Bereits in der frühen Kindheit werden Grundlagen für die spätere erwachsene Sexualität gelegt. Babys haben von Geburt an die Fähigkeit, Berührungen und Körperkontakt genuss- und lustvoll wahrzunehmen. Durch sexuelle Bildung von Anfang an entwickeln Kinder ein gutes Körpergefühl. Sie dient der Entwicklung von Bindungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und Geschlechtlichkeit. Sexualaufklärung ab Geburt basiert auf einem Gesundheitsförderungs-, Entwicklungs- und Gefahrenabwehransatz.
Entwicklungsphasen im Überblick
Die kindliche Sexualentwicklung lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen, die jeweils spezifische Verhaltensweisen und Interessen mit sich bringen:
1. Lebensjahr: Wickeltisch-Gespräche
Bereits Babys nehmen die Umwelt ganzkörperlich mit allen Sinnen wahr und reagieren darauf. Der Säugling erkundet die Welt über den Mund (orale Phase). Dieses Saugen und Nuckeln an Händen, Brust, Flasche oder Gegenständen löst ein Wohlgefühl aus, ist lustvoll und wirkt regulierend. Die Haut dient als Tast-Fühl-Organ. Über die damit verbundenen Berührungen macht das Kind erste Bindungs- und Beziehungserfahrungen und erhält Informationen über sich selbst - «Ich werde liebevoll gehalten, also bin ich wertvoll». Reize wie Streicheln, Halten, sanft Drücken, Küssen sind bedeutsam für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung.
Beim Wickeln kann unter Anderem beobachtet werden, dass sich der kindliche Penis spontan aufrichtet. Die Klitoris kann ebenso anschwellen. Der Erregungsreflex (das Einströmen des Blutes in die genitalen Schwellkörper) wird bereits im Mutterleib nachgewiesen und wird anfangs unwillkürlich ausgelöst. Als erwachsene Person ist es wichtig darauf zu achten, dass Körperkontakte, Berührungen und Handlungen nicht der eigenen sexuellen Erregung dienen. Dies ist verboten und muss unterlassen werden.
2. Lebensjahr: Neugierde
Die meisten Kinder nehmen ihre Genitalien immer bewusster wahr und untersuchen diese interessiert. Auf die gleiche Weise wie der Bauchnabel spannend ist, ist auch die Beschäftigung mit den Genitalien faszinierend. Kinder kennen die sozialen Regeln noch nicht und handeln im Hier und Jetzt. Sie berühren sich, wenn es sich gerade ergibt und sie eine körperliche Regung wahrnehmen. Es ist die Aufgabe der Erwachsenen, stetig zu vermitteln, wo Selbsterkundungen erlaubt sind und wo nicht. Die Analregion (anale Phase) wird zu einer wichtigen Lustquelle.
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Toilettengänge der Mitmenschen wecken die kindliche Aufmerksamkeit, um herauszufinden wo was rauskommt und ob das bei anderen gleich funktioniert. Die volle Blase wahrzunehmen oder die Wärme des Stuhlgangs in der Windel können als lustvoll erlebt werden, weshalb ein Kind vielleicht nicht unmittelbar die Windel wechseln möchte. Dabei können die elterlichen Intimregionen zum Ziel intensiver Entdeckungsfreude werden. Kinder entwickeln durch das Beobachten ihrer Umwelt, durch Nachahmen und die Erkenntnisse der körperlichen Unterschiede und Vielfalt zunehmend ihre Geschlechtszugehörigkeit.
3. Lebensjahr: Erkunden und Rollenspiele
Die Kinder kommen in die Phase der «Schau- und Zeigelust». Es kann vorkommen, dass sie kichernd ihren Po oder die Genitalien entgegenstrecken, sich mitten auf dem Spielplatz Kleidungsstücke abstreifen, sprachliche Begriffe aus dem Genital- und Fäkalbereich nutzen und beobachten, wie das Gegenüber reagiert. Diese Situationen erzeugen eine Spannung und sind dadurch reiz- und lustvoll. Kinder stellen in diesem Alter erste Warum-Fragen.
Sie wollen Zusammenhänge verstehen und zeigen in Form von Rollenspielen «Probehandeln». Dies gilt auch in den Bereichen Körperformen, Geschlecht, Zärtlichkeiten, Liebe, Schwangerschaft, Geburt etc. Sie tun so, als ob sie XY wären und experimentieren dabei auch mit Geschlechterrollen. Erzählen Sie Ihrem Kind, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht lieben können und leben Sie einen toleranten Umgang vor. Es entstehen Stolz, Bewusstsein, Gefühle und Kontrolle für die Körpersignale im Beckenboden, rund um die Blase und den Darm.
Das Kind erlebt seine Selbstwirksamkeit: «Wenn ich mich anstrenge, kommt etwas aus mir heraus - ich kann etwas produzieren.» Dieser Entwicklungsschritt ist wiederum identitätsstiftend. Die Erfahrung mit dem Eigenwillen übertragen Kinder - oft trotzig - auf andere Situationen. Das Nein-Sagen-Dürfen ist eine wichtige Voraussetzung zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch. Das Kind lernt, dass die eigenen Gefühle wichtig sind und Grenzen respektiert werden. Als Erwachsene sind Sie verantwortlich für den Experimentier- und Schutzraum.
4. Lebensjahr: Erste Freundschaften schliessen
In der frühen genitalen Phase steigt das Bedürfnis des Kindes nach Freundschaften und sozialen Kontakten. Das Kind sagt vielleicht, dass es in eine nahe Betreuungsperson «verliebt ist» und bringt dadurch sprachlich die Gefühle des Wohlbefindens und der Zuneigung zum Ausdruck. In Kindergruppen gibt es Gefühle der Zuneigung, Eifersucht, Enttäuschung, Ablehnung und es entstehen manchmal Zuteilungen in «wir» und «die». Durch das Markieren von geschlechtergetrennten Gruppen üben sich die Kinder in der Selbstbehauptung, im Setzen von Grenzen und Mitteilen von Gefühlen und im Verbünden.
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Gleichaltrige Freundschaften können auch Kuscheln, Intimität und gegenseitige Körpererkundungsspiele beinhalten. Im Spiel werden auch gesellschaftliche Rollenerwartungen weiter erprobt und gespiegelt. Genauso wie Kinder die Rolle des Familienhundes besetzen wollen, möchte der Junge die Mutter im Kleid spielen oder das kleine Pinselchen mit dem Nagellack-Fläschchen benutzen. Trans*Kinder (wenn das innere Wissen einer Person, welches Geschlecht sie hat (Geschlechtsidentität) nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt) können Unstimmigkeiten bereits in diesem Alter fühlen und zum Ausdruck bringen.
5. Lebensjahr: Körperspiele und Regeln lernen
Dies ist das klassische Alter der Körpererkundungsspiele bzw. «Doktorspiele». Kinder suchen dazu einen Rückzugsort und wollen ungestört sein. Es ist nun wichtig, dass wie bei anderen Spielen auch, Regeln ausgesprochen werden und die Kinder wissen, dass ein «Nein» nicht übergangen werden darf. Sie müssen wissen, dass diese Spiele nur unter Gleichaltrigen stattfinden, freiwillig sind, nichts in Körperöffnungen eingeführt wird, die Aktivität jederzeit verlassen werden darf und Hilfe holen immer richtig ist.
Kinder lernen, wie die Geschlechtsorgane aussehen, welche Körperstellen besonders empfindlich. Ausserdem lernen Sie, mitzuteilen, welche Berührungen angenehm oder unangenehm sind. Einvernehmliche «Mutter-Vater-Kind-Spiele» werden von Kindern meist als lustvoll erlebt. Schimpfen und Bestrafen sind nicht hilfreich für die gesunde Sexualentwicklung. Hat man als Eltern ein ungutes Gefühl, ist es wichtig, darauf zu hören, Grenzen zu setzen, Handlungen zu unterbinden und sich allenfalls bei einer Fachperson beraten zu lassen.
Kinder entwickeln allmählich die natürliche Scham und wollen vielleicht allein ins Bad, sich im Freibad nicht mehr mitten im Getümmel umziehen etc. Dieses Abgrenzungsverhalten und der Sinn für die Privatsphäre sollen von Erwachsenen unterstützt werden. Kinder verstehen die sozialen Regeln immer besser und wissen: «Das macht man nicht in der Öffentlichkeit». Nun taucht vielleicht auch die Frage auf, woher die Babys kommen und wie sie denn in den Bauch gelangen.
Eine mögliche Antwort wäre: «Ein Kind kann entstehen, wenn sich 2 Zellen treffen. Eine Eizelle und eine Samenzelle. Die Eizelle befindet sich im Körper der Frau, die Samenzelle im Körper des Mannes. Lädt die Vagina den Penis ein, kann die Samenzelle zur Eizelle schwimmen. Machen Sie Ihrem Kind altersgerechte Bücher zu vielfältigen Familienformen, Gefühlen, Körperlexikon, Grenzen, Geheimnissen etc. Selbstberührungen und Erkundungen sind ok, wenn sie im Zimmer bzw.
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6. Lebensjahr: Heimliches Interesse und sprachliche Provokationen
Die Kinder wenden sich vermehrt gleichgeschlechtlichen Kindern zu. Sie stärken so ihre eigene Geschlechtsidentität und versichern sich, «richtige» Mädchen oder Jungen zu sein. Sie orientieren sich an gesellschaftlichen Normen und versuchen herauszufinden, was in ihrer Kultur als «geschlechtskonform» angesehen wird. Es ist wichtig, den Kindern im Alltagsgeschehen aufzuzeigen, dass die Welt bunt und vielfältig ist und jeder Mensch sich so zeigen darf, wie er sich fühlt.
Junge- und Mannsein, Mädchen- und Frausein sowie Menschsein ist divers und kann sich auch verändern. Kindliches Sexual- und Erkundungsverhalten findet ab diesem Alter weniger offensichtlich statt. Das Interesse und Lustempfinden rund um den Körper und die Sinne sind immer noch vorhanden. Vieles findet jedoch aufgrund des entwickelten Schamgefühls heimlicher statt. Die sexualisierte Sprache und damit verbundenen Gesten werden jedoch immer noch als spannungsvoll erlebt. Kinder lernen durch Begleitung, welche Worte beleidigend, verletzend oder diskriminierend sind, was okay ist und was nicht.
Das Interesse an Informationen aus Büchern, TV und anderen Medien steigt und somit auch die Aufgabe der Erwachsenen, sich um die Medienkompetenz zu kümmern. Häufig verstehen Kinder nicht konkret, was sie über Sexualität hören und sehen. Sie kriegen aber ein Gefühl dafür, dass es einen besonderen Stellenwert hat. Küssen sich Menschen im TV, wird dies vielleicht mit einem «iiiih, wääähh» kommentiert. Verbalisieren Sie auch hier die Gefühle: «Ist dir die Szene unangenehm? Wenn Menschen zustimmen, ist es okay, sich zu küssen. Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, was es tun kann, wenn es in den Medien Inhalte sieht, die komische Gefühle auslösen.
Tabelle: Entwicklungsphasen der Sexualität von 0 bis 6 Jahren
| Alter | Entwicklungsphase | Verhaltensweisen und Interessen | 
|---|---|---|
| 1. Lebensjahr | Wickeltisch-Gespräche | Körperliche Wahrnehmung, orale Phase, Bindungsaufbau durch Berührung | 
| 2. Lebensjahr | Neugierde | Erkundung der Genitalien, Interesse an Ausscheidungsprozessen, Entwicklung der Geschlechtszugehörigkeit | 
| 3. Lebensjahr | Erkunden und Rollenspiele | "Schau- und Zeigelust", Rollenspiele mit Geschlechterrollen, Entwicklung von Selbstwirksamkeit | 
| 4. Lebensjahr | Erste Freundschaften schließen | Bedürfnis nach Freundschaften, Zuneigung und Eifersucht in Kindergruppen, Körpererkundungsspiele | 
| 5. Lebensjahr | Körperspiele und Regeln lernen | "Doktorspiele", Erlernen von Regeln und Grenzen, Entwicklung von Schamgefühl | 
| 6. Lebensjahr | Heimliches Interesse und sprachliche Provokationen | Orientierung an gleichgeschlechtlichen Kindern, heimliches Interesse an Sexualität, sprachliche Provokationen | 
Emotionen sind eine Form der Wahrnehmung, die sehr schnell funktioniert, immer eine Wirkung auf den Körper hat und immer in ein Verhalten mündet. Wenn sie zb etwas erschreckt, haben sie sofort das Gefühl Angst. Ihr Körper stellt sich blitzschnell um auf die Verhaltensweisen Flucht oder Kampf und sie reagieren sofort auf irgendeine Weise. Die Wahrnehmung mit dem Verstand dagegen ist langsam, bewirkt nichts im Körper und zieht auch keine Verhalten nach sich.
Freud vermutet in uns ein Motor, eine Kraft die uns überhaupt antreibt. Diese Kraft funktioniert laut ihm nach dem Prinzip lustvolle Anspannung und lustvolle Entspannung. Es geht um Lust.
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