Provokative Therapie: Definition und Anwendung

Die Provokative Therapie, entwickelt von Frank Farrelly, ist ein psychotherapeutisches Kurzverfahren, das sich durch seinen ungewöhnlichen Ansatz auszeichnet. Es hat sich in der Praxis bewährt.

Was ist die Provokative Therapie?

Die Provokative Therapie setzt auf Humor und befreiendes Lachen als Transmitter für die Botschaften des Therapeuten. Die Kinoerfolge «Les intouchables» und «The King’s Speech» haben die Wirkung von Humor und Provokation auf eindrückliche Weise vor Augen geführt. Humorvolle, paradoxe und provokative Elemente entfalten sowohl in Therapien und Beratungen wie auch in alltäglichen Situationen ungeahnte Entwicklungsschritte.

Grundannahmen der Provokativen Therapie

Farrellys Ansatz: Der Ausdruck der Gegenübertragungsgefühle des Therapeuten ist hilfreich für den Patienten - selbst wenn es sich um tabuisierte Gefühle handelt. Der Patient wird dabei nicht als bedauernswertes Opfer behandelt, sondern wie ein Bekannter oder Freund, der auch einmal ein offenes Wort vertragen kann.

Die Rolle des Therapeuten

Dabei spielt der Therapeut die Rolle des Advocatus Diaboli. Ähnlich einem Hofnarren spiegelt der Therapeut die Klienten, deren selbstschädigende Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster auf amüsante, herausfordernde Art. Das Weltbild des Gegenübers wird auf wohlwollende Art karikiert, die negativen Seiten, Gedanken und Einstellungen auf spielerische, humorvolle Weise dargestellt und ad absurdum geführt.

Die humorvoll-provokativen Bemerkungen sind frei von zynischer Überheblichkeit und richten sich niemals gegen die Personen selber, sondern ausschliesslich gegen das Schädliche im Verhalten der Klientinnen und Klienten.

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Wie funktioniert die Provokative Therapie?

Werden Menschen dazu animiert problematisches Verhalten fortzusetzen oder es sogar noch zu verstärken, neigen sie oft dazu, sich auf neue Verhaltensweisen einzulassen. Eine neue Verhaltensweise - oft sogar eine absurde oder unkonventionelle - kann die Blockierung durch sich ständig wiederholende Lösungsversuche aufheben. Lachen und Direktheit befreien und eröffnen kreative Wege aus der Sackgasse. Humor entspannt, schafft einen gesunden Abstand zu den Problemen und gibt Kontrolle zurück, so dass die Opferhaltung zu Gunsten einer aktiveren Rolle aufgegeben werden kann.

Paradoxe und provokative Therapieelemente werden durch häufiges gemeinsames Lachen unterstützt und mit viel menschlicher Wärme begleitet. Ein besonderes Augenmerk gehört dem guten Draht zwischen Klient/innen und Therapeut/innen. Ist dieser vorhanden, werden Menschen sehr gerne herausgefordert.

Anwendungsbereiche

Besonders wirkungsvoll ist der humorvoll-provokative Ansatz in festgefahrenen Situationen, bei chronischen Problemen, Depressionen und sich ständig wiederholenden Schwierigkeiten. Viele Personen, die von früheren Therapien enttäuscht sind, finden in den Beratungsgesprächen neue Wege und sind begeistert davon.

Erfahrungen aus meiner Therapiepraxis zeigen, dass Humor und Provokation oft die entscheidenden Faktoren bilden, damit Veränderungen stattfinden. Viele meiner Klient/innen berichten, dass sie durch die humorvoll-provokativen Gespräche schlagfertiger geworden sind und sich chronische Probleme plötzlich in Luft auflösten.

Beispiele aus der Praxis

Hier sind einige Beispiele, wie provokative Therapie in der Praxis aussehen kann:

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  • Mit Frau S.* führte ich viele Gespräche über ihr Vögelchen-Dasein. Natürlich sprachen wir auch über allfällige Entfaltungsmöglichkeiten. Frau S. unternahm an ihrer Arbeitsstelle erste mutige Schritte. Dies war eine ideale Gelegenheit, um ihr viele Komplimente zu machen. Frau S. schätzte es sehr, wenn ich ihr einfach nur zuhörte. Manchmal forderte ich sie heraus, indem ich frech, aber doch mit warmer Stimme, sprach: «Ach, wie langweilig für mich. Ich muss wieder mit dem kleinen, langweiligen Vögelchen sprechen.» Dann imitierte ich ihre überangepasste Art und setzte meine Rede mit zerbrechlicher und säuselnder Stimme fort: «Sind Sie noch immer dieses niedliche, brave Vögelchen? Liebe Grüsse Frau S.».
  • Die 8-jährige Andrea* fand es sehr lustig, als ich spielerisch stotterte und erklärte, ich fände diese Sprechweise so süss, dass ich unbedingt noch mehr stottern möchte, aber leider würde mir dies nicht gelingen. Andrea musste jeweils herzhaft lachen, wenn ich alle Gegenstände und Personen bewusst falsch benannte und mich tausendmal dafür entschuldigte. Beim nächsten Stotterblock täuschte ich einen übertriebenen Erstickungsanfall vor, was das Gelächter von Andrea noch verstärkte. Natürlich war ihr klar, dass dies alles nur vorgegaukelt war. Andrea entspannte sich. Sie hatte in mir ihren ganz persönlichen Clown.
  • Der 21-jährige René* erzählte, er sei sehr unsicher und fühle sich minderwertig, worauf ich ihm entgegnete, ich sei noch viel unsicherer und absolut nichts wert. Dies zauberte ein erstes Lächeln auf Renés Gesicht. Nun begannen wir belustigt darüber zu streiten, wer von uns beiden unsicherer und minderwertiger sei.
  • Der 13-jährige Timo* war es über viele Jahre gewohnt, dass seine Mutter die Kontrolle und Verantwortung für seine Hausaufgaben übernommen hatte. Stolz erklärte mir Timo, er habe die Hausaufgaben in letzter Zeit völlig selbständig erledigt. «Du hast deine Hausaufgaben selber gemacht? Du ganz allein? Ist das nicht ein Riesenfehler?» fragte ich den 13-Jährigen mit schelmischem Blick. «Möchtest du nicht wieder versuchen, dass die Mutter alle Aufgaben für dich erledigt? Vielleicht würde sie sogar für dich die Schule besuchen? Wäre doch viel einfacher, oder?» Wie meist bei paradoxen Interventionen setzte sich Timo für das Gegenteil meiner Äusserungen ein. Lachend meinte er: «Nun, ich möchte ja bald meine Lehrstelle bekommen.
  • Die 70-jährige Frau M.* verbrachte ihre Tage meistens allein zu Hause. Sie fühlte sich einsam, litt unter Depressionen und fand einzig Trost beim Fernsehen. In opernähnlichen Arien sang ich: «Ja, Frau M., das Leben ist schrecklich und langweilig. So langweilig! So schrecklich. So gemein.» Frau M. nickte und lachte. Später machte ich ihr eine Heirat mit dem Fernseher schmackhaft: «Nun gut. Sie sagen ihm heute Abend: ‹Mein allerliebster Fernseher, ich möchte dich gerne heiraten. Denn du allein machst mein Leben interessant und farbig. Bitte nimm mich zur Frau›! Das würde ihr Fernseher bestimmt wundervoll finden.» Frau M. musste herzhaft darüber lachen. Ein anderes Mal erzählte ich ihr von einer anderen Frau in den Schweizer Bergen. Nachdem diese von einem Verlobten verlassen wurde, verbrachte sie die restlichen 70 Jahre ihres Lebens im Bett und wurde die ganze Zeit gepflegt. So sprach ich zu Frau M.: «Das könnte ja auch etwas für Sie sein. Die nächsten 20 Jahre bleiben Sie nur noch im Bett. Ein bisschen langweilig vielleicht, aber ziemlich weich und bequem.» Interessanterweise war Frau M. nicht verletzt über meine Äusserungen, denn sie spürte, dass ich sie sehr schätzte und ihr viel Veränderung zutraute. Frau M. setzte meinen Vorschlag, nur noch im Bett zu bleiben, keinesfalls in die Realität um. Im Gegenteil, sie bemühte sich um einen regelmässigeren und offeneren Kontakt mit ihren Kindern und nahm an Seniorinnenanlässen teil. Am Ende der Therapie schrieb Frau M. in ihrer Rückmeldung: «Ich kann es nicht in Worte fassen, aber irgendetwas in meinem Herzen hat sich verändert. Obwohl ich mir oft viele freche Äusserungen von Ihnen anhören musste, fühlte ich mich von Ihnen viel besser verstanden als beim Psychiater.

Alle mit * gekennzeichneten Personen waren Klientinnen und Klienten in meiner Praxis.

Die Bedeutung von Humor

Humor hat etwas Entwaffnendes. Leute, die verbissen aus ihrem Standpunkt verharren, werden spielerisch ausgehebelt. Das macht den Weg frei für eine erfolgreiche Vermittlung. Zudem zeigt clever eingesetzter Humor einer tendenziell humorarmen Person auf, was sie eigentlich im Leben verpasst - oder wie lächerlich sie sich eigentlich verhält, ohne dass es offen ausgesprochen und damit beleidigend wird. Humor zeigt, wie gut es tut, gewisse Situationen im Leben einfach mit einer Prise Fröhlichkeit anzugehen. Humor erleichtert es einem generell das Leben und sich selbst weniger ernst zu nehmen. Alleine dies kann so viel bewirken, auch und gerade in der Therapie. Kleine Ursache, grosse Wirkung. Kurzum, gezielt und professionell eingesetzter Humor finde ich eines der stärksten Mittel in solchen Gesprächen. Plötzlich fängt auch der härteste Stein an zu lachen, weil er nicht mehr anders kann. Josés Gabe, selbst tendenziell sture Leute dazu zu bringen, dass sie sich auf einmal aus sich heraus wagen können und sich trotzdem noch sicher aufgehoben fühlen, haben nur wenige Menschen.

Humor und die eigenen Ressourcen spielen eine zentrale Rolle in meinen Beratungen. Eine humorvoller Blickwinkel fördert das eigene Glück und öffnet neue Wege bei Problemen und schwierigen Lebenssituationen. In unserem Beratungsgespräch suchen wir nach humorvollen Aspekten und neuen Blickwinkeln. Gemeinsames Lachen lockert unsere Begegnung auf. Ich fordere Sie in positiver Art heraus, so dass Sie neue Wege wagen. Nach der Beratung kehren Sie mit neuen Ideen für Ihren Alltag und Ihr Leben zurück.

Humorvoll-provokative und paradoxe Elemente bilden das Salz in der Suppe und kommen in vielen meiner Therapiestunden zur Anwendung.

Frank Farrelly: Ein Pionier der Provokativen Therapie

Frank Farrelly entwickelte die Provokative Therapie bereits in den Sechzigerjahren und praktizierte sie seither sowohl in freier Praxis als auch am Mental Health Hospital in Madison, wo er fast zwanzig Jahre lang mit chronisch Schizophrenen und Depressiven, mit Drogenabhängigen und kriminellen Psychopathen arbeitete. Es gelang ihm, viele hoffnungslose Fälle aus der geschlossenen Abteilung "hinauszuprovozieren" und er erreichte, dass sie ausserhalb einer psychiatrischen Klinik selbständig leben und arbeiten konnten.

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Für Frank war der Tod grundsätzlich eine Befreiung aus unserem «kosmischen Kindergarten», wie er das nannte, und für ihn persönlich eine Befreiung aus einem Körper, der ihm zunehmend beschwerlich wurde. Ich hätte ihn gerne noch persönlich verabschiedet.

Sein entscheidender Beitrag zur heutigen Psychotherapie und systemischen Kommunikation muss hier nicht mehr betont werden. Er war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus, er hat das Lachen in der Psychotherapie «gesellschaftsfähig» gemacht, aber er hat die Menschen auch polarisiert.

Die Rolle der inneren Haltung

Es kommt sehr auf die innere Haltung an, die Wahrnehmung und das wohlwollende, wertschätzende Aussprechen von offensichtlichen Dingen, die einem auffallen. Genau das kann man trainieren, und das tue ich in den Seminaren.

Das Herzstück meiner gesamten Arbeit ist der Humor. Ich meine damit die Art von Humor, die wir im Provokativen Ansatz verwenden. Ein Humor, der nichts mit Schadenfreude und Zynismus zu tun hat, sondern mit dem humorvollen Umgang mit uns selbst und unseren Mitarbeiterinnen, Partnern, Klientinnen, Kindern, Chefs, Eltern… Wir alle stecken immer wieder fest und machen uns selbst das Leben mit den absurdesten Verhaltensweisen zur Hölle.

Das liebevolle Karikieren

Vereinfacht ausgedrückt praktiziert man das LKW, das Liebevolle Karikieren des Weltbildes des Klienten. Nonverbal ist man wohlwollend und empathisch, das heisst, man traut der Klientin oder dem Mitarbeiter zu, dass sie oder er aus seiner Sackgasse wieder herauskommt. Verbal behauptet man genau das Gegenteil, indem man die selbstschädigenden Verhaltensweisen karikiert, um den natürlichen Widerstand dagegen hervorzurufen. Man lacht gemeinsam mit dem Klienten oder der Mitarbeiterin über seine und ihre fixen Ideen. Klienten sollten dabei immer etwas mehr lachen als Coach oder Chef. Das funktioniert in der Regel wunderbar und hat oft langanhaltende Verhaltensänderungen zur Folge.

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