Der Erzieher:innenberuf ist einer, in dem auffallend viele im Burnout landen; einfach nur mehr Lohn hält sie oder ihn von der Belastungsdepression nicht ab.
Um diese Zusammenhänge begreiflich zu machen, bezieht sich die feministische Ökonomiekritik auf die Theorie der primitiven Akkumulation, der sogenannten Landnahme, wie sie Rosa Luxemburg vertrat. Diese stellte fest, dass es neben der Lohnarbeit noch andere Formen der Ausbeutung gibt, die als integraler Bestandteil einer vorrangig auf Profitmaximierung orientierten Ökonomie etabliert wurden: der Raub von Land, Bodenschätzen und anderen Ressourcen durch Enteignung, Privatisierung, Kolonialismus, Sklaverei und Zerstörung der Subsistenzwirtschaft.
Der Kapitalismus schafft sich ein Außen, das anderen Regeln unterworfen wird und als Ressource immer wieder umgeformt und angeeignet werden kann.
Die Strukturanpassungsprogramme des IWF beispielsweise zwangen zahlreiche Länder, ihre Ausgaben für Gesundheit, Soziales und Bildung zu kürzen: alles Bereiche, die gerade den benachteiligten Bevölkerungsschichten zugutekommen, vor allem Frauen, die darin Unterstützung in ihren unbezahlten Arbeitsbereichen der Fürsorge fanden. Aber auch in reicheren Industriestaaten wird wie selbstverständlich das Soziale als Ort genannt, in dem man bedenkenlos kürzen kann.
Dass das Sorgen für die körperlichen und emotionalen Bedürfnisse von Menschen ein zentraler Bestandteil der Ökonomie ist, wird von der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaft noch immer weitgehend geleugnet. Es soll wie von Zauberhand im Unsichtbaren einfach so geschehen. Dass alle Bereiche der Pflege und Fürsorge uns möglichst nichts kosten sollen, da sie qua Selbstlosigkeit von Menschen, denen diese Selbstlosigkeit natürlicherweise entspreche (und es ihnen also auch nichts ausmache), zu leisten sei, haben wir auf alle Berufe im Sozialen und Pflegerischem übertragen. Wir haben diese Arbeit damit systematisch entwertet und diese Menschen dem Burnout preisgegeben.
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Doch höhere Löhne allein sind nicht die Lösung, wie Menschen in Pflegeberufen immer wieder beteuern, sondern Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen, weniger Überstunden, ein besserer Personalschlüssel, mehr Prävention statt Notfallbehandlung.
Die Räume, in denen Menschen sich Selbstlosigkeit leisten können, werden aber auch immer kleiner. Die Arbeitsbedingungen im globalen neoliberalen Kapitalismus lassen kaum Zeit und Ressourcen, mit denen man es sich leisten kann, sich neben der Lohnarbeit in irgendeiner Form sozial und politisch zu engagieren. Das gilt vor allem für Menschen, die sich neben der Lohnarbeit auch noch um andere sorgen.
Ihre Perspektiven, ihre Sorgen bleiben unsichtbar, und unser Bewusstsein, dass Pflege ein integraler Bestandteil unseres Lebens und unserer Ökonomie ist, bleibt verschüttet.
Fürsorglichkeit ist eine Eigenschaft, die wir uns alle zu eigen machen sollten und die eine Gesellschaft braucht. Aber diese menschliche Qualität und Notwendigkeit ist geschlechtsunabhängig und darf nicht auf Selbstaufgabe beruhen.
Fürsorgearbeit muss endlich den Platz in der Volkswirtschaft bekommen, der ihr von ihrer Bedeutung her zusteht, damit Pflegende nicht mehr nur zwischen Organisations- und Effektivitätshorror oder dem kompletten Rückzug aus der Arbeitswelt oder der Familie oder politischer und sozialer Teilhabe wählen müssen.
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Vielleicht brauchen wir nicht nur eine Quote für Frauen, sondern generell für Menschen mit Pflegeerfahrung, weil sie mit ihrem Wissen ein besseres Verständnis haben, wie Unternehmen und Politik familienfreundlicher werden, was es wiederum anderen Fürsorgearbeitenden ermöglicht, in höhere Entscheidungspositionen zu kommen.
Gesellschaftliche Entwertung von Care-Arbeit
Generell ist immer noch den Eindruck bestimmend, dass Pflege, Kinderbetreuung, Haushalt und dergleichen wie von selbst geschehen, wie eine Aussage von Christian Lindner illustriert. Wenn er dran sei mit der Care-Arbeit um die Kinder, würde er diese Zeit nutzen, um Bücher zu schreiben, zu jagen, zu fischen und zu imkern. Sich um andere zu kümmern ist ein Vollzeitjob, so dass Menschen, die diese Arbeit übernehmen, wenig Zeit für politische Teilhabe haben.
Das bedeutet auch, dass ihre Stimmen und ihr Engagement fehlen, um ihre Probleme sichtbar zu machen, um ihre Situation der Fürsorgearbeitenden nachhaltig zu verbessern.
Die Zwickmühle an mangelnder Erfahrung und Unsichtbarkeit liegt auch darin begründet, wie wir in unserer Gesellschaft Fürsorge historisch und gesellschaftspolitisch bisher dargestellt und eingefordert haben: Katholizismus und Kapitalismus gingen hier Hand in Hand in der dominanten Erzählung, dass Fürsorgende selbst scheinbar keine Unterstützung brauchen; selbstlos und dienend passiert das Werk des Kümmerns wie von selbst.
Diese Überzeugung ist unbewusst in unserer Kultur verankert und lässt sich auf ein Bild zurückführen, das sich als sehr wirkungsmächtig erweist, wenn es um die Arbeit im Zwischenmenschlichen geht: Das Mutterideal ist das toxische Vorbild für alle pflegenden, betreuenden und sozialen Berufe.
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Weil wir von der Mutter die Selbstaufgabe verlangen, verlangen wir sie auch von Krankenpfleger:innen, Sozialarbeiter:innen und Lehrer:innen. Untermauert von unseren biologistischen wie auch christlich geprägten Erzähltraditionen von Barmherzigkeit und naturhaft weiblicher Selbstaufopferung, wie sie prototypisch die Jungfrau Maria verkörpert, haben wir gelernt, diesen fundamentalen Gegensatz von bedürfnislosen Sorgenden und bedürftigen Umsorgten als eine Tatsache anzuerkennen.
Das Mutterideal wirkt hier als Arbeitsgrundlage. Liebe als Jobbeschreibung, die vom Himmel fällt.
Die Idee der Mutter als einer unversiegbaren Quelle von Selbstlosigkeit wurde mit der Mär vom Mutterinstinkt im 18. Jahrhundert in den Naturwissenschaften sowie der aufkommenden Pädagogik zementiert, um die Geschlechtscharaktere und damit die geschlechtliche Arbeitsteilung von Männern und Frauen in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft zu begründen.
Frauen wurde qua ihrer Natur eine Kompetenz für Pflege und Selbstlosigkeit unterstellt; ein Konstrukt, das sich bestens eignete, um die Emanzipationsbestrebungen von Frauen zurückzudrängen. Es diente als Propagandamittel, um Frauen an Kinder und das Heim zu binden und der Verfügungsgewalt von Staat und Ehemann zu unterstellen.
Dieses Konstrukt hält sich im pseudowissenschaftlichen Allgemeinwissen bis heute. Es dient weiterhin dazu, Frauen erpressbar zu machen, ihre eigenen Ambitionen und Bedürfnisse denen von Kindern und Familie zu unterstellen. Eine verklärte Form der Aufopferung, auf der ein Großteil unserer Ökonomie beruht.
Somit wurde die Kleinfamilie zu dem Ort, an dem die Trennung der Gesellschaft in eine öffentliche Sphäre (Staat, Ökonomie, Zivilgesellschaft, Rationalität) und eine private Sphäre (Pflege, Familie und Emotionalität) exerziert wurde. Das Private wurde der Ort, an dem die Frau unsichtbar und unbezahlt die wichtige Arbeit der Pflege und Fürsorge erledigt: Die Kleinfamilie als Garantin für die geschlechtliche Arbeitsteilung von Privat und Öffentlich, sichtbar und unsichtbar, bezahlt und unbezahlt.
Die niedrige Anerkennung spiegelt sich heute auch in der Entlohnung und dem Status der Arbeit wider, die diesen Bereichen zugeteilt werden, Sie erklärt auch, warum häusliche und pflegerische Arbeiten so unattraktiv erscheinen, vor allem für Männer. Frauen werden aufgewertet, wenn sie in der männlichen Sphäre der Lohnarbeit bestehen. Männer, die in die weibliche Sphäre gehen, werden abgewertet (und müssen wie Herr Lindner deshalb mindestens auch noch jagen und ein Buch schreiben, wenn sie sich dazu herablassen).
Hier zeigt sich auch die Krux der Gleichberechtigung: Bis heute hält sich hartnäckig das Missverständnis, dass Gleichberechtigung erreicht sei, wenn Frauen in die Arbeitsbereiche der Männer, die mit mehr Autonomie verbunden werden, vordringen können. Nicht berücksichtigt wird, dass wirkliche Gleichberechtigung nur dann funktionieren kann, wenn auch Männer die Arbeit übernehmen, die Frauen tun.
Diese Ideale der selbstlosen Mütterlichkeit, auf die unsere Ökonomie unbezahlt Zugriff haben will, haben aber nicht nur einen negativen Effekt auf Frauen, sondern sie finden sich auch in allen pflegerischen und sozialen Berufen wieder, die als abgekoppelt von der ‚normalen‘ Ökonomie betrachtet werden, weil in ihnen ein gewisses Maß an Selbstlosigkeit eingefordert wird.
Care-Arbeit kann ökonomisch gesehen nicht effizient organisiert werden: Die Logik der Wirtschaftlichkeit wirkt sich per se schlecht auf ihre Qualität aus. Professionalität bedeutet bei der Care-Arbeit Geduld und Akzeptanz gegenüber menschlichen Bedürfnissen und nicht Schnelligkeit und Fließbandarbeit.
Auswirkungen auf Frauen in Machtpositionen
Dass es aber nicht allein reicht, wenn Frauen in Machtpositionen gelangen, um diese Bilder zu korrigieren, zeigt, dass auch Frauen, die über mehr finanzielle Ressourcen verfügen, sich von der von ihnen erwartenden Mehrbelastung der Selbstlosigkeit freikaufen können: Sie können weiterhin ihr Image als Mutter, die alles schafft, inszenieren, weil sie finanziell schlechter gestellte Frauen auch aus anderen Ländern bezahlen, um die Reproduktionsarbeit in ihrer Familie zu meistern.
Eine Spitzenpolitikerin wie Ursula von der Leyen hat nie genau thematisiert, wie sie ein Leben mit fünf Kindern meisterte.
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