnisse bzw. Reminiszenzen, die sowohl die Reaktionszeit wie den Inhalt der Assoziationen beeinflussen.

Die Reaktionen der Versuchsperson «…sind daher nicht irgendwie freie Einfälle, sondern bloss ‹Symptomhandlungen› (Freud), die von einem psychischen Faktor geleitet werden, der sich wie ein selbständiges Wesen benimmt. Der gefühlsbetonte, vom Bewusstsein momentan abgespaltene Komplex übt eine Wirkung aus, die beständig mit den Intentionen des Ichkomplexes erfolgreich konkurriert» (GW, Bd. 2, § 610).

Das Assoziationsexperiment wird in der Regel ein paar Stunden später wiederholt. Dem Probanden wird somit dieselbe Wortliste nochmals mit der Aufforderung vorgelesen, erneut zu assoziieren. Diese Wiederholung ist insofern aufschlussreich, als jene Assoziationen, die beim ersten Durchgang eine lange Reaktionszeit hatten, beim zweiten Mal häufig vergessen und durch andere Wörter ersetzt werden.

Aufgrund dieser Beobachtung untersuchte Jung das Vergessen, respektive Nichterinnernwollen unlustbetonter Eindrücke und berief sich wiederum auf Freud, insbesondere auf den Aufsatz «Zur Psychopathologie des Alltagslebens» (Freud GW 4. Bd., Fischer 1941). Jung formuliert seinen entscheidenden Bezug zu Freuds Begriff der «Verdrängung» mit folgenden Worten: «Die Reaktionswörter, die so leicht vergessen werden, muten an wie Ausreden; sie spielen etwa eine ähnliche Rolle wie die ‹Deckerinnerungen› Freuds.

Wenn z.B. ein hysterisches junges Mädchen mit einer qualvoll langen Reaktionszeit auf küssen mit Schwesterkuss reagiert und nachher die Reaktion vergessen hat, so begreift man ohne weiteres, dass Schwesterkuss nur eine Ausflucht war, welche einen wichtigen erotischen Komplex verdecken musste» (GW, Bd.

Die Beziehung zu Sigmund Freud und der Bruch

Eine wohl sehr prägende und wichtige Beziehung führte Carl Gustav Jung zu Sigmund Freud, mit welchem er zunächst viele Ansichten teilte. So waren die beiden seit Beginn des 19. Jahrhunderts in engem Kontakt und tauschten insbesondere ihre Auffassungen zum Traum und dessen Bedeutung für die Psyche aus. Während dieser Zeit arbeiteten Freud und Jung auch fachlich eng zusammen.

Freud sah in Jung seinen geistigen Erben, den «Kronprinzen» der Psychoanalyse. Bloss: Jung ging Freuds Theorie des Unbewussten nicht weit genug - sie sei zu sehr auf Sexualität verengt, zu mechanistisch gedacht. Er glaubte an eine tiefere, transzendente Dimension der Seele.

Allerdings gibt es auch Kritik am Weisen vom Zürichsee. Seine Schriften enthalten problematische Passagen. In den 1930er-Jahren äusserte er sich wiederholt zur «unterschiedlichen seelischen Struktur» von «Ariern» und «Juden». «Er hat schon in den Schriften nach dem Ersten Weltkrieg zwischen dem jüdischen und dem germanischen Unbewussten unterschieden und ihnen verschiedene Eigenschaften zugewiesen», so Ayan. Ein Versuch, kulturelle Unterschiede psychologisch zu deuten, der heute als rassistisch kritisiert wird. Jung selbst versuchte diese Äusserungen nach dem Krieg als missverstanden oder aus dem Kontext gerissen darzustellen.

Zu einem Bruch zwischen den beiden Männern kam es dann jedoch endgültig, aufgrund der verschiedenen Meinungen bezüglich des Begriffes der Libido und der damit verbundenen Sexualtheorie. Im Laufe seines Lebens veröffentlichte Jung eine ganze Reihe an Werken, die das Verständnis der menschlichen Psyche prägten. So führte seine Publikation bezüglich der „Wandlungen und Symbole der Libido“ letztlich zur Trennung Jungs von der Freud’schen Psychoanalyse.

Das sollte 1913 zum Bruch mit Sigmund Freud führen. Der 20 Jahre ältere Begründer der Psychoanalyse war für Jung wie ein Ziehvater. Die Freundschaft der beiden begann mit einem 13-stündigen Gespräch in Wien - und endete in einem persönlichen und intellektuellen Zerwürfnis.

Jung beschreibt diese krisenhafte Zeit als «Auseinandersetzung mit dem Unbewussten» und dokumentierte sie im sogenannten «Roten Buch». Er sei damals in eine Dunkelheit abgeglitten, habe sich «einwärts und abwärts bewegt» und seiner «eigenen Psyche entlanggetastet». Bezeichnenderweise wurde die Krise zum Katalysator seiner eigenen Theorie: Statt nur das Vergangene zu deuten, wollte Jung dem Menschen helfen, zu sich selbst zu finden.

Jungs Theorien und Konzepte

Die analytische Psychologie wurde von Carl Gustav Jung begründet und ist sowohl eine Theorie also auch eine Praxis zur Erforschung der menschlichen Psyche. Nach seinem Verständnis umfasst das Unbewusste eine persönliche und eine kollektive Ebene. Er unterteilte Menschen in intro- und extraverierte Persönlichkeiten und sprach von vier grundlegenden psychischen Funktionen, wobei mindestens eine davon jeweils ausgeprägt sei: das Denken, das Fühlen, das Empfinden und die Intuition. Diese sind heute Teil von weitverbreiteten Persönlichkeitstests.

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte er ein psychologisches Weltbild, das den Menschen ganzheitlich betrachtete: Mythen, Träume und Sehnsüchte. Eine Lehre, die zunächst skeptisch beäugt wurde, weil sie zu mystisch und nicht empirisch gestützt ist. Heute treibt sie neue Blüten. Begriffe wie Schatten, Archetypen oder das Selbst tauchen in Coachingangeboten, Podcasts und Alltagspsychologie auf, häufig ohne direkten Verweis auf seine Theorie. Dabei trifft Jung wohl einen Nerv: Er bietet eine Sicht auf die Psyche, die nicht nur auf Symptome zielt. Sein Modell betont die Bedeutung von Symbolen und innerem Wandel - Elemente, die in einer zunehmend rationalisierten Welt offenbar wieder gefragt sind.

In Jungs analytischer Psychologie erfuhr die Psychoanalyse eine markante, anthropologisch getönte Erweiterung. So schuf er den Begriff der Archetypen: Das sind archaische Denkmuster und Bilder im kollektiven Unbewussten, etwa der weise alte Lehrer oder die umsorgende, aber auch fordernde Mutter. Solche Archetypen prägen nach Jung das menschliche Verhalten und Erleben ein Leben lang. Oder der Begriff der Individuation: Dieser meint einen Entwicklungsprozess, der auch Widersprüchliches und Unangenehmes, die Schatten, integrieren muss. Als Komplexe wiederum bezeichnete Jung stabile Bündel von Ideen, Erinnerungen und Gefühlen, notwendige Elemente der Psyche notabene, die aber in erstarrter oder entfremdeter Form zu psychischen Erkrankungen führen können.

Während seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche sowie deren Einflüssen und Erkrankungen, entwickelte C.G. Jung verschiedene Theorien. So definierte er beispielsweise Archetypen, die das menschliche Handeln im Unterbewussten prägen, und legte spezielle psychologische Typen fest. Jung definierte verschiedene Archetypen, die er als universelle und symbolische Bilder beschrieb, die im kollektiven Unbewussten aller Menschen vorhanden sein sollen.

Nach Jung liegen der menschlichen Persönlichkeit vier Funktionen zugrunde - das Denken, das Fühlen, das Empfinden und die Intuition, die jeweils extrovertiert und introvertiert vorliegen können. Carl Gustav Jung definierte verschiedene Begriffe, die für sein Schaffen von grosser Bedeutung waren. Hierzu gehören zum Beispiel das persönliche Unbewusste und das kollektive Unbewusste.

Ein weiterer wichtiger Begriff - die Libido - stammt ursprünglich nicht von Jung, sondern von Siegmund Freud. Durch seine Arbeit hat Carl Gustav Jung in erster Linie die analytische Psychologie stark geprägt. Er veränderte mit seinem Wirken dabei die Diagnostik und die Therapie psychischer Krankheiten. Der Konflikt zwischen ihm und Siegmund Freud führte hierbei zu einem intensiven Diskurs mit der analytischen Psychologie, was auch Auswirkungen auf das heutige Verständnis der Psyche hat.

Kritik und Kontroversen

Allerdings weist der Test selbst gravierende Mankos auf. Die Einteilung sei wissenschaftlich wertlos, weil er ausschliesslich auf Entweder-oder-Kategorien basiere. «Man ist entweder ein Fühl- oder Denktyp, das wird bestimmt durch Befragungen wie zum Beispiel: ‹Mögen Sie lieber Liebesromane oder Kriminalromane?›», kritisiert der Psychologe Ayan.

Kritik begleitete Jungs Schaffen kontinuierlich: Für die Freudsche Schule war er ein Abweichler, und die akademische Psychiatrie betrachtete die kulturhistorische und mythologische Verankerung seines Denkens als unwissenschaftlich.

Später wurde die Kritik noch vielstimmiger: Jung stand von 1933 bis 1939 der Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychothera­pie (IAÄGP) als Präsident vor. Deren deutscher Zweig wurde von den Nationalsozialisten ab 1933 brachial gleichgeschaltet. Dies führte zu einer bis heute laufenden Kontroverse. Ist Jung vorzuwerfen, dass er sich opportunistisch an das Unrechtsregime anpasste? Oder war es das Gegenteil: Schützte Jung die Psychotherapie und ihre - nicht selten jüdischen - Protagonisten vor der Barbarei? So sah er es zumindest selbst.

Aufgrund der fachlichen Differenzen zu Freud wurde dieser beispielsweise zu einem grossen Kritiker seines einstigen Freundes. Allerdings ist er damit bis heute nicht der Einzige. So kritisierte man Jung vor allem für sein Verhalten während des NS-Regimes. Einige Aussagen Jungs können durchaus als antisemitisch gedeutet werden, auch wenn er sich selbst hiervon distanzierte. Ein weiterer Punkt, indem C. G. Jung nicht selten kritisiert wird, war seine sexuelle Beziehung zu zwei Patientinnen - Sabina Spielrein und Toni Wolff.

Jungs Einfluss auf die Popkultur

Das dürfte einer der Gründe sein, weshalb auf Social Media regelmässig Zitate von Jung mit seinem Konterfei zirkulieren. Auch in der Popkultur wurden seine Ideen und Theorien adaptiert. Er ist zum Beispiel auf dem Cover des «Sergeant Pepper»-Albums («Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band») der Beatles zu sehen. Seine Theorie der Archetypen, also universellen Grundmustern des menschlichen Erlebens - etwa der Held, die Mutter oder der Schatten - wurde in Filmen wie «Herr der Ringe» oder «Star Wars» aufgenommen, und in «A Dangerous Method» wird Jung 2011 von Michael Fassbender gemimt.

Bild 1 von 5. Frodo, der Held, stellt sich dem Unbekannten - und trägt das Schicksal der Welt in einem kleinen Ring: C. G. Jung sah Archetypen als Grundmuster, die in allen Menschen wirken. Sie helfen uns, uns selbst und andere zu verstehen. Und sie wurden in Filmen wie «Herr der Ringe» oder «Star Wars» aufgenommen.

Bild 2 von 5. Gollum, der Schatten und böse Widersacher des Helden, zeigt, was wir verdrängen.

Bild 3 von 5. Galadriel, die Mutter oder grosse Göttin, schützt und nährt - und spendet Licht, wo Dunkelheit droht.

Bild 4 von 5. Gandalf, der Weise und spirituelle Führer, kennt den Weg, den andere erst finden müssen.

Bild 5 von 5. Pippin, der Trickster, weder gut noch böse, listenreich und zugleich ein Tölpel, bringt Unordnung und neue Wege.

Das Erbe C.G. Jungs

Zeitlebens sei C. G. Jung ein gläubiger Mensch gewesen, erzählt der Psychologe und Wissenschaftsjournalist Steve Ayan. Davon zeugt auch das Eingangsportal seines Hauses in Küsnacht am Zürichsee, das heute ein Museum beherbergt. Dort findet sich das Motto «vocatus atque non vocatus, deus aderit» eingemeisselt, zu Deutsch: Gerufen oder nicht, Gott wird da sein.

Bild 1 von 3. Heute befindet sich in seinem ehemaligen Wohnhaus in Küsnacht das Museum Haus C. G. Jung. Daneben liegt das C. G.

Bild 2 von 3. So kennt man C. G. Jung: Pfeife rauchend.

Bild 3 von 3. Der Schweizer Tiefenpsychologe und Mitbegründer der analytischen Psychologie C. G.

Welcher Gott das für Jung war, ist nicht ganz klar. Er beschäftigte sich auch mit östlicher Spiritualität und Reinkarnation. Mit einem Bein in der Wissenschaft, mit dem anderen in der Esoterik? Die Fähigkeit, Brücken zu schlagen, war vermutlich Teil seines Erfolgsrezepts. So ging es Jung auch mehr um das Gefühl der Verbindung mit etwas Höherem. «Für ihn war das Unbewusste gewissermassen gleichbedeutend mit Gott.» Sich mit etwas so Grossem, Überdauerndem verbunden zu fühlen, gehe mit einer enormen Selbstaufwertung einher, so Ayan.

Obwohl er nie etwas damit zu tun hatte, lebt seine Lehre der Archetypen etwa im MBTI, dem Myers-Briggs-Typenindikator, fort, einem alltagspsychologischen Persönlichkeitstest, den man online in zehn Minuten durchgeführt hat und auf dessen Basis man mehr über die eigenen Stärken und Schwächen erfahren soll.

Mittlerweile gibt es weltweit 55 Jungsche Gesellschaften, die in einem Internationalen Dachverband, der «International Association of Analytical Psychology» (IAAP), zusammengeschlossen sind. In 35 von ihnen werden Jungsche Psychotherapeuten ausgebi...

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