Kann ein Psychiater krankschreiben? Eine umfassende Betrachtung

Eine Krankschreibung ist die ärztliche Feststellung einer gesundheitlich bedingten Arbeitsverhinderung. Diese kann nur durch eine ärztliche Fachperson, beispielsweise den Hausarzt oder die Psychiaterin, erfolgen.

Bei einer Krankschreibung wird von der medizinischen Fachperson in einem Arztzeugnis die Ursache, der Beginn, die Dauer, und der Grad der Krankschreibung definiert.

Bei psychischen Erkrankungen und folglich auch bei einem Burnout wird meist eine besondere Art der Krankschreibung, die arbeitsplatzbezogene Krankschreibung, vorgenommen. Bei einer solchen bezieht sich die Krankschreibung ausschliesslich auf den konkreten Arbeitsplatz und nicht auf die Leistungsfähigkeit ausserhalb davon. Das heisst, dass betroffene Personen durchaus dazu berechtigt sind, währenddessen arbeitsplatzunabhängigen Tätigkeiten nachzugehen.

Rechte und Pflichten bei Krankschreibung

Krankgeschriebene Personen haben Anrecht auf eine zeitlich beschränkte Fortsetzung der Lohnzahlungen. Dies gilt auch für Personen, die aufgrund eines Burnouts krankgeschrieben wurden. Allerdings können krankgeschriebene Personen vom Arbeitgeber für alternative Tätigkeiten eingesetzt werden, sofern diese mit dem Arztzeugnis vereinbar, vorübergehend und zumutbar sind.

Generell gilt für Krankgeschriebene auch ein Kündigungsschutz während der Zeitdauer der Krankschreibung. Es gelten folgende Kündigungssperrfristen (ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit):

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  • 30 Tage im 1. Dienstjahr
  • 90 Tage vom 2. bis und mit 5. Dienstjahr
  • 180 Tage ab 6. Dienstjahr

Eine Ausnahme bildet eine Kündigung, die bei einer «arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit» - etwa wegen eine Konflikts - ausgesprochen wird.

Burnout und Krankschreibung

Menschen, die unter einem Burnout leiden, müssen oft krankgeschrieben werden. Die Krankschreibung ist ein wichtiger Teil der Burnout-Behandlung. Personen, die von einem Burnout betroffen sind, leiden unter einer Reihe von einschneidenden Symptomen. Im vielen Fällen sind sie zumindest temporär oder sogar permanent nicht mehr in der Lage zu arbeiten.

Eine zumindest graduelle Krankschreibung ist bei einer Burnout-Therapie für den Behandlungserfolg essenziell. Denn da ein Burnout immer auch durch die Umstände beim und den Stress am Arbeitsplatz verursacht wird, muss auch zuerst an dieser Stelle angesetzt werden. Umgekehrt ist es aber auch wichtig, dass betroffene Personen ihre Krankschreibung auch dafür nutzen, die vom Arbeitsplatz unabhängigen Ursachen des Burnouts zu bekämpfen und dass sie sich in eine professionelle Behandlung begeben.

Eine Krankschreibungsperiode sollte nicht damit verbracht werden einfach abzuwarten, sondern stellt eine Möglichkeit dar, um an sich selbst und an seiner Lebenssituation zu arbeiten. Gleichzeitig ist es auch nicht zu empfehlen, die ärztlich diagnostizierte Krankschreibung zu ignorieren und Überstunden zu machen oder vorzeitig ins Arbeitsleben wiedereinzusteigen.

Kritik an der gängigen Praxis

Die gängige Praxis bei der Krankschreibung von unter Burnout leidenden Personen hat aber auch Kritiker. Diese kritisieren vor allem, dass Burnout-Patienten und -Patientinnen zu früh, zu lang und zu schnell zu 100 Prozent krankgeschrieben werden. Dies geschehe durch eine Art Beschützer-Reflex des ärztlichen Personals, das den Schutz der Patienten und Patientinnen vor weiterem Stress zu hoch gewichten würde. Die Befürwortenden dieser These argumentieren stattdessen, dass es oft für alle Beteiligten besser wäre, die Arbeitslast in Absprache mit der Unternehmensseite nur auf eine Teilzeitbeschäftigung zu reduzieren.

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Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen

Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen nehmen seit langem stetig zu. Durch eine bessere Kooperation aller Beteiligten liesse sich das Ausmass reduzieren. Konflikte am Arbeitsplatz sind der Auslöser für 57 Prozent aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten. Rund die Hälfte der Krankgeschriebenen verliert den Arbeitsplatz.

Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen dauern im Durchschnitt 218 Tage und sind in 95 Prozent der Fälle Vollzeit-Krankschreibungen. Psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeiten dauern deutlich länger als die meisten Krankschreibungen aus somatischen Gründen.

In rund der Hälfte der Arztberichte ist unklar, warum die versicherte Person nicht arbeiten kann. Zudem fehlt in fast der Hälfte aller Hausarzt- oder Psychiaterberichte eine Prognose zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. Ebenfalls fehlen Hinweise, wie die Stelle erhalten werden kann.

Ein grosser Teil der Krankgeschriebenen hatte schon früh (Schulzeit, Ausbildung, frühere Arbeitsstellen) erstmals psychische Probleme. Viele sind sozial isoliert oder haben Probleme in der eigenen Familie. Gewisse besonders belastende Arbeitsbedingungen begünstigen eine sehr lange Dauer der Krankschreibung: emotionale und interaktionelle Anforderungen sowie kognitive und hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit.

"Wenn es einmal zu konfliktbedingten Arbeitsunfähigkeiten gekommen ist, ist ein Wiedereinstieg sehr schwierig", sagt Psychologe Niklas Baer, Leiter von WorkMed. Oft sei dann das Arbeitsverhältnis auch schon gekündigt. "Es braucht darum frühe Massnahmen bei allen Beteiligten, also den Ärztinnen und Ärzten, den Arbeitgebern aber auch den Versicherern, um solche Eskalationen präventiv zu entschärfen."

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Unternehmen sollten stärker sensibilisiert werden, nicht erst sehr oder zu spät zu reagieren, wenn die Situation eskaliert ist - sondern präventiv eine förderliche Haltung und Frühintervention verankern. Hier sollten auch die Versicherungen die Unternehmen unterstützen, damit solche negativen Verläufe verhindert werden können.

Die behandelnden Ärzte sollten stärker unterstützt und geschult werden für einen bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patientinnen und Patienten hilft, ihre Stelle zu behalten. Hilfreich wäre, wenn Ärzte, Versicherungen und Arbeitgeber Leitlinien entwickeln, wie in schwierigen Situationen so gehandelt werden könnte, dass die Betroffenen längerfristig im Arbeitsmarkt bleiben.

Die Rolle der Psychiater

Den Psychiaterinnen und Psychiatern kommt eine zentrale Rolle zu im Hinblick auf den Verbleib ihrer Patientinnen und Patienten im Arbeitsmarkt: Sie kennen deren Einschränkungen und Ressourcen normalerweise sehr gut, weil sie diese oft über längere Zeit behandeln, und sie sind eine zentrale Bezugsperson.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern mit einer geringeren Psychiaterdichte übernehmen die Spezialisten in der Schweiz nicht nur diagnostische und psychotherapeutische Aufgaben, sondern oft auch solche der Grundversorgung wie Kontakte mit Behörden, Versicherungen und dem sozialen Umfeld der Patienten oder Notfalldienste. Jährlich begibt sich rund eine halbe Million Personen in psychiatrische Behandlung, sei es bei einem freipraktizierenden Psychiater oder in einer psychiatrischen Einrichtung.

Erfahrungsgemäss ist die Kooperation zwischen den psychiatrischen Spezialisten und anderen Akteuren (Sozial- und Privatversicherer, Arbeitgeber etc.) wegen unterschiedlicher Perspektiven nicht immer optimal. Eine übereinstimmende Sicht der beruflichen Einschränkungen und der nötigen Interventionen sowie eine gute Zusammenarbeit sind jedoch gerade bei psychisch kranken Personen eine Grundvoraussetzung für den Arbeitsplatzerhalt und die Re-Integration.

In 80 Prozent der Fälle sehen die Psychiater ihre Patienten am Arbeitsplatz unfair behandelt und wollen sie deshalb vor den Arbeitgebern schützen. Bei der Befragung gaben die Ärzte an, dass sie ihre Patienten häufig länger krankschrieben, als sie es aus fachlicher Sicht für nötig hielten. Und Patienten, die klagten, würden länger von der Arbeit dispensiert als die anderen. Ein solches Engagement für den Patienten könne therapeutisch hilfreich sein, «gefährdet aber in dieser Einseitigkeit den Arbeitsplatzerhalt der Patienten», warnt die Studie.

Das Hauptproblem ortet die Studie beim fehlenden Kontakt der Psychiater zum Arbeitgeber der Patienten. Die Ärzte geben zwar an, die Arbeitsaufgaben ihrer Patienten gut zu kennen. Diese Kenntnis beruht jedoch meist auf den Beschreibungen der Patienten. Den Vorgesetzten oder das Arbeitsklima kennen die Psychiater aber kaum persönlich. Dies liegt unter anderem daran, dass die Patienten dies nicht wollen. Dabei könnten der frühzeitige Kontakt zum Arbeitgeber und Anpassungen am Arbeitsplatz häufig eine Eskalation verhindern.

Vertrauensärztliche Beurteilung

Falls der Arbeitgeber frühzeitig eine vertrauensärztliche Beurteilung will, erhält er im Gegensatz zur Taggeldversicherung nur einen kurzen Bericht, welcher ihn über das Notwendige aufklärt, was die Arbeit des Arbeitnehmers in seinem Betrieb betrifft, insbesondere ob, wie viel und was er unter welchen Umständen arbeiten kann.

Bei einer vertrauensärztlichen Untersuchung zählen die Argumente, d.h. die allfällig vorliegende oder eben nicht vorliegende Diagnose, und eine damit verbundene Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit wird begründet. Dies kann man also bei einer nachfolgenden Gerichtsverhandlung nützen.

Es ist zu empfehlen, dass man solche Arbeitsunfähigkeitszeugnisse durch den Vertrauensarzt klären lässt und sich nicht scheut, gegen die "schwarzen Schafe" juristisch vorzugehen, wobei hierfür spezialisierte Anwälte helfen können.

Missbrauch von Krankschreibungen

Es ist in der heutigen Zeit eine Unsitte geworden, dass oft gleichzeitig, kurz vor oder kurz nach einer Entlassung eine volle Arbeitsunfähigkeit über längere Zeit ärztlich (zuerst durch den Hausarzt, dann durch den Psychiater) attestiert wird. Oft handelt es sich hierbei um medizinisch nicht korrekte Zeugnisse mit der Diagnose "Depression". Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass sich eine Depression auf "Knopfdruck" (Entlassung) plötzlich voll manifestiert. Wichtig sind deswegen entsprechende Beobachtungen des Arbeitgebers, dass sich der "Krankgeschriebene" kurz vor der Krankschreibung noch normal, d.h. arbeitsfähig verhalten hat oder Beobachtungen, dass zwischenmenschliche Probleme vorliegen.

Die Ärzte, die gerne, schnell und "grosszügig" krankschreiben ("Gefälligkeitszeugnisse"), sind in der Regel bekannt. Ärzte, deren Praxen nicht gut laufen und die als Gegenzug zu häufigen Konsultationen bewusst falsche Arbeitsunfähigkeitszeugnisse ("Gefälligkeitszeugnisse") ausstellen, wohlwissend, dass dies Betrug ist und dies kaum jemand juristisch zu belangen wagt.

Arbeit ist grundsätzlich gesund

Arbeit ist grundsätzlich gesund, gut für die Psyche und wer arbeiten kann, soll arbeiten. Sogar für psychisch Schwerkranke ist es wichtig zu arbeiten, halt einfach im geschützten Rahmen. Nicht selten machen Krankschreibungen und später IV-Berentungen (bei eigentlich Gesunden) wirklich krank, weil man sich zurückzieht, und in der Öffentlichkeit alles daran setzt, der Welt zu beweisen, dass man krank ist.

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