Depressive Erkrankungen sind eine ernstzunehmende Herausforderung, die nicht nur Betroffene, sondern auch deren Angehörige stark belasten kann. Besonders betroffen sind Mütter, die nicht nur mit ihrer eigenen Erkrankung kämpfen, sondern auch die Verantwortung für ihre Kinder tragen. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie man als Mutter mit Depressionen umgehen kann, wie man sich abgrenzt und welche Hilfsangebote es gibt.
Die Herausforderung: Depressionen in der Familie
Wenn ein Kind an Depressionen erkrankt, ist dies für die gesamte Familie eine grosse Belastung. Als Angehörige ist die Begleitung von Betroffenen oft sehr aufzehrend. Es ist wichtig, darauf zu achten, selbst nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Die Gespräche mit der Tochter hatten die Mutter sensibilisiert. Diese Stille, wenn ich keinen Ton, keine SMS bekam, ängstigte mich.
Ein Erfahrungsbericht
Eine Mutter berichtet, wie sie lernte, mit der Situation umzugehen, als ihre Tochter an Depressionen erkrankte: Ihre Tochter studierte und sollte in wenigen Monaten ihre Examensprüfung absolvieren. Das Arbeitspensum war hoch und sie musste sich bis auf wenige Präsenztage in der Universität zum Selbststudium motivieren und disziplinieren. Auch dieser Umstand manövrierte sie zunehmend in einen Überforderungszustand und Depressionen.
Wann immer es der Mutter möglich war, telefonierte sie mit ihrer Tochter sehr lange und hörte ihr aufmerksam zu. Das hat sie punktuell etwas aufgebaut, die Ursache jedoch blieb. Seit dieser Zeit lebt die Tochter mit dieser Krankheit von leichter bis hin zu schweren Depressionen und Angststörungen. Sie war deshalb auch in fachärztlicher Behandlung.
Der Zustand der Tochter spitzte sich um die Zeit der Examensprüfung zu, sie berichtete ihrer Mutter von Suizidgedanken. Das machte die Mutter sehr betroffen und sie fürchtete, dass sie in eine unkontrollierbare Situation geraten könnte. Sie sprachen sehr offen über dieses Thema und auch über die katastrophalen Folgen eines misslungenen Suizidversuches. Sie versprach ihrer Mutter, es nicht zu tun.
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Die Situation geriet jedoch ausser Kontrolle und so passierte das Unfassbare. Die Tochter sah keinen anderen Ausweg mehr, sich von den Qualen der Depressionen, dieser fürchterlichen Krankheit, zu befreien und unternahm ihren ersten Suizidversuch mit dramatischem Ausgang. Sie überlebte diesen Suizidversuch knapp und brauchte viele Monate für ihre Rehabilitation als Paraplegikerin.
Einige Jahre später, nach einem gemeinsamen Urlaub, hörte die Mutter nichts mehr von ihrer Tochter. Eine Woche nach ihrer Abreise, klingelte das Telefon und der leitende Arzt einer Intensivstation war am Apparat. Die Mutter war fassungslos. Alles, wirklich alles ihr Mögliche hatte sie unternommen, um sie zu unterstützen, zu motivieren, sie aufzubauen, ihr zu zeigen, dass das Leben weitergeht und noch so viel Schönes bereithält. Damit wollte sie ihr die Botschaft geben: «Ich bin bei dir und begleite dich, auch wenn es schwierig ist.» Und jetzt das?
Diese Dramen liegen heute einige Jahre zurück. Für die Verarbeitung des Traumas hat die Mutter sehr lange gebraucht. Noch heute erlebt sie Momente, in denen das Gefühl der Angst und der Ohnmacht vor dem Rückzug ihrer Tochter zurückkommt. Eine Zeit, in der kein oder kaum ein Herankommen an sie ist, was das Gefühl der Sorge immer stärker werden lässt.
Umgang mit der Situation als Angehörige
Um negative Gefühle zu verarbeiten, nutzen viele Betroffene das Schreiben oder den Austausch mit anderen Betroffenen. Zum anderen ist auch die eigene Reflexion sehr wichtig. Das heisst, die Angst oder Panik davor führt Sie selbst in die Krankheit. Stattdessen machen Sie sich bewusst, dass Sie selbst es nicht hundertprozentig verhindern können, wenn ein an Depressionen erkrankter Mensch nur etwas mehr dem Leben abgewandt als zugewandt den Freitod sucht.
Selbst wenn Sie noch so viel Kraft, Zeit und Aufmerksamkeit Ihrem an Depressionen erkrankten Kindes gegenüber aufwenden: einen Suizid zu verhindern, das gelingt nicht einmal einer Fachperson. Das bedeutet für Sie: Achten Sie bei der Begleitung Ihres Kindes vor allem auf Ihr inneres Gleichgewicht, Ihre Gesundheit, ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und grenzen auch Sie sich ab, denn Sie haben ein Recht auf Ihr eigenes Leben.
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Geraten Sie nicht unnötig in Schuldgefühle, das ist eine Falle, aus der Sie sich nur mühevoll wieder herausmanövrieren können. Die vergangenen Monate und Jahre haben den Leuten viel abverlangt. Es macht sich eine spürbare Erschöpfung und Entmutigung breit.
Expertentipps von Alessandra Weber
Alessandra Weber von Kinderseele Schweiz gibt wertvolle Ratschläge:
- Sich mitteilen: Am besten ist, sich mitzuteilen und mit anderen darüber zu reden.
 - Offenheit: Sich offen einzugestehen, dass diese Gefühle einem das Leben schwermachen. Mit dem Partner, der Partnerin darüber sprechen, Freunde anrufen und sich überlegen, was helfen könnte.
 - Hilfe annehmen: Familien, denen der Alltag über den Kopf wächst, sollten in ihrem Umfeld um Hilfe bitten.
 - Gefühle zulassen: Es ist normal, dass uns zwischendurch die Decke auf den Kopf fällt. Auch diese Gefühle haben ihre Berechtigung.
 - Professionelle Hilfe: Wenn bedrückende Gefühle und Gedanken schon mehrere Wochen andauern, komplett Überhand nehmen und Dinge, die sonst helfen, kaum Entlastung bringen, sollte man sich professionelle Hilfe holen.
 
Psychische Erkrankungen: Ein Tabuthema?
Leider haben immer noch viele Menschen schräge Vorstellungen über psychische Erkrankungen. Genauso wie wir körperlich erkranken, können wir alle auch psychisch krank werden. Bloss für eine körperliche Krankheit schämt sich interessanterweise kaum jemand. Psychische Erkrankungen sind häufig, sie sind behandelbar und die meisten Betroffenen werden wieder gesund. Entscheidend ist, dass man sich Hilfe holt.
Wie man helfen kann
- Problem ansprechen und Hilfe anbieten: Behutsam und nicht im Sinne von: «Ich sehe doch, dass es dir mies geht, jetzt lass dir gefälligst endlich helfen!»
 - Geduld: Leider kann ich in einer solchen Situation nur zur Geduld raten. Immer wieder vorsichtig ansprechen, was man beobachtet, welche Sorgen man sich macht. In der Hoffnung, dass sich die Person irgendwann öffnet.
 - Eigene Gefühle beachten: Trotz mitfühlen und mitschwingen, sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass man zuhören und Hilfe anbieten kann. Die «Hauptarbeit» muss von der leidenden Person selber gemacht werden.
 
Depressionen bei Jugendlichen
10 bis 20 Prozent aller Jugendlichen leiden phasenweise an einer Depression. Es beginnt selten mit einem grossen Knall. Stattdessen schleicht sich eine Depression ganz leise, fast schon sanft ins Leben. Schon in der Schweizer SMASH-Studie aus dem Jahr 2002 gaben 35 Prozent der befragten Mädchen und knapp 20 Prozent der Jungen an, sie seien häufiger traurig und deprimiert.
Verhält sich das Kind situationsübergreifend anders, sollten Eltern eine beginnende Depression in Betracht ziehen. Dabei handelt es sich nicht, wie leider immer noch oft von vielen angenommen, einfach um Traurigkeit, sondern um einen anhaltenden Zustand, in dem alle Gefühle nur reduziert empfunden werden.
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Symptome und Warnzeichen
Kinder reagieren häufig mit körperlichen Symptomen auf den seelischen Schmerz. Sie bekommen Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, sind müde. Ein deutliches Warnzeichen ist es Kupferschmid zufolge immer, wenn Kinder anfangen, sich zurückzuziehen und auf Dinge zu verzichten, die ihnen viel Spass gemacht haben.
Was Eltern tun können
Eltern, die den Verdacht haben, dass der Sohn oder die Tochter depressiv wird, sollten sich fragen: Gibt es nachvollziehbare Gründe, die verständlich erklären könnten, wieso das Kind deprimiert ist? Mobbing oder eine länger andauernde schulische Überforderung zum Beispiel?
Kann die Ursache nicht direkt angegangen werden, weil es sich beispielsweise um ein schwer krankes Geschwisterkind handelt, kann es den betroffenen Kindern helfen, gemeinsam mit Experten Bewältigungsstrategien zu erlernen. Zudem spielt die Resilienzförderung eine grosse Rolle: Schwierige Situationen sind leichter auszuhalten, wenn es kleine Inseln im Alltag gibt, die von den Schwierigkeiten unberührt sind, wo sich das Kind als kompetent erlebt und Freude hat.
Einfach mal reden können, jemandem erzählen, wie es tief drin in einem aussieht, sich Rat holen - das können Kinder und Jugendliche bei der Beratung 147.ch, die die Stiftung Pro Juventute seit 1999 betreibt. Depressive Stimmung als Beratungsthema hat sich anteilmässig in den vergangenen vier Jahren verdoppelt.
Professionelle Hilfe
Wird eine Depression bereits in jungen Jahren erkannt, können Mediziner und Psychologen oft besser und nachhaltiger helfen. Denn wie bei vielen anderen Erkrankungen gilt auch hier: je früher, desto besser. Es ist wichtig, dass die Depression nicht dazu führt, dass wesentliche Entwicklungsschritte im Jugendalter versäumt werden, da passiert ja viel im Leben eines jungen Menschen: zunehmende Autonomie, Karriere, der Aufbau eines sozialen Netzwerkes.
Um Kindern und Jugendlichen mit einer Depression zu helfen, gilt die Psychotherapie als erstes Mittel der Wahl. Manchmal muss man mehrere Methoden ausprobieren, um die zu finden, die dem oder der Jugendlichen hilft. Während man sich bei leichten Depressionen auf die Psychotherapie beschränkt, können bei schweren Erkrankungen zusätzlich auch Antidepressiva verschrieben werden.
Umgangsweisen im Alltag
Alexandra Mycka kennt ihren Partner seit sieben Jahren. Er ist von einer schizo-affektiven Störung betroffen, einer ausgeprägten Form der Schizophrenie. Wenn sie zusammen in der Stadt unterwegs sind und er plötzlich wegen der vielen Menschen nervös wird, machte sie das früher wütend. Es störte sie auch, wenn er innere Stimmen hörte und auf sie reagierte. Jetzt weiss sie, wie sie damit umgehen kann. «Ich verwickle ihn dann in ein Gespräch und lenke seine Aufmerksamkeit auf mich.»
So wie Alexandra Mycka mit ihrem Partner ein Gespräch beginnt, wenn er nervös wird und Stimmen hört, in solchen Situationen Ruhe zu bewahren und der betroffenen Person Sicherheit zu vermitteln. Dies sagt Expertin Nadia Pernollet von der Beratungsstelle und Stiftung Pro Mente Sana. «Begeben Sie sich an einen reizarmen Ort und fragen Sie die betroffene Person, was ihr in diesem Moment guttun würde.»
Abgrenzung und Selbstfürsorge
Abgrenzung und Selbstfürsorge sind für betreuende Angehörige sehr wichtig, wie Expertin Pernollet sagt. «Scheuen Sie sich deshalb nicht, Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren», rät sie.
Leistungsdruck und Depression
Bei Kelly Spring war auch der Leistungsdruck einer der Auslöser ihrer Erkrankung: Sie hatte von ihrer Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter eine psychisch erkrankte Mutter und leidet selbst an wiederkehrenden Depressionen. Mit 28 Jahren begann es bei ihr mit einer Erschöpfungsdepression, auch Burn-out genannt. Spring war frisch umgezogen, hatte eine neue Arbeitsstelle, keine Partnerschaft, keine Routinen.
Als Spring dann doch freiwillig zum dritten Mal in die Psychiatrie ging, wünschte ihr Team ihr alles Gute, so wie das bei anderen Krankheiten auch üblich ist. Sie waren darüber weder erschrocken noch sahen sie es als ein Scheitern. Und die Chefin besuchte sie dort. Expertin Pernollet betont: «Vorgesetzten muss bewusst sein, dass Betroffene nicht nur Angst vor Stigmatisierung, sondern auch vor einem Jobverlust haben.» Eine offene und respektvolle Kommunikation sei daher sehr wichtig. «Halten Sie auch bei längeren krankheitsbedingten Abwesenheiten den Kontakt», rät Pernollet.
Schuldgefühle und Scham
Wie Expertin Pernollet sagt, ist an einer psychischen Erkrankung niemand schuld. Sie rät: «Der Austausch mit anderen betroffenen Eltern oder einer Fachperson kann helfen, einen Umgang mit den eigenen Schuld- und Schamgefühlen zu finden.»
Zusammenfassung
Depressionen sind eine komplexe Erkrankung, die nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Angehörige vor grosse Herausforderungen stellt. Es ist wichtig, sich selbst nicht zu vergessen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn die Belastung zu gross wird. Offenheit, Geduld und die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, sind entscheidend für den Umgang mit Depressionen in der Familie.
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