Musiktherapie für verschiedene Altersgruppen
Babys werden aus der Geborgenheit voller Klänge und Rhythmen im Bauch der Mutter in die Welt hinein geboren. Töne und Rhythmen bilden für sie einen Vertrauensraum, in dem sie sich geborgen fühlen, zur Ruhe finden und sich entwickeln können.
Einfach zu handhabende kleine Instrumente und die Stimme können diese wohltuende Stimmung hervorbringen.
Kinder entwickeln sich im Spielen. Sie haben dadurch einen ganz natürlichen Zugang zu Musikinstrumenten. Im Spielen entsteht Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Spielen macht glücklich und frei von Sorge.
Jugendliche können in der Musik ein starkes Ausdrucksmittel finden für ihre neu aufbrechende Gefühlswelt. Diese musikalisch zum Ausdruck zu bringen, ist an sich schon ein ordnender Prozess, der auch einer gewissen Reflexion bedarf.
Die immer wieder aufs Neue entstehende Musik wird gehört, verklingt und hinterlässt einen Nachklang. Ängste, Rückzug, biografische Krisen (z. B. Musik wirkt heilsam, belebend, tröstend und kann auch Orientierung geben, ob man sie selbst spielt oder im Hören und Erleben aufnimmt.
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Musiktherapie bei Demenz
Es ist Mittwochnachmittag, 16:00 Uhr auf der Demenzabteilung und gerade hat ein Schichtwechsel der Pflege stattgefunden, was oft für Unruhe sorgt. Alle 15 Bewohner:innen sitzen im Essbereich. Keine der Personen wäre in der Lage, Auskunft darüber zu geben, wo sie gerade ist, warum sie jetzt dort warten muss oder wer die anderen Menschen in ihrer Nähe sind. Blickkontakt findet kaum mehr statt. Manche Bewohner:innen kennen den eigenen Namen nicht mehr und scheinen ‘ins Leere’ zu starren.
Die vorher ‘ins Leere’ starrenden Menschen lächeln, bewegen den ganzen Körper zur Musik und suchen Kontakt mit anderen, um ihre Freude an dem Erlebnis zu teilen. Ein Mann, der nicht mehr reden kann, singt eine ganze Strophe von «Lueget vo Berg und Tal» und strahlt dabei richtiggehend. Trommeln und kleine Instrumente werden verteilt, die Gruppe wird deutlich lebendiger.
Ein gemeinsamer Rhythmus entsteht, spontane kreative Beiträge brechen sich Bahn und werden von den Mitbewohner:innen mit Begeisterung und Blickkontakt begrüsst. Alles, was auf dem Tisch liegt, wird zum Instrument: Pflanzentöpfe, Besteck und Gläser werden mit ungehemmter Freude exploriert. Das Schwyzerörgeli beginnt zu spielen und Partyatmosphäre breitet sich aus.
Es gibt wohl kein anderes Medium, das wie die Musik so schnell und so dramatisch positiv auf die Stimmung wirkt und auf diese Art Trost, Begegnung und Beziehungsgestaltung ermöglicht.
Die Forschung zur Wirkung der Musiktherapie bei Demenz hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen und die Wirkungsnachweise sind sehr erfreulich.
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Ein Meilenstein für Musiktherapie bei Demenz wurde Anfang September erreicht. Die Vorstandsmitglieder Rahel Roth-Sutter und Diana Ramette-Schneider haben die Langfassung der Behandlungsempfehlungen zu Musiktherapie bei Demenz den Swiss Memory Clinics (SMC) eingereicht und Musiktherapie wird als Beispiel für die anderen nonverbalen Therapien angeführt, um daraus die Kurzfassung der Behandlungsempfehlungen der SMC zu formulieren. Wissenschaftlich sind wir in einer stärkeren Position als je zuvor, um erfolgreich zu argumentieren, dass Musiktherapie zum Behandlungskonzept in Alters- und Pflegezentren dazugehören sollte.
Zudem bietet das Medium Musik unvergleichliche Möglichkeiten, um die Wahrnehmung zu fördern. Die Tatsache, dass das Musiklangzeitgedächtnis von neurodegenerativen Hirnveränderungen nur wenig betroffen wird, erklärt, wieso Musik bei fortgeschrittener Demenz so eine grosse Bedeutung haben kann.
Der Grund für die euphorische Art, mit der Menschen mit Demenz auf Musik reagieren können, liegt darin, dass Musik „mit sehr frühen und emotional basierten Erfahrungen abgespeichert“ wird (Argstatter & Schmidt, 2020, S.127).
In der Schweiz leben ca. 146 500 an Demenz erkrankte Menschen und es kommen jedes Jahr um die 31’000 neue Demenzdiagnosen dazu. Die Kosten für unser Gesundheitssystem betragen rund 11.8 Milliarden pro Jahr (BAG, 2022). Die rasch steigenden Zahlen werden wohl zukünftig aufgrund der alternden Bevölkerung noch mehr zunehmen.
Dies wird dazu führen, dass mehr Menschen mit mittlerer bis schwerer Demenz im Heim wohnen, und somit die Therapieangebote in den Heimen ständig angepasst werden müssen, um den Bedürfnissen der Bewohner:innen gerecht zu werden. Der Bedarf ist zunehmend und die Evidenzlage vielversprechend.
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Musiktherapie in der Schweiz und im Ausland
Trotzdem scheint die Musiktherapie in Heimen in der Schweiz nicht so etabliert zu sein wie z.B. in Grossbritannien. Das könnte an verschiedenen Faktoren liegen.
Musik als Intervention bei Demenz (nicht nur reine Musiktherapie) ist in der britischen Gesellschaft sehr präsent und hat in den letzten Jahren viel Platz in den Schlagzeilen bekommen mit Projekten wie: Playlist for Life, Music Mirrors, die BBC-Berichtserstattung von ‘The Dementia Choir’, Manchester’s Camerata’s Project ‘Music in Mind’, bei denen Berufsmusiker:innen und Musiktherapeut:innen zusammen in Heimen mit an Demenz erkrankten Menschen musizieren.
Etablierung der Musiktherapie in Schweizer Heimen
Was müssten wir tun, damit Musiktherapie in Schweizer Heimen selbstverständlich zum Behandlungskonzept dazugehört? Es wäre hilfreich, eine einheitlichere Herangehensweise zu haben, um zu bestimmen, wo wir in Institutionen hineinpassen. Sollte Musiktherapie der Aktivierungstherapie zugehörig sein, sich innerhalb des medizinisch-therapeutischen Teams einordnen, die Einbindung in den psychologischen Dienst suchen - oder soll die Musiktherapie als eigenständige, nicht-eingebundene Therapieform bestehen?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert Offenheit und Flexibilität, kann aber eine grosse Bereicherung sein. Es kann auch wichtig sein, Musiktherapie von anderen musikbasierten Angeboten abzugrenzen.
Als ausgebildete Musiktherapeut:innen liegen unsere Stärken in der Beziehungsgestaltung, in unseren Fähigkeiten, die Improvisationen zu interpretieren, darauf zu reagieren und unser Wissen diagnostisch einzusetzen.
Vielleicht sollten wir auch mehr Offenheit gegenüber nicht rein musiktherapeutischen Projekten haben, welche den Stellenwert der Musik als Intervention bei Demenz in einer Institution und in der breiten Gesellschaft erhöhen (wie z.B. Playlists für alle Bewohner:innen zu erstellen), damit die Wirkung von Musik generell und in der Folge auch speziell im Rahmen der Musiktherapie noch mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt.
Musiktherapeutische Fachliteratur
Die Ausbildung kann auf eine breite Palette an musiktherapeutischer Fachliteratur zurückgreifen. Im Folgenden eine Auswahl davon:
- ZHdK Publikationen zur Musiktherapie
 - Zürcher Schriften zur Musiktherapie
 - Einführung / Überblick
 - Themenzentriert / berufsfeldspezifisch
 
Auswahl an Fachliteratur
- Argstatter, H., & Schmidt, H. U. (2020). Musiktherapie bei psychischen und psychosomatischen Störungen (1. Auflage).
 - Demenz. (n.d.).
 - Fang, R., Ye, S., Huangfu, J., & Calimag, D. P. (2017). Music therapy is a potential intervention for cognition of Alzheimer’s Disease: a mini-review. Translational Neurodegeneration, 6(1).
 - Lam, H. L., Li, W. T. V., Laher, I., & Wong, R. Y. (2020). Effects of Music Therapy on Patients with Dementia-A Systematic Review. Geriatrics (Basel, Switzerland), 5(4).
 - Moreno-Morales, C., Calero, R., Moreno-Morales, P., & Pintado, C. (2020). Music Therapy in the Treatment of Dementia: A Systematic Review and Meta-Analysis. Frontiers in Medicine, 7, 1-11.
 - van der Steen, J. T., Smaling, H. J. A., van der Wouden, J. C., Bruinsma, M. S., Scholten, R. J. P. M., & Vink, A. C. (2018). Music-based therapeutic interventions for people with dementia. The Cochrane Database of Systematic Reviews, 7(7).
 
Musiktherapie bei spezifischen Störungsbildern
Das Buch informiert den Leser über die zahlreichen Einsatzmöglichkeiten der Musiktherapie zur Behandlung psychischer und psychosomatischer Störungen. Neben der Darstellung verschiedener Störungsbilder bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und deren Besonderheiten, stellt das Buch praktische Aspekte der Behandlung und aktuelle Forschungsergebnisse aus Medizin und Musiktherapie vor.
Es wird gezeigt, wie Musiktherapie den Heilungsprozess unterstützen kann und wie Ärzte und Musiktherapeuten zusammenarbeiten können, um bestmögliche Behandlungsergebnisse zu erzielen.
Inhaltsbereiche der Musiktherapie
- Allgemeiner Teil 
- Einführung - Musiktherapie bei psychischen und psychosomatischen Störungen (Hans Ulrich Schmidt, Thomas Stegemann, Carsten Spitzer)
 - Die psychische Struktur des Menschen und die Rolle der Musik (Franz Resch)
 - Zur Geschichte der Musiktherapie in Psychiatrie und Psychosomatik (Andrea Korenjak; Elena Fitzthum, Dorothee Storz)
 - Das Medium Musik (Eckhard Weymann)
 - Methoden der Musiktherapie (Thomas Stegemann; Tonius Timmermann; Manuel Goditsch; Ev-Marie Grünenwald; Felicity Anne Baker; Isabelle Frohne-Hagemann)
 - Psychotherapeutische Techniken der Musiktherapie(Monika Smetana, Dorothee Storz)
 - Diagnostische Instrumente in der Musiktherapie(Dorothee von Moreau)
 - Therapiemanuale in der Musiktherapie(Alexander F. Wormit, Thomas K. Hillecke, Friedrich-Wilhelm Wilker)
 - Ausbildungswege der Musiktherapie(Hans Ulrich Schmidt, Thomas Stegemann)
 - Ethische Fragen und Aspekte(Thomas Stegemann, Eckhard Weymann)
 - Forschung in der Musiktherapie(Hannah Riedl, Hans Ulrich Schmidt, Monika Smetana, Thomas Stegemann; Thomas Wosch)
 
 - Spezielle Störungsbilder und Patientengruppen: Psychiatrie und Psychosomatik 
- Schizophrenie und andere psychotische Störungen(Michael Dümpelmann; Susanne Metzner)
 - Dissoziative Störungen(Carsten Spitzer; Gitta Strehlow)
 - Demenz(Jens Wiltfang; Dorothea Muthesius)
 - Borderline-Persönlichkeitsstörung(Carsten Spitzer; Gitta Strehlow, Hans Ulrich Schmidt)
 - Affektive Störungen(Isgard Ohls; Anja Schäfer)
 - Essstörungen(Ulrich Cuntz; Gudrun Schmalhofer-Gerhalter)
 - Suchtstörungen(Tomas Müller-Thomsen; Louisa Hohmann, Andreas Blase)
 - Angst- und Zwangsstörungen(Carsten Spitzer; Hans J. Grabe; Thomas Schrauth)
 - Posttraumatische Belastungsstörung(Sylvia Wintersperger; Edith Wiesmüller)
 - Somatoforme Störungen/Schmerz(Claas Lahmann; Dorothea Oberegelsbacher; Susanne Metzner)
 - Schlafstörungen(Tomas Müller-Thomsen; Urs Z. Rüegg)
 - Burnout(Felicitas Sigrist)
 - Tinnitus(Helmut Schaaf; Heike Argstatter)
 - Forensische Psychiatrie(Beate Eusterschulte, Sabine Eucker, Birgit von Hecker; Évi Forgó Baer)
 
 - Spezielle Störungsbilder und Patientengruppen: Kinder- und Jugendpsychiatrie 
- Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung(Gerd Lehmkuhl, Ulrike Lehmkuhl; Waltraut Barnowski-Geiser)
 - Angststörungen im Kindes- und Jugendalter(Angela Bieda, Michael W. Lippert, Silvia Schneider; Josephine Geipel)
 - Autismus-Spektrum-Störungen(Luise Poustka; Thomas Bergmann, Monika Geretsegger; Susanne Bauer)
 - Emotionale Störungen(Kerstin Stellermann-Strehlow; Sandrea Lutz Hochreutener)
 - Selbstverletzendes Verhalten(Paul Lukas Plener, Thorsten Sukale)
 - Gewaltprävention(Jörg M.
 
 
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