Zwangsstörungen umfassen eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, die durch wiederkehrende Zwangshandlungen und Zwangsgedanken gekennzeichnet sind. Betroffene Patienten sind in allen Bereichen des Alltags schwer eingeschränkt, da die Zwänge ihr Verhalten dominieren.
Was sind Zwangsstörungen?
Zwangsstörungen können sich in zwanghaftem Verhalten oder zwanghaften Gedanken äussern. In beiden Formen rückt der Zwang in das Zentrum der Motivation und dominiert gegenüber anderen Verhaltensweisen. Betroffene beschäftigen sich durchschnittlich etwa 7-8 Stunden am Tag mit ihren Zwängen.
Zwangsgedanken
Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen oder Impulse, die sich den Betroffenen gegen ihren Willen aufdrängen. Sie sind aufdringlich und intensiv und für Aussenstehende oftmals rational schwer nachvollziehbar. Betroffene haben beispielsweise übermässige Angst vor der Ansteckung mit infektiösen Erkrankungen oder vor einer Vergiftung oder sie verspüren einen zwanghaften Drang zu Ordnung und Symmetrie.
Zwangshandlungen
Zwangshandlungen sind meist alltägliche Verhaltensweisen, die immer wieder zwanghaft wiederholt werden. Obwohl die Betroffenen ihr Handeln als übertrieben oder sinnlos erkennen, verspüren sie einen starken Drang, das zwanghafte Handeln auszuführen.
Ursachen von Zwangsstörungen
Die genauen Ursachen für Zwangsstörungen sind unbekannt. Wahrscheinlich begünstigen sowohl genetische Faktoren wie auch Umweltfaktoren (insbesondere soziale Faktoren) die Entstehung der Erkrankung.
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- Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Veranlagung eine Rolle spielen könnte.
 - Menschen, bei denen enge Familienmitglieder eine Zwangsstörung oder andere Angststörungen aufweisen, haben ein höheres Risiko, selbst daran zu erkranken.
 - Veränderungen im Gehirn, insbesondere im Bereich der Gehirnregionen, die für die Verarbeitung von Angst, Zwang und Unsicherheit verantwortlich sind, könnten eine Rolle spielen.
 - Ein gestörter Serotoninstoffwechsel wird oft mit Zwangsstörungen in Verbindung gebracht.
 - Das Erlernen von bestimmten Verhaltensweisen oder Ritualen als Reaktion auf Ängste oder unerwünschte Gedanken könnte dazu führen, dass diese Verhaltensmuster verstärkt werden.
 - Einige Studien haben gezeigt, dass stressige Lebensereignisse oder traumatische Erfahrungen das Risiko für Zwangsstörungen erhöhen könnten.
 - Persönliche Merkmale wie Perfektionismus, ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein oder ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle könnten das Entstehen von Zwangsstörungen begünstigen.
 
Es ist wichtig zu betonen, dass keine einzelne Ursache allein für das Auftreten von Zwangsstörungen verantwortlich ist. Vielmehr handelt es sich um eine komplexe Wechselwirkung verschiedener Faktoren.
Zentrales und gemeinsames Merkmal einer Zwangsstörung ist die Motivation zu bestimmten Verhaltensweisen und Gedanken. Daher liegt die Vermutung nahe, dass jene Hirnareale in ihrer Funktion eingeschränkt sind, die Motivation und Belohnung steuern. Diese Steuerung wird von Strukturen in der Tiefe des Gehirns erfüllt, unter anderem den Basalganglien.
Symptome von Zwangsstörungen
Die Symptome sind vielfältig und beinhalten extreme Ängste, häufige Zweifel und den Drang, bestimmte Handlungen immer wieder auszuführen. Betroffene empfinden oft Schuld- und Schamgefühle, was zu sozialem Rückzug führt. Der ständige innere Druck kann auch körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen verursachen.
Typische Zwangsgedanken
- Zwangsgedanken treten immer wieder auf, oft in bestimmten Mustern oder Themen.
 - Die Betroffenen haben wenig bis keine Kontrolle über das Auftreten dieser Gedanken. Sie können nicht einfach aufhören, daran zu denken.
 - Oft sind die Gedanken unangemessen, irrational oder unrealistisch. Sie stehen nicht im Einklang mit den persönlichen Werten oder Überzeugungen der Person.
 - Die Gedanken lösen intensive Angst, Besorgnis oder Unruhe aus. Die Person empfindet die Gedanken als bedrohlich oder gefährlich.
 - Zwangsgedanken drängen sich ungefragt in das Bewusstsein der Person und können sehr störend sein.
 - Die Themen von Zwangsgedanken können vielfältig sein, einschliesslich Ängste vor Kontamination, Schuld, Gewalttätigkeit, sexuellen Inhalten oder religiösen Themen.
 
Beispiele für Zwangsgedanken könnten sein:
- Die Angst, sich mit Keimen anzustecken, was zu wiederholtem Händewaschen führt.
 - Die ständige Befürchtung, etwas Schlimmes getan zu haben, auch wenn es keine realen Beweise dafür gibt.
 - Das ständige Wiederholen von Wörtern oder Sätzen in Gedanken, um eine befürchtete Katastrophe zu vermeiden.
 - Unkontrollierbare Vorstellungen von Gewalt gegen sich selbst oder andere, die stark belasten.
 
Typische Zwangshandlungen
- Zwangshandlungen werden immer wieder durchgeführt, oft in bestimmten Abfolgen oder einer festgelegten Anzahl von Wiederholungen.
 - Die Handlungen dienen dazu, die Angst oder den Stress zu reduzieren, der durch die zwanghaften Gedanken ausgelöst wird.
 - Die Handlungen werden oft sehr präzise und genau ausgeführt. Kleinste Abweichungen von der Routine können zu erhöhter Angst führen.
 - Zwangshandlungen können viel Zeit in Anspruch nehmen, wodurch das tägliche Leben der Betroffenen beeinträchtigt wird.
 - Oft haben die Handlungen keinen realistischen Bezug zur vermeintlichen Bedrohung oder dem zwanghaften Gedanken. Dennoch werden sie ausgeführt, um die Angst zu bewältigen.
 - Die Zwangshandlungen beeinträchtigen die normale Funktionsweise im Alltag, in sozialen Beziehungen, in der Arbeit oder in anderen wichtigen Lebensbereichen.
 
Beispiele für Zwangshandlungen können sein:
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- Wiederholtes Händewaschen, um die Angst vor Keimen oder Krankheiten zu lindern.
 - Ständiges Überprüfen von Türen, Fenstern oder Geräten, um sicherzustellen, dass sie geschlossen oder ausgeschaltet sind.
 - Das Bedürfnis, bestimmte Worte oder Zahlen in Gedanken zu wiederholen, um eine schlimme Vorstellung zu vermeiden.
 - Sich zwanghaft bestimmten Anordnungen oder Reihenfolgen beim Anziehen, Essen oder anderen Aktivitäten zu unterwerfen.
 
Diagnose von Zwangsstörungen
Die Diagnose und Behandlung von Zwangsstörungen sollten durch erfahrene Psychiater erfolgen.
- Ein Psychiater/ Psychologe führt eine gründliche klinische Bewertung durch, um die Symptome zu verstehen, deren Schweregrad zu beurteilen und andere relevante Informationen zu sammeln.
 - Die Symptome müssen stark genug sein, um erheblichen Stress, Angst oder Unbehagen zu verursachen.
 - Die Zwangssymptome müssen die Fähigkeit der Person beeinträchtigen, normale Aktivitäten durchzuführen, wie zum Beispiel Arbeit, Schule, soziale Beziehungen oder Freizeitaktivitäten.
 - Es ist wichtig, andere medizinische oder psychologische Bedingungen auszuschliessen, die ähnliche Symptome verursachen könnten.
 - Die Diagnose einer Zwangsstörung basiert auf den diagnostischen Kriterien, die in internationalen Klassifikationssystemen wie dem DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition) oder der ICD-10 (International Classification of Diseases, 10th Revision) festgelegt sind.
 
Behandlungsmöglichkeiten von Zwangsstörungen
Je früher die Therapie der Zwangserkrankung gestartet wird, desto besser können die Folgen der Erkrankung verhindert werden. Doch auch bei Zwangserkrankungen, die schon seit Jahren bestehen, können mithilfe einer geeigneten Therapie gute Ergebnisse erzielt werden. Auch wenn nur wenige Patienten durch die Therapie symptomfrei werden, so erleben viele eine Reduktion der Symptome.
Im Vordergrund der Therapie stehen die kognitive Verhaltenstherapie und die medikamentöse Therapie. Für Patienten, die auf die konventionellen Therapien nicht hinreichend ansprechen, ist die Tiefe Hirnstimulation (DBS von engl. deep brain stimulation) eine neuartige, vielversprechende Behandlungsmethode.
Kognitive Verhaltenstherapie
Die kognitive Verhaltenstherapie ist die Behandlung der Wahl. Ein wesentliches Element ist die Expositionstherapie mit Reaktionsmanagement, anfangs in therapeutisch begleiteten und später in selbständig durchgeführten Übungen.
In erster Linie wird eine kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsmanagement zur Behandlung von Zwangserkrankungen empfohlen. Dazu kommen je nach dem ergänzende Therapien oder eine medikamentöse Therapie.
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- Verhaltenstherapie: In dieser Methode wird das Expositionsverfahren mit Reaktionsprävention, ausgerichtet auf das Verhalten, angewendet. Die betroffenen Personen begeben sich schrittweise aktiv in die Situation, die ihnen Angst macht oder die sie vermeiden. Als Beispiel kann hier das Öffnen einer Tür ohne Händewaschen angeführt werden. So lernen diese Personen, dass sie die Situation aushalten können und die erwarteten, negativen Folgen nicht eintreten. Mit diesem Ansatz soll im Gehirn die Verbindung zur Zwangsstörung getrennt werden.
 - Kognitive Therapie: Dieser Ansatz befasst sich mit der Analyse der Zwangsgedanken. Die betroffene Person soll sich des exzessiven und irrationalen Charakters dieser Gedanken bewusst werden.
 
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie kann dabei in schweren Fällen unterstützend wirken. Als medikamentöse Ergänzung zur Psychotherapie werden bei Zwangserkrankung vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verwendet. Dies macht besonder Sinn, wenn neben der Zwangserkrankung eine Depression vorliegt.
Tiefe Hirnstimulation (DBS)
Sprechen die Symptome nur unzureichend auf diese multimodale Therapie an, ist die Tiefenhirnstimulation (DBS) eine Behandlungsalternative. Mehrere Studien haben den Effekt der Tiefen Hirnstimulation nachgewiesen. Ähnlich wie bei anderen Erkrankungen, die mittels DBS behandelt werden können, gibt es verschiedene Zielpunkte im Gehirn, deren Stimulation zu einer Verbesserung der Zwangsstörungen führt. Zu den gängigen Zielpunkten im Gehirn zählen der vordere Schenkel der Capsula interna (engl. anterior limb of the internal capsule, ALIC), der anteriore Teil des Nucleus subthalamicus sowie das ventrale Striatum.
Dies sind die zu erwartenden Effekte der Tiefen Hirnstimulation:
- Reduktion in der Häufigkeit der Zwangshandlungen
 - verminderter Drang, eine Zwangshandlung auszuführen
 - insgesamte Verbesserung der Lebensqualität
 
Zu den häufigeren, zum Grossteil nur vorübergehenden Nebenwirkungen zählen eine gedrückte Stimmung, vermehrte Unruhe und Impulsivität sowie Schlafstörungen. Da offensichtlich nicht alle Patienten von der Stimulation gleich gut profitieren, ist eine gute Patientenselektion durch ein interdisziplinäres Team eine notwendige Voraussetzung für ein postoperatives Ansprechen auf die Therapie. Kriterien, die in Frage kommende Patienten erfüllen sollten, wurden in entsprechenden Guidelines festgehalten.
Am Inselspital werden alle in Frage kommenden Patienten interdisziplinär von erfahrenen Neurologen, Psychiatern und Neurochirurgen individuell besprochen. Dies geschieht im Rahmen unseres monatlich stattfindenden DBS-Boards.
Weitere Therapieansätze
Ergänzend zur Expositionstherapie und zur medikamentösen Therapie ist es bei Zwangsstörungen wichtig, emotionale und zwischenmenschliche Probleme aufzuarbeiten.
Verschiedene Formen der Psychotherapie können bei der Behandlung von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen hilfreich sein. Die Person kann lernen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, um mit zwanghaften Gedanken umzugehen, ohne in zwanghafte Handlungen zu verfallen. Dies kann Techniken wie Achtsamkeit, Stressbewältigung und Entspannungsübungen beinhalten.
Menschen mit Zwangsstörungen und ihren Angehörigen sollte geholfen werden, die Störung zu verstehen. Dies hilft dabei, die Symptome zu erkennen, besser damit umzugehen und den Stigmatisierungseffekten entgegenzuwirken.
Zwangsstörungen können wiederkehren, insbesondere in stressigen Zeiten. Daher ist es wichtig, dass die Person langfristige Betreuung und Unterstützung erhält, um Rückfälle zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen.
Wo Hilfe finden
Die Spezialsprechstunde ist dezentral organisiert. Alle Ambulatorien der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie bieten eine störungsspezifische Abklärung, Beratung und Behandlung an, je nach Kapazitäten allerdings mit Wartezeiten verbunden.
Auch zusatzversicherte Patienten mit Zwangserkrankungen werden für eine spezialisierte, störungsspezifische Therapie auf der Psychotherapiestation A aufgenommen. Sie erhalten auf dieser Station bevorzugt ein Einzelzimmer. Ausserdem steht ihnen ein erweitertes Angebot an Fachtherapien und therapeutischen Gruppen zur Verfügung. Die Behandlung erfolgt unter der Aufsicht des Leitenden Arztes und Spezialisten für Zwangsstörungen, Dr.
Ausführliche Informationen zu Zwangsstörungen finden Sie auf den Seiten der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen (SGZ).
Zusammenfassung
Zusammenfassend sind das frühe Erkennen der OCD, das Verständnis ihrer Auslöser und der Zugang zu einer geeigneten Behandlung entscheidend, um den betroffenen Personen zu helfen, in ihrem Alltag wieder ein Gefühl der Kontrolle und des Wohlbefindens zu finden.
Insgesamt ist eine frühzeitige diagnostische Abklärung und Intervention bei Zwängen zentral und kann zu einer Milderung sowie Bewältigung der Zwangsgedanken und -handlungen führen. Für die psychotherapeutische Behandlung der Zwänge stehen den Betroffenen verschiedenen Möglichkeiten zur Verfügung, hauptsächlich aus dem Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie: Umgang und Umstrukturierung von ungünstigen Zwangsgedanken sowie sogenanntes Expositionstraining mit Reaktionsmanagement. In gewissen Fällen kann eine zusätzliche medikamentöse Behandlung zudem von Vorteil sein. Auch besteht die Möglichkeit, das Expositionstraining durch eine erfahrene psychiatrische Spitex zusätzlich begleiten zu lassen.
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