Musiktherapie in der Psychiatrie

Suchen Sie eine Möglichkeit abzuschalten? Für viele Menschen stellt Musizieren, Musik erleben und empfinden einen Ausgleich zur gesellschaftlichen Kopflastigkeit dar.

Die Musiktherapie gehört zu den ältesten Heilverfahren. Sie ist eine psychodynamisch ausgerichtete Behandlungsform und dient der Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit.

Was ist Musiktherapie?

In der Musiktherapie werden musikalische Mittel im Gruppen- und Einzelsetting gezielt eingesetzt. Die musikalische Improvisation, die Singstimme, aber auch komponierte Musikstücke spielen dabei eine zentrale Rolle. Und das, ohne dass Sie als Patientin oder Patient ein Musikinstrument spielen oder singen können.

Es geht darum auszuprobieren, sich selbst auszudrücken, zu entspannen, zu erleben und zu empfinden. Aber auch, sich abzugrenzen, Sozialkompetenzen zu erarbeiten sowie seine eigene Rollen - mit Stärken und Schwächen - auszuloten.

Die Musiktherapie ist ein wissenschaftlich fundiertes, eigenständiges und psychodynamisch orientiertes Behandlungsverfahren, bei dem die Musik in all ihren Erscheinungsformen im therapeutischen Prozess eingesetzt wird.

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Die Musiktherapie ist eine kreativ-therapeutische Methode, die es schon seit Jahrtausenden gibt. Oft wird unterschieden zwischen der aktiven und der rezeptiven Musiktherapie. Für beide Formen der Musiktherapie sind keine Vorkenntnisse in der Musik erforderlich.

Aktive Musiktherapie

Für die aktive Musiktherapie wird meist ein breitgefächertes Instrumentarium angeboten, welches für viele spielbar ist. Die Patientinnen und Patienten sind eingeladen, sich explorativ und kreativ mit den Instrumenten zu befassen. So eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, sich mit Instrument und Stimme einer Konversation hinzugeben, sich mit eigenen Rhythmen, Klängen oder Liedern auszudrücken.

Rezeptive Musiktherapie

Ausgehend von der therapeutischen Notwendigkeit wird aktiv (Pat. spielt, singt, bewegt sich zu Musik) und/oder rezeptiv (Th. spielt für Pat., dieser hört zu) gearbeitet.

Wie funktioniert Musiktherapie?

  • Ressourcenorientiert: Die unmittelbare Wirkung der Musik kann den Menschen in seiner Ganzheit erreichen und sowohl auf psychischer, physischer, physiologischer und interpersoneller Ebene anklingen.
  • Prozessorientiert: Die Indikationen für die Musiktherapie besprechen unsere qualifizierten Musiktherapeutinnen mit dem interdisziplinären Behandlungsteam, nehmen Anpassungen vor, validieren und dokumentieren.
  • Zielorientiert: Die musiktherapeutischen Methoden und Interventionsmöglichkeiten passen wir gemeinsam mit unseren Patientinnen und Patienten an deren Bedürfnisse und Individualität an. Die Flexibilität der Musik erlaubt dabei viel Spielraum.

Durch musikalische Improvisationen, Klangreisen, Musik hören, singen, bewegen, tanzen und Körperwahrnehmungsübungen erreichen wir eine Erweiterung im Fühlen, Denken und Handeln.

Die Musiktherapie ist ein künstlerisch-kreatives Therapieverfahren, das ressourcen- und erfahrungsorientiert arbeitet. Bei psychischen Erkrankungen bietet diese nonverbale Herangehensweise über das Medium Musik Zugang zu kreativen Ressourcen.

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Durch Spielen eines Instruments, Singen, Improvisation sowie durch das Hören von Musik können die Schwingungsfähigkeit gefördert, die Kommunikationsfähigkeit und kreativer Ausdruck unterstützt sowie Stimmung und Spannung reguliert werden.

Improvisation ist das Spiel- und Experimentierfeld für neue Erfahrungen im Umgang mit sich selbst und anderen. In Kombination mit dem therapeutischen Gespräch können die im Spiel aufkommenden Gefühle und Empfindungen reflektiert und bearbeitet werden.

Im Zentrum musiktherapeutischer Methodik stehen wechselseitige Resonanzprozesse in der therapeutischen Beziehung sowie die Fähigkeit, zuzuhören, individuelle Bedürfnisse wahrzunehmen, zu erkennen, zu verstehen und adäquat und feinfühlig darauf zu reagieren. Dies bildet die Basis aller musiktherapeutischen Interventionen.

Nebst dem Medium Musik (Improvisation, Lieder, komponierte instrumentale Musik) werden auch die Ebenen Sprache (Sprachspiele, Imaginationen, Gespräch) und Körper (Körperwahrnehmung, Entspannung, Bewegung) mit einbezogen. Psychodynamisch und funktional orientierte Vorgehensweisen ergänzen einander.

Für wen eignet sich die Musiktherapie?

Musiktherapie ist für alle Menschen offen, auch diagnostisch gibt es keine Grenzen. Auch Menschen, die kein Instrument spielen können, werden in die Therapie integriert und besitzen einen Musikgeschmack.

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Das Angebot richtet sich daher an alle psychisch erkrankten Menschen jeglichen Alters und verschiedenster kultureller und sozialer Herkunft.

Musiktherapie wird auf Basis spezifischer Indikationsstellungen bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen in verschiedenen klinischen Praxisfeldern der Psychiatrie, Medizin, Heilpädagogik und Rehabilitation sowie in der ambulanten Praxis angewendet.

Welche Ziele werden mit Musiktherapie verfolgt?

  • ein besseres Selbstbild erlangen
  • Wertvorstellungen hinterfragen

Für welche Behandlungsarten wird Musiktherapie angeboten?

Ambulant und stationär, im Einzel- oder Gruppensetting.

Musiktherapie bei Frühgeborenen

Der Hörsinn ist einer der ersten Sinne, der im Mutterleib entwickelt wird. Das Kind im Mutterleib hört bereits die Stimme der Mutter und des Vaters, den mütterlichen Herzschlag sowie ihr rhythmisches Pulsieren des Blutes. Diese rhythmischen Klänge vermitteln Geborgenheit und fördern die (Gehirn-) Entwicklung.

Bei einer Frühgeburt verlässt das Kind diese Klangwelt zu früh und ist einer intensivmedizinischen Umgebung mit überwiegend maschinellen Tönen ausgesetzt. Um sowohl der Gefahr der Überreizung als auch der Gefahr der Reizarmut entgegenzuwirken, wird auf der Abteilung Neonatologie Musiktherapie angeboten. Ziel der Therapie ist dabei, den Kindern beruhigende oder anregende Hör- und Sinneserfahrungen zu vermitteln, um sie zu fördern ohne zu überfordern. Zahlreiche Studien belegen die positive Wirkung der Musik auf die frühgeborenen Kinder.

Musiktherapie unterstützt die Kinder dabei, sich zu entspannen, sich zu stabilisieren, ruhiger und regelmässiger zu atmen, ruhiger und tiefer zu schlafen, wahrzunehmen und sich zu orientieren.

Neben dem musiktherapeutischen Angebot für das Kind werden die Eltern dabei unterstützt, Kontakt zu ihrem Kind aufzubauen, indem sie mit ihm sprechen, für es summen oder singen. So kann die elterliche stimmliche Zuwendung zu einem gemeinsamen positiven Erleben führen, das die Beziehung zwischen Eltern und Kind stärkt - von Anfang an.

Die Musiktherapie unterstützt Eltern dabei, die Eltern-Kind-Bindung aufzubauen und zu stärken, Vertrauen in die intuitiven elterlichen Fähigkeiten zu entwickeln und zu vertiefen, In Entspannung zu gehen, Innigkeit, Interaktion und Verbundenheit mit dem Kind zu erleben.

Die Musiktherapie findet in der Regel während der Känguru-Methode statt, bei dem Eltern und Kind in engem Hautkontakt sind, kann aber auch ohne Beisein der Eltern durchgeführt werden.

Musiktherapie bei Krebserkrankungen

Gerade im Kontext einer Krebserkrankung mit ihren emotionalen Belastungen und Herausforderungen erhält diese Aussage eine besondere Bedeutung. Kinder drücken Gefühle vielfach nonverbal, etwa körperlich über Stimmklang- und Lautstärke, über Gestik und Mimik, über ihr Verhalten und über ihr Spiel aus. Zur Verarbeitung ihrer Erkrankung brauchen sie die Möglichkeit, die Erlebnisse sowie ihre tiefen Empfindungen und Gefühle in einem ihnen angemessenen Medium auszudrücken.

Musik regt zu Kommunikation an und vermag es, Brücken zu bauen, wo die Sprache verstummt, sie ermöglicht Begegnung und Nähe. Sieist ein Beziehungsangebot im musikalisch-spielerischen Bereich zur Förderung der Krankheitsverarbeitung,ermöglicht emotionalen Ausdruck zur Entlastung und Verarbeitung des Erlebten,fördert das Aktivieren von Ressourcen und positivem Erleben auch im Eltern - Kind - Kontext,stärkt das Selbstgefühl, die Selbstwirksamkeit und Autonomie,fördert die Kommunikation in Beziehungen.

Um ganz auf die individuelle emotionale Situation der Kinder und Jugendlichen eingehen zu können, wird Musiktherapie in diesem Kontext als Einzeltherapie angeboten. Eltern und Geschwister sind dabei willkommen. Je nach Befindlichkeit und Absprache findet Musiktherapie im Zimmer, am Bett oder im Spielzimmer statt.

Wo wird die Musiktherapie angeboten?

Dieses Angebot steht ausschliesslich am Standort Lenggstrasse zur Verfügung.

Weitere Therapieangebote

Zu spezifischen Themen bieten wir Gruppentherapien an. Eine Gruppentherapie kann ergänzend zur Einzeltherapie besucht werden. Bei Interesse wenden Sie sich an Ihr Behandlungsteam. Dieses meldet Sie für eine Gruppe an.

Einige Beispiele für weitere Therapieangebote:

  • Angststörungen und depressive Verstimmungen: Die Gruppe richtet sich an Patientinnen und Patienten, die an einer Angststörung, einer Depression bzw. depressiven Verstimmungen oder wiederkehrender Suizidalität leiden. Wir vermitteln den Betroffenen Wissen über die Entstehung und Behandlung der Erkrankung. Auf dieser Wissensgrundlage wird es ihnen möglich, sich vermehrt mit ihren Ängsten bzw. depressiven Verstimmungen zu konfrontieren und diesen bewusst vorzubeugen. Diese Bewältigungsstrategien sind zentral im Umgang mit der Erkrankung.
  • Bewegungstherapie: Patientinnen und Patienten sollen die Möglichkeit haben, sich auch auf nonverbaler Ebene mit ihren Gefühlen und Erfahrungen auseinanderzusetzen. In Körperwahrnehmungs- oder Entspannungsübungen, freien Bewegungen und Tanz, mit Qi Gong oder Capoeira wird der persönliche Bewegungsradius und die Selbstwahrnehmung erweitert und die Interaktion gefödert. Davon profitiert auch die verbale Ausdrucksstärke!
  • Emotionale Kompetenzen: Emotionale Kompetenzen bezeichnet die Fähigkeit, Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und angemessen auf Situationen zu reagieren. In der Gruppe zeigen wir Patientinnen und Patienten, wie sie festgefahrene Handlungsmuster ablegen und schwierige Situationen meistern können.
  • Entspannung: Stress, Belastung, Sorgen und Ängste können - oft ohne, dass wir es merken - zu einer erhöhten Anspannung der Muskeln führen. Kurzfristig ist das kein Problem. Halten solche Zustände jedoch länger an, können sie Erschöpfungszustände und Schmerzen hervorrufen. In den Entspannungsgruppen wird die Methode Progressive Muskelentspannung (PMR) vorgestellt und geübt. Durch regelmässiges Üben soll das Wohlbefinden gesteigert und die Körperwahrnehmung verbessert werden.
  • Kreativatelier: Kreativität bedeutet die Fähigkeit, etwas Neues, vorher nicht Dagewesenes zu schaffen. Kreativität kann eine wichtige Ressource im Leben sein, aus welcher durch aktives Tun Kraft geschöpft und neue Lösungen entstehen können. Die individuelle Arbeit am eigenen Projekt sowie das Kennenlernen und Experimentieren mit unterschiedlichen Materialien stehen in dieser Gruppe im Vordergrund.
  • Kunsttherapiegruppe: Der gestalterische Umgang mit Ressourcen, Problemen und Störungen kann Selbstheilungskräfte aktivieren, Blockaden lösen und den persönlichen Veränderungsprozess unterstützen.
  • Pflegetherapeutische Gruppe: Die inspirierende Auseinandersetzung mit alltagsnahen Aktivitäten und Themen (Weltgeschehen, Kunst, Kultur, Spiele) bietet den Betroffenen Ablenkung vom Krankheitsgeschehen, gibt ihnen Struktur und erhöht ihr Aktionsniveau. Durch das gemeinsame Erleben und den Wissensaustausch werden soziale Kompentenzen, Konzentration und Koordination gefördert.
  • Psychoedukation: Je besser Betroffenen ihre Krankheit verstehen, desto besser können sie mit ihr umgehen. Deshalb vermitteln wir den Patientinnen und Patienten Wissen über neurobiologische und soziale Aspekte psychischer Erkrankungen und und zeigen ihnen Behandlungsmöglichkeiten und Strategien zur Rückfall-profilaxe auf - für einen selbstbestimmten Umgang mit der Krankheit.
  • Recovery: Gemeinsam machen wir uns in der Gruppe auf die Suche nach den verschütteten gesunden und stärkenden Lebensanteilen, die jeder Mensch in sich trägt. Diese Entdeckungsreise zu sich selbst erfordert Mut und Offenheit, ist aber auch bereichernd. Wir entdecken Wege der Hoffnung und Quellen, aus denen wir Kraft für unsere Reise schöpfen können. Gespräche, Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, Poesie und Musik dienen der Gruppe als Basis.
  • Recovery-orientierter Erfahrungsaustausch: Die Auseinandersetzung mit eigenen Krisen und mit der eigenen Genesung kann helfen, den Weg zu sich selbst zu finden. Das heilsame Potenzial von gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren, schafft Vertrauen und neues Selbstbewusstsein. In der Gruppe haben Sie die Möglichkeit, sich mit anderen Erfahrenen auszutauschen und durch gezielte Denkanstösse Einfluss auf ihre Genesung nehmen.
  • Schmerzgruppe: Schmerzen sind nicht immer die Folge einer physischen Schädigung, sie können auch Ausdruck einer psychischen Notlage sein. Durch Körperwahrnehmungs-, Entspannungs- oder Atemübungen schaffen wir Erleichterung und erlernen Strategien im Umgang mit den Schmerzen.
  • Suchtgruppe: In der Entzugsbehandlung verschwinden nach einer gewissen Zeit zuerst die körperlichen Entzugserscheinungen. Danach gilt es, sich aus der psychischen Abhängigkeit zu bereifen und sich für ein Leben ohne Suchtmittel zu motivieren. Mögliche Themen in der Gruppe sind soziale Aspekte des Suchtverhaltens, Therapiemöglichkeiten, Anschlussprogramme oder Medikamente.
  • Theater des Augenblicks: Für einmal die Alltagswelt verlassen, in neue Rollen schlüpfen und Dinge wagen, die wir im realen Leben nicht tun würden - das kann bisher verborgene Ressourcen erfahrbar machen, Perspektiven eröffnen und ungeahnte Problemlösungen zutage fördern. Ziel dieses Angebots ist es, Hemmungen und Ängste abzubauen und Selbstvertrauen, Spontanität und Kreativität zu fördern.
  • Training sozialer Kompetenzen: Mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen - wer wünscht sich das nicht? Für den beruflichen wie privaten Erfolg sind mitunter das Auftreten und die Ausdrucksfähigkeit verantwortlich. In der Gruppe trainieren Patientinnen und Patienten mittels Rollenspielen und Videoaufzeichnungen selbstsichere Verhaltensweisen.
  • Yoga: Die Gruppe trifft sich zum gemeinsamen Üben von Yoga. Durch Körperübungen (asana) und einfache Atemübungen (pranayama) lernen die Teilnehmenden ihren Körper und Atem bewusst wahrzunehmen und zu regulieren.

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