FASD umfasst verschiedene Auffälligkeiten, die durch pränatale Alkoholexposition entstehen. In Industrieländern ist FASD die häufigste nicht genetisch bedingte Erkrankung bei der Geburt.
Ursachen und Risiken
Die Entstehung von FASD setzt nicht einen regelmässigen Alkoholkonsum oder eine Alkoholabhängigkeit der Mutter während der Schwangerschaft voraus. Das Risiko zur Entwicklung dieser Erkrankung ist auch mit punktuell exzessivem Alkoholkonsum stark erhöht.
Alkohol ist vollständig plazentadurchgängig, wirkt auf verschiedene Weisen teratogen und ist dadurch schädlich für Organ- und Hirnentwicklung sowie für das Wachstum. Je nach Entwicklungsphase des Embryos/Fötus, verursacht die Alkoholexposition unterschiedliche Beeinträchtigungen.
Bisher fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer für die Entwicklung des Ungeborenen unbedenklichen Alkoholkonsummenge. Deshalb lautet die ärztliche Empfehlung immer noch «Punktabstinenz».
Die Realität sieht gemäss Bundesamt für Gesundheit ganz anders aus: Eine Suchtmonitoringbefragung in den Jahren 2011 bis 2016 zeigt, dass rund 18 Prozent der schwangeren oder stillenden Frauen während der Schwangerschaft oder Stillzeit mindestens jede Woche Alkohol konsumieren. Rund sechs Prozent gaben an, während dieser Zeit punktuell risikoreich Alkohol zu konsumieren.
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Häufigkeit von FASD
Zur Häufigkeit von FAS/FASD in der Schweiz liegen keine offiziell bestätigten Zahlen vor. Gestützt auf Berechnungen und statistische Daten zu Alkoholkonsum sowie auf Vergleichszahlen aus anderen Ländern, geht man in der Schweiz von jährlich 1700 bis 4000 betroffenen Kindern aus, davon zehn Prozent mit FAS. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergibt dies etwa 180’000 von FASD betroffene Personen.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht davon aus, dass für bis zu 7,5% der Lebendgeborenen hierzulande das Risiko besteht, FASD zu entwickeln. Studien deuten darauf hin, dass rund ein Fünftel der Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen, davon betroffen sind. Zahlen aus Deutschland zeigen, dass 20-25% aller Pflegekinder von FASD betroffen sind.
Symptome und Herausforderungen
FASD bezeichnen ein Spektrum von Symptomen, die physische, mentale und verhaltensbezogene Störungen umfassen. Diese können lebenslang bestehen und hängen mit einer pränatalen Alkoholexposition in der Schwangerschaft zusammen.
Der Familienalltag mit von FASD betroffenen Kindern und Jugendlichen gestaltet sich äusserst herausfordernd, da herkömmliche Erziehungsstrategien und -Haltungen oft nicht weiterhelfen. Nach Prof. Dr. Hans-Ludwig Spohr, dem Leiter des FASD-Zentrums Berlin, tragen die Pflegeeltern im Erziehungs- und Beziehungssystem häufig die Hauptlast.
Mit dem Heranwachsen zeigen betroffene Kinder in bis zu 60% der Fälle eine überdurchschnittliche Hyperaktivität und ein unruhiges, unkontrolliertes Verhalten. Sie haben zudem erhebliche Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit, was dazu führt, dass neben einer meist verminderten Intelligenz die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die häufigste diagnostizierte Störung ist.
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Vor allem die Beeinträchtigung der sogenannten exekutiven Funktionen wirkt sich direkt auf den Familienalltag und das soziale Leben der Kinder aus und stellt je nach Ausprägung eine grosse Herausforderung für die Familien dar. Als exekutive Funktionen bezeichnet man höhere kognitive Fähigkeiten, die das Verhalten steuern und regulieren. Sie bestehen unabhängig von der gemessenen Intelligenz (IQ) und sind für die Planung, Organisation und Ausführung von Handlungen (Selbstständigkeit) notwendig.
Auch für die Impulskontrolle, die Emotionsregulation und für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten sind die exekutiven Funktionen entscheidend.
Obwohl äusserlich oft wenig auffällig, können Jugendliche mit FASD aggressiv oder depressiv wirken und in ihrer Entwicklung auf verschiedene Weise beeinträchtigt sein. Trotz allenfalls guter Sprachfähigkeiten haben sie Schwierigkeiten, sowohl einfache als auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen und umzusetzen. Sie kämpfen mit Bindungsproblemen und fühlen sich oft als Aussenseiter.
Das kann dazu führen, dass sie die ihnen gesetzten Grenzen überschreiten, bis hin zu Gewalttaten und Diebstahl. Die schulische Laufbahn ist stark von der häufig eingeschränkten Grundintelligenz abhängig. Auch bei Kindern mit Normalbegabung führt in vielen Fällen das auffällige Verhalten dazu, dass sie nur den Weg in eine Sonderschule für Kinder mit Lernbeeinträchtigung oder Verhaltensauffälligkeit einschlagen können.
Wenn mit Erreichen der Volljährigkeit stabilisierende Strukturen wegbrechen, drohen Alltagsüberforderung, Delinquenz oder Alkohol- und Drogenprobleme.
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Frühe Diagnose und Unterstützung
Frühzeitige Diagnosen und gezielte Unterstützungsangebote sind entscheidend, um den Betroffenen und ihren Familien zu helfen. Nicht selten spüren Pflege- und Adoptiveltern nach einer Aufnahme relativ schnell, dass beim Kind etwas anders ist. Durch fehlende Kenntnis über das Störungsbild und wenig sensibilisierte Fachpersonen im Helfersystem, werden innerfamiliär grosse Bestrebungen unternommen, den Alltag zu bewältigen.
Das Ausmass der Störung wird ausserfamiliär häufig erst im Alter von 3-6 Jahren erkannt, wenn die Kinder in Spielgruppen, Kindergarten und bei der Einschulung an ihre Grenzen kommen.
Verschiedene Studien haben protektive Faktoren identifiziert, die das Ausmass der langfristigen Folgen der vorgeburtlichen Schädigungen verringern. Dazu gehören unter anderem die frühe Erstdiagnose vor dem 6. Lebensjahr, ein stabiles und förderndes Umfeld sowie der Verzicht auf weitere Traumatisierungen.
Eine möglichst frühe Diagnose und ein damit verbundenes Krankheitsverständnis, ermöglicht dem Umfeld eine neue innere Haltung dem Kind gegenüber und kann innerfamiliär eine grosse Entlastung bedeuten. Daraus leitet sich ein Umdenken hin zu einer hilfreichen pädagogischen Haltung ab.
Die Wirkung der auftretenden Schwierigkeiten auf das Familiengefüge und die zu betreuenden Menschen zeigt, dass Unterstützung und Entlastung von aussen dringend benötigt wird. Daher brauchen Bezugspersonen von Betroffenen Aufklärung über Ursachen und Besonderheiten von FASD, Beratung zu Unterstützungsangeboten und praktische Tipps im Umgang mit den Schwierigkeiten.
Bezüglich der Förderung ist es wichtig zu realisieren, dass Kinder und Jugendliche mit einer FASD-Erkrankung komplexe Defizite in verschiedenen Funktionen des zentralen Nervensystems haben und kein einheitliches neuropsychologisches Profil aufweisen. Die Therapie sollte wegen der Symptomvielfalt des FASD daher nicht diagnose-, sondern symptomorientiert ausgerichtet sein sowie individuell geplant und dem jeweiligen Verlauf angepasst werden.
In der Schweiz gibt es bisher kaum FASD-spezifische Unterstützungsangebote oder Anlaufstellen.
Tabelle: Vergleich von FAS und FASD
| Merkmal | FAS (Fetales Alkoholsyndrom) | FASD (Fetale Alkoholspektrumstörung) | 
|---|---|---|
| Definition | Vollbild der Erkrankung mit Wachstums- und Gesichtsauffälligkeiten | Spektrum von Symptomen, die physische, mentale und verhaltensbezogene Störungen umfassen | 
| Diagnose | Am einfachsten diagnostizierbare Form | Diagnose kann schwieriger sein, da Symptome variieren | 
| Auswirkungen | Umfasst Wachstumsstörungen, spezifische Gesichtsmerkmale und neurologische Probleme | Kann eine breite Palette von Beeinträchtigungen umfassen, von Lernschwierigkeiten bis zu Verhaltensproblemen | 
Referenzen
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