Ludwig van Beethoven ist einer der einflussreichsten Komponisten der Musikgeschichte. Sein Werk bildet den Kulminationspunkt zahlreicher vor allem instrumentaler Gattungen der Wiener Klassik und legt den Grundstein für die kommenden Jahrzehnte.
Beethovens Vokalwerke setzten Maßstäbe: Die späte "Missa Solemnis" gehört zu den eindrucksvollsten Chorwerken ihrer Zeit; aber schon seine frühere "Messe in C" erschließt dem liturgischen Text ganz neue Ausdruckswelten und hat für die Weiterentwicklung der Messkomposition Maßstäbe gesetzt.
Mit dem Schluss-Chor der "Neunten Sinfonie", der Vertonung von Schillers "Ode an die Freude", schuf Beethoven eines der meistaufgeführten und international bekanntesten Chor-Stücke überhaupt und setzte sich somit selbst ein zeitloses musikalisches Denkmal.
Die Missa solemnis bezeichnete Beethoven mehrfach als sein größtes Werk, welches "von Herzen" kommend die Menschen berühren und bewegen sollte.
Die überlieferten Quellen lassen erkennen, wie intensiv und lange sich Beethoven mit der Komposition beschäftigte, um dem Text einen - in seinem Sinne - adäquaten Ausdruck zu verleihen.
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In ihrem Umfang und musikalischen Anspruch reicht die Missa solemnis weit über das liturgisch Übliche hinaus, die Uraufführung fand nicht ohne Grund in einem Konzertsaal statt.
Bearbeitungen von Beethoven Werken
Schon zu Ludwig van Beethovens Lebzeiten wurde der Komponist so verehrt, dass Zeitgenossen seine Musik - zumeist die bekannten Instrumentalwerke - für Chor arrangierten.
Zum Teil dürfte er diese Bearbeitungen sogar gekannt haben.
Nach Beethovens Tod setzte dann eine regelrechte Bearbeitungswelle ein, die in den 1830er Jahren ihren Höhepunkt erreichte.
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Aus dieser Zeit stammt das Werk des Komponisten und Kapellmeisters Gottlob Benedict Bierey (1772-1840).
Er bearbeitete den langsamen Satz der Klaviersonate Nr. 5 c-Moll (op. 10 Nr. 1) für Singstimmen und Orchester, wobei er ihm den Text des Agnus Dei aus dem lateinischen Ordinarium unterlegte.
Das Stück lässt sich wunderbar kombinieren mit Biereys Bearbeitung des 1. Satzes der "Mondscheinsonate", den er instrumentierte und mit dem Text des Kyrie aus dem lateinischen Ordinarium unterlegte.
Musik als Weltsprache?
Wenn es im Klassikbetrieb besonders feierlich zugehen soll, wird gern der Topos von der Musik als Weltsprache beschworen: Musik sei die einzige Sprache, die man überall auf der Welt verstehe, heisst es dann.
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Wer jemals als Europäer in die Verlegenheit gekommen ist, unvorbereitet der Vorstellung einer Peking-Oper beizuwohnen, müsste hier ehrlicherweise Skepsis anmelden.
Die traditionelle chinesische Musik erschliesst sich nämlich in der Regel nicht von selbst, ihr ästhetisches Vokabular «spricht» nicht zum europäisch geprägten Ohr, ihre Wirkung bleibt vorwiegend auf den Oberflächenreiz des Exotischen beschränkt.
Umgekehrt ist die klassische, soll heissen: die traditionelle westliche Musik in Asien mittlerweile weit verbreitet.
Mit den Sprachen der Musik verhält es sich nicht anders als mit den Wortsprachen: Sie sind Ausdruck von gewachsenen Identitäten, die sich füreinander nicht voraussetzungslos erschliessen.
Doch ebenso wie sich die Wortsprachen in jahre-, je nach Grad der Fremdheit manchmal jahrzehntelangen Bemühungen erlernen lassen, so lässt sich auch das musikalische Vokabular einer anfangs fremden Kultur erschliessen.
Die asiatischen Länder haben sich diesen Mühen mit Bezug auf die traditionelle westliche Kultur unterzogen, während den meisten Europäern ein entsprechendes Interesse jedenfalls bis dato fremd geblieben ist.
In der Rede von der «Weltsprache Musik» steckt deshalb ein gerüttelt Mass Eurozentrismus.
Westliche Klassik wird darin unbewusst absolut gesetzt, als «die» Musik schlechthin begriffen.
Musikalische Identitäten und Nationale Stile
Dabei liesse sich schon die Geschichte der europäischen Musik entlang der Leitfrage erzählen, wie sehr Musik eine länder-, völker-, nationenübergreifende Sprache ist und wie sehr sie unterschiedliche Identitäten spiegelt.
Am Anfang wäre die Sache dabei ziemlich einfach, wenn man dem kanonischen Faden der Musikgeschichtsschreibung folgt: Die Kunstmusik des Mittelalters und der Renaissance kennt keine nationalen Identitäten, der gregorianische Choral, aber auch die polyfonen Messen und Motetten der frühen Mehrstimmigkeit entwickeln sich überall in Europa nach ähnlichen stilistischen Prinzipien.
Die Entwicklung wird zwar von regionalen Zentren wie der Notre-Dame-Schule in Paris oder später der frankoflämischen Schule vorangetrieben, aber ihre Komponisten arbeiten unabhängig von ihrer Herkunft in ganz Europa.
Viele zieht es nach Italien, in die Nähe des kirchlichen Zentrums.
Wie in ganz Europa Latein als Bildungssprache gesprochen wird, so klingt auch die lateinischsprachige Kirchenmusik überall ähnlich.
Kompliziert wird es erstmals im 17. Jahrhundert, das nicht zufällig auch das Zeitalter der Glaubenskriege ist.
Als die kirchliche Einheit Europas zerfällt, gewinnt zunächst der Adel, bald auch das Bürgertum an Macht - und damit regionale Zentren, in denen regionale Sprachen vorherrschen.
Zur musikalischen Paradeform des Zeitalters wird die italienischsprachige Oper, die sich ab 1600 an den italienischen Höfen und bald auch in den italienischen Städten entwickelt.
Über mindestens zweihundert Jahre lang wird die «Weltsprache» der europäischen Opernwelt von da an das Italienische bleiben.
Es ist freilich genau diese Dominanz, die Abwehrreaktionen erzeugt und damit die Herausbildung anderer musikalischer Identitäten fördert.
Das erste Beispiel gibt Frankreich, wo Ludwig XIV. den Einfluss der italienischen Parteigänger unter Führung Jules Mazarins zu beschneiden sucht.
Dabei düpiert er den italienischstämmigen Kardinal unter anderem auf dem Gebiet der Oper, indem er eine eigene nationale Opernform begründet.
Zu seinem Instrument wird der (ebenfalls italienischstämmige) Komponist Jean-Baptiste Lully, der sich für die neue Form an den Eigenheiten der französischen Sprache orientiert.
Diese Zurückdrängung des italienischen Einflusses wird sich danach noch mehrfach in Europa wiederholen, im Frankreich des 18. Jahrhunderts zum Beispiel im sogenannten Buffonistenstreit, in dem sich die Anhänger der französischen Oper regelrechte Strassenschlachten mit den Anhängern der reisenden italienischen Truppen liefern.
Doch wie in ganz Europa der Adel übernational agiert, eine spanische oder österreichische Prinzessin zum Beispiel problemlos Königin von Frankreich werden kann, so sind auch die immer klarer hervortretenden Nationalstile in der Musik weiterhin nicht an die Herkunft der Komponisten gebunden.
Der in Halle geborene Georg Friedrich Händel ist ein herausragender Vertreter der italienischen Oper, mit der er über zwei Jahrzehnte das Musikleben in London prägt.
Als man auch dort lieber Englisches hören will, verwandelt sich Händel flugs auch noch in einen der wichtigsten Mitbegründer des englischen Oratoriums.
Der französische Stil ist im 18. Jahrhundert in Gestalt der «Suite» überall in Europa verbreitet, der italienische wird in Gestalt der «Sinfonia» und des «Concerto» zum Ursprung der Sinfonie und des Instrumentalkonzerts.
Der lebensgeschichtlich höchst regional agierende Johann Sebastian Bach zum Beispiel schreibt für das Cembalo ebenso «Französische Suiten» wie ein «Italienisches Konzert».
Als typisch deutsch gilt gerade die «Vermischung des Geschmackes verschiedener Völker», wie der Flötist Johann Joachim Quantz 1752 notiert.
Darin «findet eine jede Nation etwas dem Ihrigen Ähnliches, welches ihr also niemals missfallen kann».
Der Germanist Dieter Borchmeyer hat in seinem kürzlich erschienenen Buch «Was ist deutsch?» gezeigt, welche Ambivalenz auch in einer solchen Übernationalität stecken kann.
Deutschland wird im 19. Jahrhundert seinen Vormachtsanspruch in der Musik gerade auf die Idee gründen, dass deutsche Musik nationenübergreifend sei.
Noch Komponisten wie Alban Berg und Arnold Schönberg verstehen ihre Musik in diesem Sinne als «Weltsprache» - wie es bis heute bei diesem Topos geschieht.
Tatsächlich gewinnt etwa das Musikdrama Richard Wagners in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ähnliche Bedeutung, wie sie zuvor der italienischen Oper zugekommen ist.
In Zu- und Abneigung gegenüber Wagner definieren Komponisten in ganz Europa die eigene Identität neu - und die Zahl der Nationalstile explodiert geradezu.
Dabei liesse sich die Geschichte dieser Nationalstile ebenso gut als eine Demokratisierungsgeschichte der Musik erzählen, wenn man weiter dem offiziellen Faden der Musikgeschichtsschreibung folgt.