Assistierter Suizid bei psychischen Erkrankungen in der Schweiz

Das Recht, Art und Zeitpunkt des eigenen Sterbens zu bestimmen, kommt grundsätzlich allen Menschen in der Schweiz zu. In der Schweiz werden Freitod und Freitodversuch seit 1893 nicht mehr bestraft. Ab 1918 gilt das landesweit auch für die Hilfe dabei. Seit über 100 Jahren ist es in der Schweiz also legal, jemandem beim Freitod aktiv beizustehen - solange der Helfer dabei keine eigenen Bedürfnisse befriedigt (zum Beispiel finanzielle und emotionale).

Der Strafgesetzbuchartikel im Wortlaut:

Art. 115 Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord "Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft."

Der Umkehrschluss daraus ergibt, dass niemand bestraft werden kann, der ohne selbstsüchtige Motive Hilfe zum Suizid leistet.

Voraussetzungen für die Freitodbegleitung

Freitodbegleitung darf gemäss Gesetz und Rechtsprechung nur gewährt werden, wenn die sterbewillige Person:

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  • weiss, was sie tut (Urteilsfähigkeit)
  • nicht aus dem Affekt handelt und die möglichen Alternativen kennt (Wohlerwogenheit)
  • einen dauerhaften Sterbewunsch hegt (Konstanz)
  • von Dritten nicht beeinflusst wird (Autonomie)
  • den Suizid eigenhändig ausführt (Tatherrschaft)

Diese wichtigen Voraussetzungen für eine Freitodbegleitung stellen sicher, dass der Sterbewunsch selbstbestimmt, wohlinformiert, durchdacht und nicht zum Beispiel das Resultat einer momentanen depressiven Verstimmung oder Krise ist.

EXIT und die Freitodbegleitung

Heute sagen über 180 000 EXIT-Mitglieder in der Schweiz Ja zur Selbstbestimmung im Leben. Aber in der Not auch im Sterben. EXIT weiss um die hohe Verantwortung und hat sich mit Statuten und Richtlinien einen engen Rahmen gesteckt. Zudem hat EXIT Sorgfaltskriterien definiert, die über das hinausgehen, was Gesetz, Gerichtspraxis und Behörden verlangen.

EXIT begleitet zusätzlich zu den oben genannten Bedingungen einzig Menschen:

  • bei zum Tod führender Erkrankung
  • bei subjektiv unerträglichen Beschwerden
  • bei unzumutbarer Behinderung
  • bei Leiden in und am Alter; dabei soll auch den psychosozialen Aspekten gebührend Rechnung getragen werden.

Bei EXIT ist grundsätzlich nur der begleitete Freitod möglich; d.h. EXIT gibt dem betroffenen Mitglied das Sterbemittel nie zur freien Verfügung mit, sondern überbringt es ihm erst am Sterbetag zu Hause durch die Begleitperson.

Erforderliche Dokumente

Zu beachten ist auch: Das Sterbemittel untersteht der Rezeptpflicht. Damit ist EXIT nicht allein involviert, sondern es muss ein Arzt oder eine Ärztin in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Die Hilfe beim Freitod ist in der Schweiz klar auch ärztliche Sterbehilfe. Sterbehilfe mit der Organisation EXIT bedeutet rechtlich, dass der Patient urteilsfähig sein und das Sterbemedikament selbst einnehmen muss. D.h. nicht der verschreibende Arzt, nicht die EXIT-Freitodbegleiterin und auch kein Angehöriger dürfen es ihm verabreichen.

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Jeder Freitod wird von den Behörden als «aussergewöhnlicher » Todesfall taxiert. Dies löst überall in der Schweiz zwingend eine behördliche Untersuchung unmittelbar nach dem Versterben aus (EXIT hat sich verpflichtet, dieses umgehend der Polizei zu melden). Das Auftreten der Behörden so kurz nach dem Abschied ist für Angehörige nicht angenehm.

In den allermeisten Fällen haben sie die geliebte Person vorzeitig und an eine schwere Krankheit verloren. Ein Todesfall, auch ein begleiteter und umsorgter, bei dem gebührend Abschied genommen werden kann, löst immer einen schmerzlichen, manchmal traumatischen Prozess aus.

Die Erfahrung zeigt aber, dass nach einer Freitodbegleitung Angehörige eher weniger stark leiden als andere Menschen, welche ein geliebtes Familienmitglied im Spital oder durch einen anderen Todesfall verloren haben. Der Grund: Bei einer Freitodbegleitung können sich Angehörige im Voraus mit dem Unausweichlichen befassen, sie können nochmals ausgiebig Gespräche führen und Ungesagtes aussprechen.

Bedingungen für eine Begleitung durch EXIT

EXIT begleitet zusätzlich zu diesen Bedingungen einzig Menschen mit zum Tod führender Erkrankung, oder mit unerträglichen Beschwerden, oder mit unzumutbarer Behinderung oder bei Leiden in und am Alter.

Dafür sind folgende Dokumente erforderlich:

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  • ein aktuelles Diagnoseschreiben vom behandelnden Arzt
  • die Bestätigung der Urteilsfähigkeit durch einen Arzt
  • ein ärztliches Rezept für das Sterbemittel Natrium-Pentobarbital

Herausforderungen und Einschränkungen

Manchmal treten Leidende EXIT erst bei, wenn sie sterbenskrank sind und grosse Schmerzen haben. Das schafft Probleme.

EXIT ist keine Notfallorganisation. Die Ressourcen des Vereins sind begrenzt. Das kurzfristige Eintreten auf Gesuche von Nicht-Mitgliedern ist aufwändig. Die Bedürfnisse langjähriger Mitglieder haben immer Vorrang.

Beratung braucht Zeit. Für EXIT ist die Freitodhilfe der letzte Akt in einem längeren Prozess der Abklärung und Begleitung.

Die mehrjährige Mitgliedschaft bei EXIT weist auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Sterben und damit auf Selbstverantwortung und Wohlerwogenheit hin.

Trotzdem weiss EXIT, dass Menschen oft ganz unvermittelt und mitten im Leben vom Schicksal getroffen werden. Der Vorstand hat deshalb folgende Lösung vorgesehen: Für eine kostenlose Freitodbegleitung beträgt die minimale Mitgliedschaftsdauer drei Jahre. Für eine Begleitung von Personen, die weniger als drei Jahre EXIT-Mitglied sind, wird, je nach Dauer der Mitgliedschaft, eine Kostenbeteiligung zwischen 1100 und 3700 Franken erhoben.

Das Verbot der Freitodhilfe in den meisten anderen Ländern führt dazu, dass sich immer wieder verzweifelte Patienten aus dem Ausland an EXIT wenden. EXIT hat gemäss Statuten nur Mitglieder mit Schweizer Bürgerrecht oder Wohnsitz und kann auf andere Gesuche aus dem Ausland nicht eintreten.

EXIT hilft erst dann, wenn zweifelsfrei feststeht, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind. Eine seriöse Abklärung wäre für EXIT bei einer Begleitung von Personen aus dem Ausland nur mit unvergleichlich höherem Aufwand möglich.

Eine Öffnung der Praxis gegenüber Ausländern würde die Mittel und Strukturen des schon im Inland stark beanspruchten Vereins übersteigen.

Zudem würde eine Öffnung den Druck auf eine Liberalisierung der Gesetze in der EU reduzieren. Das liegt nicht im Interesse der Anliegen, die EXIT vertritt.

In seltenen Fällen gibt es Mitglieder, für die eine EXIT Begleitung beim Freitod nicht in Frage kommt.

Weil sie etwa in der Intimität des Sterbens niemand Aussenstehenden dabei haben möchten oder weil sie ein anderes Sterbemittel vorziehen oder weil sie die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Rezeptes für das Sterbemittel nicht erfüllen. EXIT bietet aber auch solchen Mitgliedern Beratung an. Sie dient in erster Linie der Prävention und der Verhinderung eines gewaltsamen Suizids.

EXIT rät in jedem Fall von einem unbegleiteten Freitod ab, weil er mit erheblichen Risiken verbunden ist. EXIT berät auch nicht zu anderen Suizidmethoden.

Bei EXIT sind begleitete Freitode ausschliesslich mit dem Sterbemittel Natrium-Pentobarbital möglich.

Assistierter Suizid bei psychischen Erkrankungen

EXIT begleitet nur sehr selten psychisch Kranke. Akut depressiven Menschen hilft EXIT nicht beim Freitod. Der Sterbewunsch darf nicht Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung sein, sondern muss auf dem autonomen, wohlerwogenen, dauerhaften und die Gesamtsituation erfassenden Bilanzentscheid einer urteilsfähigen Person beruhen.

In der Schweiz sterben jeden Tag zwei bis drei Menschen durch Suizid; dies ohne die Fälle von Suizidhilfe. Suizide haben häufig einen Zusammenhang mit psychischen Krankheiten wie z.B. Depression oder Alkoholkrankheit. Sie erfolgen oft in einem psychischen Ausnahmezustand, in welchem die Fähigkeit, mit belastenden Situationen umzugehen, massgeblich eingeschränkt ist (WHO, 2019). Suizide gehören nach Krebs- und Kreislauferkrankungen zu den häufigsten Gründen für eine frühzeitige Sterblichkeit einer Bevölkerung, dies gemessen in verlorenen potenziellen Lebensjahren.

Gemäss den medizin-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zählen zur Suizidhilfe - analoge Begriffe sind «assistierter Suizid» oder «Beihilfe zu Suizid» - «Handlungen, die in der Absicht erfolgen, einer urteilsfähigen Person die Durchführung des Suizids zu ermöglichen, insbesondere die Verschreibung oder Aushändigung eines Medikamentes zum Zweck der Selbsttötung» (SAMW, 2018/2021, S. 25).

Suizidhilfe erfolgt häufig als Reaktion auf chronische körperliche Erkrankungen, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten. Selbsttötungsgedanken sind häufige Begleitphänomene schwerer, unheilbarer körperlicher und psychischer Erkrankungen. Die Mehrheit der Suizide wird von Menschen mit psychischen Erkrankungen vollzogen.

Während es bei unheilbaren körperlichen Erkrankungen heute einen breiten Zuspruch gibt, wenn das Prinzip "Leidverminderung durch Lebensverkürzung" in Form des künstlich herbeigeführten Todes zur Anwendung kommt, ist dies bei psychischen Erkrankungen umstritten. Der Wunsch nach assisitertem Suizid von psychisch Erkrankten scheint schwerer greifbar. Er kann Ausdruck einer akuten psychischen Leidensphase sein, die jedoch medikamentös überwindbar ist. Er kann aber auch Ausdruck eines Wunsches sein, der auf Erfahrung durch wiederkehrende psychische Belastungsphasen beruht. Aber ist es nicht diskriminierend, wenn man den einen dies ermöglicht, den anderen nicht?

Hilfsangebote

Es gibt diverse Organisationen und Anlaufstellen, die Unterstützung und Beratung anbieten:

  • Die Dargebotene Hand ist unter Telefon 143 rund um die Uhr da für Menschen, die ein helfendes und unterstützendes Gespräch benötigen. Tel 143 bietet allen Anrufenden völlige Anonymität.
  • Pro Juventute Telefonberatung ist kostenlos rund um die Uhr unter 147 erreichbar.
  • In Notfällen, etwa bei Suizidgefahr oder anderer Gefahr von Selbst- oder Fremdgefährdung, kann die Rettungsnummer 144 angerufen werden.

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