Autismus wird vor allem mit Kindern in Verbindung gebracht, dennoch wird die Entwicklungsstörung teils erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Zunehmend wird davon ausgegangen, dass sich die Untergruppen nicht klar voneinander abgrenzen lassen, sodass von einer Autismus-Spektrum-Störung gesprochen wird. Gemeinsam sind den Störungen des autistischen Spektrums Beeinträchtigungen in den Bereichen soziale Interaktion, Kommunikation und stereotype repetitive Verhaltensweisen.
Wie entstehen Autismus-Spektrum-Störungen?
Bei der ASS handelt es sich um eine tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörung, die unterschiedlichste Ausprägungen hat. Nach wie vor gibt es wenig gesicherte Erkenntnisse, wie ASS entstehen. Eine davon ist, dass es sich um eine abweichende Gehirnentwicklung handelt. Die Ursachenforschung hat bisher keine Antwort. In der Regel sind die Veränderungen in der frühen Kindheit, vor dem dritten Lebensjahr, erkennbar. Bei ASS im Erwachsenenalter treten die Symptome meist in Krisenzeiten auf.
Symptome von Autismus-Spektrum-Störungen
Menschen mit einer ASS erleben sich defizitär, wenn es darum geht, mit anderen Menschen zu sprechen, mit ihnen auszukommen oder auf sie zuzugehen, soziale Kommunikation und Interaktion zu initiieren und aufrechtzuerhalten ist schwierig. Hinzu kommen eingeschränkte, repetitive und unflexible Muster an Verhaltensweisen und Interessen, die persönliche, familiäre, schulische, berufliche oder andere wichtige Bereiche des sozialen Lebens beeinträchtigen. Das verursacht bei den Betroffenen ein klinisch bedeutsames Leiden.
Typische Symptome einer ASS:
- Defizite in der sozial-emotionalen Gegenseitigkeit, etwa bei der Kontaktaufnahme, Kommunikation und Reaktion auf soziale Interaktionen
 - Schizoide Persönlichkeitszüge: ASS-Betroffene meiden soziale Kontakte, der Umgang fällt ihnen schwer
 - Bei sozialen Interaktionen Defizite im nonverbalen Kommunikationsverhalten, wie z.B. reduzierter Einsatz von Gestik und Mimik
 - Defizite in der Aufnahme, Aufrechterhaltung und dem Verständnis von Beziehungen
 - Stereotype oder motorische Bewegungsabläufe, stereotyper Gebrauch von Objekten oder von Sprache
 - Starres Festhalten an Gleichbleibendem und an ritualisierten Mustern
 - Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen von einem abnormen Mass
 - Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an Umweltreizen
 
Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen bei Erwachsenen
Um bei Erwachsenen abzuklären, ob eine ASS vorliegt, erfolgt idealerweise eine breite Anamnese, Fremdanamnese sowie eine ausführliche Psychodiagnostik, damit Fehldiagnosen vermieden werden. Für die Diagnosestellung müssen bei Betroffenen bereits frühkindlich abweichende oder besondere Entwicklungen aufgetreten sein, wie etwa ein mangelnder Wunsch, mit Gleichaltrigen zu interagieren, verzögerte Sprachentwicklung, seltsame Satzmelodie, repetitive Verhaltensmuster, Bevorzugung von Routineabläufen, begrenzter Blickkontakt, motorische Unbeholfenheit. Idealerweise gibt es eine Bezugsperson, die über die Entwicklung der ersten drei bis vier Lebensjahre der zu beurteilenden Person berichten kann.
Die Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter stellt unter anderem wegen möglicher Komorbiditäten und zahlreicher Differenzialdiagnosen einen umfassenden Prozess dar. Sie wird idealerweise von einem multiprofessionellen Team von erfahrenen Spezialisten durchgeführt. Bereits an dieser Stelle sei erwähnt, dass keine Tests oder Diagnostikinstrumente bzw. Biomarker existieren, auf deren Grundlage sich eine ASS im Erwachsenenalter diagnostizieren liesse. Die Diagnosestellung im Erwachsenenalter erfolgt gemäss Leitlinienempfehlung rein klinisch durch Experten im multiprofessionellen Konsensusverfahren, dabei massgeblich abgestützt auf die sorgfältig erhobene Entwicklungsanamnese ab Schwangerschaft und Geburt.
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Testverfahren und Instrumente
Einen Goldstandard im Sinn einer festgelegten Testbatterie wie im Kindes- und Jugendalter (ADOS/ADI-R) gibt es bei Erwachsenen bislang nicht. Es stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, die in Kombination unterstützend zur klinisch ausgerichteten Diagnostik angewendet werden können.
ADOS-2 (Autism Diagnostic Observation Schedule, Second Edition)
ADOS-2 ist ein zuverlässiges, valides und klinisch sehr anschauliches Verfahren zur Abklärung und Klassifikation von qualitativen Auffälligkeiten der sozialen Interaktion und reziproken Kommunikation im Sinne einer autistischen Störung. Die strukturierte Ratingskala verfügt über reichhaltiges Untersuchungsmaterial und gehört zum internationalen Standard der Diagnostik von Störungen des autistischen Spektrums. Je nach Alter und Sprachniveau der zu testenden Person wird eine von fünf Untersuchungsstrategien (Module) gewählt. Mithilfe gezielt inszenierter spielerischer Elemente, Aktivitäten und Gespräche können Sachverhalte und Symptome, die für die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) relevant sind, geprüft werden.
ADOS-2 wurde im Vergleich zum ADOS um ein Modul für Kleinkinder (ab 12 Monaten) mit eigenen Algorithmen für die Beurteilung von sehr jungen Kindern erweitert. Für die Module 1 bis 3 wurden die Algorithmen überarbeitet und es werden erstmals Vergleichswerte angegeben. Das Manual und die Protokollbogen für alle Module wurden aktualisiert. Anwendende von ADOS können das Ergänzungs-Kit Kleinkind-Modul als Upgrade zum ADOS-2 kaufen. Zufriedenstellende Diagnosekonvergenz mit dem Diagnostischen Interview für Autismus - Revidiert (ADI-R), bei gleichermaßen moderater Korrelation der korrespondierenden Subskalen der Verfahren.
ADI-R (Autism Diagnostic Interview-Revised)
Zufriedenstellende Diagnosekonvergenz mit dem Diagnostischen Interview für Autismus - Revidiert (ADI-R), bei gleichermaßen moderater Korrelation der korrespondierenden Subskalen der Verfahren.
In der Berner Autismus-Sprechstunde für Erwachsene werden neben den in Tabelle 3 genannten Screeningverfahren Testinstrumente zur Einschätzung der sozialen Kognition mittels Deutung kurzer Filmsequenzen (MASC), durch Benennung von Gefühlslagen anhand von Augenausschnitten (RMET) und zur Emotionserkennung bei ganzen Gesichtern (Test «Gesichter erkennen») eingesetzt. Zudem werden ein Persönlichkeitsinventar (IKP), ein Alexithymie-Fragebogen (TAS-26) und Kurztests zwecks Intelligenz-Screening (MWT-B, Raven Matrices) angewendet.
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Tabelle 3: Testverfahren für Erwachsene
| Testverfahren | Beschreibung | 
|---|---|
| AQ (Autism-Spectrum Quotient) | Fragebogen zur Erfassung von autistischen Merkmalen | 
| EQ (Empathy Quotient) | Fragebogen zur Erfassung von Empathie | 
| RAADS-R (Ritvo Autism Asperger Diagnostic Scale-Revised) | Skala zur Unterstützung der Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen bei Erwachsenen | 
| MBAS (Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom) | Screening-Verfahren für autistische Störungen auf hohem Funktionsniveau | 
| ASAS (Australian Scale of Asperger’s Syndrome) | Skala zur Erfassung des Asperger-Syndroms | 
| SRS (Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität) | Dimensionale Autismus-Diagnostik | 
| MASC (Movie for the Assessment of Social Cognition) | Film zur Beurteilung der sozialen Kognition | 
| RMET (Reading the Mind in the Eyes Test) | Test zur Erkennung von Emotionen anhand von Augenausschnitten | 
| TAS-26 (Toronto-Alexithymie-Skala-26) | Fragebogen zur Erfassung von Alexithymie | 
| MWT-B (Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest) | Kurztest zur Intelligenz-Screening | 
| ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - revidiert) | Detailliertes Interview zur Erfassung der Entwicklungsgeschichte | 
| IKP (Inventar Klinischer Persönlichkeitsakzentuierungen) | Persönlichkeitsinventar | 
| WURS-k (Wender Utah Rating Scale) | Fragebogen zur Erfassung von ADHS im Erwachsenenalter | 
Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen
Alle psychotherapeutischen Verfahren sind zur Behandlung von Personen mit ASS geeignet, mit der Einschränkung, dass man störungsangepasst vorgehen sollte. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten mit einer Haltung, die den Prozess unterstützt, und die von Akzeptanz, einem hohen Mass an Authentizität, Offenheit, Neugier, Geduld sowie einer strukturierten Herangehensweise geprägt ist.
Was kann mit einer Psychotherapie bei ASS-Betroffenen erreicht werden?
- die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion reduzieren
 - die Kommunikationsfertigkeiten steigern
 - Verhaltensweisen positiv verändern
 - psychische Begleiterkrankungen (komorbide psychische Störungen) wie etwa affektive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, ADHS, Suchterkrankungen psychotherapeutisch sowie medikamentös erfassen und behandeln
 
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