Piazza Sigmund Freud in Mailand: Eine historische Betrachtung

Die Piazza Sigmund Freud in Mailand ist ein Ort von Bedeutung, der die Geschichte der Stadt widerspiegelt.

Autogrills in Italien: Mehr als nur Autobahnraststätten

Der Mensch ist auf der Autobahn ein abhängiges Wesen: er scheint zwar autonom, doch irgendwann müssen Auto, Fahrer und Familie nachbetankt werden. Ein Sechszylinder-Motor und ein Handy können zwar vieles, aber eben keinen Espresso kochen.

Da erheben Autobahnraststätten ihr hässliches Haupt, und mangels Alternativen wird der Autofahrer in kulinarische Geiselhaft genommen. Er bekommt einen Dreckskaffee vor die Nase geknallt, er soll ja eh weiterfahren und nicht wiederkommen. «Passant», das bedeutet eben auch: vorübergehend.

Doch nicht in Italien, da sieht man die Sache mit dem Autobahn-Kaffee etwas anders. Die Italiener haben nämlich keine Nerven für schlechten Kaffee, und sie sehen auch keinen Sinn darin, grauenvolles Essen zu einem Geschäftsmodell auszubauen. Der Autogrill ist der grosse Gleichmacher, das Demokratieversprechen.

Von diesem Ethos profitieren nicht nur die Inländer, die jedes Jahr in Horden das Land queren, um Ferragosto an den Strand zu gelangen, sondern auch die Touristen aus dem Ausland. Sie kommen ohnehin mit turmhohen Erwartungen bezüglich Lebenslust und Kulinarik, und da ist zum Teil des italienischen Nationalcharmes geworden, dass sie bei ihrem ersten Stopp nach der Grenze einen Espresso kriegen, der nicht nach verbranntem Plastic schmeckt, sondern fast so gut wie in einem echten Café in Neapel. Der Kaffee soll in Italien ja ganz trinkbar sein.

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Die haben sich die Autogrills ja auch zum Vorbild genommen: Es gibt eine lange Theke, Piazza-artigen Lärm, Menschen, die mit ihren Bons nach ihren Bestellungen wedeln. Hier stehen Geschäftsmänner in Anzügen, Impresarios, die aus ihren Lambos geklettert sind, Mütter, Busladungen voller Teenager, Trucker und Bikerpaare nebeneinander.

Der Autogrill ist der grosse Gleichmacher, das Demokratieversprechen, hier kriegt jeder für einen Euro (oder weniger) seinen Kaffee und ein bisschen Optimismus für die restliche Reise. Die Pavesini-Keksfabrik seiner Familie lag in der Nähe, und eigentlich sollten in der Bar nur die verschiedenen Kekse ausgestellt werden.

Der Krieg war zwar erst einige Jahre vorbei, nur einer von hundert Italienern besass überhaupt ein Auto, doch Mario Pavesi war auf ein neues Lebensgefühl gestossen: Die Kekse und die italienische Wirtschaft liefen so gut, dass aus seinem kleinen Experiment innerhalb weniger Jahre ein Millionen-Lira-Geschäftsmodell wurde.

Das zog auch die Konkurrenz an, und bald wetteiferten der Motta-Grill, die Alemagna-Bars und der Pavesi-Autogrill darum, wer der Platzhirsch an der Autostrada werden sollte. Ein guter Kaffee war ein Weg, um die Kunden an sich zu binden, doch erst mussten sie die Autofahrer überhaupt zum Abbiegen bewegen. Also bedienten sie sich eines weiteren Mittels: der Architektur.

Der 1959 eröffnete Autogrill in Fiorenzuola d’Arda war eine spektakuläre Brücke quer über der Autobahn, vom Restaurant aus konnte man direkt auf den neuen Fortschritt blicken. Andere Autogrills erinnern mit ihren riesigen gebogenen Stahlkonstruktionen an Satellitenmodelle, die die James-Bond-hafte Fortschrittsgläubigkeit der sechziger Jahre widerspiegeln. Im Autogrill Ronco Scrivia hing (und hängt heute noch immer) ein überdimensionierter Kronleuchter, unter dem weiss livrierte Kellner die Panini servierten.

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«Italians do it better», das war lange der Leitspruch des anarchischen Unternehmers und Fiat-Erben Lapo Elkann, und hier, in der öden Brachlandschaft der Autostrade, bewahrheitet sich das irrwitzige italienische Streben nach Exzellenz. Und egal ob brutalistische Betonklötze oder filigrane Raumfahrt-Zitate, die Autogrills waren das Gegenteil dessen, was die europäischen Nachbarn von ihren Autobahnen gewohnt waren: die Tristesse der schmucklosen Zweckbauten, gepaart mit vollgemüllten Grünflächen und dem traurigen Geruch kalten Frittierfettes.

Über 200 Autogrills entstanden auf diese Weise, bis die Ölkrise 1970 die Party beendete. Die Autoindustrie und die daran gekoppelten Dienstleistungen gerieten ins Wanken, und so musste der italienische Staat 1970 einschreiten und Pavesi, Motta und Alemagna unter dem Namen Autogrill vereinen.

Doch der Autogrill bekam in den achtziger Jahren eine zweite Chance, als das italienische Wirtschaftswunder einen weiteren Höhepunkt erlebte. 1995 wurde das Unternehmen wieder privatisiert, die Familie Benetton gehört seither zu den Mehrheitseigentümern.

Ja, die Grandezza variiert von Grill zu Grill, nicht alle Raststätten sind architektonische Höhepunkte oder hygienische Offenbarungen. Manchmal findet man lediglich verhutzelte Gipfeli und überdimensionierte Piadine, man sitzt fliegenumsurrt an Resopaltischen und fragt sich, wer in aller Welt Nutella in Fünf-Liter-Behältnissen kauft.

Mittlerweile hat sich Autogrill mit Starbucks eingelassen, ist mit McDonald’s ins Geschäft gekommen, aber, ach, egal.Der Autogrill ist eine Metapher dafür, welchen Stellenwert Italiener ihrem Essen geben. Oft stehen nur Kleinigkeiten auf der Karte, doch die haben sie drauf: Pizza, Panini, Mini-Würstchen, Parmaschinken, Salami, Büffelmozzarella, Fagiolini (Bohnensalat) oder gegrillte Aubergine.

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Andere Nationen mögen blitzblanke Toiletten haben, die gepflegteren Autos, kostenlose Autobahnen - mit den Autogrills lehren uns die Italiener, dass es selbst in der Einöde lohnt, seine eigenen Standards aufrechtzuerhalten. Denn sie haben schon längst begriffen: Würde ist keine Frage des Standortes, sondern der Haltung.

Die Edicola: Ein sozialer Treffpunkt in Italien

Samstagmorgens und um Ferragosto herum ist die Edicola wohl der wichtigste soziale Treffpunkt in jedem erdenklichen Quartier im ganzen Land. In Forte dei Marmi kommen gebräunte deutsche Mütter mit zwei oder drei Kindern im Schlepptau angeradelt, um sich eine «FaZ» und eine «Gala», eine «Bunte» und die «Bild» zu besorgen.

Wahrscheinlich begegnen sie bei dieser Gelegenheit Freunden, mit denen sie schon seit ihrer Kindheit die Ferien verbracht haben, sie verabreden sich mit ihnen für den Abend und fahren dann weiter zum Strand. Es wird ein Kommen und Gehen sein wie sonst kaum.

Heutzutage, wo die traditionelleren Medienhäuser sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie Leser an sich binden und «sozialer» werden könnten, erteilen uns die italienischen Edicole eine Lektion darin, wie man auf authentische und höchst physische Art eine Gemeinschaft aufbaut. Der clevere CEO eines Zeitungsunternehmens täte gut daran, in eine Annäherung an seine Zielgruppe zu investieren, indem er eine geeignete Umgebung schafft, wo sich in der Gesellschaft Gleichgesinnter das gedruckte Wort konsumieren lässt.

Dies wäre um einiges sinnvoller, als die Produkte auf Displays zu verbannen, die alles andere als überzeugen und sich in Kombination mit gleissendem Sonnenlicht, Sand und einer Tube cremiger Daylong, Schutzfaktor 15, gar als reinste Katastrophe erweisen.

Zu einer Zeit, in der sich die Menschen nach persönlichen Kontakten sehnen und Gemeinschaften sich darum bemühen, Menschen zusammenzubringen, dient die Edicola als lebendiges Vorbild, das sich schon heute in alle Richtungen exportieren liesse und für seinen Beitrag, den es für den täglichen Handel und die Kultur leistet, vielleicht sogar den Unesco-Status verdient hätte.

Das italienische "Ich": Selbstbewusstsein und Stereotypen

«Ci penso io!» Angelo hatte diesen Satz mehrfach wiederholt. Beim letzten Mal legte er mir die Hand auf die Schulter, sozusagen als Siegel: Das Problem mit dem Auto sei in Kürze definitiv behoben, ohne den geringsten Zweifel!

Denn er, Angelo, Automechaniker seit 23 Jahren, kümmere sich darum. Das Erstaunliche an der Geschichte war, dass ich ihm tatsächlich glaubte. Und das, obwohl Angelos äussere Erscheinung nicht gerade Vertrauen erweckte. Er trug einen abgewetzten azurblauen Trainingsanzug, dessen Oberteil in die bis über den Bauch hochgezogene Hosen gesteckt war; seine Körperfülle sprach von einer Vorliebe für Pasta und von Überstunden, ausgestreckt auf dem Sofa, was auch an seinen benebelten Augen abzulesen war.

Keine Frage: Gäbe es Weltmeisterschaften für Selbstbewusstsein, die Italiener schafften es spielend in den Final.Und ja, genau das Gleiche hatte er mir schon ein paar Tage zuvor gesagt - trotzdem war der Wagen erneut stehengeblieben. Wie sich dieses «Ich» nun aber in Übergrösse vor mich stellte, wollte auch mein kleines «ich» aus ganzem Herzen daran glauben, dass jetzt alles gut kommt.

Keine Frage: Gäbe es Weltmeisterschaften für Selbstbewusstsein, die Italiener schafften es spielend in den Final. Sie hätten dort vielleicht gegen das angekratzte amerikanische Ego zu kämpfen oder gegen das kraftstrotzende der Deutschen, das arrogante der Franzosen, das kaltblütige der Russen. Vielleicht bekämen sie es auch mit einem Aussenseiter zu tun, der die Gunst der Stunde genutzt hatte. Das vertrackte Ich der an sich schlauen Schweizer drängte gewiss nicht in den Final.

Es hätte sich bereits mit dem Vordringen in die Viertelfinals begnügt. Zu sehr würde der Satz in den Ohren hallen, der das Ich der Eidgenossen von klein auf in enge Grenzen setzt: «Was glaubst du eigentlich, wer du bist?»«Tu non sai chi sono io», lautet das Äquivalent auf Italienisch - bloss dass man sich damit Türen öffnet, statt dass sie sich vor der Nase verschliessen.

Du weisst ja nicht, wer ich bin! Der Satz wird hier als Drohung verwendet, um jegliches Aufbegehren zum Schweigen zu bringen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Person die Karten offen auf den Tisch legt oder nicht. Der Satz wirkt immer. Schliesslich kann man nie wissen, ob der Papa des Pokerspielers nicht ein Berlusconi ist, einer, der selbst als verurteilter und abgehalfterter Greis noch die Macht hat, mit einem Handstreich alle Karten vom Tisch zu fegen.

Das «io» der Italiener ist eben fintenreich. Kommt es aus eigenen Stücken nicht auf eine respektable Grösse, so verleibt es sich aus taktischen Gründen ein weiteres Ich ein.

Als ich in meinem Bekanntenkreis herumfragte, wo dieses markante Selbstbewusstsein wohl verwurzelt sein möge, zeichneten viele zu meiner Überraschung eine direkte Linie ins Römische Reich. Dass die Nachfahren der Imperatoren letztlich auf einer Halbinsel sitzengeblieben sind, spielt für sie offensichtlich keine Rolle. In ihrem Selbstverständnis genügt es, zu wissen, dass ihnen mindestens einmal in der Geschichte die Welt gehört hatte. Und selbst wenn diese Episode vergessen ginge, im Anfang war das Wort. Und das wurde auf Italienisch gesprochen.

Denn wem, bitteschön, flüsterte Gott zu? Denen, die ihm schon damals am nächsten standen. Und das kann man daran ablesen, wer den besten Platz an der Sonne bekommen hat, die geschmackreichsten Tomaten, das himmlischste Essen, die feurigsten Frauen, die eitelsten Männer.

Dass die Italienerinnen und Italiener direkte Nachfahren von Dio sind, zeigt ja allein schon, dass ihrem «io» nur ein mickriger Buchstabe fehlt, um die ganze schöpferische Kraft auszuspielen.

Meine Umfrage führte von den Cäsaren dann direkt zu den Päpsten beziehungsweise zur katholischen Kirche, die ja wiederum von Rom aus wirkt, aus dem Herzen Italiens. Das erstaunte mich dann fast noch mehr. Doch nach einer kurzen Zeit der Einkehr verstand ich schliesslich den Bezug: Es hat nicht so sehr mit dem Anspruch auf Weltherrschaft in Glaubensfragen zu tun, sondern mit dem Selbstverständnis von Schäfchen, die dem guten Hirten folgen.

Während andere Religionen wie der Buddhismus oder der Hinduismus proklamieren, dass das «Ich» eine Fata Morgana in der Wüste der grossen Leere sei, steht für den Katholiken ausser Frage, dass dieses «io» eine ganz handfeste Form hat: die des Sünders. In der Praxis des Beichtens, die vor nicht allzu langer Zeit noch sämtliche Italiener beherrschten, muss dieser in sich gehen, graben und wühlen, um Sündhaftes zum Vorschein zu bringen, das ihm flugs vergeben wird.

Das «Ich» macht sich also gegenüber der Übergrösse, das es im Alltag trägt, winzig klein. Und das erzeugt eine enorme Spannbreite, von winzig bis fast unendlich, vom Teufelchen bis zum Halbgott, dank der sich so ein Selbst-Bewusstsein tausendmal mehr ausdehnen kann als zum Beispiel das eines gewissenhaften Protestanten, der den Ball demütig flach hält.

Zu den Besonderheiten des «io» zählt, dass es Stereotypen bevorzugt. Es gibt den Macho, die Löwin, das Muttersöhnchen, die Bemutternde, den Besserwisser; und selbst wenn es noch ein paar mehr sind, die Auswahl ist immer begrenzt. Schon die Commedia dell’Arte, die ab dem 16. Jahrhundert einen grossen Einfluss auf die Interaktion im Lande hatte, machte das standardisierte Rollenspiel mit den fixen Masken zu einer Kunst.

Und so verwandeln die Italienerinnen und Italiener noch heute das ganze Land täglich zu einer grossen Bühne, auf der sich das «Ich» hemmungslos mit den anderen misst.

Klar, dass hier keine Tragödie zur Aufführung kommt. Höchstens einmal ein deftiges Drama, doch letztlich wi...

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