Was bedeutet Kreativität? Welche Merkmale sind aus psychologischer Sicht wichtig? Auf der Suche nach den Quellen der Kreativität beleuchtet der Vortrag vier Aspekte anhand von Beispielen näher: die kreative Person mit ihren Eigenschaften, den kreativen Prozess mit seinen unterschiedlichen Stadien, das kreative Produkt in vielfältigen Erscheinungen und die kreativen Umgebungen, die auch, aber nicht nur physische Aspekte umfassen.
Kreativität hat etwas Magisches an sich: Auf einmal ist die Idee da, drängt die Inspiration hervor, löst sich das Problem fast von allein. Dennoch lässt sich Kreativität wissenschaftlich untersuchen. Wir werfen einen Blick auf die neueste psychologische und neurologische Forschung zum Thema, um mehr über diese einzigartige Fähigkeit herauszufinden.
Wie funktionieren Erschaffen, Erfinden und Problemlösen? Was haben ein Künstler und eine Ingenieurin gemeinsam?
Zusammen mit der Kommunikation, der Kooperation und dem kritischen Denken gehört die Kreativität zu den wichtigsten Kompetenzen des 21. Jahrhunderts. Was ist aber genau Kreativität? Kann man Kreativität entwicklen? Gibt es Kreativitätskiller? Nimmt die Kreativität mit zunehmendem Alter ab?
Joachim Funke: Ein Experte im Bereich der Kreativität
Joachim Funke (geb. 19.07.1953 in Düsseldorf) ist seit 1997 Professor für Allgemeine und Theoretische Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Promoviert wurde er 1984 an der Universität Trier. Im Jahr 1990 habilitierte er sich an der Universität Bonn. Funke war Gastprofessor an verschiedenen Universitäten, darunter Fribourg (Schweiz), Melbourne (Australien), Nanjing (China) und Szeged (Ungarn). Seit April 2019 ist er im Ruhestand.
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Seine primären Forschungsinteressen liegen im Bereich von Denken, Problemlösen und eben der Kreativität. Er ist einer der Vertreter des Ansatzes, die Erfassung komplexer Problemlösetätigkeiten mittels computersimulierter Szenarien vorzunehmen.
Viele wissen nicht, was allgemeine und theoretische Psychologie ist. Die allgemeine Psychologie beschäftigt sich mit dem, was alle Menschen gemeinsam haben: Dass wir alle zusammen lachen können, dass wir Sprache benutzen, dass wir alle Gefühle haben. Das ist allgemeine Psychologie. Ich bin insbesondere Spezialist für die höheren kognitiven Funktionen, also nicht für elementare Funktionen, wie wahrnehmen und fühlen, sondern für das Denken, Problemlösen, Entscheiden und Kreativität.
Definition von Kreativität
Für mich ist das eigentlich ganz einfach. Ich würde sagen, Kreativität heißt das Hervorbringen von etwas Neuem, das nützlich ist. Neu und nützlich sind die zwei Kriterien. Und die Nützlichkeit kann entweder für mich persönlich nützlich sein - dann nennen wir das Little C, das kleine K, die kleine Kreativität - oder es kann nützlich für die ganze Gesellschaft sein. Dann ist es big C. Das ist z.B die Solarzelle, die die ganze Welt verändert. Wenn also Kreativität das Hervorbringen von etwas Neuem ist, was zugleich nützlich sein sollte, dann stellt sich die Frage wie es z.B. mit der Nützlichkeit von Kunstwerken aussieht.
Ich würde sagen, ein Kunstwerk ist normalerweise nützlich, weil es ja irgendeinen Menschen unterhält, der sich auch Gedanken darüber macht. Von daher ist Kunst etwas Nützliches. Ok, ich stehe auch manchmal vor Bildern, wo einfach nur ein Quadratmeter schwarze Farbe drauf gemalt ist. Und da frage ich mich auch: «Was will mir der Künstler damit eigentlich sagen?» Aber wenn man dann ein bisschen anfängt nachzudenken, merkt man, er stellt diese Abbildungen grundsätzlich in Frage und sagt und: «Muss Kunst wirklich immer nur abbilden?» Und schon fängt man an, auch über eine schwarze Quadratmeter Wand nachzudenken. Und vielleicht beginnt genau hier die Nützlichkeit.
Kreativität im Alltag
Kreativität wird vielfach vor allem dem künstlerischen Bereich zugeordnet. Sie haben es aber angesprochen, eigentlich geht es bei der Kreativität um neue Ideen. Das heisst, Kreativität gibt es eigentlich überall, also auch im Alltag. Genau. Sie müssen ja irgendwo her, auf neue Ideen kommen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mich einzuladen? Das war ein kreativer Schachzug. Irgendwann ist Ihnen bei einer Tasse Kaffee eingefallen, ich könnte mal das Thema Kreativität zum Gegenstand meines Podcast machen. Und schon ist das für Sie völlig klar: Da könnte etwas Grossartiges entstehen.
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Man weiss ja nicht, was dabei rauskommt. Kreativität ist ja auch ein Wagnis, etwas Neues zu machen. Vielleicht geht es schief, vielleicht passt es gar nicht. Viele Kreative haben hunderte Versuche gemacht und diese wieder weggeschmissen. Der Vincent van Gogh hat unzählige Male das halbe Kornfeld gemalt.
Mut und Fehlerkultur
Kreativität hatte also auch mit Mut zu tun. Mut, Fehler zu machen. Haben wir in der heutigen Gesellschaft diesen Mut überhaupt? Ich habe manchmal das Gefühl, wir leben eine Fehlerkultur, in welcher Fehler nicht erlaubt sind. Das ist ein guter Punkt. Ich bin dafür, jeweils den Fehler des Monats auszuweisen und nicht zu behaupten, dass wir völlig fehlerfrei sind. Menschen machen Fehler.
Das denke ich auch. Wir können doch eigentlich nur weiterkommen, wenn wir aus den Fehlern lernen.
Die 4 K's: Kompetenzen des 21. Jahrhunderts
Es wird gesagt, dass die wichtigsten Kompetenzen für das 21. Jahrhundert: Kritisches Denken, Kooperation, Kommunikation und eben Kreativität sind. Was halten Sie von diesem 4-K-Modell? Ich bin ein völliger Fan davon. Es ist meine Meinung, dass sich unsere Welt in einem Zustand befindet, wo wir viele kluge Ideen brauchen, um aus dem Schlamassel, den wir in den letzten 100 Jahren der Industrialisierung angerichtet haben, wieder ein etwas herauszukommen. Es wird kaum leicht. Aber wir brauchen kluge Köpfe, wir brauchen Ideen, wir brauchen mutige Personen, die Ideen für die Zukunft entwickeln. Deshalb ist für mich die 4K Frage unendlich wichtig.
Kreativitätskiller Schule?
Man sagt ja, Schule ist der größte Kreativitätskiller, den man sich überhaupt vorstellen kann. Wenn Sie gucken, wie Sechsjährige zu Beginn der Schulzeit neugierig sind auf das, was in der Schule angeboten wird und wenn Sie dann sehen, wie 15-Jährige gelangweilt sagen: «Oh… morgen schon wieder Schule… schrecklich. Ich gehe lieber mit Freunden ein Videospielen…» Offensichtlich wurden diese Jugendlichen demotiviert. Wir haben es nicht geschafft, den kindlichen Ehrgeiz, die kindliche Neugier so hochzuhalten, so am Leuchten zu halten, dass das über die Schulzeit hinweg anhält. Viele erleben die Schulzeit als demotivierende Phase.
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Absolut. Ich erlebe das selber jetzt bei meinen drei Kindern, die zwischen 16 und 12 Jahre alt sind. Jeder Mensch hat ja ein kreatives Potenzial. Die Schule müsste doch die günstigen Voraussetzungen schaffen, damit sich dieses Potenzial entfalten kann.
Wir wissen, dass der ständige Leistungsdruck ein Kreativitätskiller ist. Das ständige Evaluieren und Bewerten, macht natürlich Angst. Und wir haben eben über den Mut gesprochen. Und wenn Sie ständig mit dem Rotstift der Kontrolle danebenstehen. Ja Mann, da wage ich es ja gar nicht mehr etwas zu sagen, weil ich sofort denke, dass meine Idee vielleicht Quatsch ist und ich dafür eine schlechte Note kriege. Da halte ich doch lieber die Klappe und gucke, dass ich mich irgendwie durch Lavieren kann. Also wir müssen von dem permanenten Bewerten, von dem Leistungsdruck in den Schulen wegkommen. Aus der Kreativitätsforschung weiss man auch, dass es überhaupt nicht förderlich ist, wenn ständig einer Daneben steht, und fragt: «Kommst du jetzt voran? Hast du eine gute Idee?». Dann bin ich tot. Dann schaffe ich gar nichts mehr. Wir müssen die Kontrolle ein bisschen reduzieren.
Genau. Ich denke, das gilt für alle Gesellschaftsbereiche: Mehr Handlungsfreiheit und eben weniger Kontrolle. Ich habe manchmal das Gefühl, wir leben in einem Kontrollstaat. Alles und überall wird kontrolliert.
Aber wir müssen natürlich aufpassen. Wenn man unkontrolliert arbeitet, dann passieren natürlich auch schlimme Dinge. Ich habe gerade am Wochenende von einem Dresdner Psychologieprofessor gelesen, der Geld in seine privaten Familienangehörigen investiert hat, was er eigentlich für öffentliche Forschung hätte gebrauchen müssen. Hier kommt jetzt natürlich die Forderung nach mehr Kontrolle. Es ist eine Gratwanderung.
Prioritäten in der Schule
Ja, die Menschen dürfen nicht Angst haben, dass sie etwas falsch machen, sei es in der Schule oder bei der Arbeit. Kommen wir noch einmal auf die Schule. Setzen wir dort die richtigen Prioritäten? Gibt es nicht Fächer, die zu kurz kommen? Müsste nicht z.B. die Philosophie einen höheren Stellenwert haben oder auch die Kunst.
Unbedingt. Ich glaube, wir haben ja im 21.Jahrhundert ein Schulsystem, was auf Ideen des 19.Jahrhunderts beruht. Und das ist nicht mehr zeitgemäß. Heute liegt mir im Internet eine Welt von Fakten vor der Nase. Muss ich deswegen heute wirklich noch Geschichtsdaten auswendig lernen? Ja, ein paar Eckdaten sollte man natürlich kennen. Weil wenn ich die nicht gelernt habe, habe ich überhaupt keine große Vorstellung auf großen Ganzen.
Ja, absolut. Wir haben eigentlich ein Schulsystem wie vor 150 Jahren. Die Kinder sitzen in Reih und Glied und wir haben einen Lehrer, der kontrolliert und bewertet.
Das sehe ich auch so. Und ich glaube, da müssen wir wirklich kreative Ideen entwickeln, wie wir unseren Unterricht spannender machen, sodass die Kinder wirklich wieder Lust aufs Lernen haben. Wir bringen ihnen ja eigentlich bei, die Lust am Lernen zu verlieren. Und das ist so schade, weil da geht so viel Potenzial verloren. Und wie toll wäre das, wenn die Kinder sagen würden: «Ich gehe morgen in der Schule das und das machen.
Das ist genau das, was wir erreichen sollten. Da sollten wir hinkommen. Das ist aber ein schwieriger Schritt, weil natürlich überall unterschiedliche Gesetze, unterschiedliche Vorgaben uns regulieren. Es braucht Freiheit, es ist ja auch ein Stück Freiheit, dass man sagt kann, vielleicht beschäftigt sich der eine Schüler mit einem unterschiedlichen Thema als der andere Schüler. Dass die beiden Schüler in der gleichen Klasse unterschiedliche Themen bearbeiten.
Aber das braucht natürlich auch kreative Lehrkräfte. Es braucht auch wieder Mut, sich vom Bekannten zu lösen. Das Bekannte ist komfortabel.
Und das hat sehr viel mit der Psychologie der Kreativität zu tun, weil kreative Personen, ja häufig Nonkonformisten sind, die es wagen gegen den Strom zu schwimmen.
Nonkonformismus und Beharrlichkeit
Hier in Heidelberg haben wir z.B einen Nobelpreisträger namens Harald zur Hausen. Der hat gesagt, eine bestimmte Art von Krebs wird durch Viren übertragen. Das hat er vor 30 Jahren gesagt. Da haben die Kollegen gesagt Krebs durch Viren übertragen. Quatsch. Völliger Blödsinn. Der hat 30 Jahre lang an seiner Idee festgehalten, weil er davon überzeugt war. Er hat fürchterliche Anfeindungen bekommen. Am Ende hat er Recht behalten. Ja, es gibt eine bestimmte Art von Krebs, die wird tatsächlich über einen Virus übertragen. Und da kann man sich heute gegen impfen lassen. Fantastisch! Es ist einfach Wahnsinn. Es hat 30 Jahre lang gedauert. Der Mann wurde angegriffen als blöder Idiot, der Schwachsinns Ideen hat. Wie kann man sagen, Krebs wird über den Virus übertragen? So ein Quatsch. Der wurde fix und fertig gemacht. Der hat sich nicht unterkriegen lassen und ist seinen Weg beharrlich gegangen. Das ist enormer Nonkonformismus. Da braucht es sehr viel Kraft und psychische Energie. Es braucht Glaube an die eigene Person.
Nein, das denke ich auch. Sie haben jetzt gerade diese Merkmale angesprochen: Beharrlichkeit, Mut, Nonkonformist zu sein.
Merkmale kreativer Personen
Es gibt zumindest, wenn man die kreativen Personen mal anschaut, so einige Gemeinsamkeiten, die wir bei allen finden. Das sind Personen, die tatsächlich wenig Angst haben. Das sind in gewisser Weise «Sensations-Seekers» und nicht Personen, die dem Neuen vorsichtig gegenüberstehen. Xenophobie gibt's da gar. Es sind Leute, die sich alles angucken, was Neue auf den Tisch kommt, die essen Heuschrecken, weil sie sagen «Lass mich mal probieren, mal gucken, ob es schmeckt». Ja, daran sieht man schon. Wagt jemand, sich auf neue Dinge einzulassen?
Hab ich tatsächlich. Das finde ich immer ein gutes Zeichen. Wagt es jemand, so etwas zu versuchen. Viele andere sagen Nee: «das rühre ich überhaupt nicht an. Ich will von meinen gewohnten Pfaden nicht abweichen. Ich will mein Burger haben». Der schlimmste Feind der Kreativität ist die Routine. Routine ist der Tod der Kreativität. Und das sehen wir im Unternehmen. Wenn wir Routine Jobs haben, da kommt nichts, nichts Neues zustande. Man muss gegen die Routine angehen. Man muss auch wirklich den Mut haben, mal eine Heuschrecke zu probieren, auch wenn sie vielleicht nicht super schmeckt.
«Sensation-Seekers» im Unternehmen
Sie haben den Begriff «Sensation-Seekers» gebraucht und sie haben geraten die Routine zu brechen. Sollten Unternehmungen nur noch «Sensation-Seekers» einstellen?
Ja, es ist schwierig, jetzt zu sagen, man sollte bei der Auswahl nur die «Sensation-Seekers» bevorzugen. Ich gucke natürlich auch darauf, was haben die Leute für Wissen? Weil jemand, der kreativ sein will, der muss auch eine Menge Wissen anhäufen. Heutzutage kriegen wir keine gute Idee mehr zustande, wenn wir uns nicht mit den vorliegenden Befunden in einem bestimmten Bereich näher auseinandersetzen und Wissen anhäufen. Wissen ist die Voraussetzung dafür, dass ich überhaupt was Kluges, Neues schaffen kann. Und sonst entsteht da nicht viel Grossartiges draus.
Wie ich bei der Auswahl vorgehen würde? Ich würde natürlich gucken sind es Leute, die auch Wagnisse eingehen oder sind es ängstliche Personen? Die ängstlichen Personen trauen sich häufig nicht mal eine mutige Idee in den Raum zu stellen. Ich arbeite ja im akademischen Bereich. Im akademischen Bereich ist das eigentlich völlig ungefährlich mal eine wilde Idee zu äussern. Man wird deswegen nicht sofort überfahren. Ja, das ist in einem anderen Bereich vielleicht gefährlicher. Und trotzdem gibt es ganz viele Akademiker, die sich nicht trauen, mal gegen den Stachel zu löcken und ein bisschen Widerspruch zu zeigen, sondern die sind fürchterlich angepasst.
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