In unregelmäßigen Abständen veröffentliche ich hier selbst verfasste Artikel zu Lebens- und Coachingthemen mit persönlichen und Praxis-Bezügen.
Was ist Coaching?
Das Ziel ist, die Lösung, die bereits in der Beratung suchenden Person liegt, sichtbar und umsetzbar zu machen. Coaching gibt dir nicht eine Karte, sondern einen Kompass. Es wäre so verlockend, einfach Tipps und Ratschläge zu geben. Doch das wäre Manipulation, Machtmissbrauch und würde den/die Coachee entmündigen und in eine Abhängigkeit führen. Es ist so gesehen KEINE Beratung, sondern eben Coaching.
Wir als Coach, jedenfalls ich, gehe davon aus, dass die Lösung IMMER schon in uns angelegt ist. Mithilfe von Fragestellungen (offene Fragen) kommt die Person, die mich aufsucht, mehr und mehr ihrer ureigenen Lösung auf die Spur.
Offene Fragestellungen sind die W-Fragen: „Weshalb / wohin / wie / was“ usw. Ich stelle also keine geschlossenen Fragen, auf die nur ein Ja oder Nein die Antwort sein kann, denn solche Fragen sind in sich schon manipulativ. Das heisst nicht, dass zwischendurch auch mal eine solche Frage sinnvoll ist. Aber nicht im Zusammenhang mit dem Finden nach der Lösung, die sich die Person wünscht in dem Zusammenhang, in welchem sie mich aufsucht (Persönlichkeit, Zukunft, Laufbahn usw.).
Umso heller leuchten dabei jeweils die Augen meines Gegenübers, wenn sie/er der Lösung auf die Spur gekommen ist. Nicht weil ich sie vorgegeben habe, sondern weil ich dabei einen Kompass eingesetzt habe, anhand dessen er/sie die Richtung finden konnte.
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Schenken macht Freude
„Schenken macht Freude“ - diesen Spruch kennen wir. Und ich finde immer mal wieder, wenn ich jemanden überrasche oder beschenke, dass ich dabei genau so Beschenkte bin, wenn nicht sogar mehr als die Person, die ich beschenkt oder überrascht habe.
Es braucht eine Balance von Selbst, von Für-Andere und von Wir. Mal steht das Eine mehr im Vordergrund, mal das Andere. Sicher ist ein Zuviel an „Ich, Mein, für mich“ ungesund, wenn auch total im Trend. Aber auch ein „für-Andere“ kann zu viel bzw. ungesund werden.
Wir sind zum Wir berufen. Die Individualpsychologie nach Alfred Adler, auf welcher meine Grundausbildung als Coach damals 2006-2008 basierte, betont sehr das Gemeinschaftsgefühl, das Wir. Ich habe damals sehr viele hilfreiche Tools erhalten für vielerlei Fragestellung bzw. Aufträge im Coaching. Und machte in den weiteren Jahren diverse Weiterbildungen mit anderen Schwerpunkten, komme aber immer wieder auf diese Basis zurück.
Ich erlebe in Coachings unter Anderem immer mal wieder das Suchen der jeweiligen Person nach dieser Balance. Die einen brauchen eher Ermutigung, ins „Ich - Mein - für mich“ zu investieren, jedenfalls für eine gewisse Phase, andere wiederum leiden letztlich tief innen an ihrer Isolation und einer gewissen Leere und Sinnlosigkeit, weil das Gemeinschaftsgefühl und die Sinngebung fehlen.
Nicht dass Sinn einzig und allein darin bestehen würde, anderen eine Freude zu machen oder für andere da zu sein. Es kann auch ein Hobby sein, in welchem wir unsere Begabungen zum Ausdruck bringen. Wo stehst du in dieser Spannung zwischen „Ich - für dich - Wir“? Wo lohnt es sich, den Schwerpunkt mal zu verlagern und damit beglückende Erfahrungen zu machen (und vielleicht auch andere zu beglücken)? Und tiefen Sinn zu erleben?
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Professionelles Nachfragen
Wenn eine Person bei mir im Coaching war und dieses nach x Sitzungen abgeschlossen hat, frage ich in der Regel nicht mehr nach, und schon gar nicht im Sinne von „möchtest du wieder mal kommen?“. Das wäre völlig unprofessionell und riecht nach zu wenigen Aufträgen bzw. Bedarf nach Einkommen. Die Initiative muss immer vom/von der Coachee kommen - sie/er meldet sich, und wir arbeiten einen Auftrag heraus und machen so viele Sitzungen, bis dieser Auftrag „erfüllt“ ist. Auch das ziehe ich nicht unnötig in die Länge, ich habe ein hohes Verantwortungsgefühl, da meine „KlientInnen“ Selbstzahler sind. Aber gerade weil sie SelbstzahlerInnen sind, sind sie hoch motiviert und kann sehr effizient gearbeitet werden.
Nachfragen privat ist übrigens - auch fern von „unprofessionell“ oder „professionell“ ganz einfach liebevoll, empathisch, wertschätzend. Wenn mir jemand aus dem Bekannten- oder Freundeskreis etwas anvertraut hat, was ihn/sie herausfordert, so frage ich in der Regel nach einer gewissen Zeit nach. Ich spüre dann, dass Manche berührt sind, weil sie das nicht immer so erleben.
Lasst uns einander unterstützen und tragen. Menschlich. Empathisch.
Individualität und Persönlichkeit
Wie geht es uns mit unserer Individualität, mit unserer Persönlichkeit, mit dem, was uns unveränderlich mitgegeben wurde, was uns ausmacht? Mögen wir uns? Können wir von tief innen sagen, dass wir einmalig sind, dass es gut ist, wie wir sind? Kennen wir uns eigentlich selber überhaupt?
Wie würdest du, wie würden Sie sich beschreiben, wenn jemand fragt, wer Sie sind, wer du bist? - Das beginnt ja dann meistens mit dem Namen, dann kommt der Beruf, wo man arbeitet und wohnt, Zivilstand, Kinder, und dann ist ja das Wichtigste gesagt.
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Ich war vor vielen Jahren mal in einem Wochenkurs, in welchem es in den ersten drei Tagen „untersagt“ war, einander zu erzählen, was wir beruflich machen. Wer bin ich, wer sind wir ohne unseren Beruf, ohne unsere Funktion, ohne unseren Zivilstand usw.? Ohne all das, was man landläufig so sagt, wer man sei?
Was macht dich, mich, uns wirklich aus? Ich ermutige zu einer Übung: Schreib doch einmal auf, wer du bist. Und eben nicht „der IT-Fachmann“, „die Pflegefachfrau“ usw. Sondern wer du in der Tiefe bist, was dich ausmacht ohne all deine Rollen, ohne deinen Zivilstand. Wie geht es dir damit? Und gelingt es dir sogar, eine Zeichnung von dir zu machen (es muss ja nicht ein Huhn sein 😉 - aber vielleicht gibt dir dieses Bild eine Anregung). Und fällt dir ein Name (Übername) ein, den du dir für dich gerne geben möchtest?
Im Coaching geht es sehr oft darum, dass die mich aufsuchende Person sich selber besser verstehen und kennen lernen möchte. Da hat schon manch spannende Entdeckungsreise stattgefunden, und dies nicht nur von den Menschen zwischen 20 und 30 sondern auch von 50- oder 60-Jährigen. Und es fand manche innere Versöhnung statt damit, wie jemand beschaffen ist bzw. ein tiefes Ja dazu.
Hier kommen auch verschiedene Tools zur Anwendung, manchmal auch Persönlichkeitstests. Nur aufgrund eines“ JA, so bin ich“ können wir dann in eine Veränderungsbewegung hinein kommen dort, wo wir (Charakter-)Schlagseiten haben, die uns das Leben (mit uns und mit Anderen) schwer machen. Nur was angenommen wird, kann sich verändern, denn wir wollen doch in einer positiven Entwicklung sein, unser Leben lang.
Und dann erlebe ich immer wieder in der Begleitung von Menschen, wie sie durch die Entdeckung ihrer Einmaligkeit auch neu oder wieder ihre Berufung im Leben entdecken (was nicht nur mit Beruf zu tun hat sondern auch in ihrem Wesen, in ihrem Sein). Und sie dann erleben: Ich bin wichtig! Ich darf einen Beitrag zur Gesellschaft leisten mit dem Wesen und den Begabungen, die ich habe. Ob beruflich oder privat. Als Menschen sind wir unersetzlich, in unserer Funktion aber immer ersetzbar.
Trauer und Verlust
Das Eine: Es gibt in so Vielem nicht „Richtig“ oder „Falsch“. So wie wir Menschen von unserer Persönlichkeit, unseren Erfahrungen, unserer Geschichte verschieden sind, so trauern wir auch verschieden. Nachdem ich in jungen Jahren bereits zwei Geschwister verloren habe (nicht zeitgleich), ist Trauer um einen Menschen, der „zu früh“ gehen muss, nichts Neues - aber auch nichts, woran ich mich je „gewöhnen“ könnte. Es ist jedes Mal aufs Neue erschütternd und jedes Mal anders. Und doch merke ich, dass diese Erfahrungen, auch wenn sie lange zurück liegen, mir helfen.
Das Andere: Menschen aus meinem Umfeld reagier(t)en auf diese Nachricht eben auch sehr verschieden.
Das Dritte: Es gibt keinen klaren Verlauf von Trauer. Sie kommt in Schüben. In den ersten Tagen war es manchmal so, als wäre das alles nicht wahr. Und dann kommt wieder der Schreckensgedanke: „Er ist wirklich nicht mehr da!“
Die Beisetzung war hier ein ganz wichtiger Moment, zusammen mit den Nächsten und im anschliessenden Austausch mit ihnen, was wir mit diesem Freund alles erlebt haben, wie wir ihn in Erinnerung halten - um eben zu realisieren: Es ist so! - Und dann wird man zusammen ein bisschen wie zu einer Selbsthilfegruppe, auch wenn jede/r eine andere Beziehung zu ihm hatte. Es stimmt wirklich: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Wie dankbar bin ich doch, dass der letzte (telefonische) Kontakt mit diesem Freund am Vorabend seines nicht absehbaren Todes ein sehr guter war und es in unserer Freundschaft keine offenen Baustellen oder Konflikte gab. Das erleichtert, wenn man dem so sagen kann, Vieles. Auch die schönen Erinnerungen an so viele gemeinsamen Erlebnisse - eines Tages wird die Dankbarkeit dafür grösser sein als der Schmerz.
Ich habe im Coaching bislang noch niemanden in einer Trauersituation um einen geliebten, verstorbenen Menschen begleitet. Aber Trauer kann sich auch auf andere Bereiche / Verluste beziehen. Immer mal wieder geht es in Begleitungen um zerbrochene Beziehungen, sei es mit einem/einer PartnerIn, einem/einer FreundIn oder um den Bruch mit einem Familienangehörigen.
Und auch der Stellenverlust, sei es durch unumgängliche Kündigung von Seiten der/des Coachees oder von Seiten Arbeitgeber kann ebenso schmerzen und braucht Verarbeitung. Der Verlust eines Teils der Gesundheit oder der Kräfte durch eine (chronische) Erkrankung oder eine Behinderung zieht ebenfalls Trauer nach sich. Oder es kann auch um etwas gehen, was nicht stattfinden konnte (eigene Kinder, Partnerschaft usw.) - auch das ist Trauer.
Da ist einfühlsame Begleitung wichtig, und mir helfen hier meine eigenen Trauererfahrungen - auch diejenigen über diese erwähnten menschlichen Verluste hinaus - auch wenn sie meine sind und bleiben. Ich bin sensibilisert aufs Thema und habe wenig Berührungsängste.
Es gibt in keiner Trauer um keinen Verlust einen definierten Zeitablauf. Ich möchte Mut machen, im Trauerprozess keine Abkürzung zu nehmen. Alle Gefühle zuzulassen. Schmerz, Wut, Angst, in manchen Fällen vielleicht sogar Schuldgefühle (wichtig, diese mit Begleitung zu reflektieren) usw. Irgendwann lichtet sich der Tunnel - auch wenn diese Worte oder dieser Zuspruch am Anfang nicht geglaubt werden kann: Ich weiss aus mehrfacher Erfahrung: Es ist so.
Vergebungsbereitschaft
Eine Definition: „Vergebungsbereitschaft, als eine der 24 Charakterstärken der Positiven Psychologie, meint die Fähigkeit innerlich verzeihen zu können und eine neue Chance zu geben. Menschen, mit der Stärke Vergebungsbereitschaft, sind nicht rachsüchtig oder nachtragend und können die Fehler und Verfehlungen anderer akzeptieren.“
Müssen wir vergeben? Nein, hier ist eindeutig die Rede von einer Bereitschaft zu vergeben. Unsere christlich geprägte Kultur lehrt uns eher, dass wir immer verzeihen müssen. Dazu können mehrere Bibelstellen zitiert werden.
Mir scheint es hilfreicher zu differenzieren: „Vergebung“ hat einen hohen Stellenwert im Christentum, ausgehend vom Beispiel Jesu. Dabei sollen wir nicht übersehen, dass Jesus deutlich Grenze aufzeigte. Aber ein Zwang zum Vergeben, was „müssen“ impliziert, sehe ich nicht. Eine dringende Empfehlung hingegen schon. Andersrum gesagt: Wir tun Gutes, wenn wir vergeben. Gutes dem andern aber auch Gutes für uns selbst. Oder hegst Du gerne Groll und möchtest Du ständig über das, was jemand Dir angetan hat nachdenken? Vergeben gibt nämlich auch uns selbst eine neue Chance.
Vergebung schenkt einer Beziehung eine neue Chance. Aber „Vergebungsbereitschaft“ betont die eigene, persönliche Bereitschaft und Offenheit zum Vergeben. Und hier gibt es Vorteile für mich selbst.
Unsere körperliche Gesundheit profitiert, wenn wir vergeben:
- Herzinfarkt wird weniger wahrscheinlich.
 - Der Cholesterinspiegel sinkt.
 - Der Schlaf wird besser.
 - Verspannungen lösen sich.
 
Auch die psychische Gesundheit verbessert sich, als Stress, Angstzustände und Depressionen abnehmen.
Vergeben befreit uns von einer Last und schenkt inneren Frieden. Wir können die Vergangenheit loslassen und in der Gegenwart besser und gerne leben.
Wie funktioniert Vergebung?
Vergebung ist ein Prozess, das habe ich mehrfach gelesen. Nehmen wir zunächst einmal mit, dass Vergebung eine schrittweise Entwicklung ist und damit Zeit braucht. Zum Prozess des Verzeihens gehört:
- Am Anfang steht die Klarheit: Was ist genau passiert?
 - Danach kann ein Perspektive-Wechsel hilfreich sein. Das kann einerseits heissen, dass ich mich anschaue und mich fragen, ob es wirklich so schwerwiegend ist, dass ich lange danach mich noch ärgere. Andererseits kann ich mich einfühlen im Gegenüber um besser aus seinen Blickwickel zu verstehen, warum er/sie sich so verhalten hat.
 - Auf jeden Fall muss ich eine Entscheidung treffen: Ich will vergeben. Es bleibt allerdings offen, ob und wann ich das dem Gegenüber mitteile.
 - Zum Schluss verzeihe ich und lass es los.
 - Möglicherweise ist es sinnvoll ein Fazit zu ziehen, zum Beispiel: Was habe ich durch diese Erfahrung gelernt?
 
Um eine klare Entscheidung herum kommt niemand. Vielleicht hilft es, nochmals klar zu sehen, dass Verzeihung nicht nur gut für die Beziehung ist, sondern sehr viel Vorteile für mich persönlich bringt.
Ho'oponopono: Ein hawaiianisches Vergebungsritual
Ich bin auf etwas sehr Praktisches gestossen, ein altes hawaiianisches Ritual in moderner Form. Dahinter steckt einerseits eine uralte Erkenntnis, dass alle miteinander verbunden sind. Andererseits basiert dieses Ritual auf die feste Überzeugung, dass Vergebung im Herzen, dem Sitz der Emotionen passiert und zwar sowohl bei mir und dadurch beim anderen. Es sind vier Schritte mit jeweils einem kurzen Satz:
- Reue: „Es tut mir leid.“
 - Vergebung: „Bitte verzeih mir.“
 - Liebe: „Ich liebe mich/dich.“
 - Dankbarkeit: „Danke.“
 
Dieser Schritt schliesst das Ritual ab und ist entscheidend für das Loslassen. Das Ritual schenkt inneren Frieden und befreit, aber natürlich eher, wenn es oft angewendet wird. Wiederholung ist wichtig um sich wohlzufühlen. Es braucht auch Zeit sich daran zu gewöhnen, dass diese „Meditation“ wirksam ist, nicht nur auf Dich, sondern auf anderen.
Selbstvergebung
Wenn wir von Vergebungsbereitschaft sprechen, dann gehen wir davon aus, dass es darum geht, anderen Menschen zu verzeihen. Aber wir selbst machen ebenfalls Fehler, die nur oder vor allem uns selbst betreffen. Dann wiederum können wir uns selbst schwer verzeihen, dass wir ins Fettnäpfchen bei einer Freundin getreten sind - vielleicht nicht zum ersten Mal. Oder ein Fehler bei der Arbeit lastet schwer auf uns, so dass unsere Gedanken immer wieder dorthin zurückkehren. Wir werden gefangen in Schuldgefühlen, bis wir uns verzeihen. Nicht selten kreisen wir ständig um das Vorgefallene, bauschen es auf in einer Katastrophe. Wieder müssen wir durch den Prozess:
- Das Vorgefallene betrachten, Verantwortung für unser Anteil übernehmen. Bereuen, dass es geschehen ist.
 - Innehalten und 3-5 Sachen, die Du heute gut gemacht hast, Dir in Erinnerung rufen.
 - Dich selbst vergeben. Sprich es aus, schreib es auf, um diesen Schritt zu betonen.
 - Gibt es Konsequenzen vom Deinen Fehler, die Du wieder in Ordnung bringen kannst? Was und wie ist angemessen?
 - Oder geht es eher darum, dass Du etwas daraus lernst? Auch hier kann es sinnvoll sein, etwas festzuhalten, damit Du das Gelernte umsetzest.
 
Jetzt ist eine kleine Feier, eine Geste vom Lob und Dank für diesen Schritt am Platz. Es ist grossartig, dass Du Dich vergibst! Sei jetzt gut zu Dir. Denk daran: Wer sich selbst nicht vergibt, versucht ständig in zwei Welten zu leben: die Vergangenheit des Vorgefallenen, die Gegenwart der Möglichkeiten. Das kann nicht gut kommen - und tut es nicht.
Gründe gegen Vergebung
Als „Charakterstärke“ gehen wir zunächst davon aus, dass Vergebung eine gute Sache ist und möglichst häufig praktiziert werden soll. Aber wer von uns hat nicht schon gedacht, vielleicht sogar gesagt und getan: „Das kann ich nie verzeihen!“?
Die Philosophieprofessorin Susanne Boshammer hat 2020 ein interessantes Buch geschrieben „Die zweite Chance: Warum wir (nicht alles) verzeihen sollten“. Darin erläutert sie drei Aspekten, die unter Umständen deutlich gegen das Vergeben sprechen:
- Gerechtigkeit
 - Vorbeugung von weiterem Unrecht
 - Erhaltung der Selbstachtung
 
Gerechtigkeit: Die Goldene Regel lehrt uns, anderen Menschen so zu begegnen, wie wir gerne von ihnen begegnet werden möchten. Aber in einem konkreten Fall konnte folgende Schwierigkeit auftauchen: Es ist ungerecht, wenn ich XYZ meine Vergebung schenke, weil XYZ mir Schaden zugefügt hat. Das ist ein Dilemma und kann dazu führen, dass Vergebungsbereitschaft nicht vorhanden ist. Das kann sich ändern… oder auch nicht.
Vorbeugung von weiterem Unrecht: Wenn das Vorgefallene Vertrauen zerstört, dann wird Vergebung verweigert um zu verhindern, dass frau nochmals in der gleichen oder ähnlichen Art verletzt wird.
Erhaltung der Selbstachtung: Es ist vielleicht einfacher von einem Opfer und einem Täter zu sprechen. Das Opfer ist der Unterlegene und büsst etwas von der uns alle gegebene Selbstachtung ein. Wenn jetzt das Opfer auch noch verzeiht, dann konnte das Wirken als eine weitere Herabsetzung des Opfers durch den Täter. Die Vergebung konnte ausbleiben, weil das Opfer zu viel Selbstachtung verliert, so dass es „sich nicht mehr in den Spiegel schauen kann“.
Das sind mögliche Gründe nicht, oder vorübergehend nicht, zu vergeben. Es bleibt jede von uns überlassen, in der Situation selbst zu entscheiden, ob wir vergeben oder nicht. Das ist sehr individuell und persönlich, für Aussenstehende oft nicht nachvollziehbar. Dennoch kann es für mich oder Dich die richtige Entscheidung sein.