Depression ist in der entwickelten Welt eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit 350 Millionen Menschen daran. Zirka 800’000 der Betroffenen sterben jährlich durch Suizid. In der Schweiz sind annähernd 30% der Bevölkerung zumindest einmal im Leben davon betroffen. Leider sprechen nur etwa 40-50% der Patienten auf die heute verfügbaren antidepressiven Medikamente an. Zudem müssen solche Antidepressiva täglich und langfristig eingenommen werden.
Wir brauchen dringend neue therapeutische Ansätze und Medikamente zur Behandlung von Depressionen. Die psychedelische Substanz Psilocybin, der aktive Wirkstoff der sogenannten «Zauberpilze» stellt dank neuem und einzigartigen Wirkmechanismus eine neue Hoffnung dar, Depression in Zukunft besser behandeln zu können. Erste Pilot-Studien zeigen nämlich, dass Psilocybin nicht nur eine akute Reduktion der depressiven Symptome bewirkt, sondern eine über 3-6 Monate anhaltende markante Verbesserung auslöst und zu einer erhöhten Lebensqualität führt.
Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich bietet neu Therapien mit Psilocybin für Erwachsene mit einer schwer zu behandelnden Depression an. Obwohl es heute bereits viele Therapiemethoden für depressive Menschen gibt, gelten rund 30 bis 40 Prozent der Betroffenen als therapieresistent. Sie sind Kandidaten für neue Behandlungsarten.
Erste Ergebnisse und Studien
Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass der psychedelische Inhaltsstoff der Pilze die depressive Stimmung positiv beeinflussen kann. Eine der neusten Untersuchungen wurde in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich durchgeführt und in der Fachzeitschrift «The Lancet» veröffentlicht. Von den teilnehmenden Patienten zeigten mehr als die Hälfte nach der Behandlung keine Depression mehr. Deshalb bietet die Klinik die Methode seit diesem Sommer bei ausgewählten Patienten an.
In der Psilocybin-assistierten Therapie wird eine kontrollierte einmalige Dosis Psilocybin zusammen mit psychotherapeutischer Unterstützung verwendet. So sollen chronisch rigide Denkmuster gelockert, neue Einsichten, Blickwinkel und Verhaltensmuster gelernt und die Stimmung verbessert werden.
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Die Forschung erschwert, dass Psilocybin derzeit als halluzinogene Droge eingestuft und noch verboten ist. Momentan ist eine solche Therapie nur im Rahmen von Studien möglich, wo es ein Angebot gibt, sich damit behandeln zu lassen. Eine Ausnahme bildet die Schweiz, wo eine Behandlung mit den „magischen“ Pilzen bereits möglich ist.
Der Pilzwirkstoff Psilocybin - auch bekannt als „Magic Mushroom“-Wirkstoff - verursacht nicht nur Halluzinationen: Sein medizinisches Potenzial wird derzeit weltweit in Studien erforscht. Die Hoffnung: Er könnte zur Heilung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Sucht beitragen. In Kombination mit psychotherapeutischen Gesprächen hilft er möglicherweise sogar Menschen, bei denen gängige Therapien nicht anschlagen.
Wie wirkt Psilocybin im Gehirn?
Erste Ergebnisse sind vielversprechend. Der Wirkstoff könnte die Neuvernetzung von Nervenzellen unterstützen, die dafür notwendig ist, um beispielsweise ungünstige Verhaltens- und Denkmuster zu verändern, lautet die wissenschaftliche Hypothese.
Diese Annahme wird nun unterstützt durch eine Untersuchung am Hector Institut für Translationale Hirnforschung (HITBR) am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. „Was wir beobachtet haben, ist faszinierend“, erklärt Schmidt. „Die Nervenzellen bilden mehr Verzweigungen aus und produzieren vermehrt BDNF, einen körpereigenen Wachstumsfaktor für Nervenzellen.“ Noch erstaunlicher sei, dass die Veränderungen mehrere Tage bestehen blieben und sich die Kommunikation zwischen den Nervenzellen deutlich verstärkt habe.
Die Forschenden konnten auch nachweisen, dass Psilocin die Aktivität bestimmter Gene verändert, die für die Anpassungsfähigkeit des Gehirns wichtig sind. Diese sogenannte Neuroplastizität ist bei vielen psychischen Erkrankungen reduziert. „Vereinfacht gesagt, macht Psilocin das Gehirn wieder formbarer“, erläutert Studienleiter Prof. Philipp Koch. „Unsere Ergebnisse liefern auf zellulärer Ebene Erklärungsansätze für die positiven Effekte, die in klinischen Studien mit Psilocybin bei Patienten mit Depressionen, Suchterkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen beobachtet werden.“
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Schweiz als Vorreiter der psychedelischen Therapie
Eine von ihnen ist Dr. Katrin Preller. Sie arbeitet am Klinikum der Universität Zürich an einer Studie, in der sie Menschen mit Depressionen mit dem Magic-Mushroom-Wirkstoff Psilocybin behandelt. Dass die Schweiz zu den Vorreitern der psychedelischen Therapie gehört, sei kein Zufall: „Wir haben hier eine lange Tradition“, berichtet die Psychologin im Gespräch mit netDoktor.
Schliesslich war es der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, der 1943 erstmals LSD isolierte - und seine Wirkung per unfreiwilligem Selbstversuch entdeckte. Schon seit den 1990er-Jahren forschen Schweizer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wieder an der Psychotherapie mit Psychedelika-Unterstützung. Und wer seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, kann sich auch ausserhalb von Studien mit Psilocybin behandeln lassen.
Prellers Studie mit 52 Betroffenen ist zwar klein, die Ergebnisse sind aber bemerkenswert: Die an einer Depression erkrankten Patientinnen und Patienten hatten anschliessend im Schnitt nur noch leichte Beschwerden. Allerdings funktionierte die Reise in einen anderen Bewusstseinszustand nicht für alle - dafür waren andere dank der psychedelischen Therapie nahezu beschwerdefrei.
Ablauf einer Psilocybin-Therapie
Ausgeschlossen sind Menschen mit einer persönlichen oder familiären Vorgeschichte von Schizophrenie und anderen psychotischen Erkrankungen. Denn diese können durch halluzinogene Drogen angestossen werden. Auch Herzpatienten können nicht teilnehmen, denn durch den Wirkstoff Psilocybin steigt der Blutdruck.
Die Behandlung beginnt mit medizinischen Untersuchungen und psychologischen Tests, gefolgt von zwei bis drei Vorbesprechungen. „Wir versuchen, mit den Patienten vorab Probleme zu identifizieren, an denen sie mithilfe der Psilocybin-Erfahrung arbeiten können“, erklärt die Schweizer Psychologin. Ziel könnte beispielsweise sein, eingefahrene negative Denkmuster abzustreifen oder die Selbstwertschätzung zu stärken. „Wir hoffen, dass Psilocybin hilft, eine neue Perspektive zu entwickeln“, sagt die Wissenschaftlerin.
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Am Morgen der Drogenreise nehmen die Patientinnen und Patienten dann die Substanz ein - oder, da es sich um eine Studie handelt, ein Placebo. Nach rund vier Stunden klingt die Wirkung ab. Am nächsten Tag beginnt dann die eigentliche therapeutische Arbeit: „Welche Erfahrungen kann man in den Alltag integrieren? Sind vielleicht neue Lösungswege zu Problemen aufgetaucht? Gibt es Erlebnisse, die eingeordnet werden müssen?“, erklärt Preller. All diese Fragen werden in drei bis vier therapeutischen Sitzungen aufgearbeitet.
Was genau passiert im Gehirn?
Wie genau Psilocybin eine anhaltende Wirkung entfaltet, ist noch ungeklärt. Zwar weiss man, dass der Wirkstoff im Gehirn an die Andockstellen (Rezeptoren) des Nervenbotenstoffes Serotonin bindet. „Bei der Frage, warum es den Leuten langfristig besser geht, stehen wir aber noch am Anfang“, sagt die Wissenschaftlerin.
Unter anderem könnte sich unter Psilocybin die Neuroplastizität verbessern, also die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und neu zu vernetzen. Aus früheren Untersuchungen weiss man, dass diese bei Menschen mit Depressionen herabgesetzt ist. „Psilocybin könnte die Neuroplastizität wieder verbessern und es so erleichtern, positive Denkmuster zu festigen - oder auch dysfunktionale Muster zu überwinden“, so Preller.
Aber auch das intensive Verbundenheitsgefühl, von dem viele Personen nach einem Psilocybin-Trip berichten, könnte positive Veränderungen anstossen. Die Offenheit und Aufgeschlossenheit, die nach dieser Erfahrung oft lange nachhallen, könnten die sozialen Beziehungen verbessern. „Und das sorgt wiederum dafür, dass es den Patienten besser geht“, erklärt Preller.
Vor allem ist es aber die Triperfahrung selbst, die den eigentlichen Unterschied machen könnte. „Manche Patienten berichten über tiefe Einsichten, die sie durch das Erlebnis gewonnen haben“, so die Forscherin. Personen, die Psychedelika ausprobiert haben, erleben nicht nur Halluzinationen: Sie berichten von einer Auflösung des Ichs und einem Gefühl der Verschmelzung mit der Natur oder dem Universum.
Neustart fürs Gehirn
Experimente des Psychiaters und Neurowissenschaftlers Judson Brewer von der Universität Yale untermauern solche Erfahrungen wissenschaftlich: Brewer hat herausgefunden, dass die Hirnaktivitäten erfahrener Meditierender denen von Personen auf einem Psilocybin-Trip gleichen:
In beiden Fällen fährt das Gehirn die Aktivität im sogenannten Default-Mode-Network oder Ruhenetzwerk zurück. Dieses Netzwerk wird aktiv, wenn der Mensch keine äusseren Reize verarbeitet, beispielsweise beim Tagträumen oder Pläne schmieden. Es scheint aber auch der Sitz des Ich-Gefühls zu sein - der Ort im Gehirn, an dem der Mensch die eigene Erzählung darüber speichert, wer er ist.
Tatsächlich haben frühere Untersuchungen Veränderungen im Default-Netzwerk bei Personen mit Depressionen gefunden. Vorstellbar wäre, dass ein Psilocybin-Trip wie ein Neustart dieses Systems wirkt und die Störung beseitigt.
Bewusst zu erleben, wie das eigene Ego verschwindet, könnte demnach der Schlüssel zur Heilung sein. Wie eine Raupe, deren Körper sich während der Verpuppung in ihrem Kokon erst einmal fast vollständig in alle Bestandteile verflüssigt und dann neu zusammensetzt, könnte die Auflösung des Ichs ein Momentum bergen, sich psychisch neu auszurichten und einen neuen Blick auf sich selbst und die eigene Situation zu gewinnen. Wer einmal erlebt, dass das eigene Ego gar nicht so wichtig ist, kann sich befreien.
Hier könnte ein psychologisch begleiteter Drogentrip helfen - nicht als Ersatz für eine Therapie, sondern zu deren Unterstützung. „Für Freud waren Träume der Weg ins Unterbewusstsein. Psychedelika sind wie die Autobahn dahin“, erklärt Wissenschaftsautor Pollan.
Weitere Therapieansätze
Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich hat Sicherheitsprotokolle und Behandlungsrichtlinien erstellt. Sie wendet auch schon andere neue Therapien für depressiv kranke Menschen an. Zum Beispiel Ketamin, Lachgas, repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) oder Elektrokonvulsionstherapie (EKT), kombiniert mit Psychotherapiemethoden.
PD Dr. Felix Müller, Leiter des klinischen Forschungsbereichs für substanzgestützte Therapie in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel, setzt sich bereits seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema auseinander. In den letzten zehn Jahren habe es zahlreiche Studien zum Einsatz von Halluzinogenen gegeben. Psilocybin wurde bei Depressionen, Angststörungen und Alkoholabhängigkeit, MDMA (3,4-Methylenedioxymethamphetamin) bei Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie LSD (Lysergsäurediethylamid) bei Ängsten und Depressionen eingesetzt.
Dabei fanden die Wissenschaftler*innen, dass nach ein- bis dreimaliger Verabreichung oft positive, z.T. langanhaltende Behandlungseffekte (Wochen bis Jahre) gefunden wurden. Psychotherapie fand häufig begleitend ebenfalls statt. Doch welches sind die Wirkfaktoren? Die spezifisch mystische Erfahrung, allgemeine psychotherapeutische Wirkfaktoren (z.B. Therapiebeziehung, Motivation oder Problemaktualisierung) und ein eventuelles Nervenwachstum, die sogenannte Neuroplastizität werden diskutiert.
PD Dr. med. Felix Müller forscht selber zum Einsatz von LSD bei Depressionen oder Ängsten mit einem Studiendesign, bei dem die Patient*innen entweder zuerst ein Placebo («Scheinmedikament») bekommen und dann in der zweiten Behandlung das LSD oder umgekehrt. Dies wird «Crossover Design» genannt. Als Placebo werden sehr niedrige Dosen von LSD verwendet. Dabei gibt es auch Doppelblindstudien, bei denen weder die verabreichende Person noch die Patient*in wissen, was verabreicht wird. Interessant und noch unverstanden ist der Effekt, dass wer zuerst eine niedrige Dosis als Placebo hatte und nachher eine hohe Dosis bekam, besser abschnitt als umgekehrt. Solche Therapien werden in Basel im 1:1 Setting durchgeführt.
PD Dr. med. Felix Müller sprach auch über Risiken und Nebenwirkungen dieser Therapie. Dazu gehören negative akute Effekte wie Ängste, sogenannte «Flashbacks» und bei entsprechender Veranlagung das Risiko, eine Psychose zu entwickeln. Inzwischen gebe es Guidelines darüber, wie man placebokontrollierte Studien durchführen kann. Das ist darum nicht trivial, weil Patient*innen bei einer wirkungslosen Substanz eventuell erkennen, was das Placebo ist. Daher werden niedrige Dosierungen des Psychedelikum als Placebo eingesetzt.
Zusammenfassung
Die hohe Teilnehmerzahl am Symposium über Psychedelika (160 Personen) verdeutlicht das wachsende Interesse an dieser Thematik. Die grosse Beteiligung und die rege Diskussion spiegeln nicht nur die wissenschaftliche Neugier wider, sondern auch das zunehmende Bewusstsein für die potenziellen therapeutischen Anwendungen von psychedelischen Substanzen in der modernen Medizin - jedoch ohne deren Limitationen und Risiken auszublenden.
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