Die Arbeits- und Organisationspsychologie (AOW-Psychologie) wird als Teildisziplin der Psychologie definiert und eingegrenzt. Im Folgenden wird die AOW-Psychologie vorgestellt und ihre Arbeitsweise dargestellt. Es werden qualitative Forschungsmethoden und deren Anwendung in verschiedenen Arbeitskontexten untersucht.
Disziplinäre Einordnung und Entstehungsgeschichte
Die AOW-Psychologie befasst sich mit dem Erleben und Verhalten von Menschen im Arbeits- und Wirtschaftsleben. Früher wurde sie auch als Betriebs- oder Ingenieurpsychologie bezeichnet. Heute umfasst sie vielfältige Bereiche wie Verkehr, Umwelt, Recht, Bildung, Gesundheit, Gemeinde und Medien. Sie steht in enger Verbindung zur Industriesoziologie und der Managementforschung.
Die Anfänge der AOW-Psychologie sind geprägt von der Betonung der experimentellen Wissenschaft, wie sie sich Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte. Münsterberg (1913) knüpft an die naturwissenschaftliche Tradition des Faches an. In dieser Zeit wurden bereits psychologische Untersuchungen zur Optimierung technischer Anlagen durchgeführt.
Qualitative Forschung in der Geschichte der AOW-Psychologie
Informelle Kommunikationsprozesse werden spätestens seit dem Human Relations Ansatz in den 1930-er Jahren als wesentliche Ressource für Organisationen und Arbeitsgruppen anerkannt. Bis zu 80% der zufällig, spontan und adhoc zustande kommenden Kommunikationsepisoden haben arbeitsbezogene Themen zum Inhalt. Insbesondere hat sich informelle Kommunikation als unabdingbare Voraussetzung für Kreativitäts- und Innovationsprozesse in Unternehmen und Organisationen herausgestellt.
Die qualitative Forschung in der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie hat eine lange Tradition. Bereits in den 1930er Jahren wurden qualitative Methoden eingesetzt, beispielsweise in den Studien zur Arbeitslosigkeit in Marienthal (Jahoda et al. 2009 [1933]).
Lesen Sie auch: Mehr über Michael Krebs' Karriere
Weitere frühe Beispiele sind die Hawthorne-Studien, in denen die Auswirkungen von Arbeitsbedingungen auf die Leistung untersucht wurden (Roethlisberger und Dickson 1939). Diese Studien führten zur Erkenntnis, dass soziale Faktoren und informelle Beziehungen am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle spielen.
Aktuelle Themen und Diskussionen qualitativer Forschung in der AOW-Psychologie
Aktuelle Forschungsarbeiten nutzen qualitative Methoden, um komplexe Phänomene in Organisationen zu untersuchen. Dazu gehören beispielsweise Studien zur Entwicklung von Tätigkeitssystemen (Engeström et al. 1996; Schulze et al. 2000) und zur Analyse von Veränderungsprozessen in Organisationen (Cassell et al. 2000). Qualitative Forschung ist besonders dort relevant, wo das Implizite und das Prozesshafte an Bedeutung gewinnen, z. B. bei Innovationsprojekten (Edmondson et al. 2001).
Gegenstand und Kontext der AOW-psychologischen Forschung
Organisationen entstehen durch die Koordination von Arbeitstätigkeiten. Wenn Menschen ihre Handlungen aufeinander abstimmen, koordinieren und deren Potenziale vervielfachen, dann sprechen wir von Organisationen. Das Ausmaß der Arbeitsteilung wird durch technische und ökonomische Rationalität bestimmt.
Die Organisationskultur ist ein weiterer wichtiger Gegenstand der AOW-Psychologie. Sie ist ein System von Werten, Normen und Überzeugungen, das die Handlungen der Organisationsmitglieder beeinflusst. Die Organisationskultur weist eine Oberflächenebene und eine Tiefenstruktur auf. Sie beeinflusst den taktischen Umgang mit Konflikten (Neuberger 2006) und die Art und Weise, wie die Organisationsmitglieder Ereignissen Bedeutung verleihen.
Die Fallstudie in der Arbeits- und Organisationsforschung
Die Fallstudie ist eine zentrale Methode in der Arbeits- und Organisationsforschung. Sie ermöglicht es, komplexe Phänomene in ihrem natürlichen Kontext zu untersuchen. Eine Fallstudie kann sowohl qualitative als auch quantitative Daten verwenden. Sie zeichnet sich durch ein flexibles und sensibles Vorgehen aus (Scholz und Tietje 2002).
Lesen Sie auch: Mehr über Wolfgang Schneiders psychologische Beiträge
Es lassen sich verschiedene Erkenntnisstrategien unterscheiden. Exploration zielt auf das Entdecken unbekannter bzw. wenig erforschter Strukturen oder Prozesse und wird z. B. durch Fallstudien ermöglicht. Die Falsifikation zielt auf die Überprüfung von Hypothesen und Theorien. Fallstudien können unterschiedliche Funktionen erfüllen, z. B. die Exploration eines neuen Forschungsfeldes, die Illustration eines theoretischen Konzepts oder die Evaluation einer Intervention.
Ein wichtiger Aspekt bei der Durchführung von Fallstudien ist die Auswahl der Fälle. Die Fälle sollten systematisch und theoriegeleitet ausgewählt werden (Pflüger et al. 2010). Die Auswahl der Fälle bestimmt das Erkenntnisspektrum und -potenzial der Studie. Sie legt fest, was in der Betrachtung eingeschlossen und was ausgeschlossen bleibt.
Beispiele für die Anwendung von Fallstudien
Ein Beispiel für die Anwendung von Fallstudien ist die Untersuchung von Multispace-Offices. In einer Studie von Dick et al. (2015a) wurden die Auswirkungen von Multispace-Offices auf die Produktivität, das Wohlbefinden und die Authentizität der Mitarbeiter/innen untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass eine flexible Gestaltung der Arbeitsumgebung das Wohlbefinden der Mitarbeiter/innen fördert.
Ein weiteres Beispiel ist die Untersuchung von Innovationsprojekten. In einer Studie von Dick et al. (2015b) wurde die Methode der konstruktiven Kontroverse in realen Innovationsprojekten erprobt und evaluiert. Es konnte gezeigt werden, dass die Methode dazu beiträgt, tragfähige Entscheidungen zu treffen und Innovationen zu fördern.
Die standortübergreifende Zusammenarbeit stellt besondere Herausforderungen an die Beteiligten und an die entsprechende Organisation. Missverständnisse, Reibungsverluste und Doppelspurigkeiten nehmen mit räumlicher und sprachlich-kultureller Distanz zu. Mit der Abnahme zufälliger und spontaner Face-to-Face-Treffen sinken die Gelegenheiten für informelle Kommunikation und es kommt zu dem für die Bildung von Vertrauen und für Kooperationsprozesse negativen Aus den Augen aus dem Sinn.
Lesen Sie auch: Psychologische Beratung Weil am Rhein
Das zentrale Projektziel ist die Entwicklung und Erprobung von Produkten zur Förderung informeller Kommunikation zwischen räumlich verteilten Standorten. Die Produkte zeichnen sich durch aufeinander abgestimmte Möbelelemente und Videokommunikationstechnologie aus. Erweitertes Ziel ist die erfolgreiche Implementierung von "Orten virtuell-informeller Kommunikation" (OVIKs), die auf den entwickelten Produkten basieren. Eine Guideline enthält Empfehlungen für die Gestaltung und Einführung von OVIKs.
In verteilten Arbeitskontexten sind die Mitarbeitenden mit gravierenden Einschränkungen gerade der informellen Kommunikation konfrontiert. Dies geht mit deutlichen negativen Konsequenzen einher. Die informelle Kommunikation hat sich generell für die Bindung mit der Organisation und für die Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls nachgewiesen.
tags: #Michael #Schulze #Psychologe #Schwerpunkte