Medizinische Gutachten spielen eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, ob eine Person Anspruch auf eine Rente der IV hat und somit ihre Existenz sichern kann. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gutachten von hoher Qualität sind und von unabhängigen sowie unvoreingenommenen Fachpersonen erstellt werden.
Bedeutung der medizinischen Gutachten
Die von unabhängigen medizinischen Experten erstellten Gutachten zur Klärung versicherungsmedizinischer Sachverhalte sind für die IV von grundlegender Bedeutung im Hinblick auf eine mögliche Leistungszusprache. Sie müssen den normativen Vorgaben des Bundesgerichts entsprechen und nach den Regeln der medizinischen Kunst erstellt werden. Somit haben sie sowohl rechtlichen wie auch medizinischen Ansprüchen zu genügen.
Im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens obliegt es den IV-Stellen nach der Anmeldung einer versicherten Person als erstes alle bereits vorhandenen Informationen, die als Entscheidungsgrundlagen für die rasche Klärung der Leistungsbegehren notwendig sind, möglichst rasch und unkompliziert zu beschaffen und auszuwerten.
Wenn die bestehende Aktenlage nach der ersten Prüfung durch die IV-Stelle weiterhin unvollständig, die Sachlage nicht genügend geklärt oder widersprüchlich ist, besteht die Möglichkeit, die fehlenden Informationen durch eine versicherungsinterne Untersuchung beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) zu beschaffen.
Sollten die versicherungsinternen Abklärungen nicht ausreichen, den medizinischen Sachverhalt genügend klar festzustellen, kann als letzter Schritt ein externes Gutachten eingeholt werden. Im Interesse rascher Verfahren, in Anbetracht der beschränkten Anzahl qualifizierter medizinischer Gutachterinnen, Gutachter und Gutachterstellen und nicht zuletzt auch aufgrund der entsprechenden Kosten sind diese Expertisen möglichst gezielt und nur in begründeten Fällen anzufordern.
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Gemäss den Weisungen des BSV muss die IV-Stelle ein externes Gutachten innerhalb von 20 Tagen unter Einbezug des RAD sorgfältig und gründlich auf seine formelle und inhaltliche Qualität überprüfen.
Qualitätssicherung und Standardindikatoren
Mit dem Entscheid 141 V 281 vom 3. Juni 2015 hat das Bundesgericht mit den sog. Standardindikatoren neue, verbindliche Normen für die Erstellung von Gutachten aufgestellt. Den IV-Stellen als rechtsanwendende Behörden obliegt die Prüfung, ob die Gutachterinnen und Gutachter sich daran gehalten haben und ob die medizinisch festgestellten funktionellen Einschränkungen schlüssig und widerspruchsfrei nachgewiesen sind.
Die einheitliche Struktur der Dokumentation, fachspezifische Leitlinien zur versicherungsmedizinischen Begutachtung, eine sorgfältige Diagnoseerhebung, eine gut begründete Einschätzung der funktionellen Leistungsfähigkeit und Kausalität zwischen Gesundheitsschaden und funktioneller Einschränkung wird es den Rechtsanwendern (IV-Stellen, Gerichte) erleichtern, den Gutachten die gesuchte Information und medizinische Einschätzung zu entnehmen.
Die Standardindikatoren für die medizinische Begutachtung zielen darauf ab, genauer zu beleuchten, inwieweit die geklagten Beschwerden medizinisch begründet sind. Die Vorgaben des Bundesgerichts erhöhen die Anforderungen an die Befunderhebung und Diagnosestellung und verlangen die ausführliche Beschreibung und Erklärung des Schweregrads einer Erkrankung.
Arten von medizinischen Gutachten
Die Invalidenversicherung unterscheidet drei Typen von medizinischen Gutachten:
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- Monodisziplinär: Es braucht ein Gutachten einer medizinischen Fachrichtung
- Bidisziplinär: Es braucht eine Begutachtung durch zwei medizinische Fachrichtungen
- Polydisziplinär: Mindestens drei medizinische Fachrichtungen müssen einbezogen werden, darunter die Allgemeine Innere Medizin
Voraussetzungen für Gutachter*innen
Gutachter*innen müssen in der Schweiz als Arzt oder Ärztin zugelassen sein und über genügend Erfahrung mit der Behandlung von Patient*innen verfügen. Bei den wichtigsten Fachgebieten wird ausserdem verlangt, dass die Gutachter*innen über eine spezifische Weiterbildung für diese Tätigkeit verfügen (SIM-Zertifikat).
Rechte der Versicherten und das Einigungsverfahren
Um die Stellung der Versicherten zu stärken, sollte die Vergabe in diesen Fällen per Einigungsverfahren gemacht werden. Beim Einigungsverfahren haben sich die IV-Stelle und die versicherte Person auf eine*n Gutachter*in (juristischer Begriff Sachverständige*r) zu einigen. Kommt keine Einigung zustande, so benennen IV-Stelle und versicherte Person je eine*n Sachverständige*n, die das Gutachten gemeinsam erstellen.
Die versicherte Person soll von Anfang an in die Bezeichnung der sachverständigen Person, die das monodisziplinäre Gutachten der IV erstellen soll, einbezogen werden. Es soll also ein echter Einigungsversuch durchgeführt werden.
Weiter sieht der Vorentwurf vor, dass die versicherte Person und die IV-Stelle jeweils eine*n Sachverständige*n für ein gemeinsames Gutachten bezeichnen können, falls im Rahmen des Einigungsversuchs keine einvernehmliche Lösung gefunden werden konnte.
Rentenanspruch und Invaliditätsgrad
Haben die Eingliederungsbemühungen der IV nicht oder nur teilweise zum gewünschten Erfolg geführt oder waren sie von vornherein aussichtslos, muss der Rentenanspruch geprüft werden. Wird dabei ein Invaliditätsgrad von mindestens 40% ermittelt, besteht Anspruch auf eine Rente.
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Per 1.1.2022 wurde das sog. lineare Rentensystem (nachfolgend: neues Rentensystem) eingeführt. Dabei wird der Anteil der Rente als Prozentsatz einer ganzen Rente festgelegt, und zwar jeweils entsprechend dem Invaliditätsgrad. Bei einem Invaliditätsgrad ab 70% besteht Anspruch auf eine ganze Rente. Bei einem Invaliditätsgrad von 50-69% entspricht der prozentuale Anteil der Rente dem Invaliditätsgrad (z.B. Invaliditätsgrad von 55% entspricht einer 55%-Rente).
Für gewisse Personen gilt aber weiterhin das alte Rentensystem. Dabei besteht je nach Invaliditätsgrad Anspruch auf eine ganze Rente, eine Dreiviertelsrente, eine halbe Rente oder eine Viertelsrente:
| Invaliditätsgrad | Rentenanspruch |
|---|---|
| 40 - 49% | Viertelsrente |
| 50 - 59% | halbe Rente |
| 60 - 69% | Dreiviertelsrente |
| 70 - 100% | ganze Rente |
Das neue Rentensystem gilt für alle Personen, deren Rentenanspruch ab 1.1.2022 entsteht, die also erst ab dem 1.1.2022 eine Rente erhalten.
Der Anspruch auf eine ordentliche IV-Rente setzt voraus, dass die Person bei Eintritt der Invalidität während mindestens drei Jahren AHV/IV Beiträge geleistet hat.
Wer Anspruch auf eine ordentliche Rente hat und seit dem 20. Altersjahr ohne Unterbruch jährlich Beiträge an die AHV/IV bezahlt hat, erhält im Invaliditätsfall eine sogenannte Vollrente. Wer hingegen für gewisse Jahre keine Beiträge entrichtet hat, weist Beitragslücken auf und erhält deshalb im Invaliditätsfall lediglich eine tiefere Teilrente.
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